Josua 2,1-21 | 17. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

So ganz jugendfrei ist diese Geschichte ja nun wirklich nicht. Aber unterhaltsam und bewegend ist es allemal, was uns die Heilige Schrift hier in unserer heutigen Predigtlesung berichtet.

Da ist das Volk Israel nach 40 Jahren Wanderung durch die Wüste endlich an der Grenze zum gelobten Land angekommen. Nur noch der Jordan trennt das Volk von dem Ziel der Wanderschaft. Die, die einst aus Ägypten losgezogen waren, sind alle gestorben, auch Mose. Und so führt der Josua als sein Nachfolger nun das Volk an. Ein Spaziergang würde das, was nun vor ihm und dem Volk lag, gewiss nicht werden, das wusste er. Denn dieses Land, das nun schon in Sichtweite vor ihnen lag, war ja nicht unbewohnt. Und die erste Stadt auf der anderen Seite des Jordan sah nicht so aus, als ob sie sich den Israeliten einfach ergeben würde.

Was sollte Josua machen? Er geht die ganze Sache strategisch an: Er schickt zunächst einmal heimlich zwei Spione in die Stadt Jericho, um die Stimmung in der Stadt auszukundschaften, vielleicht auch schon, um auszukundschaften, wo es möglicherweise in dieser Stadt Schwachstellen gab. Doch die beiden Herren, die der Josua da losschickt, verstehen das mit der Erkundung offenbar ein wenig anders: Sie kommen in die Stadt hinein – und erfreuen sich dort als erstes an den besonderen Vorzügen des städtischen Lebens, von dem sie all die Jahre lang in der Wüste abgeschnitten gewesen waren. Ja, ihre Erkundungsmission führt sie schnurstracks in ein Bordell zu einer Prostituierten namens Rahab, die von ihnen offenbar etwas intensiver erforscht wird. Doch so groß wie Berlin war Jericho nun nicht: Nachbarn hatten aus dem Fenster gehangen und mitbekommen, dass da zwei Freier bei der Rahab eingekehrt waren, die sonst nicht zu ihrer Stammkundschaft zählten. Natürlich war es den Leuten in Jericho nicht verborgen geblieben, dass sich die Israeliten da einige Kilometer weiter am Jordan versammelt hatten – und so war ihnen schnell klar, dass es sich bei den beiden Freiern um Spione handeln musste. Der König von Jericho wird informiert, und der schickt sogleich Boten zu Rahab und fordert sie auf, ihre Gäste herauszurücken. Dabei machen sie der Rahab selber gar keine Vorwürfe, sondern erklären ihr, dass sie wohl nicht gewusst hat, wen sie da eigentlich bei sich aufgenommen hat. Doch die Rahab ist nicht doof. Die weiß natürlich auch, dass ihre Kunden offenkundig nicht aus Jericho stammten. Aber sie sieht in dem Besuch der beiden Herren eine große Chance für sich und ihre Familie. Und so versteckt sie die beiden schnell oben auf dem Flachdach unter Flachsstängeln, bevor sie sich den Boten des Königs als Unschuld vom Land präsentiert: „Ja, ich hatte zwei Herren als Kundschaft – ich hatte keine Ahnung, von woher die waren. Aber die kamen beide sehr schnell zur Sache, und darum sind die beiden gerade eben schon wieder gegangen, um noch rechtzeitig aus der Stadt zu kommen, bevor das Stadttor geschlossen wird. Weit gekommen sein können die noch nicht! Jagt ihnen schnell nach, dann werdet ihr sie gewiss bald eingeholt haben und sie verhaften können!“ Die Boten des Königs fallen auf diese Story der Rahab auch prompt herein. Schnell wird eine Verfolgung organisiert; ein Trupp macht sich eilends auf den Weg Richtung Jordan. Und da es nun schon dunkel wird, wird das Stadttor geschlossen.

Und so liegen die beiden Spione also da oben auf dem Dach des Bordells und warten, was nun passiert. Da hören sie, wie die Rahab zu ihnen nach oben steigt, und was sie nun von ihr erfahren, lässt ihren ungewöhnlichen Spionageeinsatz nun doch noch zu einem vollen Erfolg werden: Rahab schildert ihnen nämlich genau, was für eine Angst bei den Bewohnern der Stadt vor den Israeliten herrscht, denn sie hatten bereits vernommen, was der Gott Israels alles für sein Volk getan hatte. Gegen diesen Gott, das war ihnen klar, würden sie keine Chance haben. Auch Rahab selber ist das klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, wann die Israeliten mit der Hilfe ihres Gottes Jericho erobern würden, und so nutzt sie die Gunst der Stunde, um wenigstens für ihre Familie noch das Beste herauszuholen: Für die eigene Familie ist sie sogar zum Hochverrat bereit, versteckt die Spione und nimmt ihnen dabei zugleich das Versprechen ab, dass sie bei der Eroberung Jerichos sie und ihre Familie verschonen würden. Und die beiden Spione schwören ihr feierlich, ihr und ihrer Familie bei der Eroberung Jerichos nichts anzutun.

Soweit so gut – Mission accomplished. Die Spione haben ihren Auftrag ausgeführt. Und die Rahab ist heilfroh, dass die Spione den Weg in ihr Etablissement gefunden hatten. Es bleibt aber noch ein Problem: Das Stadttor ist zu – wie sollen die beiden nun wieder aus der Stadt herauskommen? Es bleibt nur ein Weg: Im Schutz der Dunkelheit lässt sie die beiden Spione an einem Seil durch ihr Fenster herab, denn praktischerweise war ihr Haus gleich oben an der Stadtmauer gelegen. Doch damit nicht genug: Rahab gibt den beiden Männern auch noch einen wichtigen taktischen Tipp an die Hand: Lauft nicht gleich Richtung Jordan, damit ihr dem Suchtrupp aus Jericho nicht in die Arme lauft. Versteckt euch erst einmal hinter der Stadt im Gebirge, bis der Suchtrupp zurück ist – und dann schleicht euch zurück zum Jordan. Die beiden Spione sind für diese professionelle Betreuung durch Rahab sehr dankbar, und so verabreden sie gleich ein Zeichen: Rahab soll das rote Seil aus ihrem Fenster hängen lassen, wenn die Israeliten anrücken, um die Stadt zu erobern. Dann wissen die Israeliten Bescheid, welches Haus sie verschonen sollen: eben das der Rahab, in dem diese ihre ganze Familie versammeln soll. Gesagt – getan: Rahab lässt das rote Seil am Fenster hängen. Und einige Kapitel weiter lesen wir dann im Buch Josua, wie die Israeliten Jericho erobern: Ohne irgendeine Kampfhandlung, nur durch den Einsatz eines kräftigen Posaunenchors. Die Israeliten halten sich an ihr Versprechen: Rahab und ihre Familie werden bei der Eroberung Jerichos verschont. Ja, damit nicht genug: Einer der israelitischen Eroberer heiratet die Rahab schließlich sogar, zeugt mit ihr ein Kind – und dieses Kind wird, so lesen wir es dann im Neuen Testament, sogar ein direkter Vorfahre unseres Herrn Jesus Christus. Ja, unser Herr kann eine Prostituierte zu seinen Vorfahren zählen.

Eine ungewöhnliche Geschichte ist das, die uns heute als Predigtlesung aufgetragen ist. Und natürlich werdet ihr euch die Frage stellen: Was hat diese Geschichte nun mit uns, mit unserem Glauben zu tun?

Zunächst einmal macht uns diese Geschichte schlicht und einfach deutlich, wie dicht die Heilige Schrift an der Wirklichkeit unseres menschlichen Lebens dran ist. Denn in unserem menschlichen Leben ist vieles so kompliziert und verworren, dass es schwerfällt, immer gleich klar zu sortieren, wer denn nun die Guten und wer die Bösen sind. Wie befreiend ist es, dass uns eben dies auch von der Heiligen Schrift hier so eindrücklich vor Augen geführt wird.

Doch viel wichtiger noch ist dies: Die Geschichte der Rahab zeigt uns, wie Gott als der Herr der Geschichte auch Schuld und Versagen und ein verworrenes menschliches Durcheinander nutzen kann, um seinen Plan und seinen Willen durchzuführen. Das hat er damals bei der Eroberung des Gelobten Landes durch Israel gemacht, das hat er gemacht, als er durch den Tod seines Sohnes unser Heil gewirkt hat. Und das macht er, gottlob, bis heute auch in seiner Kirche. Ach, wie viel Schuld und wie viel Versagen gibt es auch in der Kirche Jesu Christi! Wie oft haben sich diejenigen, die in ihr Verantwortung getragen haben, gerade nicht als moralische Vorbilder herausgestellt! Und dabei meine ich nun wahrlich nicht nur die Verbrecher, die sich in der Kirche an Kindern vergangen haben und deren Taten wir nun wahrlich niemals relativieren sollten. Es geht auch noch um so viel anderes Versagen: Wie oft habe auch ich in meinem Dienst mich nicht so verhalten und nicht so reagiert, wie es aus Gottes und aus eurer Sicht gut gewesen wäre! Und doch hört Gott immer noch nicht auf, sich unter uns seine Gemeinde zu bauen, kann dazu auch Menschen, die in ihrem Leben ganz schwach werden, kann auch Notlügen in seinen Dienst nehmen, um seinen Heilsplan durchzuführen. Ja, Gott sei Lob und Dank, dass auch unsere Zukunft nicht an unserer eigenen moralischen Vollkommenheit hängt!

Eine Ausländerin hat Gott damals in seinen Dienst genommen und zur Vorfahrin Jesu Christi gemacht. Ja, Gott kann immer wieder gerade auch Menschen, die nicht aus seinem eigenen Volk stammen, gebrauchen, um sein Reich zu bauen. Und einer von Männern dominierten Gesellschaft machte Gott schon damals klar, dass es immer wieder mutige Frauen gewesen sind und auch weiter sind, denen das Volk Gottes, menschlich gesprochen, sein Überleben und seine Zukunft verdankt. Eine mutige Frau war die Rahab, ganz zweifellos. Gewiss hatte sie, von ihrem nicht unbedingt zur Nachahmung geeigneten Beruf einmal abgesehen, zunächst einmal einfach an das Überleben ihrer Familie gedacht. Aber mitten in diesem ganzen Durcheinander in ihrem Bordell legt diese Frau dann doch auch ein beeindruckendes Glaubensbekenntnis ab: „Der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden.“ Das ist der letzte Antrieb ihres Handelns, dass sie darum weiß, dass der Gott Israels der lebendige Gott ist, dass sie mit seinem Handeln auch ihr auf Erden rechnet. Und gerade darin kann uns die Prostituierte Rahab auch heute noch ein Vorbild sein:  Dass wir mit ihm, dem lebendigen Gott, in unserem Leben rechnen, dass wir von daher unsere Entscheidungen treffen und Gott nicht einfach nur im Himmel lassen und ihn nicht als entscheidenden Faktor dessen wahrnehmen, was hier auf Erden geschieht. Dieser Gott hat einen Plan für uns alle – und bei ihm haben auch moralische Versager eine Chance, ja, mehr noch, für sie zuerst und vor allem ist der Nachkomme Rahabs, Jesus Christus, in diese Welt gekommen, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Und wenn wir das wissen, dann dürfen wir beim Hören auf die Geschichte von Rahab immer wieder auch ganz befreit schmunzeln und lachen. Amen.

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