Kohelet (Prediger) 7,15-18 | Septuagesimae | Pfr. Dr. Martens

Na, wie sieht eure persönliche Ökobilanz der vergangenen Woche aus? Habt ihr mit eurem Leben auch wieder einmal dazu beigetragen, unseren Planeten der Vernichtung ein Stück näher zu bringen? Habt ihr die falschen Lebensmittel gegessen, habt ihr euch mit dem falschen Verkehrsmittel fortbewegt, habt ihr zu viel Verpackungsmüll verursacht? Ja, habt ihr vielleicht gar die schlimmste aller Ökosünden begangen und ein Kind in die Welt gesetzt – wieder ein Mensch mehr, der atmet und damit diesen Planeten systematisch zugrunde richtet?

Wenn man sich mal so ein richtig schlechtes Gewissen machen lassen will, gibt es im Internet diverse Angebote, sich den eigenen ökologischen Fußabdruck errechnen zu lassen. Mithilfe eines säkularen Beichtspiegels werden die verschiedensten Öko-Sünden, die man als Normalsterblicher so begeht, abgefragt, und am Ende steht dann zumeist das vernichtende Urteil, dass man eben selber auch daran schuld ist, dass diese Welt in der kommenden Zeit untergehen wird.

Schwestern und Brüder: Solche Diskussionen und Gedankengänge lassen sich problemlos in den gesellschaftlichen Diskursen unserer Zeit in unserem Land auch spiegeln: Da wird dann die Frage der Stellung zu Flüchtlingen zur Überlebensfrage unseres Landes, ja der ganzen Welt deklariert – alles, was in unserem Land an Schlechtem passiert, wird darauf hinterfragt, ob nicht auch daran ein Flüchtling oder gar viele schuld sein könnten. Ja, wie gut, wenn man dann von sich behaupten kann, dass man ja immer schon gegen diese Flüchtlinge gewesen ist und damit schon viel weiter als all diejenigen, die immer noch sehenden Auges dabei zuschauen, wie diese Nichtdeutschen das ganze Land, ja die halbe Welt zugrunde richten.

Es gehört zu den erschreckenden Entwicklungen in unserem Land und weit über unser Land hinaus, mit welcher Unerbittlichkeit heutzutage Diskussionen ausgetragen werden, wie persönliche Ansichten zu Heilsfragen hochstilisiert werden und jeglicher Widerspruch gegen die eigene Auffassung gleich mit dem Label der Ketzerei, der Häresie, ja der Feindschaft markiert wird: Eines ist klar: Ich bin der Gute, ich bin auf der richtigen Seite, und weh dem, der es wagen sollte, dies auch nur irgendwie in Frage zu stellen! Wer sich nicht zu bestimmten Stickoxid-Grenzwerten bekennt oder dazu, dass die Flüchtlinge auf jeden Fall unser Unglück sind, ganz gleich, worum es auch gerade gehen mag, der ist mitverantwortlich für alles Böse, was wir in der Zukunft zweifelsohne erleben werden.

Und erschreckend ist es auch, wie diese Konflikte geradezu religiös überhöht, zu Heilsfragen erklärt werden: Da werden dann Öko-Beichtspiegel entwickelt, die das eigene Versagen deutlicher erkennbar machen, da werden Möglichkeiten geschaffen, durch diverse Formen von Ablässen die Tilgung von zeitlichen und ewigen Strafen des Verlorenseins abwenden zu können: durch Spenden zur Anpflanzung von Bäumen, durch das Bekenntnis, nur bestimmte politische Parteien zu wählen, oder umgekehrt durch das Bekenntnis zum christlichen Abendland, durch das Bekenntnis zu einer Partei, die verspricht, Deutschland vor dem drohenden Untergang zu retten – Spenden an diese Partei inklusive. Ja, religiöse Verhaltensmuster tauchen da mit einem Mal in unserem Land in einer zuvor kaum erwarteten Weise wieder auf: Menschen wollen sich und andere retten, nehmen für diese Rettung erstaunlich viel in Kauf.

Wie hochaktuell klingen auf diesem Hintergrund die Worte des Predigers, die wir in unserer heutigen Predigtlesung gehört haben! Ja, solche Leute gab es offenbar auch schon zur Zeit des Predigers: Menschen, die glaubten, sie wüssten ganz genau, was richtig und was falsch ist, Menschen, die glaubten, sie stünden hundertprozentig immer auf der richtigen Seite und könnten darum den anderen sagen, was sie in ihrem Leben anders zu machen hätten. Menschen, die sich ganz gewiss waren, den lieben Gott in allem, was sie behaupteten und forderten und selber auch praktizierten, auf ihrer Seite zu haben – inklusive der Empörung über die, die das alles nicht genauso machten wie sie selber.

Eines musste man diesen super-gerechten Menschen lassen: Sie waren dazu bereit, auf vieles zu verzichten, ihr Leben einzuschränken, nur damit sie in den Augen Gottes und den Augen der Menschen in ihrer Umgebung makellos dastanden. Und eines war ihnen klar: Solches konsequent gute und richtige Verhalten, das musste sich am Ende doch auszahlen, das musste am Ende doch von Gott belohnt werden!

Aber es gab dann eben auch die anderen, schon damals zurzeit des Predigers, denen diese Super-Gerechten fürchterlich auf den Senkel gingen und die die Dinge in ihrem Leben eher ganz praktisch ansahen: Wenn ich das mit all den Regeln, die diese Superfrommen für wichtig halten, nicht so ernst nehme, komme ich viel besser durchs Leben – und der liebe Gott wird das ohnehin alles nicht ganz so eng sehen.

Und nun kommt der Hammer: Der Prediger schlägt sich hier nicht auf die Seite der Super-Gerechten, er stellt sie gerade nicht als Vorbilder hin für alle anderen. Sondern er argumentiert hier sehr nüchtern und praktisch: „Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.“ So viel ist jedenfalls ganz klar: Wir können mit einem frommen Leben nicht erreichen, dass es uns besser geht als denen, die von Gott und seinen Geboten nichts wissen wollen. Wir können uns mit unseren guten Werken, die wir tun, keinen Vorteil verschaffen – nicht bei Gott und auch nicht in unserem alltäglichen Leben. Im Gegenteil: Gerade wenn wir uns besonders gut und fromm vorkommen, befinden wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach auf einem Irrweg: Wir täuschen uns, was unsere Zukunft bei Gott angeht, und wir machen uns das Leben nur selber schwer, wenn wir es dauernd heraushängen lassen, wieviel besser wir sind als andere.

Und dann gibt der Prediger hier einen Ratschlag, bei dem wir uns ein wenig die Augen reiben mögen, dass der tatsächlich in der Bibel steht. Doch er steht tatsächlich da: Sei nicht allzu gerecht, und sei nicht allzu gottlos.

Sei nicht allzu gerecht – das heißt: Erwecke nicht den Eindruck, als ob nur du allein immer wüsstest, was richtig und falsch ist. Verhalte dich nicht so, wie sich viele heutzutage in den Diskussionen in unserem Land verhalten, sondern stelle dich mit dem, was du denkst, was du sagst und tust, immer wieder auch selber in Frage: Könnte es nicht tatsächlich sein, dass es nicht nur schwarz oder weiß gibt, sondern auch noch etwas dazwischen? Könnte es sein, dass die Rettung der Welt vielleicht doch nicht an dir allein hängt, auch nicht daran, ob du dich immer ökologisch korrekt verhältst? Könnte es sein, dass die Welt oder auch unser Land vielleicht doch nicht ganz so schnell untergeht, wenn sich nicht alle an das halten, was du ihnen predigst? Könnte es sein, dass auch Kompromisse mitunter hilfreich, ja unvermeidlich sein können? Ja, könnte das alles sein, ohne dass es deshalb gleich ganz egal ist, ob wir uns für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen in der Zukunft einsetzen oder nicht? Könnte es sein, dass vielleicht doch nicht alle Flüchtlinge Verbrecher sind und den Untergang des Abendlandes herbeiführen? Könnte es sein, dass es sinnvoll ist, hier einfach mal ganz nüchtern zu differenzieren, statt mit Pauschalurteilen um sich zu werfen? Ja, könnte es sein, dass viele Flüchtlinge tatsächlich ein Segen für unser Land sind? Ja, könnte das alles sein, ohne dass wir deswegen gleich aufhören, uns Gedanken zu machen über die Probleme, die islamische Parallelgesellschaften in unserem Land verursachen könnten?

Der Prediger versucht hier, uns aus unseren Schützengräben herauszuholen, nüchtern abzuwägen, dass wir die Frage nach unserer Zukunft, ja nach unserem Heil nicht an dem festmachen, was wir tun und für allein richtig halten. Dafür gibt er uns am Ende noch einen ganz entscheidenden Hinweis: Wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

Damit eröffnet uns der Prediger hier einen ganz neuen Weg, einen Weg, der schon hinausweist auf die Botschaft des Neuen Testaments: Meine Zukunft, mein Heil, meine Rettung, sie hängen nicht an mir, an meinen guten Werken, an meinem Einsatz für eine bessere Welt. Meine Zukunft, mein Heil, meine Rettung hängen allein an Gott, an seiner Entscheidung, an seinem Tun. Und genau das hat Gott eben konsequent bestätigt, als er seinen Sohn Jesus Christus für uns in diese Welt gesandt hat, als er ihn für uns hat am Kreuz sterben lassen. Da hat er es unübersehbar gezeigt: Ihr bekommt in eurem Leben gerade nicht, was ihr verdient, was ihr leistet. Sondern ihr bekommt, was ich, Christus, verdient habe, was ich geleistet habe, als ich mich für euch habe ans Kreuz schlagen lassen. Nein, ich brauche mir meine Zukunft nicht dadurch zu sichern, dass ich gute Werke tue oder mich immer ökologisch korrekt verhalte oder mich immer dafür einsetze, dass Deutschland den Deutschen gehört. Gott hat meine Zukunft schon längst gesichert, als er mir in der Taufe eine Gerechtigkeit geschenkt hat, die unendlich über alle erhobenen Zeigefinger und stolzgeschwellten Brüste hinausreicht.

Und das lässt mich dann eben ganz gelassen auf mein Leben in dieser Welt, ja auf die Zukunft dieser Welt schauen: Ich kann diese Welt nicht retten und brauche es auch nicht. Aber gerade weil ich weiß, dass Gott mir seine Gerechtigkeit, sein ewiges Leben schenkt, kann ich ganz nüchtern hingucken, was für die Menschen dieser Welt, was auch für kommende Generationen das Beste ist – ohne jede Selbstgerechtigkeit, die nur die eigenen Argumente gelten lässt, ohne Herabschauen auf andere, die zu anderen Ergebnissen kommen als ich. So bringen wir uns als Christen in die Gespräche über die Zukunft dieser Welt ein – nicht fanatisch, sondern ganz nüchtern, getrieben von der Liebe, die wir durch Jesus Christus selber empfangen haben, getragen von der Hoffnung, dass Gott selber einmal am Ende einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird. Dann können wir auch die Ungerechtigkeiten aushalten, die wir in dieser Welt immer wieder erfahren, dann können wir es aushalten, dass es Menschen, die es aus unserer Sicht gar nicht verdient haben, viel besser geht als uns selber. Gott wird einmal Gerechtigkeit schaffen – überraschend anders, als alle Moralapostel sich das heute noch vorstellen mögen. Mensch, was haben wir Christen es gut! Amen.

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