Kolosser 3,18 – 4,1 | Mittwoch nach dem 18. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Wie kann man eine ungerechte Gesellschaft umgestalten? Das ist eine Frage, die Menschen im Laufe der Zeit immer wieder bewegt hat und auf die ganz unterschiedliche Antworten gegeben worden sind. Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Menschen meinen, dass sich eine solche Umgestaltung nur durch die Bekämpfung derer bewerkstelligen lässt, die nicht die gleiche Meinung haben wie man selber: Zur Not muss das, was man selber als gerecht erkannt hat, dann eben auch mit Gewalt durchgesetzt werden, angefangen damit, dass man denen, die anders denken als man selber, das Recht nimmt, sich öffentlich noch äußern zu können.

Die Christen zur Zeit des Neuen Testaments lebten in einer Gesellschaft, die wir heute in vielfältiger Weise als sehr ungerecht bezeichnen würden: Es war eine patriarchale Gesellschaft, in der Frauen und auch Kinder nicht viel zu sagen hatten, ja, es war eine Gesellschaft, in der es als normal galt, Sklaven zu halten, ja, die ohne die Sklaverei überhaupt nicht hätte funktionieren können. Wie sollten sich die Christen da verhalten; wie sollten sie mit diesen ungerechten Strukturen umgehen?

Genau darum geht es in der Predigtlesung des heutigen Abends. Wir würden sie völlig missverstehen, wenn wir sie als antiquierte Anweisung zur Stabilisierung längst überkommener Gesellschaftsordnungen ansehen würden. Im Gegenteil: Was Paulus hier schreibt, hat eine subversive Kraft, deren Ergebnisse bis heute nachwirken.

Da gebraucht der Apostel hier zunächst einmal wiederholt die Worte „in dem Herrn“. Das ist eine Erinnerung an die Taufe, in der wir Christus angezogen haben und seitdem „in dem Herrn“ sind. Und „in dem Herrn“ sind wir eben alle miteinander Brüder und Schwestern, gemeinsam bezogen auf den einen Herrn, mit dem wir durch die Taufe verbunden sind. Ehemann und Ehefrau – sie sind „in Christus“ einander Bruder und Schwester. Eltern und Kinder – sie sind „in Christus“ einander Bruder und Schwester. Sklavenhalter und Sklave – sie sind „in Christus“ einander Bruder und Schwester. Und das lässt die scheinbar so fest zementierten Ordnungen noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen:

„Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie sich’s gebührt in dem Herrn“ – das klingt zunächst einmal wie aus der Zeit gefallen. Doch wenn wir genauer hinschauen, merken wir, wie subversiv das ist, was Paulus hier schreibt: Das Wort, das Paulus hier gebraucht, verwendet er auch, um zu beschreiben, wie Christus sich dem Vater unterordnet – aus freien Stücken, aus Liebe, nicht, weil er weniger Gott wäre als der Vater. Frauen stehen nicht unter den Männern, sondern sie dienen ihren Männern „in dem Herrn“, in dem Wissen, dass es in Christus keinen Rangunterschied zwischen Mann und Frau gibt. Und „in dem Herrn“ verhalten sich eben auch Männer ganz anders gegenüber ihren Ehefrauen, als es eine patriarchale Gesellschaftsordnung nahelegt. Sie „lieben“ ihre Frauen – und damit verhalten sie sich wie Christus, der seine Jünger so sehr geliebt hat, dass er für sie in den Tod gegangen ist, der ihnen zu Füßen gelegen und ihnen gedient hat bis zur Hingabe seines Lebens. Was für eine Neubestimmung der Ehe, die hier stattfindet! Ausdrücklich ermahnt Paulus die Ehemänner auch dazu, dass sie nicht bitter gegen ihre Ehefrauen werden, dass sie also bereit sind zu vergeben und nicht nachtragen, was ihnen an vermeintlichem oder tatsächlichem Unrecht widerfährt. Ja, wie gut hat es eine Ehefrau, deren Mann konsequent aus der Vergebung lebt, aus der Liebe Christi, die ihn und seine Frau miteinander verbindet!

Dann spricht der Apostel hier von dem Verhältnis von Eltern und Kindern. Ja, Kinder sollen ihren Eltern gehorchen, ganz klar – aber „in dem Herrn“, immer im Wissen darum, dass Christus der gemeinsame Herr von Eltern und Kindern ist und dass damit auch der Gehorsam der Kinder gegenüber den Eltern begrenzt ist: Wenn sie etwas gegen die Weisung Christi befehlen, darf man ihnen nicht gehorchen. Und dann geschieht etwas für die damalige Zeit durchaus Ungewöhnliches: Paulus spricht besonders die Väter auf ihre Verantwortung gegenüber den Kindern an: Kinder sind eben nicht einfach Besitz oder gar Statussymbol der Eltern, sondern sie haben ihr ganz eigenes Recht: Besonders die Väter werden angesprochen, dass sie ihre Kinder nicht kränken sollten, dass sie ihren Kindern nicht ihr Selbstwertgefühl nehmen sollten, indem sie die Kinder beschimpfen, ihren Ärger an ihnen auslassen, bei ihnen den Eindruck erwecken, sie könnten nichts und seien nicht wichtig. Was für wichtige, hochmoderne Gedanken, die Paulus hier schon vor 2000 Jahren geäußert hat. Da bleibt kein Platz mehr für schwarze Pädagogik, für Demütigungen von Kindern, da wird den Seelen der Kinder eine Bedeutung zugemessen, von der wir auch heute noch eine Menge lernen können.

Und da sind dann noch die Sklaven. Nein, Paulus ruft hier nicht zu einem neuen Spartakus-Aufstand auf. Sondern er argumentiert auch hier sehr subversiv: Er nennt die Sklavenbesitzer „irdische Herren“ und relativiert damit ihren Anspruch auf die Sklaven ganz grundlegend. Und dann löst Paulus die Sklaven gleichsam aus ihrem Eigentumsverhältnis gegenüber ihrem Herrn und macht ihnen deutlich: Ihr gehört gar nicht diesen Sklavenbesitzern. Ihr gehört Christus. Arbeitet so, als ob allein Christus euer Herr ist. Was für eine Sklavenbefreiung der besonderen Art! Und die unterstreicht Paulus dann noch einmal dadurch, dass er die Sklavenbesitzer an ihre Verantwortung vor Christus erinnert, dass er sie daran erinnert, was es bedeutet, wenn sie gemeinsam mit ihren Sklaven im Gottesdienst vor Christus niederfallen und ihn anbeten: Bruder neben Bruder, Bruder neben Schwester. Da kann dann kein Gedanke mehr aufkommen, dass ein Sklave nur eine Sache, ein Besitz sein könnte.

Subversiv war diese Argumentation des Paulus – und sie hatte schließlich zur Folge, dass in späteren Jahrhunderten in einer christlichen Gesellschaft kein Platz mehr für Sklaven war. Der christliche Glaube hatte die Sklaverei von innen her ausgehöhlt und überwunden. Dass später fromme Christen diese Worte aus dem Kolosserbrief vollkommen entgegen ihrem Sinn verstanden und gedeutet und etwa die Wiedereinführung der Sklaverei in den USA mit solchen Worten befürwortet haben, ist auch eine traurige Wahrheit – aber eben auch die, dass auch dieses Denken schließlich erneut von der biblischen Botschaft überwunden wurde.

„Ihr seid das Salz der Erde“, so sagt es uns Christus zu. Salz macht zahlenmäßig nur einen kleinen Anteil am Essen aus – und hat doch eine große Wirkung. So ist es auch mit uns Christen: Wir mögen nicht viele sein und gegen die gegenläufigen Strömungen in unserer Gesellschaft scheinbar keine Chance haben. Lassen wir uns trotzdem von Paulus ermutigen: Leben wir unser alternatives Leben aus der Taufe in unserem Alltag, in der Familie, im Beruf! Leben wir davon, dass wir unseren Wert nicht aus dem ermessen, was wir tun und leisten, oder wie andere uns beurteilen! Leben wir davon, dass wir Eigentum Christi sind, der uns durch seinen Tod am Kreuz erkauft hat! Seine Liebe wird sich am Ende durchsetzen – und daran wird ihn keine Macht dieser Welt hindern können! Amen.

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