Kolosser 4,2-6 | Rogate | Pfr. Dr. Martens

Habt ihr das auch schon mal erlebt? Ihr sitzt am Steuer eures Autos und fahrt und fahrt – und mit einem Mal zuckt ihr zusammen: Da wart ihr doch glatt für eine Sekunde eingeschlafen, wart etliche Meter mit dem Auto weitergefahren, ohne dass ihr es noch bewusst wahrgenommen hättet. Ja, wie gut, wenn ihr dann doch noch rechtzeitig gleich wieder aufgewacht seid, bevor ihr mit dem Auto im Straßengraben gelandet seid oder möglicherweise noch Schlimmeres geschehen ist!

Solch einen geistlichen Sekundenschlaf gibt es auch in der Kirche. Der dauert allerdings in der Regel nicht nur eine Sekunde, sondern der kann sich viel, viel länger hinziehen – über Monate und Jahre, ohne dass eine Gemeinde das selber merkt, dass sie sich in diesem Schlafzustand befindet. Sie fährt immer weiter geradeaus – es finden Gottesdienste und Gemeindeveranstaltungen statt, die Gemeindeglieder finden alles sehr nett und gemütlich, es geht scheinbar immer weiter voran. Doch in Wirklichkeit ist die Gemeinde eingeschlafen, merkt gar nicht mehr, wo und wie sie eigentlich unterwegs ist, steht damit in der akuten Gefahr, schließlich am Baum zu landen, ohne dass man sich dieser Gefahr zuvor überhaupt bewusst gewesen wäre.

Dieser geistliche Sekundenschlaf, der sich so lange hinziehen kann, ohne dass man ihn eigentlich bemerkt, ist nicht erst ein Phänomen unserer Tage heute. Sondern davon wusste schon der Apostel Paulus, dass die christliche Gemeinde in der Gefahr steht, einzuschlafen, ja, dass dies die allerbeste und erfolgreichste Taktik des Widersachers, des Teufels, ist, uns in unserem Glauben, in unserem Leben als Gemeinde einfach einschlafen zu lassen.

Und so ruft der Apostel Paulus den Christen in Kolossä genau wie uns zu: Wachet! Passt auf, dass ihr nicht einschlaft in eurem Glauben, in der Arbeit der Gemeinde, passt auf, dass ihr nicht in einem geistlichen Sekundenschlaf versinkt und vom Weg abkommt! Drei Tipps gibt uns der Apostel Paulus hier, was wir gegen den geistlichen Sekundenschlaf unternehmen können, was uns helfen kann, geistlich wach zu bleiben:

  • Seid beharrlich im Gebet!
  • Schaut auf die, die draußen sind!
  • Kauft die Zeit aus!

 

 

I.

Was ist das beste Gegenmittel gegen den Sekundenschlaf am Steuer? Das beste Gegenmittel besteht darin, dass man nicht allein fährt, dass man einen Beifahrer hat, mit dem man sich unterhalten kann. Der hält einen wach, der sorgt dafür, dass der Fahrer nicht allmählich in der Monotonie des Fahrens versinkt und nachher gar nicht mehr wahrnimmt, was er eigentlich macht.

Und genau diesen Rat gibt der Apostel Paulus nun auch den Christen in Kolossä, den gibt er jedem einzelnen von uns und uns als Gemeinde gemeinsam: Fahrt nicht allein, sondern unterhaltet euch mit dem Beifahrer! Oder, in biblischer Sprache ausgedrückt: Seid beharrlich im Gebet!

Seid beharrlich im Gebet – das bedeutet also nicht, dass wir unsere Gottesdienste einfach noch um ein paar Stunden verlängern, dass wir hier schließlich gar nicht mehr aus dem Kirchraum herauskommen. Sondern beharrlich im Gebet zu sein, bedeutet, Gott im persönlichen Leben und im Leben der Gemeinde gleichsam als „Beifahrer“ wahrzunehmen, als den, der immer mit dabei ist, mit dem man sich jederzeit ohne große Ankündigung unterhalten kann. Genau das ist ja die große geistliche Gefahr, in der wir uns als Gemeinde befinden, dass wir allen Ernstes glauben, wir seien hier unter uns, und es ginge entsprechend nur darum, dass wir hier alles so machen, wie es uns gefällt. Wenn wir glauben, wir seien hier unter uns, dann wird der Gottesdienst zu einem Happening, bei dem wir mal zwischendurch hereinschauen können, wenn es uns gefällt. Wenn wir glauben, wir seien hier unter uns, dann kommen wir gar nicht mehr auf die Idee, uns von Gottes Wort korrigieren zu lassen oder Gott um Weisung für das zu bitten, was wir nach seinem Willen tun sollen. Wenn wir Gott nicht mehr als Beifahrer in unserem persönlichen Leben haben, dann kreisen wir in unserem Denken letztlich nur noch um uns selber, dann dient nachher auch unser Glaube nur noch dazu, unsere eigenen religiösen Bedürfnisse zu erfüllen. Und damit werden wir zu geistlichen Geisterfahrern, die vor sich hinschlafen und gar nicht merken, wo sie eigentlich unterwegs sind.

Paulus gibt uns dabei noch zwei besondere Tipps, wie das Gebet als geistlicher Wachmacher dienen kann:

Zum einen rät er uns dazu, in unseren Gebeten die Danksagung nicht zu vergessen. Danksagung hilft, das eigene Leben, das Leben der eigenen Gemeinde noch mal anders wahrzunehmen. Ja, es ist gut, wenn wir nicht nur ein allgemeines Gefühl der Dankbarkeit in unserem Leben haben, sondern wenn wir wirklich ganz konkret jeden Tag Gott gegenüber aussprechen, wofür wir ihm alles danken können. Und es ist gut, wenn sich unsere Dankbarkeit dann nicht nur auf die Dinge beschränkt, die wir direkt vor Augen haben, sondern dass wir jeden Tag neu Gott für die geistlichen Geschenke danken, die er uns in unserem Leben gegeben hat: Dafür, dass wir durch die Taufe Kinder Gottes und Erben des ewigen Lebens sind, dafür, dass wir immer wieder neu das tröstliche Wort der Lossprechung hören dürfen: Dir sind deine Sünden vergeben! Dafür, dass wir so oft hier in unserer Gemeinde den Leib und das Blut Christi im Heiligen Mahl empfangen dürfen, das uns jetzt schon wach macht für das ewige Leben. Wenn wir Gott täglich danken, dann versinken wir nicht in der Routine des persönlichen oder gemeindlichen Alltags, dann ist nicht mehr selbstverständlich, was uns sonst so selbstverständlich erscheinen mag.

Und zum anderen rät er dazu, in besonderer Weise dafür zu beten, dass Gott Türen für die Verkündigung des Evangeliums öffnet. Ja, da tun wir in der Tat gut daran, ganz beharrlich und immer wieder für die Öffnung solcher Türen zu beten. Und wir merken ja in unserer Gemeinde, wie eng der Dank und die Bitte um die Öffnung der Türen für die Verkündigung des Evangeliums zusammengehören. Wir haben es doch erfahren und erfahren es immer wieder neu, wie Gott tatsächlich Gebete erhört hat und erhört, wie er uns Türen schon geöffnet hat, von denen ich vor 20 Jahren noch nicht einmal geahnt hätte, dass diese Türen überhaupt existieren. Es ist doch nicht das Ergebnis unserer Bemühungen und Anstrengungen, dass so viele Menschen in unserer Mitte den Weg zu Jesus Christus gefunden haben. Das liegt doch in der Tat ganz daran, dass Christus die Fürbitten so vieler Menschen erhört hat, dass doch auch Menschen aus dem Islam den Weg zu Jesus Christus finden mögen. Und wenn er es uns verwehrt, im Iran und Afghanistan Christus zu predigen – dann schickt er diese Menschen eben hierher zu uns nach Deutschland. Ja, wachen wir auch in dieser Hinsicht geistlich auf, dass wir in all den Diskussionen zur Flüchtlingsfrage niemals diese geistliche Dimension aus den Augen verlieren!


II.

Und damit sind wir schon beim Zweiten: Paulus lenkt den Blick der Christen in Kolossä, lenkt auch unseren Blick bewusst auf die, die draußen sind, so formuliert er es hier.

Ja, das ist eine ganz besondere Gefahr des geistlichen Schlafens in den Gemeinden, dass sie so sehr mit sich selber beschäftigt sind, dass die, die draußen sind, gar nicht mehr in den Blick kommen, ja, dass man mehr oder weniger offen vielleicht sogar signalisiert, dass man sie gar nicht mit dabei haben möchte, weil sie die eigene Gemütlichkeit ja doch nur stören würden.

Doch Christus schickt uns Menschen, die erst mal noch draußen sind, als Wachmacher in unsere Gemeinden, damit wir ja nicht bloß in unserem eigenen Saft schmoren und zum religiösen Verein verkommen. Niemals darf es uns egal und gleichgültig sein, dass es Menschen gibt, die noch draußen sind, die noch nicht den Weg zu Jesus Christus gefunden haben, die noch nicht getauft sind! Wahrnehmen sollen wir sie zunächst einmal, nicht bloß um uns selber kreisen. Aber dann sollen wir eben nicht mit dem Holzhammer auf sie einstürmen, sondern uns weise verhalten, mit unserem ganzen Leben auf den hinweisen, der unser Herr und Retter ist. Weise zu sein – das heißt: Auch Geduld haben zu können, Gott darum zu bitten, dass er uns die rechte Zeit und den rechten Weg zeigt, Menschen anzusprechen, so, dass wir sie für Christus gewinnen, nicht so, dass wir ihnen zeigen, dass wir Recht haben.

Freundlich und mit Salz gewürzt soll unsere Rede sein. Ja, wir sollen wissen, wie wir einem jeden antworten können, so schreibt es der Apostel hier. Das lernt man am allerbesten, indem man hier in der Gemeinde mit anderen über den christlichen Glauben spricht, dass man die Angebote der Glaubensvertiefung nutzt und sich damit zugleich selber fit macht zum Gespräch über den Glauben mit anderen. Ja, eben dies hält zugleich auch uns selber geistlich wach.

 

III.

Und dann gibt uns St. Paulus hier schließlich noch einen dritten ganz wichtigen Rat: Kauft die Zeit aus, so schreibt er hier so schön! Nutzt die Zeit, die euch hier und jetzt geschenkt ist, verschlaft sie nicht, verschiebt nicht, was ihr jetzt tun könnt, auf irgendeinen späteren Zeitpunkt!

Ja, genau darum geht es immer wieder hier in der Arbeit unserer Gemeinde. Jetzt haben wir die Möglichkeit, Menschen aus dem Iran und Afghanistan mit dem Evangelium zu erreichen, jetzt stehen die Türen offen, jetzt wäre es fahrlässig, innezuhalten und zu meinen, jetzt sei es genug, jetzt müssten wir wohl erst einmal eine Pause einlegen.

Nein, was wir hier in unserer Gemeinde machen, ist eben keine einschläfernde Routine, im Gegenteil: Wir haben selber keine Ahnung davon, wie das Leben in unserer Gemeinde in einem Jahr aussehen wird. Brauchen wir auch nicht zu wissen. Es ist doch Christus, der letztlich am Steuer der Gemeinde sitzt. Eigentlich sind wir ja die Beifahrer, die nur darüber staunen, wohin Christus uns in unserem Leben wohl noch steuern wird. Und das ist so spannend, dass an Einschlafen gar nicht zu denken ist.

Kauft die Zeit aus – tut jetzt, was jetzt möglich ist! Kümmert euch um die Menschen, die jetzt vor eurer Tür stehen, und flüchtet euch nicht in die Entwicklung von irgendwelchen Theorien und Konzepten, flüchtet euch erst recht nicht in irgendwelche Sorgen, was denn noch bloß alles passieren könnte, wenn alles so weiterläuft, wie wir es jetzt erleben!

Dankt Gott, bittet ihn um offene Türen, wendet euren Blick nicht ab von den Menschen, die noch draußen sind, werdet euch bewusst, was für Chancen Christus euch hier und jetzt eröffnet! Wie sollten wir da noch einschlafen wollen! Als der frühere Papst Johannes Paul II. einmal sehr ernsthaft ermahnt wurde, er solle sich doch in seiner Arbeit mehr Ruhe gönnen, antwortete er kurz und knapp: „Mich ausruhen kann ich auch im Himmel.“ Ja, genau darum geht es in unserem Leben als Christen: Um Christi willen gehen wir dem Himmel entgegen, wo wir einmal tatsächlich für immer ausruhen werden. Und bis es soweit ist, lasst uns die Zeit auskaufen! Alle aufwachen! Amen.

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