Lukas 2,1-20 | Heiliges Christfest | Pfr. Dr. Martens

In diesem Jahr wurde im Iran und in Afghanistan der Beginn des Jahres 1400 gefeiert. 1400 Sonnenjahre ist es her, seit Mohammad seinen Wohnsitz von Mekka nach Medina verlegte – und dies ist bis heute in der ganzen muslimischen Welt der Bezugspunkt, von dem her die Jahreszahlen im Kalender gerechnet werden.

Wir feiern hier in Deutschland wie fast in der ganzen nichtmuslimischen Welt bald den Beginn des Jahres 2022. Und auch diese Jahreszahl hat mit einer Wohnsitzverlegung zu tun, so macht es uns St. Lukas in der Geschichte der Geburt Jesu Christi deutlich, die wir eben gehört haben. Genauer gesagt handelt es sich gleich um eine doppelte Wohnsitzverlegung: Zum einen musste Josef, der Ehemann Marias, vorübergehend seinen Wohnsitz von Nazareth nach Bethlehem verlegen. Grund hierfür war eine Volkszählung, bei der jeweils die männlichen Familienvorsteher mit ihrer Familie an den Ort ziehen mussten, aus dem sie stammten. Josef war ein Nachkomme Davids, er stammte aus der Stadt Davids, Bethlehem, und so musste er sich mit seiner Verlobten Maria auf den Weg von Nazareth im Norden Israels nach Bethlehem im Süden Israels begeben – ein Weg von über 100 km, nicht gerade ein Vergnügen besonders für seine schwangere Verlobte. In den Bibelübersetzungen wird immer wieder so übersetzt, als habe diese Volkszählung zu der Zeit stattgefunden, als Quirinius Statthalter in Syrien war. Doch wenn man genauer in den griechischen Text schaut, dann sieht man, dass es sich um die Volkszählung handelt, die vor der Volkszählung des Quirinius stattgefunden hat. Volkszählungen fanden im Schnitt alle 14 Jahre statt. Die Zählung zur Zeit des Quirinius fand im Jahr 6 nach Christus statt; die Zählung davor fand etwa im Jahr 8 vor Christus statt – und das passt gut zu den sonstigen Angaben zusammen, dass Jesus etwa im Jahr 7 oder 8 vor Christus geboren wurde. Das klingt ein bisschen verrückt, hängt aber damit zusammen, dass sich im Mittelalter ein Mönch bei dem Versuch, das Geburtsjahr Jesu auszurechnen, um etwa 7 Jahre vertan hat. In Wirklichkeit sind Maria und Josef also bereits vor 2030 Jahren von Nazareth nach Bethlehem gezogen.

Doch die Zahlen als solche sind nun gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist die andere Wohnsitzverlegung, von der hier in der Weihnachtsgeschichte berichtet wird: Nicht nur Maria und Josef ziehen um, sondern Gott selber zieht um. Das ist der eigentlich wichtige Inhalt der Geschichte, die Lukas hier erzählt, ja das ist der eigentliche Grund dafür, dass wir in der nichtislamischen Welt die Jahreszahlen ab der Geburt Jesu Christi laufen lassen: Da ist ein einziges Mal in der ganzen Weltgeschichte etwas passiert, was sich nie mehr wiederholen wird, was so einmalig ist, dass wir tatsächlich allen Grund haben, die ganze Geschichte dieser Welt auf dieses einmalige Ereignis zu beziehen: Der Engel verkündigt es den Hirten auf den Feldern Bethlehems: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Was für eine großartige Nachricht: Der Christus, der Messias, auf den das Volk Israel so lange gewartet hatte, er ist nun endlich da, er ist nun endlich geboren. Doch damit nicht genug: Dieser Messias ist zugleich „der Herr“ – und „der Herr“ – das war damals das Wort, das für den Namen Gottes selber verwendet wird. Da wird ein Kind in Bethlehem geboren – und dieses Kind ist zugleich „der Herr“, Gott selber.

Und wie kann man dieses Kind, ja, diesen Gott, nun finden und erkennen? Es ist nicht zu finden in einem Königspalast, es lässt sich nicht dadurch erkennen, dass von ihm ein heller Lichtschein ausgeht, vor dem man nur in die Knie sinken kann. Sondern dieses Kind, ja dieser Gott, lässt sich daran erkennen, dass er in Windel gewickelt in einer Krippe liegt. Der große Gott – in allertiefster Armut, so arm, dass er noch nicht einmal ein Bett hat, in das er nach seiner Geburt gelegt wird. In einem stinkenden Stall wird er geboren, muss bald nach seiner Geburt aus Bethlehem in ein fremdes Land fliehen und dort als Flüchtling leben. So kommt Gott in diese Welt, so gibt er sich uns zu erkennen.

Der große Gott macht sich für uns ganz klein – meisterhaft schildert das der Evangelist St. Lukas in seiner Weihnachtsgeschichte. Er beginnt mit dem Kaiserhof in Rom, beim großen Kaiser Augustus – und lenkt dann den Blick auf einen Viehstall in einem kleinen Dorf in der äußersten Provinz des römischen Reiches. Sowohl der römische Kaiser als auch das kleine Baby in dem Viehstall werden „Heiland“, „Retter“ genannt. Doch nur einer von den beiden trägt diesen Titel wirklich zu Recht: Nein, nicht der große Augustus, sondern das kleine Baby im Stall.

Und dann lenkt Lukas unseren Blick noch einmal ganz nach oben – in den Himmel, der sich da über den Feldern von Bethlehem in der Nacht der Geburt Jesu Christi öffnet. Gesungen wird dort im Himmel – und die Hirten dürfen den Gesang hören, der da von der Menge der himmlischen Heerscharen angestimmt wird: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Gott wird im Himmel, in der Höhe gepriesen – und lässt sich zugleich in Windeln gewickelt im Dunkel eines Viehstalls finden. Ja, darum und um nicht weniger geht es jetzt zu Weihnachten, um unendlich mehr als um ein bisschen feierliche Stimmung oder ein paar besinnliche Tage im Familienkreis.

Heutzutage wird auch in den westlichen Ländern immer mehr versucht, den Namen Christi totzuschweigen, nicht mehr von Jahren „nach Christi Geburt“ zu reden, sondern allein von Jahren „nach unserer Zeitrechnung“, wie dies auch in der kommunistischen DDR bereits üblich war. Doch auch, wenn man versucht, den Namen Christi zu verschweigen: Es ändert nichts daran, dass die Geburt des Sohnes Gottes der Wendepunkt der Weltgeschichte ist und bleibt. Ob Mohammad irgendwann vor 1400 Jahren seine Wohnung gewechselt hat, braucht uns nicht sonderlich zu interessieren. Aber dass Gott Mensch geworden ist, das ist für das Leben eines jeden Menschen von Bedeutung – denn der da geboren ist, ist und bleibt auch dein Heiland, dein Retter, der auch dich einmal dorthin bringen wird, wo du einmal für immer in den Lobgesang der Engel mit einstimmen wirst.

Ja, die Worte des Engels damals, sie gelten auch dir heute: Der große Gott, der sich ganz klein gemacht hat, er lässt sich auch heute finden: Eingewickelt in den Windeln von Brot und Wein gibt er sich auch dir zu erkennen, macht auch unsere Kirche immer wieder zu einem Beth-lehem, zu einem Haus des Brotes, wie der Name wörtlich übersetzt heißt, zu einem Haus, in dem du das Brot des Lebens empfängst – ihn, deinen Retter, leibhaftig mit Leib und Blut, ihn, deinen Retter, der sich für dich ganz klein gemacht hat, damit du einmal ganz groß herauskommst. Geboren worden ist er für dich in Bethlehem, damit auch du einen Wohnsitz bekommst, aus dem du nie mehr abgeschoben werden kannst, einen Wohnsitz, den du in alle Ewigkeit nie mehr wechseln wirst: Ja, bei eben diesem Jesus Christus im Himmel! Amen.

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