Markus 2,1-12 | 19. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Jesus zu dem Gelähmten sagt: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Man schaue sich das Gesicht des Gelähmten an: Überrascht ist er über die Worte Jesu, vielleicht sogar etwas enttäuscht – denn von Jesus hatte er doch eigentlich etwas ganz anderes erwartet, nämlich seine Heilung. Doch dann kommt das letzte Bild: Jesus macht deutlich: Er kann beides: Er kann in der Vollmacht Gottes Sünden vergeben, und er kann auch Menschen heilen. Wenn er spricht, dann geschieht es: Wenn er sagt: Dir sind deine Sünden vergeben, dann sind sie vergeben. Wenn er zu dem Gelähmten sagt: Steh auf, nimm deine Matte und geh nach Hause – dann steht er auf und geht. Und da sehen wir nun im letzten Bild den ehemaligen Gelähmten, wie er mit seiner Matte über der Schulter nach Hause geht. Sein Gesicht spiegelt die doppelte Heilung wider, die er erfahren hat: Die Heilung seines Verhältnisses zu Gott, und die Heilung seiner Beine.

Ja, eine schöne Geschichte ist das, zugleich auch wunderbar dargestellt. Doch wir verstehen diese Geschichte so lange nicht richtig, wie wir nicht uns selber in dieser Geschichte entdeckt haben. Wo sind wir in dieser Geschichte zu finden?

Ich denke, wir können uns zunächst einmal auf dem ersten Bild wiederfinden – dort, wo die Menschen sich im Haus und vor dem Haus um Jesus drängeln, um ihn zu hören. Ja, genau so sieht Kirche aus: Menschen versammeln sich um Jesus, um ihn zu hören, um in seiner Nähe zu sein. Nichts anderes ist ja unser Gottesdienst: Wir kommen in sein Haus, um sein Wort zu hören, um seine Nähe zu erfahren. Und da seid ihr nun heute Morgen hier: Ihr habt mitbekommen: Jesus ist da; also wollt ihr auch mit dabei sein. Wie schön, wie gut, dass ihr das verstanden habt: Es gibt nichts Wichtigeres in unserem Leben, als dort zu sein, wo Jesus ist, wo er sein Wort spricht, wo er uns seine Nähe schenkt im Heiligen Mahl. In der Tat: Nichts Wichtigeres gibt es, als bei Jesus zu sein. Das ist wichtiger als alles Geld dieser Welt, wichtiger als alle anderen Termine, die wir sonst in der Woche noch so haben mögen. Ja, wie gut, wenn du auf dem ersten Bild zu finden bist, ganz in der Nähe von Jesus, ganz Ohr für sein Wort!

Aber es mag auch sein, dass du dich vielleicht eher auf dem zweiten Bild wiederfindest, als einer der vier Männer, die diesen gelähmten Mann zu Jesus tragen. So schön es ist, dass die Menschen sich da alle auf dem ersten Bild so um Jesus drängeln – sie bekommen dabei offenbar überhaupt nicht mit, dass sie zugleich mit ihrer Drängelei anderen den Weg zu Jesus versperren. Insofern kann das auch ein ganz anschauliches Bild von Kirche sein: Menschen versammeln sich um Jesus – denken dabei aber nur an sich und Jesus und vergessen, dass es da auch noch andere gibt, die doch auch noch den Weg zu Jesus finden wollen. Hauptsache ich bin bei Jesus – alles andere ist mir egal. Ja, das erlebe ich auch in unserer Gemeinde, dass da Menschen nur mal kurz zum Gottesdienst hineinschauen, vielleicht sogar etwas später kommen, weil man hier ja keine Angst haben muss, keinen Platz mehr drinnen zu bekommen, vielleicht auch wieder etwas eher gehen: Hauptsache, sie waren mit Jesus zusammen – die anderen um sie herum waren und sind ihnen eigentlich egal. Nein, so sollte Kirche nicht sein. Doch wie gut, wenn du auch zu denen gehörst, die sich auch auf dem zweiten Bild wiederfinden, auf dem zweiten Bild, auf dem zu sehen ist, wie Menschen den gelähmten Mann zu Jesus tragen. Ja, das erlebe ich immer wieder hier in unserer Gemeinde, wie Gemeindeglieder andere Menschen hierher mitbringen zu Jesus, dass sie ihnen gleichsam den Weg bahnen, weil die allein vielleicht wirklich nicht gewusst hätten oder sich nicht getraut hätten, hierher zu kommen. Ja, das ist wunderbar, wenn du auch zu denen gehörst, denen es nicht reicht, dass schon so viele hier zur Gemeinde gehören, denen das nicht reicht, weil sie immer noch andere sehen, die es auch so dringend nötig haben, in die Nähe von Jesus zu kommen. Ja, Gott geb’s, dass wir viele solche Träger haben, die nicht aufhören, bis sie Menschen schließlich vor den Füßen von Jesus abseilen können!

Aber vielleicht findest du dich in dieser Geschichte auch in der Gestalt dieses gelähmten Menschen wieder. Vielleicht hast du in deinem Leben so viel erfahren, was dich so kaputt gemacht hat, dass du dich nur noch gelähmt fühlst, dass du nicht dazu in der Lage bist, aus dir herauszugehen, mit anderen zusammen zu sein, ja, überhaupt an Jesus zu glauben. Doch wie gut, dass du bei Jesus und für Jesus überhaupt nichts leisten musst. In der Geschichte, die uns Markus hier erzählt, steht nicht, dass der Gelähmte an Jesus geglaubt hat. Da steht nur, dass Jesus den Glauben dieser vier Männer sah. Ja, auch das ist etwas ganz Wichtiges in der Kirche: Wenn wir in unserem Leben mitunter so schwach sind, dass wir von unserem Glauben gar nichts mehr spüren, dann gibt es da andere, die für mich in der Kirche mitglauben, die mich tragen, auch durch alle Schwierigkeiten hindurch, und dafür sorgen, dass ich schließlich doch bei Jesus lande. Wer als Kind getauft wurde, hat das schon ganz am Anfang seines Lebens erfahren, dass da andere für ihn geglaubt haben. Aber wie gut, dass es das auch gibt, wenn wir erwachsen sind, dass andere für uns glauben, wenn wir es nicht mehr können, dass andere uns zu Jesus tragen.

Und Jesus – der weiß, was für den Gelähmten das Allerwichtigste in seinem Leben ist, was auch für uns das Allerwichtigste im Leben ist: Eben nicht die Gesundheit, sondern ein heiles Verhältnis zu Gott. Und eben darum sagt er zu dem Gelähmten als erstes: Dir sind deine Sünden vergeben. Das ist das Erste und Wichtigste, und eben darum werden auch euch diese Worte als Erstes in jedem Gottesdienst zugesprochen: Dir sind deine Sünden vergeben. Dass nichts zwischen uns und Gott steht, das ist wichtiger als alles andere im Leben, dafür lohnt sich jeder Weg, dass wir diese Worte Jesu hören dürfen. Und danach erfährt der Gelähmte, dass Jesus ihn dann auch noch körperlich heilt, ihn von seiner Lähmung befreit, dass er selber wieder sich auf den Weg nach Hause begeben kann. Nein, solche Heilungen kann man nicht auf Kommando bewirken. Sie bleiben immer eine Wundertat Jesu. Und doch habe ich es auch hier in unserer Gemeinde schon so oft erlebt, dass Menschen zu uns kamen, die anfangs wie gelähmt, völlig erstarrt waren – und die dann hier in der Gemeinde von dieser Starre, von dieser Lähmung befreit wurden, die mit einem Mal wieder anfangen konnten zu lächeln, zu lachen, die mit einem Mal anfangen konnten, über das zu sprechen, was sie so tief in ihrem Inneren hatte erstarren lassen. Ja, in der Gegenwart Jesu werden Menschen heil – und vielleicht gehörst du auch zu diesen Menschen, die schon etwas von dieser heilenden Gegenwart deines Herrn erfahren haben. Aber vielleicht liegst du auch noch auf der Matte, bist noch nicht so weit. Es ist nicht schlimm. Hauptsache, du bist auch heute hier wieder angekommen bei Jesus – dort, wo du die wichtigsten Worte deines Lebens immer wieder hören darfst: Dir sind deine Sünden vergeben. Amen.

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