Matthäus 2,13-18 | Tag der unschuldigen Kinder | Pfr. Dr. Martens

Die deutschen Behörden hatten wieder einmal ganze Arbeit geleistet: Sie hatten einen afghanischen Christen aus Deutschland nach Afghanistan deportiert, wo er nun im vorletzten Monat gemeinsam mit zehn Familienangehörigen als Christ von den Taliban ermordet wurde. Ja, auch die Familienangehörigen mussten sterben wegen dieses einen, der es gewagt hatte, vom Islam abzufallen und sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Menschen ohne eigenen Bezug zu Jesus Christus – die doch wegen des Bekenntnisses des Einen zu Jesus Christus auch ermordet wurden. Ja, die Geschichte wiederholt sich immer wieder, die Geschichte von Herrschern, denen das Leben von Menschen nichts bedeutet – ob damals Herodes oder heute die Taliban oder eben auch Behördenvertreter und Minister hier in Deutschland, deren Zynismus wir ja auch in diesem Jahr immer und immer wieder miterleben mussten.

Ja, es ist eine schreckliche Geschichte, die uns heute im Heiligen Evangelium dieses Tages der unschuldigen Kinder erzählt wird, so schrecklich, dass man sich fragen kann, ob es tatsächlich angemessen ist, diese Geschichte nun auch noch mit einem eigenen kirchlichen Gedenktag zu würdigen. Und doch ist es wichtig, dass wir diese Geschichte nicht ausblenden, weil sie uns so deutlich zeigt, was das für eine Welt ist, in die Jesus Christus damals in Bethlehem hineingeboren wurde, eine Welt, in der sich in diesen letzten 2000 Jahren nichts wirklich zum Guten geändert hat, eine Welt, in der allein in unserem Land auch in diesem Jahr wieder 100.000 kleine Kinder getötet wurden, bevor sie überhaupt das Licht der Welt erblicken konnten, eine Welt, in der sich über diese Massentötungen kaum noch jemand aufregt und man im Gegenteil darauf bedacht ist, diese Massentötungen nun auch noch als angebliches Menschenrecht zu verteidigen. In eine Welt hineingeboren worden ist Jesus, in der nach wie vor Jahr für Jahr unzählige Kinder sterben, weil die, die mehr besitzen, nicht dazu bereit sind, ihren Reichtum mit den Ärmeren zu teilen, ja, weil sie mehr und mehr versuchen, Menschen an der Flucht aus ihren Heimatländern zu hindern, weil dies ja den eigenen Wohlstand gefährden könnte. Kinder ertrinken, verhungern, erfrieren – und wir begnügen uns damit, uns hier in unserem Land letztlich mit Wohlstandsproblemen zu befassen.

Doch nun geht es an diesem Tag natürlich nicht bloß um schlechte Nachrichten und um die schlechte Welt, sondern es geht auch und gerade am Tag der unschuldigen Kinder um den Einen, der in diese Welt der schlechten Nachrichten hineingeboren worden ist, ja, es geht um einen dreifachen Trost, den uns dieser Eine, der in diese Welt geboren wurde, vermittelt:


I.

Zunächst einmal schildert uns St. Matthäus hier, dass Jesus selber von der Boshaftigkeit des Herodes ja auch ganz direkt betroffen ist: Er muss gemeinsam mit Joseph und Maria nach Ägypten fliehen, die ersten Jahre seines Lebens als Flüchtling verbringen. Immer wieder erlebe ich es, dass sich scheinbar fromme Christenmenschen darüber aufregen, wenn sie lesen, dass Jesus ein Flüchtling gewesen sei – das stimme doch gar nicht, das sei doch eine Verdrehung irgendwelcher linker Aktivisten. Es täte diesen Menschen gut, einfach mal genau in die Bibel zu schauen. Denn da steht ganz klar und eindeutig, dass Joseph und Maria mit Jesus fliehen mussten. Und glücklicherweise gab es damals eben noch keine Mauern und Stacheldrahtzäune, kein Gerede von innerstaatlichen Fluchtalternativen oder Hilfsmaßnahmen vor Ort. Wenn das Leben von Menschen in Gefahr ist, dann bleibt ihnen eben nur die Flucht, und genau das hat Jesus bereits in jungen Jahren seines Lebens erfahren. Er weiß, wie den Menschen an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen zumute ist, er weiß, wie es den Menschen in Afghanistan geht, die um ihr Leben fürchten, er hat das Elend dieser Welt am eigenen Leibe erfahren. Wie gut, dass wir uns daran an diesem Tag der unschuldigen Kinder erinnern dürfen!


II.

Aber nun fällt in der Erzählung bei St. Matthäus vor allem dieses auf, dass darin eigentlich nur einer der Handelnde ist: Natürlich noch nicht das kleine Jesuskind selber, aber auch nicht Joseph und Maria. Alles geht von Gott selber aus: Er schickt den Engel des Herrn zu der heiligen Familie, und er ist es, der schon im Alten Testament geredet und gehandelt hatte und nun sich erfüllen lässt, was schon längst nach seinem Plan feststand. Ja, auch dies ist eine ganz wichtige Botschaft dieses Tages: In allem Unheil dieser Welt führt Gott doch seinen Plan bis zum Ziel, lässt sich auch durch alle Bosheit der Menschen nicht davon abbringen. Während wir nur die Bosheit, ja den Tod sehen, blickt Gott weiter, lässt sich durch nichts darin beirren, das Heil der Menschen herbeizuführen.

Die Zitate, die St. Matthäus hier gebraucht, bezogen sich im Alten Testament auf das Volk Israel. Nun ist es Jesus, der gleichsam das neue Israel verkörpert, ohne dass damit Gottes Geschichte mit dem Volk Israel im Alten Testament aufgehoben oder beendet würde. Ja, Gott fängt noch einmal von vorne an in seinem Sohn Jesus Christus – und doch eben so, dass sein Sohn zuerst und vor allem mit seinem eigenen Volk diesen Neuanfang machen will.

Gott hat seine Pläne auch mit uns heute – auch wenn wir sie oft genug im Augenblick in unserem Leben noch gar nicht recht erkennen können. Doch was er einmal zu uns gesagt hat, ganz konkret am Tag unserer Heiligen Taufe, das bleibt bestehen – und keine Finsternis dieser Welt, auch und erst recht kein Corona-Virus, kann ihn daran hindern, diesen Plan auch in unserem Leben durchzusetzen. Auch und gerade dafür steht das kleine Kind, das so bald nach seiner Geburt in ein fremdes Land fliehen musste.


III.

Und dann empfiehlt es sich schließlich, gerade bei dem letzten Zitat aus dem Buch des Propheten Jeremia, das von der Trauer der Mütter über ihre als Soldaten gefallenen oder ins Exil verschleppten Söhne handelt, auch die beiden folgenden Verse zu lesen: „Aber so spricht der HERR: Lass dein Schreien und Weinen und die Tränen deiner Augen; denn deine Mühe wird belohnt werden, spricht der HERR. Sie sollen wiederkommen aus dem Land des Feindes, und es gibt eine Hoffnung für deine Zukunft, spricht der HERR.“

„Es gibt eine Hoffnung für deine Zukunft!“ – Ja, genau darum geht es heute an diesem Tag der unschuldigen Kinder – um eine Hoffnung, die noch weit über die hinausreicht, die damals Jeremia den Frauen in Jerusalem verkündigen durfte. Es gibt eine Hoffnung für deine Zukunft, die weit hinausreicht über alles Elend dieser Welt, die weit hinausreicht selbst über die Grenze des Todes. Darum ist das kleine Kind im Stall von Bethlehem geboren worden, damit wir durch eben dieses Kind ewig leben dürfen. Herodes wollte schon damals das Kind töten; doch seine Zeit war noch nicht gekommen; die Zeit, in der dieses Kind selber seinen Weg zum Kreuz gegangen ist, um in der Tat zu sterben, furchtbarer noch als damals die Kinder durch die Hand der Soldaten des Herodes. Für uns ist dieses Kind gestorben, damit wir gewiss sein dürfen: Der Tod wird nicht das letzte Wort haben – nicht in unserem Leben und nicht in dieser Welt. Denn das Kind in der Krippe hat am Ende den Tod besiegt, ist auferstanden und lebt. Und nur darum hat es im Übrigen Sinn, dass wir Weihnachten feiern, weil der, der damals noch vor Herodes fliehen musste, jetzt als der lebendige Herr in unserer Mitte gegenwärtig ist und auch zu uns sagt: „Lasset fahrn, o liebe Brüder, was euch quält, was euch fehlt; ich bring alles wieder.“ Amen.

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