Micha 7,18-20 | 3. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Was soll einmal das Letzte sein, was über dein Leben gesagt werden wird, wenn der Sarg in der Friedhofskapelle steht, wenn dein Leben hier auf Erden unwiderruflich an sein Ende gekommen sein wird? Die vergangenen Wochen und Monate der Corona-Pandemie haben hoffentlich zumindest diesen einen positiven Nutzen gehabt, dass wir uns mit der Endlichkeit unseres eigenen Lebens stärker und deutlicher auseinandersetzen mussten, als wir dies in der üblichen Betriebsamkeit unseres Lebens ansonsten getan hätten. Ja, was bleibt zu sagen von mir, von meinem Leben, wenn dieses Leben vielleicht schneller an sein Ende kommt, als ich es mir selber je hätte vorstellen können? Wovon soll dann noch die Rede sein?
Von meinen guten Taten, die ich in meinem Leben vollbracht habe, von meinem angeblich guten Charakter, von meinen Erfolgen, davon, dass ich angeblich bei anderen Menschen beliebt war? Und was ist dann mit dem anderen, in meinem Leben? Was ist mit meiner Schuld, mit meinem Versagen, mit dem, was ich in meinem eigenen Leben und in dem Leben anderer Menschen angerichtet habe? Soll das am Ende einfach verschwiegen, unter den Tisch gekehrt werden, soll das am Ende dadurch beseitigt werden, dass man einfach nicht mehr darüber spricht?
Der Umgang von uns Menschen mit unserer Schuld, mit dem Versagen unseres Lebens erinnert mich ein wenig an den Umgang von uns Menschen mit dem Atommüll, den wir produziert haben. Nun ist er da – doch wie sollen wir ihn nun wieder loswerden? Es hat Zeiten gegeben, man kann sich das heute kaum noch vorstellen, da wurde Atommüll allen Ernstes einfach ins Meer gekippt, und man glaubte, dass man ihn damit endgültig losgeworden sei. Heute wissen wir: Das war mehr als kurzsichtig. Andere möchten ihn am liebsten irgendwo unter der Erde lagern. Aber es ist noch nicht lange her, da gingen Meldungen durch die Medien, wie sich die Radioaktivität dieses angeblich so sicher verstauten Atommülls nun schon im Grundwasser der Umgebung nachweisen lässt – der Müll meldet sich am Ende doch immer wieder zurück. Man hat auch versucht, den Atommüll einfach irgendwo in andere Länder zu verschiffen. Doch gerade jetzt in diesen Corona-Zeiten merken wir, dass das, was irgendwo in anderen Ländern passiert, ganz schnell auch wieder auf uns selber zurückfällt. Man kann natürlich auch einfach die Augen verschließen und alles so lassen, wie es im Augenblick ist. Doch wer ein bisschen länger nachdenkt, merkt, dass man so die Probleme auch nicht lösen kann.
Ja, ganz ähnlich gehen wir Menschen immer wieder auch mit unserer Sünde und Schuld um: Sehr gerne versuchen wir sie in unserem Leben zu verstecken und zu verdrängen: Aus dem Auge, aus dem Sinn. Doch wir werden früher oder später merken: Das ist keine Lösung. Wenn ich meine, ich könnte das Versagen meines Lebens, meine Schuld dadurch loswerden, dass ich sie unter den Teppich kehre, wird sich eher früher als später herausstellen: Das alles kommt wieder hoch, lässt sich nicht für immer unter dem Teppich halten. Wir können unsere Sünde und Schuld nicht irgendwo verklappen oder endlagern – der Teufel wird schon dafür sorgen, dass das alles wieder an die Oberfläche kommt. Und ebenso wenig können wir unsere Schuld und unser Versagen dadurch loswerden, dass wir versuchen, sie anderen in die Schuhe zu schieben. Von denen erhalten wir sie in aller Regel postwendend wieder zurück. Und auch wenn wir es in unserer alltäglichen Betriebsamkeit mitunter ganz gut verdrängen können: Es ist auch keine Lösung, einfach alles so zu lassen, wie es ist. Unsere Schuld, das Versagen unseres Lebens erweist sich je länger desto mehr als eine Altlast, die uns am Ende das Leben, ja das ewige Leben zu kosten vermag.
Nein, wir können unsere Schuld, das Versagen unseres Lebens nicht mit den Erfolgen unseres Lebens, nicht mit unseren guten Taten aufwiegen. Wir ahnen es eigentlich ganz genau – und fallen doch so leicht genau in dieses unsinnige Denken zurück. Nein, es bleibt dabei: Wenn wir unsere Schuld, die Folgen unseres Versagens nicht loswerden, dann durchseucht uns diese Schuld am Ende so sehr, dass uns nichts anderes bleibt als der ewige Tod, als die ewige Trennung von Gott.
Wovon soll also am Ende unseres Lebens die Rede sein? Ganz gewiss nicht davon, was wir alles Gutes getan haben, womit wir uns den Himmel verdient haben. Sondern am Ende soll nur noch von dem die Rede sein, was auch ganz am Schluss des Buches des Propheten Micha steht, nach all seinen Ankündigungen über das Strafgericht Gottes, das sich die Menschen, die Angehörigen seines Volkes mit ihrem Ungehorsam gegenüber Gott und seinem Wort eingebrockt haben: Am Ende soll es nur noch um eines gehen: Um Gott, der die Sünden vergibt.
„Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt“, so heißt es hier in unserer Predigtlesung – und diese Frage hat es in der Tat in sich. In Bescheiden des BAMF habe ich immer wieder gelesen, dass die Vergebung der Sünden doch kein besonderes Kennzeichen des christlichen Glaubens sei, dass doch auch im Islam Allah barmherzig sei. Doch die, die solch einen Unsinn in den Bescheiden schreiben, zeigen eben damit nur, dass sie überhaupt nicht verstanden haben, was Vergebung der Sünden sowohl im Alten als auch im Neuen Testament bedeutet: Es geht nicht darum, dass ich die Hoffnung habe, dass Gott es möglicherweise akzeptiert, wenn ich mit meinen guten Werken die Verfehlungen meines Lebens auszugleichen versuche. Es geht nicht darum, dass meine Chancen auf Vergebung der Sünden in bestimmten Nächten am Ende des Fastenmonats Ramadan noch mal größer sind als sonst, wenn ich in diesen Nächten bestimmte rituelle Gebete spreche. Es geht nicht darum, dass Gott auch barmherzig sein kann. Sondern es geht einzig und allein darum, dass Gott endgültig, ganz und gar Sünden vergibt, so ganz und gar, dass da kein Zweifel mehr übrig bleibt, ob mir persönlich denn nun auch die Sünden vergeben werden oder nicht. Das ist das Markenzeichen des Gottes, den uns die Bibel zu erkennen gibt, dass er nicht nur möglicherweise, sondern nachweisbar, endgültig Sünden vergibt, dass sie im letzten Gericht Gottes einmal keine Rolle mehr spielen werden.
Ja, wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt? So viele Glieder unserer Gemeinde bezeugen: Im Islam habe ich diesen Gott sicher nicht gefunden. Im Hinduismus und Buddhismus findet man ihn auch nicht. Nein, diesen Gott finden wir wirklich nur dort, wo er sich in der Heiligen Schrift zu erkennen gibt, diesen Gott finden wir nur dort, wo er sich endgültig festgelegt hat als vergebender Gott, als er sich für uns auf Golgatha ans Kreuz nageln ließ.
Geradezu überwältigend ist es, wie dieser Gott uns immer wieder dieselbe eine Botschaft von der Vergebung in den Versen unserer heutigen Predigtlesung ins Herz prägt: Er vergibt Sünde, so hörten wir es bereits. Er erlässt Schuld – ja, das kennen viele von uns, wie einem Schulden die Luft zum Leben abschnüren können. Gott erlässt uns die Schuld, die uns endgültig in den Bankrott vor ihm treibt – nicht nur zu 50 oder 70%, sondern wirklich zu 100%, ohne Tricks und Vorbehalte. Gott hält an seinem Zorn nicht ewig fest. Er beendet seinen Zorn über unsere Übertretung der Gebote, ganz und gar, dass wir nicht mehr damit rechnen müssen, dass er uns damit später doch noch mal ankommt. Er hat Gefallen an Gnade. Gott vergibt nicht bloß zähneknirschend, sondern uns Sünden zu vergeben, bereitet ihm Freude, das ist seine schönste Beschäftigung. Gott mag Beichtandachten. Und so werden wir in dieser Woche auch mehr als 20 Beichtandachten in unserer Gemeinde anbieten, weil Gott an dieser Gnade, die uns da zugesprochen wird, Gefallen hat.
Und dann wird es in unserer Predigtlesung hier so richtig praktisch: Gott wird unsere Schuld unter die Füße treten. Gott trampelt auf unserer Schuld so lange herum, bis sie schließlich ganz platt ist, unkenntlich, nicht dazu in der Lage, uns noch zu schaden. Ja, stelle dir das ganz plastisch vor. Denke an die Verfehlung in deinem Leben, die dich bis heute immer noch am meisten bedrückt. Und dann halte es dir vor Augen, wie Gott auf dieser Verfehlung so lange herumtrampelt, bis nichts mehr von ihr übrig bleibt. Und dann ist hier bei Micha auch noch davon die Rede, dass Gott alle unsere Sünden in die Tiefe des Meeres werfen wird. Nein, das ist keine Umweltsauerei und das ist auch keine kurzsichtige Verklappung. Sondern mit diesem Bild will Gott tatsächlich zum Ausdruck bringen, dass deine Sünde ganz endgültig verschwindet, wenn er sie dir vergibt, dass niemand sie mehr finden und wieder hochholen kann, noch nicht einmal der Teufel. Reicht dir das immer noch nicht? Dann fügt Gott hier auch noch dazu, dass er ein treuer Gott ist, dass er zu dem steht, was er einmal versprochen hat. Wenn du es immer noch nicht glauben kannst, dass Gott wirklich ganz und gar, hundertprozentig Sünden vergibt, dann traue ihm wenigstens zu, dass er nicht zurücknimmt, was er dir in deiner Taufe versprochen hat. Das wird Bestand haben – selbst über die Stunde deines Todes hinweg.
Was soll einmal das Letzte sein, was über dein Leben gesagt werden wird? Etwa allen Ernstes, was für ein guter Mensch du gewesen bist? O nein, wenn wir hören, was Gott hier in seinem Wort über sich selbst zu erkennen gibt, dann kann am Ende doch nur von einem die Rede sein: Davon, dass Gottes Vergebung das letzte Wort in unserem Leben hat, dass er in Ordnung bringt, wo wir versagt haben, dass er auslöscht, was uns selber jetzt noch so sehr auf unserer Seele liegen mag. Halte dich darum in deinem Leben immer nur an diesen einzigartigen Gott, dessen Markenzeichen die Vergebung ist, dessen Markenzeichen das Kreuz ist! Ja, Gott geb’s, dass einmal bei deiner Beerdigung und bei meiner Beerdigung, ja bei uns allen am Ende nur noch von einem die Rede ist: Nicht von uns, sondern allein von dem Gott, der vergibt, der Gefallen hat an Gnade, ja, bei dem unsere Sünde und Schuld am Ende einmal überhaupt kein Thema mehr sein wird! Amen.