Mose 24, 17-22 | Mittwoch nach dem 13 Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Zu Beginn der heutigen Predigt möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich mir den Predigttext für diese Predigt nicht selber ausgesucht habe. Er ist schlicht und einfach die Ta-geslesung des heutigen Tages. Ja, das gibt es immer wieder, dass Worte der Heiligen Schrift in bestimmten Lebenssituationen noch einmal ganz neu zu leuchten anfangen, mit einem Mal so aktuell erscheinen, dass einem beim Lesen beinahe der Atem stockt.

So ist es nun auch am heutigen Abend. Da hören wir einen jahrtausendealten Text aus dem 5. Mosebuch – und merken: Was Gott darin seinem Volk als seinen Willen erklärt, das ist so aktuell, das betrifft auch uns heute noch unmittelbar.

An ein Volk von Migranten sind die Worte aus dem 5. Mosebuch gerichtet: Ihre Vorfahren waren als Wirtschaftsflüchtlinge nach Ägypten gekommen und dort aufgenommen worden. Doch auf die Dauer erfuhren sie dort nicht die gastfreundliche Aufnahme, die sie sich erhofft hatten. Doch als billige Arbeitskräfte waren sie geschätzt, und so wurden ihnen nicht wieder erlaubt, das Land zu verlassen. Unter dramatischen Umständen gelang ihnen schließlich die Flucht aus dem Land, das ein Stück weit doch schon zu ihrer neuen Heimat geworden war – und nun hatten sie einen langen Weg durch die Wüste hinter sich, als Mose ihnen im Auftrag Gottes am Ende ihres langen Fluchtwegs darlegt, was sie denn nun, wenn sie am Ziel ihrer Flucht angekommen sind, künftig zu beachten haben.

Und was er da nun den Israeliten sagt, ist in mehrfacher Hinsicht spannend:

Zunächst einmal ist es spannend, dass das Thema des Fremden, des Ausländers, in den Geset-zesbestimmungen des 5. Mosebuchs überhaupt erwähnt wird. Glauben wir doch ja nicht, dass das Thema von Migration, vom Leben von Fremden im eigenen Land ein völlig neues, aktuel-les Thema sei. Das war es schon vor mehr als 3000 Jahren. Doch wichtig ist nun, wie mit die-sem Thema umgegangen wird: Gleich ganz am Anfang unserer Lesung ist ausdrücklich vom „Recht des Fremdlings“ die Rede. Unvorstellbar ist es für Gott, dass Menschen, weil sie aus einem anderen Land kommen, deswegen in einem Land rechtlos sein könnten, dass man ihnen nicht die Möglichkeit gibt, in diesem fremden Land, in dem sie nun leben, ihren Unterhalt zu sichern, ja, sich auch vor Gericht zu verteidigen. Gott erinnert sein Volk daran, dass es selber einmal unter solcher Rechtlosigkeit, unter solchem Rassismus, unter solcher Unterdrückung in Ägypten gelitten hat. Keinesfalls soll es diese Erfahrungen vergessen und sich nun seinerseits gegenüber den Fremden so verhalten, wie es einst die Ägypter gegenüber Israel getan hatten. Erinnerung an das, was Israel vor gar nicht so langer Zeit selber erlebt hatte – wie atemberaubend aktuell sind diese Worte Gottes hier an sein Volk.

Und dann macht Gott Israel deutlich, was das auch ganz praktisch heißt: Es wird die Nachlese auf den Feldern verboten – das heißt: Israel darf nicht automatisch alles, was es angebaut hat, als seinen Besitz für sich verbuchen. Es soll lernen abzugeben, zu teilen, damit auch den Fremdlingen eine Lebensgrundlage geboten wird. Israel soll lernen wegzukommen von dem Denken: Alles, was ich habe, gehört nur mir, und ich sehe gar nicht ein, warum ich davon etwas abgeben soll!

Schwestern und Brüder: Natürlich sind wir nicht das Volk Israel. Aber was wir hier in diesen Worten hören, lässt uns doch den Willen Gottes erkennen, der bis zum heutigen Tag unverän-dert gilt:

Für Gott sind Fremdlinge und Flüchtlinge durch die ganze Heilige Schrift hindurch ein wich-tiges Thema. Die ganze Heilige Schrift ist ein Buch von Migrationen, von Flucht, vom Leben im fremden Land. Und immer gilt Gottes besonderes Augenmerk dabei den Schwachen, den Schutzlosen und Rechtlosen, gilt es von daher besonders immer auch den Fremden und Flüch-tlingen. Nein, das ist nicht bloß ein Thema für angebliche Sozialromantiker. Gott selbst setzt das Thema „Fremdlinge und Flüchtlinge“ auf seine Agende – heute nicht anders als damals im Alten Testament. Wer Menschen aus anderen Ländern das Recht auf Leben und Unterstüt-zung im eigenen Land abspricht, legt sich damit mit keinem Geringeren an als mit dem Schöpfer der ganzen Welt. Und dies gilt noch einmal in einem gesteigerten Maße für uns ge-genüber dem Alten Testament: Gott mahnt einen barmherzigen Umgang mit den Fremden an in einem Land, das er ausdrücklich dem Volk Israel versprochen hat. Die heutigen National-staaten können sich für ihre Existenz nicht in gleicher Weise auf den Willen Gottes berufen wie Israel damals. Gewiss sollten wir gewachsene Kulturen, sollten wir die Schätze einer lan-gen, reichen Geschichte, sollten wir auch die Sprache als Mittel des Zusammenlebens in einem Volk niemals geringschätzen. Doch gerade wir Christen wissen, dass wir als Christen, die aus Deutschland stammen, allemal sehr viel enger mit einer christlichen Schwester aus dem Iran oder einem christlichen Bruder aus Afghanistan verbunden sind als mit dem reinrassigen Deutschen von nebenan, der zwar viel von der Rettung der deutschen Kultur faselt, aber in Wirklichkeit von den ursprünglich einmal christlichen Grundlagen unseres Zusammenlebens in diesem Land nicht mehr das Geringste weiß.

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