Offenbarung 1,4-8 | Christi Himmelfahrt | Pfr. Dr. Martens

In den vergangenen Wochen wurde in unserem Land viel diskutiert über einen Erlass des bayrischen Ministerrates, dass ab Mitte dieses Jahres in allen Dienstgebäuden des Freistaates ein Kreuz sichtbar aufgehängt werden muss. Dieser Erlass wurde von zahlreichen Politikern, aber auch von nicht wenigen Kirchenvertretern begrüßt: Endlich traut sich jemand in der Politik, für das zentrale christliche Symbol einzutreten und seine Verbreitung zu fördern. Endlich traut sich jemand, der zunehmenden Verweltlichung oder gar Islamisierung unserer Gesellschaft entschlossen entgegenzutreten!

Schwestern und Brüder: Ich gestehe, dass sich meine Begeisterung über diesen Kreuzeserlass in Bayern in Grenzen hält, auch wenn wir hier in Berlin davon ja nicht unbedingt sehr direkt betroffen sind. Natürlich habe ich nichts gegen Kreuze, natürlich freue ich mich darüber, wenn Menschen, ja wenn auch Politiker sich zum christlichen Glauben bekennen, ganz klar. Doch dieser Kreuzeserlass stößt mir gleich aus mehreren Gründen ziemlich bitter auf:

Zunächst einmal ist der Gedanke für mich schwer erträglich, dass nun per Dekret Dienstgebäude in unserem Land mit einem Kreuz ausgestattet werden, in denen nun unter dem Vorzeichen des Kreuzes Abschiebebescheide für christliche Flüchtlinge ausgefertigt werden, in denen direkt oder indirekt erklärt wird, es sei diesen christlichen Flüchtlingen zuzumuten, wieder den Islam als ihre Religion anzunehmen. So dürfen diese christlichen Flüchtlinge also wenigstens noch einmal auf ein Kreuz schauen, bevor sie unter dem Vorzeichen dieses Kreuzes von deutschen Behörden in den Tod geschickt werden – was für ein unerträglicher und unsäglicher Zynismus, ja, was für ein geradezu gotteslästerlicher Missbrauch des Kreuzes, wenn es zum Vorzeichen der Bekämpfung christlicher Flüchtlinge gebraucht wird!

Für nicht weniger problematisch halte ich es, wenn Christen und Kirchen darüber jubeln, dass der Staat nun durchsetzt, wozu sie selber offenbar nicht mehr in der Lage sind, wenn der Staat zum Helfershelfer für eine Rechristianisierung unseres Landes werden soll. Nein, das hat der Kirche und ihrer Verkündigung noch nie gutgetan, wenn sie den Staat zur Durchsetzung ihrer Interessen mit ins Boot geholt hat und wenn sie nicht lange darauf immer wieder erfahren musste, dass nicht die Kirche den Staat, sondern immer wieder der Staat die Kirche und ihren Glauben instrumentalisiert hat, um seine oft wenig christlichen Interessen durchzusetzen. Gerade als lutherische Christen wissen wir aus unserer eigenen Geschichte im 19. Jahrhundert, was für Folgen es haben kann, wenn der Staat sich anmaßt, den christlichen Glauben nach seinen eigenen Vorstellungen verbreiten zu können. Diejenigen, die am Bekenntnis und der Lehre der Kirche festhalten, sind dann oft genug die ersten Opfer dieses scheinbar so christlichen Staates!

Und geradezu unerträglich ist schließlich die Begründung, die aus der bayrischen Staatskanzlei für die Aufhängung der Kreuze in den bayrischen Behörden verbreitet wurde: „Das Kreuz ist grundlegendes Symbol unserer bayerischen Identität und Lebensart.“ Was für ein furchtbares Missverständnis des Kreuzes, wenn es als Symbol der Identität einer deutschen Region und ihrer besonderen folkloristischen Bräuche angesehen wird! Wie wenig hat das noch mit dem zu tun, was doch die eigentliche Botschaft des Kreuzes, ja des Gekreuzigten, ausmacht!

Um einen Kruzifixus geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Festes der Himmelfahrt Christi, so macht es uns der Seher Johannes hier deutlich: Davon, dass alle einmal den sehen werden, den sie durchbohrt haben, spricht er hier. Ja, der Tag wird kommen, an dem tatsächlich einmal alle Menschen ohne Ausnahme den Kruzifixus, den gekreuzigten Christus, sehen werden. Das wird allerdings dann nicht an der erfolgreichen Umsetzung eines bayrischen Kabinettsbeschlusses liegen, sondern das liegt einzig und allein in dem begründet, was wir heute an diesem Tag der Himmelfahrt Christi miteinander feiern:

Die Predigtlesung des heutigen Tages stellt ihn, den Kruzifixus, nämlich in einen völlig anderen Kontext, als dies in dem bayrischen Erlass geschieht: Für Johannes ist der Kruzifixus nicht das Symbol einer begrenzten Region mit einer bestimmten kulturellen Prägung. Vielmehr weitet der Seher Johannes gleich zu Beginn unseren Blick, nimmt mit den sieben Gemeinden in Kleinasien die gesamte weltumspannende Kirche in den Blick, die eben niemals nur westliche, deutsche oder gar bayrische Kirche ist, sondern Menschen aus allen Völkern und Sprachen umfasst. Und den Kruzifixus verortet Johannes hier nicht in einer schönen Tradition der Vergangenheit, die es zu bewahren gilt, sondern er schaut nach vorne, in die Zukunft, wo der Kruzifixus einmal allen Menschen die Augen öffnen wird, wo er einmal alle Menschen mit Entsetzen erkennen lassen wird, wie sie an ihm, Christus, mit ihrer Ablehnung seines Anspruches schuldig geworden sind.

Ach, wie aktuell sind diese Worte des Sehers Johannes auch heute noch für uns! Er schrieb sie damals an Christen, die die Unterdrückung durch einen Staat mit einem religiösen Geltungsanspruch schmerzlich am eigenen Leibe erfuhren, die miterlebten, wie sie um ihres Glaubens willen bedroht, verhaftet, abgeschoben wurden – wie eben auch Johannes selber, der diese Worte von der Gefängnisinsel Patmos aus schreibt. Ja, es sah tatsächlich damals so aus, als sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis der übermächtige Staat es geschafft haben würde, den christlichen Glauben, die christliche Kirche endgültig auszulöschen. Und da gibt sich nun der auferstandene Christus dem heiligen Johannes zu erkennen und zeigt ihm eine ganz andere Realität – eben genau diese Realität, die wir heute am Fest der Himmelfahrt Christi miteinander feiern:

Nicht der römische Kaiser hat die Geschicke dieser Welt in seiner Hand, nicht er ist der Allmächtige und Ewige – das ist Gott allein. Auf ihn können wir uns wirklich verlassen, weil er nicht morgen schon wieder etwas ganz anderes sagt oder macht als das, was er gestern noch zugesagt hatte. Nicht der römische Kaiser ist der König aller Könige, sondern Herr über die Könige auf Erden ist Jesus Christus allein, er, der seinen Herrschaftsanspruch dadurch beglaubigt hat, dass er die Macht des Todes gebrochen hat und auferstanden ist. Ja, dieser Herr über die Könige auf Erden herrscht ganz anders als die Könige der Erde – eben gerade nicht mit Gewalt und Zwang, auch nicht mit Gesetzen und Erlassen, sondern allein mit der Macht seiner Liebe, mit der Kraft seiner Vergebung. Nein, darum ist er gerade kein schwacher Herrscher, sondern im Gegenteil stärker als alle Regime, Armeen und Milizen dieser Welt. Denn gegen die Botschaft von der Liebe Christi, von seinem Tod am Kreuz zur Vergebung unserer Sünden kommen sie mit keinen Drohungen und Gewehren, mit keinen Verhaftungen und Hinrichtungen an: Diese Botschaft wird sich immer als stärker erweisen, weil sie die Herzen der Menschen erreicht und verändert.

Ja, geradezu revolutionär ist die Herrschaftsweise Christi, so macht es uns der Seher Johannes hier deutlich: Während die verfolgten Christen in Kleinasien damals scheinbar völlig machtlos der Übermacht des römischen Kaisers gegenüberstanden, erklärt Christus eben diese Christen allesamt zu Königen und Priestern, stellt sie auf dieselbe Stufe wie den römischen Kaiser. Königliche Hoheiten sind sie alle miteinander, von höchster Würde, auch wenn sie von den Repräsentanten des Staates wie der letzte Dreck behandelt wurden.

Ja, diese tröstlichen Worte des Sehers Johannes gelten auch uns an diesem Tag:

Auch wir mögen uns oft genug fragen, wie das denn alles mit uns, mit unserer Gemeinde weitergehen soll, wenn der Staat seinen Druck auf die Glieder unserer Gemeinde immer weiter erhöht, wenn er sich immer offener anmaßt, selber religiöse Autorität zu sein und die zu bedrohen, die doch nichts anderes wollen, als in Freiheit Christus in der Feier des Gottesdienstes begegnen zu können. Doch die Botschaft dieses Tages lässt uns aufatmen, lässt uns wieder befreit nach vorne schauen: Derselbe Christus, dessen Hände einst am Kreuz durchbohrt wurden, hält auch weiter die Geschicke dieser Welt, hält auch die Geschicke unserer Gemeinde und unseres Lebens in seiner Hand. Nichts geschieht in unserem Leben, im Leben unserer Gemeinde entgegen seinem Plan, entgegen seinem guten Willen für uns. Und keine Macht der Welt wird ihn daran hindern zu können, seinen Plan auch hier in unserer Gemeinde durchzusetzen, Menschen mit der Botschaft von seiner Liebe und von seiner Vergebung zu erreichen. Das Bundesamt mag euch alle miteinander immer wieder zu Feinden unseres Landes erklären. Ihr braucht euch diesen Schuh gerade nicht anzuziehen, dürft im Gegenteil immer wieder neu Zeugen der Liebe unseres Herrn Jesus Christus sein, dürft als Priester Gottes immer wieder Menschen in die Gegenwart des lebendigen Christus führen.

Ganz klein mögt ihr euch oft genug vorkommen, wenn ihr da vor den deutschen Behörden sitzt und oft genug von ihnen wie ein Spielball behandelt werdet, wenn ihr merkt, wie sehr euer Geschick an willkürlichen Entscheidungen hängt. Doch denkt daran: Derselbe Christus, dessen Hände einst am Kreuz durchbohrt wurden, hat auch euch schon längst in eurer Taufe zu Königen und Königinnen ernannt, hat euch eine Würde verliehen, die euch auch keine Demütigung, die ihr hier in Deutschland erfahrt, jemals wieder rauben kann. Lauter gekrönte Häupter sehe ich an diesem Morgen vor mir – und darf mich glücklich schätzen, diesen gekrönten Häuptern dienen zu können.

Ja, hier in unserer Mitte erfahren wir, dass der christliche Glaube, dass erst recht das christliche Kreuz niemals bloß ein Stück kultureller Identität sind, dass sich das Kreuz erst recht nicht dazu eignet, Deutschland oder einen Teil von Deutschland vom Rest der Welt abzugrenzen. Der Gekreuzigte gehört euch nicht weniger als denen, die sich auf ihre eigene Geschichte hier in unserem Land berufen.

Und wenn denn Menschen ein Kreuz, ja ein Bildnis des Gekreuzigten aufhängen, dann sollen sie immer daran denken: Diesen Gekreuzigten kann ich niemals in die Vergangenheit verbannen: Der kommt, der kommt auf mich zu, der wird mich einmal fragen, wie ich mit ihm umgegangen bin, der wird einen jeden von uns, der wird auch einen jeden bayrischen Politiker eben darauf ansprechen: Ich bin ein Fremder gewesen – hast du mich aufgenommen, mich, deinen geringsten Bruder, deine geringste Schwester, mich, den verfolgten Christen, den du am liebsten wieder hinter den Bergen des Hindukusch verschwinden sähest, damit er dich scheinbar nicht länger in deiner Art zu leben stört?

Ja, wenn wir das Fest der Himmelfahrt Christi feiern, dann blicken wir nach vorne, hin auf ihn, den wiederkommenden Christus. Dann blicken wir nach vorne und freuen uns darauf, dass der Herrschaftsanspruch dieses Christus sich einmal endgültig durchsetzen wird. Ja, Christus kommt wieder – und wir können immer wieder nur die Hände falten und um das baldige Kommen dieses Herrn bitten, dass er all dem schreienden Unrecht in dieser Welt und auch in unserem Land bald ein Ende bereiten möge. Nein, wir brauchen diesem Kommen nicht nachzuhelfen, erst recht nicht dadurch, dass wir den Staat dafür in Anspruch nehmen. Christus kommt von selbst, wird den Schleier, der noch vor unseren Augen liegt, von einer Sekunde auf die andere zerreißen. Christus kommt von selbst – und wir werden ihn an seinen durchbohrten Händen erkennen können. Christus kommt von selbst – ja, wir werden ihn dann voller Freude erkennen. Denn es ist doch derselbe Herr, der uns heute schon an seinem gekreuzigten Leib und seinem vergossenen Blut Anteil gibt. Ja, das kann er, gerade weil er durch seine Himmelfahrt nicht an Raum und Zeit gebunden ist. Versammeln wir uns darum schon jetzt immer wieder um ihn, den kommenden Herrn, hier an seinem Altar! Verkündigen wir eben damit immer wieder neu die Wiederkunft unseres Herrn! Damit tun wir im Übrigen auch Deutschland mehr Gutes, als wir es mit der Aufhängung von tausend Kreuzen je tun könnten. Maranatha – unser Herr kommt! Halleluja! Amen.

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