Offenbarung 1,9-18 | Letzter Sonntag nach Epiphanias (Fest der Verklärung Christi) | Pfr. Dr. Martens

Da saß er nun scheinbar endgültig in der Sackgasse, der Seher Johannes, nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter, dem Verfasser des gleichnamigen Evangeliums. Seinen Mund hatte er weit aufgemacht dort in Ephesus, wo sie eine riesige Statue des römischen Kaisers Domitian aufgestellt hatten, vor der nun die Bevölkerung niederfallen und Domitian als ihren Gott verehren sollte, ihm mit ihrem „Kyrie eleison“ huldigen sollte. Wer dabei nicht mitmachte, bekam die Konsequenzen deutlich zu spüren: Ausgrenzung in der Umgebung, in der man lebte, wirtschaftliche Nachteile, ja auch Verhaftungen bis hin zum Tod hatte man in diesem Fall zu erwarten. In den kleinen christlichen Gemeinden in der Umgebung von Ephesus ging die Angst um: Wie sollten sich die Christen nun verhalten? War es vielleicht doch möglich, bei der Huldigung des Kaisers äußerlich mitzumachen, um diesen Nachteilen und Gefahren zu entgehen? Doch Johannes hatte sehr deutlich gemacht, was er von solchen Plänen hielt: Keine Kompromisse! Auch nicht zum Schein durfte man vor dem Standbild des Kaisers Domitian niederfallen. Auch nicht zum Schein durfte man sein Bekenntnis zu Christus verleugnen. Und das hatte der Johannes offenbar nicht nur irgendwo im Hausgottesdienst gesagt, sondern offenkundig auch in der Öffentlichkeit. Jedenfalls waren die römischen Behörden auf ihn aufmerksam geworden und hatten ihn als Unruhestifter verurteilt und auf die Insel Patmos gebracht, mitten im Ägäischen Meer. Das Ägäische Meer ist ja vielen von unseren Gemeindegliedern wohlbekannt. Über das Ägäische Meer sind viele von ihnen aus der Türkei nach Griechenland gekommen. Gefährlich war das Übersetzen mit den Booten auf dem Meer, obwohl es zumeist nur wenige Kilometer von der türkischen Küste bis zur nächsten griechischen Insel waren. Aber selbst auf diesen wenigen Kilometern kentern immer wieder Boote, kommen immer wieder flüchtende Menschen ums Leben. Doch Patmos liegt nicht so dicht an der heutigen türkischen Küste. Wer auf diese Insel verbannt wurde, der hatte nicht die geringste Chance, von dort aus wieder ans Festland zu gelangen. Der blieb auf dieser Felseninsel, die damals nicht im Geringsten den Charme einer Touristenattraktion hatte. Ja, da saß der Johannes nun, blickte auf das Meer, erahnte, dass an diesem Tag, an diesem Sonntag, die Christen in seiner Gemeinde zusammenkamen, um miteinander den Gottesdienst zu feiern. Doch er konnte nicht mit dabei sein. Er saß da, ganz allein, in der Sackgasse, wusste nicht, ob er jemals in seinem Leben noch von dieser öden Insel wieder herunterkommen würde.

In der Sackgasse fühlen sich auch so viele Glieder unserer Gemeinde, die in mancherlei Hinsicht sehr ähnliche Erfahrungen gemacht haben und machen wie der Seher Johannes damals: Sie konnten und wollten sich der islamischen Staatsreligion in ihrem Heimatland nicht mehr unterwerfen, mussten darum aus ihrem Land fliehen. Gehofft hatten sie darauf, hier in Deutschland ihren christlichen Glauben in Frieden und Freiheit praktizieren zu können. Doch nun mussten sie hier in Deutschland feststellen, dass die Vertreter des Staates ihren Glauben an einer ganz eigenen Staatsreligion maßen, die mit ihrem Glauben herzlich wenig zu tun hatte. Ja, sie mussten erfahren, dass der deutsche Staat ihnen bescheinigte, es sei ihnen zuzumuten, wieder zum Islam zurückzukehren. Doch genau das können und wollen sie nicht – und so sitzen so viele unserer Gemeindeglieder hier in Deutschland in einer Sackgasse, können ihren Glauben nicht verleugnen – und werden doch von unserem Staat immer stärker unter Druck gesetzt, eben dies doch zu tun. Und so ergeht es ja nicht nur vielen unserer Gemeindeglieder; so ergeht es konvertierten Christen in vielen Gemeinden in Deutschland, ja, auch in anderen europäischen Ländern, wo die Sackgasse noch aussichtsloser erscheint: Konvertierte Christen, die sich weigern, zum Islam zurückzukehren, werden dort in geschlossene Lager gesteckt, aus denen es keinen Ausweg mehr für sie gibt. In Dänemark gibt es konvertierte Christen, die nun schon seit acht Jahren in solchen Lagern eingesperrt sind, nicht viel anders als der Johannes damals auf Patmos auch – und in Dänemark hat man sich nun geschmackvollerweise überlegt, diese konvertierten Christen künftig auf einer Insel unterzubringen, wo man sie schmoren lassen will, bis sie ihre Meinung ändern. Da haben manche Politiker dort offenbar recht gut die Johannesoffenbarung gelesen.

Aber es gibt auch Menschen, die aus anderen Gründen das Gefühl haben, dass sie in einer Sackgasse gelandet sind, dass sie in ihrem Leben an einem Endpunkt gelandet sind und keine Möglichkeit mehr haben, daraus wieder herauszukommen: Menschen, die eine schwere Diagnose vom Arzt erhalten haben, Menschen, deren Zukunftspläne in sich zusammengefallen sind, Menschen, die das Gefühl haben, dass andere über sie bestimmen und sie nichts dagegen unternehmen können.

In unserer heutigen Predigtlesung berichtet uns der Seher Johannes, wie seine Perspektive von einem Augenblick auf die andere sich völlig veränderte, ja, wie er aus seiner Sackgasse herausgeführt wurde. Da sitzt er am Sonntag am Strand und blickt auf das Meer, als er mit einem Mal hinter sich eine Stimme hört. Ja, das betont er, dass die Stimme von hinten kam, ganz unerwartet, nicht das Ergebnis einer Halluzination, die er vom zu langen Starren auf das Meer bekommen hatte, im Gegenteil: Was er nun hört, ist so ganz anders, als was er erwartet hatte: Er erhält zunächst einen Auftrag, etwas aufzuschreiben – und dann dreht er sich um und sieht keinen Geringeren als den auferstandenen Herrn Jesus Christus. Derselbe Herr, dessen Gegenwart die Gemeinden drüben in Kleinasien gerade im Gottesdienst feierten, zeigt sich nun auch sichtbar dem Johannes dort in seiner Sackgasse. Und Johannes erkennt von einem Augenblick auf den anderen: Dieser Herr, um dessentwillen er da auf Patmos saß, der ist allemal stärker als der Kaiser Domitian, der ist allemal stärker als alle Mächte dieser Welt zusammen. Dieser Herr ist wahrlich der Herr der ganzen Welt, kein Geringerer als der lebendige Gott selber. Ja, er ist der Richter, vor dem sich alle Menschen einmal werden verantworten müssen. Nein, diesen Herrn kann man sich nicht einfach anschauen, wie man sich eine Fernsehsendung anschaut, das merkt der Johannes sofort, fällt vor ihm, dem lebendigen Gott, nieder wie tot. Doch dann erlebt er, wie der auferstandene Christus seine Hand auf ihn legt und ihn mit seinen Worten wiederaufrichtet: „Fürchte dich nicht“, so sagt er. Was für ein tröstlicher Zuspruch, den der Johannes da hört und so dringend braucht. Und dann erfährt er auch, warum er sich nicht zu fürchten braucht: Er, Christus, ist der Erste und der Letzte und der Lebendige. Er hat die Geschichte der ganzen Welt in der Hand, und er wird einmal das letzte und entscheidende Wort über diese Welt und über das Leben eines jeden Menschen sprechen. Ja, er, Christus, ist stärker als der Tod, hat ihn besiegt, ja, hat die Schlüssel des Todes und der Hölle in seiner Hand. Ja, Humor hat dieser auferstandene Christus auch. Natürlich kannten die Leute damals alle den Gott der Unterwelt, den Hades, der angeblich alle Menschen nach dem Tod in seinem Reich einschloss. Dargestellt wurde er immer wieder mit den Schlüsseln in der Hand, weil er keinen mehr herausließ, den er eingeschlossen hatte. Doch nun steht Christus vor dem Johannes da in Patmos und sagt: Schau her, ich habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. Der Hades hat die nicht mehr. Ich entscheide, wer im Tod bleibt und wer nicht – denn ich bin selber wieder herausgekommen aus dem Tod. Ja, selbst der Tod ist nun keine Sackgasse mehr!

Was für eine Ermutigung, was für ein Trost für den Johannes – ja, was für eine Botschaft, die er nun den bedrängten Gemeinden drüben auf dem Festland übermitteln soll: Christus lebt – und er, der auferstandene Herr, ist stärker als alle Mächte, die die christlichen Gemeinden bedrohen und zerstören wollen, damals und heute. Christus lebt – darum kann er Sackgassen aufsprengen, kann Neuanfänge schenken, die niemand für möglich gehalten hätte.

Ob der Seher Johannes die Insel Patmos in seinem Leben noch einmal verlassen konnte, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass die Botschaft, mit der der auferstandene Christus ihn beauftragte, sich gegen alle Erwartungen als wahr erwiesen hat: Dem übermächtigen römischen Reich ist es nicht gelungen, die Christen, die sich dem Kaiserkult widersetzten, auszurotten. Am Ende ist das römische Reich untergegangen – und die Kirche Jesu Christi gibt es bis zum heutigen Tag, wird es auch weiterhin geben bis zu dem Tag, an dem einmal alle Menschen Christus in seiner Herrlichkeit schauen werden, wie dies der Seher Johannes schon damals in Patmos durfte.

Was für eine tröstliche und ermutigende Botschaft ist das auch für uns:

Nein, Johannes kündigt uns hier nicht an, dass wir den Kampf mit den politischen Mächten, die unsere Gemeindeglieder zur Rückkehr zum Islam zwingen wollen, schnell und einfach gewinnen werden, dass Christus als der auferstandene Herr alle Abschiebebescheide mit einem Handstreich für ungültig erklären und stattdessen lauter Abschiebeverbote in den christlichen Gemeinden verteilen wird.

Wohl aber erweitert er unsere Perspektive, wenn wir den Eindruck gewonnen haben, dass wir nur noch in einer aussichtslosen Sackgasse sitzen: Er, der Auferstandene, lässt auch uns nicht allein auf unserem Patmos, lässt uns nicht allein mit unserer Verzweiflung angesichts der Übermacht der christusfeindlichen politischen Kräfte in unserem Land und in Europa. Nein, sehen können wir ihn noch nicht wie einst die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung, wie einst Johannes auf Patmos. Aber es ist derselbe Christus, vor dem einst die Apostel, vor dem einst auch Johannes niederfiel, der auch heute, am Tag des Herrn, in unsere Mitte tritt, wenn wir miteinander das Mahl des Herrn feiern. Ja, da bleibt uns gar nichts anderes übrig, als vor ihm, dem gegenwärtigen Herrn, niederzufallen und ihn anzubeten – und dann dürfen auch wir es heute erleben, dass dieser auferstandene Christus uns leibhaftig anrührt mit seinem Leib und Blut, uns aufrichtet, ja uns teilhaben lässt an seinem neuen, unvergänglichen Leben: „Fürchte dich nicht!“ – So sagt es Christus auch heute wieder zu uns. Fürchte dich nicht, dass ich dich allein lasse in deiner Sackgasse, fürchte dich nicht vor den politischen Mächten in diesem Land, die dich dazu zwingen wollen, deinem Glauben an Christus abzusagen. Beuge vor ihnen nicht die Knie, widerstehe diesen Mächten in aller Konsequenz, auch wenn sie es wagen sollten, den Namen Christi dabei in den Mund zu nehmen! Fürchte dich nicht! Ich bin stärker als alle Mächte dieser Welt! Wie ich dem römischen Reich einmal ein Ende bereitet habe, so werde ich auch der Islamischen Republik Iran, werde ich einmal auch den Taliban ein Ende bereiten – und wenn hier in Europa die politisch Verantwortlichen sich aufspielen und meinen, sie könnten sich über mich und mein Wort setzen, dann leiten damit auch sie ihr eigenes Ende ein!

Wie gesagt: Bevor das römische Reich unterging, sind noch Hunderttausende von Christen zuvor getötet worden. Und wir wissen nicht, wie viele unserer Brüder und Schwestern hier in Deutschland, ja vielleicht auch aus unserer Gemeinde noch von Deutschland aus in den Tod deportiert werden. Doch eines wissen wir: Selbst der Tod kann uns nicht aus der Hand dieses auferstandenen Christus reißen, der als der Richter dieser Welt einmal die zur Rechenschaft ziehen wird, die jetzt auch hier in unserem Land ihre Urteile über unsere Glaubensgeschwister fällen.

Schau darum in all deiner Bedrängnis und Verzweiflung immer wieder auf ihn, den auferstandenen Herrn, lass sein Licht in das Dunkel deines Lebens scheinen! Du steckst nicht für immer in einer Sackgasse. Denn dein Herr, dem du gleich wieder hier am Altar begegnest, sagt es auch dir persönlich zu: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle!“ Halleluja! Amen.

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