Offenbarung 2, 1-7 | Mittwoch nach dem Zweiten Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens

In den letzten Tagen und Wochen habe ich mehrere Gesprächstermine vereinbart – mit unserem Superintendenten und mit unserem Propst. Der Grund hierfür ist ganz einfach: Die Dinge entwickeln sich hier in unserer Gemeinde so schnell, dass wir kaum noch hinterherkommen und es einfach nötig ist, dass auch andere Leute von außen einmal auf das schauen, was gerade bei uns geschieht. Am allerliebsten wäre es mir natürlich, wenn ich vom Herrn Christus direkt erfahren würde, was der sich wohl dabei gedacht hat, was er uns hier im Augenblick in der Gemeinde erleben lässt, ja, was der überhaupt über unsere Arbeit hier in der Gemeinde denkt. Doch wir können nicht damit rechnen, dass wir unbedingt in den nächsten Tagen von ihm Post bekommen. Stattdessen verweist uns Christus auf einen anderen Brief, den er bereits an eine Gemeinde geschrieben hat, an die Gemeinde in Ephesus, an diesen Brief, den wir eben in unserer Predigtlesung vernommen haben.

Natürlich müssen wir uns klarmachen, dass Jesus diesen Brief nicht an uns geschickt hat. Er spricht die Gemeinde in Ephesus an, nicht die Gemeinde in Steglitz. Wir können ihn nicht einfach direkt auf uns übertragen. Und doch steht in diesem Brief eine Menge drin, was uns helfen kann, auch die Situation in unserer Gemeinde noch einmal neu wahrzunehmen.

Zunächst einmal müssen wir uns klarmachen, dass die Gemeinde in Ephesus damals in einer ganz anderen Lage war als wir heute: Es war eine kleine Gemeinde, deren Gemeindeglieder ständig in der Gefahr standen, um ihres Glaubens willen schikaniert und verhaftet zu werden. Was die äußeren Umstände angeht, ähnelte sie eher den Hausgemeinden im Iran als unserer Gemeinde hier in Steglitz. Und das ist auch schon das erste, was wir wahrnehmen sollten, wenn wir über die Situation in unserer Gemeinde nachdenken: Wissen wir eigentlich noch, wie gut wir es haben, dass wir hier in Freiheit Gottesdienste feiern und das Evangelium verkündigen können? Allen Grund haben wir dazu, Gott auf Knien zu danken, dass er uns diese Freiheit schenkt, ja dass wir jetzt auch diese Probleme in unserer Gemeinde haben dürfen! Wie viele christliche Missionare gibt es in muslimischen Ländern, die in ihrem ganzen Leben nicht so viele Menschen, die aus dem Islam stammen, mit dem Evangelium erreichen konnten, wie wir hier in Steglitz an einem einzigen Tag! Wie viele Christen riskieren Woche für Woche ihre Freiheit und ihr Leben für den Gang zum Gottesdienst – während wir uns den Luxus leisten, darüber zu klagen, dass ein Gottesdienst hier zu lang dauern könnte!  Ja, es ist gut, dass uns die Heilige Schrift hier den Horizont erweitert, dass wir wieder neu wahrnehmen, was eigentlich die Normalsituation von Christen in dieser Welt ist – eben gerade nicht unsere Situation hier in Steglitz!

Und dann können wir dem Brief an die Gemeinde in Ephesus ein Zweites entnehmen: Jesus interessiert sich wirklich für das Gemeindeleben der einzelnen christlichen Gemeinden; er guckt hin und nimmt dazu Stellung. Er sitzt nicht irgendwo ganz entrückt herum, sondern er sagt zu der Gemeinde in Ephesus, sagt auch zu uns: Ich kenne deine Werke, ich weiß genau, was bei euch in Steglitz abläuft, ich nehme das alles genau wahr. Ja, auch das ist ganz wichtig zu wissen, dass wir alles, was wir tun, unter den Augen unseres Herrn tun, dass wir vor ihm zu verantworten haben, was wir hier machen, und nicht vor dem Bundesamt, vor den Medien oder vor den Wünschen von irgendwelchen Menschen innerhalb oder außerhalb der Gemeinde. Christus allein ist der Herr der Kirche, so macht er es in seinem Schreiben an die Gemeinde in Ephesus sehr deutlich – und daran hat sich in den vergangenen 1900 Jahren nichts geändert!

Noch mehr können wir in dem Brief Jesu an die Gemeinde in Ephesus erkennen: Die Gemeinde betreibt ganz selbstverständlich Mission und erfährt zugleich, dass solche missionarische Arbeit mühsam und anstrengend ist. Es ist interessant, dass im Neuen Testament das Wort für „missionarische Arbeit“ zugleich auch „Mühe“ oder „Last“ bedeutet. Diese Mühe und Last kann sicher sehr unterschiedlich aussehen. Sie kann so aussehen, dass man frustriert wird, weil alle Bemühungen, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen, so wenig fruchten, weil man mit der guten Botschaft nur auf Gleichgültigkeit und Ablehnung stößt. Aber Mühe und Last können eben auch mal so aussehen, dass man gar nicht mehr weiß, wie man all die Arbeit bewältigen soll, die auf einen zukommt, weil so viele Menschen das Evangelium hören wollen und dafür offen sind. Niemals geht es jedenfalls in der Missionsarbeit einfach bloß um Erfolge oder um positive Statistiken. Das ist so oder so immer wieder Knochenarbeit – und bleibt doch zugleich immer wieder die schönste Arbeit der Welt, weil es die schönste Botschaft der Welt ist, die wir weitergeben dürfen.

Eine weitere Überraschung erleben wir, wenn wir auf das schauen, was Jesus hier der Gemeinde in Ephesus schreibt: Der Herr Christus achtet offenbar genau darauf, was in einer christlichen Gemeinde gelehrt und verkündigt wird, ja mehr noch: Er achtet genau darauf, ob in einer christlichen Gemeinde falsche Lehre als falsche Lehre erkannt und verworfen wird. Wir leben ja heute in einer Zeit, in der es geradezu als Kennzeichen christlicher Gemeinden gilt, dass sie offen sind für alles, dass jede noch so krude und abstruse Vorstellung irgendwo bei ihnen einen Platz finden kann. Wir leben in einer Zeit, in der behauptet wird, dass doch jeder nur seine eigene persönliche Wahrheit hat und man darum eigentlich gar nicht behaupten kann, dass eine Lehre falsch ist, ja sogar, dass eine Religion falsch ist. Man kann doch nicht behaupten, dass der Islam eine falsche Religion ist! Man kann doch nicht behaupten, dass es falsch ist zu lehren, dass Gott in der Schöpfung keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gemacht hat! Und noch viel weniger kann man doch beispielsweise behaupten, dass es falsch ist zu sagen, dass Brot und Wein im Heiligen Abendmahl nur ein Symbol, aber nicht Leib und Blut Christi sind! Das wäre doch einfach nicht nett, so etwas zu sagen!

Doch Christus sieht das offenkundig anders. Er freut sich darüber, dass die Gemeinde in Ephesus sich die Mühe gegeben hat, die Lehre von Leuten genau zu prüfen, die neu in ihre Gemeinde kamen und behaupteten, im Auftrag Christi zu predigen. Und schnell hatten sie erkannt: Was diese Leute da behaupteten, das hatte mit der Lehre Christi nun wirklich nichts zu tun. Und daraufhin haben sie diese Leute eben nicht in ihrer Gemeinde lehren lassen, haben sie in der Tat aus der Gemeinde herausgeworfen – und Jesus findet das allen Ernstes gut, lobt die Gemeinde dafür! Ja, daran sollen wir uns ein Beispiel nehmen! Auch wenn wir hier mit so vielen praktischen Problemen konfrontiert sind, sollen und dürfen wir darüber niemals die christliche Lehre vernachlässigen, es als unwichtig ansehen, was bei uns in der Gemeinde verkündigt wird und was Menschen in unserer Gemeinde glauben. Da sollen wir dann auch Irrlehre beim Namen nennen, dass ja niemand in unserer Gemeinde verführt wird, weggeführt wird von der klaren Botschaft der Heiligen Schrift. Denken wir daran: Christus freut sich darüber!

Aber dann lesen wir hier in dem Brief an die Gemeinde in Ephesus noch etwas entscheidend Wichtiges: Christus hat auch etwas in der Gemeinde in Ephesus, was ihm nicht gefällt, was er gegen sie hat: Sie hat die erste Liebe verlassen. Damit ist ein Doppeltes gemeint, was innerlich unmittelbar zusammenhängt: Sie hat die erste Begeisterung aufgegeben, die sie am Anfang hatte, als die Gemeinde gegründet wurde – und diese Aufgabe der Begeisterung wirkt sich darin aus, dass die Liebe innerhalb der Gemeinde weniger wird, erkaltet.

Schwestern und Brüder: Eine wichtige Warnung ist das auch für unsere Gemeinde: Ja, da war am Anfang auch bei uns die Begeisterung groß, dass immer mehr Menschen in unserer Mitte den Weg zu Jesus Christus gefunden haben. Das war schön, dafür hatten wir dieses Missionsprojekt ja auch gestartet. Aber nun wird es langsam anstrengend. So viele Menschen kommen, verbreiten Unruhe, nehmen einem vielleicht gar die gewohnten Plätze weg, lassen es allmählich in der Gemeinde unübersichtlich werden. Ja, da ist die Gefahr groß, dass die erste Freude und Begeisterung allmählich in ein Stöhnen und Murren umschlägt, dass einem der Auftrag zur Mission allmählich doch nicht mehr so am Herzen liegt, wenn er mit so vielen persönlichen Belastungen verbunden ist. Ja, das ist die Gefahr groß, dass dann auch die Liebe erkaltet, dass man nicht mehr danach fragt, wie man für die Schwestern und Brüder in der Gemeinde da sein kann, wie man ihnen in Liebe dienen kann, sondern nur noch nach dem eigenen Vorteil fragt, danach, was einem denn selber etwas in der Gemeinde bringt oder nicht bringt. Gerade die Briefe des heiligen Johannes machen es sehr deutlich: Die ganz konkrete Gemeinde mit all ihren merkwürdigen Gestalten ist der Ort, wo wir nach dem Willen unseres Herrn Liebe üben sollen, wo Christus uns hingestellt hat, um auch Verzicht und Selbstverleugnung einzuüben. Christus warnt die Christen in Ephesus sehr klar und eindeutig: Wenn diese Liebe in euch erkaltet, dann wird eure Gemeinde nicht mehr lange Bestand haben, dann steht ihr in der Gefahr, als Gemeinde dem Gericht zu verfallen. Lassen auch wir uns von Christus aufrütteln, lassen wir uns von ihm zu dieser ersten Liebe zurückrufen! Wir brauchen sie auch heute noch, diese Worte, gerade jetzt in dieser Zeit der Umkehr, in der Zeit des Advent!

Christus will uns doch Anteil an dem Baum des Lebens geben, der im Paradies Gottes steht. Ja, zu Weihnachten werden wir wieder an diesen Baum des Lebens erinnert werden, wenn wir den Paradiesesbaum hier in der Kirche sehen werden, den Weihnachtsbaum, der uns daran erinnert, dass Christus mit seinem Kommen uns die Tür zum Paradies wieder aufgeschlossen hat. Gott geb’s, dass hier in unserer Gemeinde noch viele Menschen den Weg zu dieser Tür und durch diese Tür finden! Amen.

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