Offenbarung 20,11-15 | Vorabend zum Ewigkeitssonntag | Pfr. Dr. Martens
In dieser vergangenen Woche durften wir bei einer Gerichtsverhandlung wieder etwas von der erstaunlichen theologischen Sachkompetenz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erfahren: Die BAMF-Vertreterin wollte von einem Gemeindeglied wissen, was er denn über den Totensonntag wissen. Von einem Totensonntag wusste unser Gemeindeglied natürlich nichts, denn unter Christen heißt dieser kommende Sonntag ja Ewigkeitssonntag. Doch die BAMF-Vertreterin klärte ihn dann auch gleich auf, was denn die Kirche am Totensonntag feiert: Wir verabschieden uns von den Toten und lassen sie dann in Frieden ruhen.
Ich muss in diesem Kreise wohl kaum erwähnen, dass die BAMF-Vertreterin damit sehr eindrucksvoll gezeigt hat, dass sie weder vom Ewigkeitssonntag noch von der christlichen Heilsbotschaft besonders viel Ahnung hat. Nein, das ist gerade nicht unsere christliche Zukunftserwartung, dass wir die Toten fahren lassen, und dann war es das. So einfach können wir es uns gerade nicht machen, dass mit dem Tod einfach Schluss ist und dass damit auch all diejenigen, die gestorben sind, aller Rechenschaft über ihr Leben entronnen sind. Unsere heutige Predigtlesung macht deutlich, was am Ziel unseres Lebens, was am Ziel der Welt steht: Gottes letztes großes Gericht über die gesamte Welt. Und dieses letzte große Gericht wird eben keine gehobene Karnevalsveranstaltung sein, bei der man dem heiligen Petrus an der Himmelspforte nur einen etwas pfiffigen Witz erzählen muss, und schon ist man im Himmel gelandet. Sondern der, der das letzte Gericht halten wird, ist kein anderer als der, der das gesamte Universum bis hin zur entferntesten Galaxie geschaffen hat. Vor dem werden wir einmal antreten müssen, alle ohne Ausnahme. Keiner wird sich vor diesem Gericht Gottes verstecken können, keiner wird von Gott vergessen werden. Und wenn auch chemisch und physikalisch von dir scheinbar nichts mehr übriggeblieben sein wird – du wirst einmal vor Gott stehen, und Gott wird dich nach deinem Leben fragen.
Schwestern und Brüder: Was die Heilige Schrift immer wieder als letztes Ziel unseres Lebens und der Welt beschreibt, ist nicht eine furchtbare Drohkulisse, mit der man den Menschen genügend Angst einjagen kann, um sie in die Kirche zu treiben. Sondern dieses letzte Gericht Gottes hat zunächst einmal etwas sehr Tröstliches an sich: Es wird keinen Menschen geben, der sich nicht am Ende seines Lebens für das verantworten muss, was er getan hat, ja, was er anderen Menschen angetan hat. Der Ayatollah Khomeini wird einmal vor Gott stehen – und Gott selber wird ihn fragen: Was hast du getan, was hast du anderen Menschen angetan? Und wie konntest du es wagen, für deine Verbrechen auch noch den Namen Gottes in den Mund zu nehmen? Die Folterknechte im Iran werden einmal vor Gott stehen – und Gott selber wird sie fragen: Was habt ihr anderen Menschen angetan? Ja, all das Unrecht, das euch in eurem Leben angetan worden ist, das wird einmal im letzten Gericht zur Sprache kommen. Und auch diejenigen, die euch hier in Deutschland den christlichen Glauben abgesprochen haben, werden einmal vor Gott stehen, und Gott selber wird sie fragen: Wie konntet ihr euch an meine Stelle setzen und über den Glauben derer, die zu mir gehören, solch zynische Urteile fällen? Doch auch wir werden bei diesem Gericht eben nicht nur Zuschauer sein. In den Büchern, die am Ende aufgeschlagen werden, wird auch all unsere Schuld und unser Versagen aufgezeichnet stehen. Und da werden wir uns nicht herausreden können im Angesicht dessen, dem auch all unsere Gedanken und Worte nicht verborgen geblieben sind.
Was bleibt uns angesichts dieser Aussicht, die ja nicht nur irgendein Gedankenspiel ist, sondern die künftige Realität unseres Lebens schlechthin? Muslime und auch viele vom christlichen Glauben kaum noch beleckte Deutsche würden nun das Bild der Waage anführen: Wenn es da so viele schlechte Dinge in unserem Leben gibt, die wir getan haben, dann müssen wir eben umso mehr gute Werke tun, mit denen wir die schlechten Dinge in unserem Leben ausgleichen. Und je nach religiöser Prägung können diese guten Werke dann Fasten, rituelle Gebete oder eine Wallfahrt nach Mekka sein oder aber diverse Formen von sozialem Einsatz für Benachteiligte in der Gesellschaft oder auch einfach etwas üppigere Spenden für einen guten Zweck. Doch die Heilige Schrift macht deutlich: Das geht nicht. Wir können mit unseren guten Werken nie und nimmer ausgleichen, was wir an Schuld in unserem Leben auf uns geladen haben. Kein Mensch kann das, und wenn er sich noch so viel Mühe gibt. Schuld und Versagen gegenüber Gottes Geboten bleiben Schuld und Versagen und lassen sich von uns nicht ausgleichen. Wenn wir im letzten Gericht Gottes bekommen würden, was wir verdient haben, dann hieße dies für uns alle nicht weniger als die Hölle, ohne jede Ausnahme.
Doch nun hört euch an, was uns der Seher Johannes hier verkündigt: Da gibt es neben all den Büchern mit unseren Taten, neben all den Büchern, die uns alle miteinander ohne Ausnahme verdammen, noch ein anderes Buch, so betont es Johannes. Ja, ein ganz anderes Buch – in dem nichts von dem steht, was wir getan haben, in dem nichts aufgerechnet wird von unseren guten Taten in unserem Leben. Nein, dieses Buch ist ein ganz, ganz anderes Buch, so heißt es hier. Und dieses Buch ist das Buch des Lebens. In diesem Buch stehen nicht diejenigen, die es geschafft haben, anständig genug zu leben. Sondern in diesem Buch stehen diejenigen, die Gott selber dort eingetragen hat, an dem Tag, an dem er ihnen sein unzerstörbares Versprechen gegeben hat in ihrer Taufe. In diesem Buch stehen seit heute auch Lukas und Massih, ja, in diesem Buch steht ihr alle, so gewiss ihr getauft seid.
Ja, wir werden für unsere Taten einmal vor Gott zur Rechenschaft gezogen werden, ganz gewiss. Aber gerettet werden wir allein aus Gnaden – um Christi willen, der für uns sein Leben in den Tod gegeben hat, damit auch unser Name im Buch des Lebens steht. Darum feiern wir keinen Totensonntag, sondern Ewigkeitssonntag, weil wir uns auf Gottes Zusage verlassen dürfen, die er uns gegeben hat: Ewig sollen und werden wir leben, weil wir mit Christus verbunden sind, weil wir auch jetzt wieder mit ihm verbunden werden im Heiligen Mahl. Ja, ein fröhliches Fest feiern wir heute Abend und morgen am Ewigkeitssonntag: Wer mit Christus verbunden ist, wer zu ihm gehört, der darf jetzt schon auf das schauen, was nach dem Gericht folgt. Menschliche Gerichte mögen uns den christlichen Glauben absprechen. Doch Gottes Gericht wird nur ein Beweismittel kennen: Das Buch des Lebens. Wie gut, dass auch unser Name, wie gut, dass auch euer Name, lieber Lukas, lieber Massih, darin zu finden ist! Amen.