Offenbarung 21, 1-7 | Ewigkeitssonntag | Pfr. Dr. Martens

Da steht der Seher Johannes am Strand der Insel Patmos, auf die er wegen seines christlichen Glaubens verbannt worden war, und blickt aufs Meer. Es ist das Ägäische Meer zwischen der heutigen Türkei und dem heutigen Griechenland. Wir mögen das ja für eine sehr romantische Vorstellung halten, von einer griechischen Insel hinaus aufs Meer zu blicken. Doch für ihn, den Juden Johannes, war dieses Meer ein Symbol für das Böse, für das Unheimliche, das Menschen verschlingt und in den Tod zieht.

Ach, wie gut können so viele Menschen aus unserer Gemeinde den Johannes verstehen! Sie sind vor nicht langer Zeit genau auf diesem Meer, auf das Johannes damals blickte, unterwegs gewesen, in kleinen Schlauchbooten, völlig ungesichert, immer den Tod vor Augen. Ja, so mancher aus unserer Gemeinde hat es dann auch miterlebt, wie dieses Meer liebe Menschen, Freunde, Familienangehörige an sich gerissen und verschlungen hat. Diese Erfahrung mit dem Meer werden so viele, die ihm einmal völlig hilflos ausgeliefert waren, niemals mehr vergessen.

Ja, mit Meereserfahrungen sind heute Morgen so viele Menschen hierher in den Gottesdienst gekommen – mit Meereserfahrungen im ganz wörtlichen und im übertragenen Sinne. Da waren so manche von euch letztes Jahr noch ganz selbstverständlich mit einem geliebten Menschen zusammen – und jetzt, ein Jahr später, ist er nicht mehr da, verschlungen von einer Macht, der wir mit unseren menschlichen Mitteln am Ende nichts entgegenzusetzen hatten. Hilflos, traurig stehen wir da und tun uns so schwer mit der Einsicht, dass wir gegen diese Macht, die uns diesen geliebten Menschen entrissen hat, nichts, aber auch gar nichts machen konnten und machen können.

Oder da gibt es andere, die glücklich hier in Deutschland angekommen sind: Verfolgt waren sie um ihres christlichen Glaubens willen in ihrer Heimat, waren so froh, dass sie nun endlich ihren Glauben in Freiheit hier in unserem Land praktizieren konnten. Doch dann erhielten sie mit einem Mal einen Brief: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat entschieden, dass sie in Wirklichkeit gar keine Christen sind, will sie nun wieder abschieben, zurück in ein Land, in denen ihnen Folter, Gefängnis und Tod droht. Ja, da ist es, als ob einem der Boden unter den Füßen weggerissen wird, als ob man sich mit einem Mal nachts mitten auf dem offenen Meer befindet und nicht weiß, ob diese Reise am Ende am Festland oder im Tod endet. Meereserfahrungen, die in diesen Wochen so viele unserer Schwestern und Brüder hier in der Gemeinde machen müssen – Erfahrungen der Hilflosigkeit gegenüber Mächten, denen man so völlig hilflos ausgeliefert scheint, angefangen schon bei den Anhörungen, wenn man da vor einem Entscheider sitzt und der sich gemeinsam mit dem Dolmetscher darüber kaputtlacht, wie dumm man nur sein kann, an einen Gott zu glauben, der sein Blut am Kreuz für die Sünden der Menschen vergießt. Die Lage der verfolgten Christen damals in Kleinasien und die Lage der christlichen Asylbewerber in unserem Land – sie unterscheidet sich mittlerweile gar nicht mehr so sehr.

Und wenn wir uns das klarmachen, dann bekommt ein kleiner Satz aus der Epistel des heutigen Festtags, den wir normalerweise so schnell überhören, einen ganz besonderen Klang: „und das Meer ist nicht mehr.“ All das, was Menschen damals in Angst und Trauer versetzte, gibt es nicht mehr. All das, was Menschen heute in Angst, Trauer und Verzweiflung versetzt, gibt es nicht mehr. Was für eine unglaubliche Botschaft! Ja, was ist da passiert?

Sagen wir es ganz deutlich: Johannes spricht nicht davon, dass die Menschen es am Ende der Menschheitsgeschichte doch irgendwie geschafft haben, diese Welt in ein Paradies zu verwandeln, in dem es kein Leid, keinen Krieg, keine Ungerechtigkeit mehr gibt. Johannes ruft hier auch nicht zu einer Unterschriftenaktion gegen das Meer auf, nicht zu einer Resolution, die das Meer verurteilt und sich gegen die künftige Existenz des Meeres ausspricht. Was Johannes hier in seiner Offenbarung schildert, ist nicht das Ergebnis menschlicher Bemühungen und Aktionen. Es ist genau das Gegenteil. Am Ende der Geschichte wird nicht Bestand haben, was wir Menschen getan und geleistet haben. Am Ende der Geschichte wird allein stehen, was Gott tun wird.

Und was Gott tun wird, das spricht Gott selber hier in den Worten unserer Epistel unmissverständlich aus: „Siehe, ich mache alles neu!“ Hört ihr’s?! Gott sagt nicht: Ich habe einige ganz gute Verbesserungsvorschläge für diese Welt. Er sagt nicht: Ich werde dieser bestehenden Welt ein ganz gehöriges Update verpassen. Er sagt auch nicht: Siehe, ich mache vieles neu – aber einiges lasse ich natürlich so sein, wie es war. Nein, er sagt: „Ich mache alles neu!“ Alles, wirklich alles wird ganz neu werden. Und neu heißt wirklich neu. Das ist nicht wie heutzutage in der Werbung, wo man in eine Tomatensoße ein paar Gramm Zucker mehr reinpackt und dann anschließend groß auf die Verpackung schreibt: „Neu!“ Nein, da ist gar nichts neu, da ist nur ein bisschen dran herumgebastelt worden, mehr nicht. Aber wenn Gott sagt: Ich mache alles neu, dann heißt neu wirklich neu, so neu, wie wir uns das jetzt im Augenblick noch nicht einmal ansatzweise werden vorstellen können.

Ja, da fehlen uns jetzt noch die Worte, um das zu beschreiben. Aber wir können uns dann doch die Worte unserer heutigen Epistel zu Hilfe nehmen, um ein wenig zu erahnen, was dieses Neue für uns bedeuten wird. Dreimal wird in unserer Predigtlesung Wasser erwähnt – und daran wollen wir uns nun orientieren, um zu verstehen, was dieses Neue für uns bedeuten kann, von dem Gott selber hier in seinen Worten spricht.

Da ist zunächst einmal, wir haben es bereits gehört, vom Meer die Rede. Das wird einmal nicht mehr sein. Ja, so macht es uns Gottes Wort hier deutlich: All das, was uns jetzt noch Angst und Schrecken und Traurigkeit einjagt, das wird nicht mehr sein. Der Tod wird nicht mehr sein. Den Tod, der euch jetzt noch von einem geliebten Menschen trennt, den wird es nicht mehr geben dort, wo Gott einmal inmitten seines Volkes wohnen wird. Der Tod, der so schmerzhaft in euer Leben hineingeschnitten hat, der hat nicht das letzte Wort gesprochen. Das letzte Wort lautet: „Siehe, ich mache alles neu.“ Ich mache auch euren Vater neu, eure Schwester neu, eure Tochter neu, eure Mutter neu, euren Freund neu. Gott, der am Anfang mit seinem Wort die Welt und alles Leben geschaffen hat, wird mit seinem Wort auch seine neue Welt schaffen, wird neues Leben schaffen, selbst wenn das alte vollkommen vergangen zu sein schien. Der Tod wird nicht mehr sein. Schmerz und Trauer werden nicht mehr sein, keine Krankheit, keine Folternarben, keine schlimmen Träume in der Nacht wird es mehr geben, auch keine Träume von der Überfahrt über das Meer. Keine Angst wird es mehr geben, weil es nichts mehr geben wird, was euch Angst machen kann, kein Bundesamt, keine Heimbewohner, die euch mit dem Tod bedrohen, weil ihr Christen seid, ja, auch keine Abschiebung. Da, wo ihr einmal sein werdet, in Gottes Zelt, in seiner Stadt, dem neuen Jerusalem, da werdet ihr nicht bloß geduldet sein, da werdet ihr nicht mit einer Grenzübertrittsbescheinigung in der Hand leben müssen, nicht nur mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis. Dort werdet ihr ganz, ewig, für immer zu Hause sein, weil es nichts mehr geben wird, wohin ihr abgeschoben werden könntet. Das Meer ist nicht mehr.

Ein zweites Mal ist vom Wasser die Rede: Es sind die Tränen in unseren Augen. Johannes begnügt sich nicht damit zu schildern, was es alles in Gottes neuer Welt nicht mehr geben wird. Sondern er erzählt uns auch, was Gott einmal machen wird: Er wird alle Tränen abwischen von unseren Augen. Schwestern und Brüder: Das ist eine der wunderbarsten Aussagen der ganzen Heiligen Schrift über unseren Gott. Der Gott, an den wir glauben dürfen, ist nicht ein Gott, der einfach nur überaus groß ist und der am Ende doch erst einmal alle Menschen in die Hölle steckt. Der Gott, an den wir glauben dürfen, ist nicht „tough“, der sagt nicht zu uns: Stellt euch nicht so an, reißt euch zusammen, ist doch alles nicht so schlimm. Seid keine Weicheier! Sondern der Gott, an den wir glauben dürfen und der sich uns in seinem Wort zu erkennen gibt, der sagt: Ich werde dir einmal all deine Tränen von deinen Augen abwischen. Ich werde dir die Tränen abwischen von deinen Augen, die du geweint hast, als ein geliebter Mensch starb, ich werde dir die Tränen abwischen von deinen Augen, die du weinst, wenn du an das Leid zurückdenkst, das du in deinem Leben durchmachen musstest. Ich werde dir die Tränen abwischen von deinen Augen, die du weinst, wenn du daran denkst, dass Menschen, die dich nie kennengelernt haben, dir den christlichen Glauben absprechen. Ich werde dir die Tränen abwischen von deinen Augen, die du weinst, weil Menschen dich in deinem Leben bitter enttäuscht und verletzt haben. Ich werde dir die Tränen abwischen von deinen Augen, die du geweint hast, wenn du all das Leid gesehen hast, das Menschen auf dieser Welt insgesamt erleiden mussten und bis zu dieser Stunde erleiden. Gott bleibt nicht auf Distanz zu dir. Der wird dir einmal ganz nahekommen, wird mit seinen Fingern deine Augen anrühren und all deine Tränen für immer, ja wirklich für immer abwischen. So voller Liebe wird das Neue sein, was Gott schaffen, was Gott tun wird.

Und dann ist da noch von der Quelle des lebendigen Wassers die Rede, von der die Durstigen umsonst werden trinken dürfen. Habt ihr das schon einmal erlebt, dass ihr so richtig durstig wart, dass euch die Zunge am Gaumen geklebt hat – und dass ihr dann schließlich trinken durftet, Wasser trinken durftet. Was für ein wunderbarer Moment. Ja, so wird die Ewigkeit sein – wie diese Freude über das Wasser, das uns Leben schenkt, uns vor dem Verdursten bewahrt.

Und das Allerbeste ist: Diese Quelle des lebendigen Wassers, die sprudelt jetzt schon. Die sprudelt auch hier in dieser Kirche, wann immer ein Mensch durch das Wasser der heiligen Taufe zum ewigen Leben wiedergeboren wird. Diese Quelle des lebendigen Wassers, die sprudelt jetzt schon, wenn Menschen im Heiligen Mahl das Heilmittel des ewigen Lebens, den Leib und das Blut des Herrn empfangen. Der Himmel, die neue Stadt Gottes, in der Gott selber inmitten seines Volkes wohnt, den gibt es schon hier und jetzt. Du darfst schon jetzt in ihn eintreten mit all deiner Angst vor dem Meer, mit all deinen Tränen, mit all deiner Verzweiflung. Der Himmel, die neue Stadt Gottes, all das ist schon hier, auch in diesem Gottesdienst. Da machen wir uns mit Recht alle möglichen Sorgen darüber, wie es mit unserem eigenen Leben, mit dem Leben lieber Menschen, nicht zuletzt mit dem Leben so vieler von der Abschiebung bedrohter Brüder und Schwestern weitergehen wird. Ja, wir wollen und werden tun, was wir können, um anderen Menschen in Not zu helfen. Aber wenn wir hier in Gottes neue Welt eintreten, dann dürfen wir es zugleich immer wieder neu erfahren: Unsere Zukunft hängt nicht an uns, nicht an unserem Sorgen, nicht an unserem Einsatz. Sie hängt einzig und allein an dem, der zu uns sagt: Siehe, ich mache alles neu! Und während wir in unserem Leben immer wieder erfahren, wie Menschen uns Versprechungen machen und sie am Ende doch nicht halten, dürfen wir bei Gott ganz gewiss sein: Es ist geschehen. Es steht fest, schon hier und jetzt. Du musst nichts tun, um in den Himmel zu kommen, geschweige denn, um den Himmel selber zu schaffen. Es ist geschehen – und Gott schenkt dir diesen Himmel, jawohl, auch heute wieder, umsonst. Darum komm, komm immer wieder hin zu ihm, der das A und das O, der Anfang und das Ende ist. Denn er sagt es auch zu dir: „Siehe, ich mache alles neu!“ Amen.

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