Offenbarung 21,1-7 | Ewigkeitssonntag | Pfr. Dr. Martens

„Können wir das Jahr 2020 noch einmal ganz neu starten? Dieses Jahr hat einen Virus!“ So lautete ein Eintrag, den ich vor einiger Zeit im Internet las. Ach, was wäre das für ein schöner Gedanke: Das Jahr einfach noch mal ganz neu anfangen – und dann ohne Virus, ohne all das, was uns dieses Jahr zu solch einem beschwerlichen Jahr, ja für viele geradezu zu einem Horrorjahr gemacht hat! Einfach noch mal ein Frühling ohne Lockdown, eine Karwoche mit schönen Gottesdiensten, ein Sommer ganz ohne Abstandsregeln, ein Herbst ohne explodierende Infektionszahlen, Gottesdienste ohne Durchzug, mit vielen Menschen zusammen, ohne Masken. Doch was bei einem Computer möglich sein mag, dass man ihn noch mal ganz neu startet, wenn er sich einen Virus eingefangen hat, das klappt in unserem Leben eben leider nicht. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, wir können nicht noch mal von vorne anfangen – und so einfach beseitigen lässt sich das Virus, das wir uns in unserer Welt eingefangen haben, eben auch nicht.

Nein, wir können nicht bloß dieses schreckliche Jahr 2020 nicht mehr ungeschehen machen. Wir ahnen im Gegenteil schon jetzt etwas davon, dass das, was wir jetzt in diesem Jahr durchlebt haben, selbst dann noch seine gravierenden Auswirkungen auf unser Leben haben wird, wenn, Gott geb’s, das Virus endlich auf verschiedene Weise eingedämmt sein wird. Da ist in diesem Jahr in unserem Leben mehr kaputtgegangen als bloß so manche Urlaubsplanung, die wir gehabt haben mögen. Da ist ein ganzes Stück weit ein Grundvertrauen in diese Welt kaputtgegangen, mit dem wir bisher ganz selbstverständlich und unbewusst gelebt hatten, ein Grundvertrauen, dass alles in der Zukunft auch so weiterlaufen wird, wie wir es bisher gewohnt waren, ein Grundvertrauen, dass wir unbefangen mit anderen Menschen zusammenleben können, dass die Welt, in der wir leben, für uns keine Bedrohung, sondern nur eine Chance darstellt, Neues zu entdecken. Ob wir dieses Grundvertrauen in der Zukunft noch einmal wiedergewinnen werden, ob wir in unserem Leben noch einmal so unbeschwert weiterleben werden wie zuvor, ob wir uns auch in unserer Gemeinde noch einmal so unbeschwert nahekommen werden wie zuvor, ja, ob es möglich sein wird, dass wir wieder so unbeschwert bei der Austeilung des Heiligen Mahles aus dem einen Kelch trinken werden wie bisher? Ich hoffe und wünsche es und ahne doch, wie der dunkle Schatten des Todes noch lange unser Leben, auch unser Zusammenleben verdunkeln wird, dass das Leben nach Corona ein anderes Leben bleiben wird als das Leben zuvor. Ja, das eine Gute hat diese Corona-Pandemie vielleicht, dass wir in der Zukunft nicht mehr so leicht geneigt sein werden, den Traum weiterzuträumen, dass sich unsere Welt allmählich in ein Paradies verwandelt, dass wir nicht so leicht geneigt sein werden, unsere Hoffnungen allein auf das zu setzen, was in unserem Leben hier auf Erden noch vor uns liegt. Unser Leben hier auf Erden, es bleibt vom Tode gezeichnet – und wie hilflos wir vor dieser Tatsache stehen, das haben uns die vergangenen Monate dieses Jahres 2020 nur allzu deutlich gezeigt.

Auf diesem Hintergrund unserer Erfahrungen in diesem Jahr fangen die Worte der Epistel des heutigen Ewigkeitssonntags noch einmal ganz neu an zu leuchten. Über allem stehen die Worte des lebendigen Gottes: „Siehe, ich mache alles neu!“ Und wenn Gott davon spricht, dass er alles neu macht, dann meint er eben nicht bloß, dass er alles, was gewesen ist, einfach noch mal auf Null zurücksetzt und uns noch einmal ganz von vorne anfangen lässt. Wenn Gott davon spricht, dass er alles neu macht, dann meint er nicht bloß, dass er hier und da einige Reparaturmaßnahmen in dieser Welt vornimmt, dass er vielleicht gar dafür sorgt, dass wir nicht noch einmal von einem solchen Virus heimgesucht werden. Sondern wenn Gott etwas neu macht, dann macht er es wirklich ganz und gar neu, dann arbeitet er nicht länger immer noch mit demselben alten Betriebssystem, sondern dann erwartet uns etwas so Neues, dass uns im Grunde genommen hier und jetzt noch die Worte dafür fehlen, dieses Neue überhaupt angemessen beschreiben zu können.

Bilder gebraucht der Seher St. Johannes darum hier, um dieses ganz Neue zu beschreiben, weil es sich eben gerade nicht nur als eine Verlängerung des bisher Geschehenen beschreiben lässt. Das macht ja so manche islamische Paradiesesbeschreibung so lächerlich, dass sie einfach nur eine Beschreibung arabischer Männerfantasien darstellt: 72 Jungfrauen und Wein im Überfluss – was für eine armselige Zukunft für uns, wenn Gottes neue Welt nicht mehr zu bieten hat als nur dies! Wieviel großartiger ist da die Beschreibung der neuen Welt, die wir hier in unserer Epistel vernehmen dürfen:

Die neue Welt setzt voraus, dass das Erste tatsächlich ganz und gar vergangen ist. Nichts mehr von dem, was wir jetzt hier auf Erden erleben, wird in Gottes neuer Welt einmal Bestand haben. In Gottes neuer Welt wird es eben keine Viren mehr geben, die unserer Gesundheit schaden. Es wird dort überhaupt nichts mehr geben, was uns in irgendeiner Weise kaputt macht, was uns Angst macht, was uns Schmerzen oder Luftnot bereitet, ja, was uns am Ende sterben lässt. Es wird keine Krankheit mehr geben, aber auch keine Angst mehr davor, nicht anerkannt, sondern abgeschoben zu werden, keine schlaflosen Nächte mit der beständigen Furcht, jederzeit am frühen Morgen abgeholt werden zu können. Denn es wird dort überhaupt keine Bosheit mehr geben in Gottes neuer Welt, keine Gehässigkeit, keine zynischen Gerichtsurteile, keine Folter, keine Angst um die Familie, nichts von all dem, was uns jetzt im Augenblick so schwer auf unseren Schultern liegt oder uns in unseren nächtlichen Träumen immer wieder von neuem einholt.

Ja, wenn wir von dem ganz Neuen sprechen, das Gott einmal schaffen wird, dann ist es in mancher Hinsicht das Angemessenste, von dem zu sprechen, was einmal nicht mehr sein wird. Eine Welt ohne Tod – wenn das kein wirklicher Neustart ist im Vergleich zu dem, was wir zurzeit erleben!

Doch der Seher Johannes sagt dann doch noch mehr über diese ganz neue Welt: Von einer Stadt spricht er, vom neuen Jerusalem, das einmal unser Zuhause sein wird. In diesen Corona-Zeiten werden Städte ja häufig als etwas Bedrohliches wahrgenommen, als Orte, an denen Menschen sehr eng nebeneinander leben und es damit dem Virus leicht machen, sich immer weiter auszubreiten. So manchen zieht es in diesen Wochen und Monaten darum aus der Stadt hinaus aufs Land, dort, wo man Platz um sich hat, für sich allein ist. Doch in Gottes neuer Welt, da werden wir eben nicht mehr weit entfernt voneinander je für uns allein irgendwo leben. Sondern wir werden tatsächlich gemeinsam in einer Stadt leben, so beschreibt es uns Johannes hier. Die Stadt – sie war damals das Symbol für Geborgenheit und Sicherheit. Sie hatte eine Mauer, man konnte die Tore schließen, und wer darin wohnte, der war damit geschützt. Ja, so werden auch wir einmal für immer geborgen sein, werden leben in einer Gemeinschaft von Menschen, die nicht mehr getrieben sind von Angst, sondern nur noch von der Freude darüber, am Ziel angekommen zu sein. Und dieses Ziel, auf das unser Leben zuläuft, heißt: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!“ Das Ziel unseres Lebens wird einmal darin bestehen, für immer in der Gegenwart Gottes zu leben, so, dass es da nichts mehr geben wird, was uns von ihm trennt.

Und dann kommt das Allerbeste, für mich einer der schönsten Sätze der ganzen Heiligen Schrift: Gott wird abwischen alle Tränen von unseren Augen. Ja, stell dir das ruhig ganz konkret vor, was du da einmal in Gottes neuer Stadt erleben wirst. Da wird der Herr der Welt zu dir kommen und ganz persönlich dir all deine Tränen von der Wange abwischen – deine Tränen der Verzweiflung, die du geweint hast, als deutsche Behörden und Gerichte erklärt haben, du seist gar kein richtiger Christ, deine Tränen der Trauer, als du erfahren hast, dass Familienangehörige in deinem Heimatland gestorben sind und du keine Möglichkeit hattest, von ihnen Abschied zu nehmen, deine Tränen der Sorge um geliebte Menschen, deine Tränen der Enttäuschung, als du erfahren hast, wie Menschen dich hintergangen haben, denen du in deinem Leben immer vertraut hattest, deine Tränen der Sehnsucht nach der Heimat, die du immer wieder einmal in einsamen Augenblicken geweint hast, ja, was für Tränen es auch sein mögen – Gott selber wird sie dir alle einmal von deinen Wangen abwischen, ja, derselbe Herr und Gott, der tatsächlich einmal alles, wirklich alles ganz neu machen wird.

Ja, mit dem Ausblick auf diese neue Welt, auf diese neue Stadt Gottes lässt es sich leben auch in diesen Corona-Zeiten. Wir werden nicht für immer auf Distanz bleiben müssen, sondern werden wieder ganz enge, ja, auch leibliche Gemeinschaft erfahren, sogar in alle Ewigkeit, wenn schon Gott selber uns einmal auch körperlich trösten wird. Wir werden unser Leben nicht für immer verborgen hinter Masken führen müssen, sondern werden einmal ohne jede Maske strahlen vor Freude im warmen Licht der Gegenwart des lebendigen Gottes. Wir werden einmal keinerlei Sorge davor haben müssen, andere anstecken zu können oder selber an den Folgen einer Krankheit sterben zu müssen. Ja, im Licht dieses Herrn, der einmal bei uns wohnen wird, werden wir dann auch all den Irrsinn verstehen können, der uns jetzt noch so sehr in unserem Leben zu schaffen macht.

Nein, unsere Hoffnung besteht nicht darin, dass alles wieder einmal so werden wird, wie es einmal war. St. Johannes macht uns deutlich, dass unsere Hoffnung viel größer sein darf: Gott wird alles, wirklich alles ganz neu machen. Und wenn du gleich wieder den Leib und das Blut deines Herrn empfängst, dann fängt Gott schon einmal damit an, dich neu zu machen, dann empfängst du jetzt schon das Heilmittel der Unsterblichkeit, das dich einmal für immer in Gottes neuer Stadt wird leben lassen. Ja, du kommst schon ganz dicht heran an dieses neue Jerusalem, wenn du hier gleich am Altar knien wirst. Es ist nur noch ein ganz schmaler Vorhang, der uns daran hindert, wahrzunehmen, was hier und jetzt schon Realität ist. Dein Leben endet nicht im Lockdown, auch nicht im Lockdown deines Sarges. Dein Leben mündet ein in die ganz große Freiheit der Kinder Gottes. Und ich bin gewiss, dass wir uns spätestens dort dann auch alle wieder ohne jede Hemmung vor Freude in den Arm nehmen werden. Amen.

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