Offenbarung 7,9-17 | Gedenktag Der Heiligen | Pfr. Dr. Martens

Zu den zumeist vergeblichen Kämpfen, die ich vor den Verwaltungsgerichten unseres Landes zu führen haben, gehört immer wieder auch mein Versuch, den Richterinnen und Richtern zu erklären, was christlicher Gottesdienst eigentlich heißt. Für die Richterinnen und Richter ist dies zumeist klar: Der Gottesdienst ist eben so eine kirchliche Veranstaltung, zu der man hingehen muss, wenn man einen Aufenthalt in Deutschland bekommen möchte. Oder er ist so eine Art von Party, bei der man einmal in der Woche seine Landsleute sehen und sich mit ihnen unterhalten kann. Wenn es hochkommt, dann wird einmal danach gefragt, was für ein Thema denn der Gottesdienst am letzten Sonntag hatte. Doch all diese Vorstellungen von Gottesdienst haben nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun, was christlicher Gottesdienst in Wirklichkeit ist – wenn es sich denn um einen Gottesdienst und nicht bloß um eine kirchliche Showveranstaltung handelt.

Worum es im christlichen Gottesdienst, worum es entsprechend auch in dem Gottesdienst heute Abend geht, das macht uns St. Johannes in der Epistel des heutigen Festtags sehr eindrücklich deutlich: Da weitet er nämlich unseren Blick weit über die Mauern unserer Kirche, weit über alle Kämpfe mit den staatlichen Stellen in diesem Land hinaus bis in den Himmel. Da steht sie vor dem Thron Gottes: Die unübersehbare Schar aller Heiligen – und feiert Gottesdienst, lässt uns damit verstehen, was auch hier auf Erden heute Abend hier in unserer Dreieinigkeitskirche und bei jedem Gottesdienst geschieht:

Wenn wir Gottesdienst hier auf Erden feiern, dann werden wir hineingenommen in den Gottesdienst im Himmel, vor dem Thron Gottes, dann werden Himmel und Erde eins, dann sind wir umgeben von allen Engeln und allen Heiligen und Vollendeten. Die orthodoxe Kirche macht das sehr schön deutlich, wenn sie ihre Kirchen bis unter die Decke mit Bildern der Heiligen versieht: Wir sind hier im Gottesdienst nicht unter uns, sondern Teil eines Gottesdienstes, der unendlich größer ist als all das, was wir hier auf Erden auch nur ahnen können.

Und die Teilnehmer dieses Gottesdienstes kommen aus noch sehr viel mehr Ländern, als wir dies hier in unseren Gottesdiensten in Steglitz immer wieder erleben: Sie kommen aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen, so betont es St. Johannes hier. Es gehört mit zu den schlimmsten Pervertierungen des christlichen Glaubens, die wir zurzeit leider immer wieder einmal erleben können, wenn der christliche Glaube zu einer Art von deutschem Kulturgut degradiert wird. Kruzifixe werden zur süddeutschen Brauchtumspflege aufgehängt, und Menschen werden aufgefordert, zum Gottesdienst zu gehen, um deutsche Traditionen zu pflegen und nicht untergehen zu lassen. Was für ein unbiblischer Irrsinn – in dem sich angeblich christliche deutsche Politiker und Vertreter des iranischen Mullahregimes ganz einig sind, die den christlichen Glauben als Religion des Westens abtun.

Nein, der christliche Glaube ist nichts Westliches, geschweige denn etwas typisch Deutsches: Die Botschaft des Evangeliums gilt allen Menschen ohne Ausnahme, und sie hat sich auf der ganzen Welt so verbreitet, dass tatsächlich Menschen aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen den Weg zu Christus gefunden haben. Um Christ zu sein, muss ich nicht meine deutsche B2-Sprachprüfung bestanden haben. Im Himmel wird auch Dari und Farsi gesprochen, doch so, dass die unterschiedlichen Sprachen nicht mehr zur Verwirrung und Ausgrenzung führen, sondern dazu, das Lob Gottes möglichst vielfältig erklingen zu lassen. Ach, wie armselig sind alle menschlichen Multi-Kulti-Versuche im Vergleich zu dem, was im christlichen Gottesdienst geschieht – in der Vollendung im Himmel und auch schon hier auf Erden! Wenn wir in unserem Gottesdienst nicht nur deutsche Lieder singen, sondern auch das griechische Kyrie eleison und das hebräische Halleluja, wenn wir Lieder auf Farsi und Dari und Englisch singen, wenn Menschen auch auf Finnisch die Vergebung der Sünden empfangen, dann ist das hier und jetzt schon ein kleiner Vorgeschmack des Himmels, eine wahrlich befreiende Alternative zu deutscher Volkstümelei. Und wenn wir dann schon mal in den Himmel blicken, dann sehen wir dort eben schon all die Christen aus dem Iran und Afghanistan, die schon längst an Christus geglaubt haben, als hier in Deutschland die Germanen noch um die Donarseiche tanzten. Unser Gottesdienst – er ist eine heilsame Erholung von deutscher Überheblichkeit und Arroganz, wie unsere Gemeindeglieder sie Tag für Tag im Umgang mit Behörden und Gerichten erleben müssen. Hier dürfen wir schon etwas von dem Himmel ahnen, aus dem einmal endgültig niemand mehr abgeschoben wird, in dem niemand Angst haben muss, dass er dort nicht hineinpasst, weil er nicht den Vorstellungen anderer entspricht.

Doch was machen nun all diese Menschen aus allen Völkern und Sprachen im Gottesdienst? Sie haben eine ganz klare Ausrichtung in ihrem Gottesdienst: Es geht nicht um sie selber, darum, dass sie dort im Gottesdienst irgendwelche besonders schönen Gefühle entwickeln, es geht ihnen auch nicht um eine gute Stimmung, sondern es geht nur um den einen: „Das Heil ist bei unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm!“ Es geht im Gottesdienst um unser Heil, um unsere Rettung, die allein in Christus zu finden ist. Nein, der Gottesdienst ist gerade keine Schulstunde, in der ein bestimmtes Thema bearbeitet wird, das die Teilnehmer lernen sollen. Es geht im Gottesdienst erst recht nicht um politische Indoktrination. Sondern es geht nur um eins, nein, um einen: um Christus, um Christus, und noch einmal um Christus, um ihn, das Lamm Gottes, das sein Leben für uns am Kreuz geopfert hat und nun auferstanden ist und in Ewigkeit lebt. Ja, es geht im Gottesdienst darum, dass dieser Jesus Christus uns immer wieder teilhaben lässt an den Quellen lebendigen Wassers, wenn wir sein Wort hören, wenn wir seinen Leib und sein Blut empfangen.

Gewiss, ein Unterschied bleibt: Die, die jetzt schon im Himmel vor dem Thron Gottes stehen, die brauchen keine Vergebung der Sünden mehr. Für sie ist der Kampf endgültig vorbei – der Kampf gegen alle Mächte des Bösen, die sie von Gott wegziehen wollten: die Sünde, die Welt, der Teufel, die Angst vor dem Tod. Für uns bleibt die Vergebung der Sünden ein entscheidender Grund, warum wir immer und immer wieder zum Gottesdienst kommen. Doch wenn wir hier am Altar mit dem Leib und Blut unseres Herrn die Vergebung unserer Schuld empfangen, dann schöpfen wir dabei schon jetzt aus denselben Quellen lebendigen Wassers, aus denen auch diejenigen schöpfen, die jetzt schon Christus mit ihren eigenen Augen schauen können. Es ist und bleibt der eine Gottesdienst im Himmel und auf Erden!

Feierlich liturgisch geht es beim Gottesdienst im Himmel zu. Da läuft kein Showmaster herum, um sein Publikum mit ein paar lustigen Sprüchen bei Laune zu halten, sondern da erklingen feierliche liturgische Gesänge, da sitzen diejenigen, die an diesem Gottesdienst teilnehmen nicht einfach herum, sondern fallen in ihrer Anbetung des Herrn immer wieder auf die Knie. Ja, wenn auch wir unsere Gottesdienste so festlich gestalten, dann machen wir das nicht, weil wir irgendwelche alten, überkommenen Traditionen pflegen wollen, sondern weil auch unser Gottesdienst ein Vorgeschmack des Himmels sein soll, weil wir hier schon einüben wollen, was einmal vor dem Thron Gottes in Vollkommenheit geschehen wird.

Ja, noch sind wir unterwegs zu diesem Ziel, an dem all diejenigen schon angekommen sind, die jetzt schon Christus schauen und in seiner sichtbaren Gegenwart den Gottesdienst feiern. Ja, so wird es hier in unserer Predigtlesung ausdrücklich betont: Die, die dort am Ziel angekommen sind, die unüberschaubar große Zahl der Heiligen, sie sind aus der großen Trübsal gekommen. Der Weg zu dem Ziel, das uns hier schon so wunderbar vor Augen gestellt wird, er führt immer wieder durch Leiden hindurch. Wenn die Glieder unserer Gemeinde heutzutage so vielfältige Anfeindungen vonseiten staatlicher Stellen erfahren, wenn sie erleben müssen, wie ein Staat, dessen Vertreter auch noch vorgeben, Christen zu sein, sie in den Tod zu schicken versucht, dann sollen und dürfen sie wissen: Anders war es auch vor 1900 Jahren nicht, als Johannes seine Offenbarung in der Verbannung auf Patmos schrieb. Dass der Staat sich immer wieder als christusfeindliche Macht zu erkennen gibt, das galt für die Christen damals wie für uns heute. In den ersten Jahrhunderten der Kirche sind Hunderttausende von Christen um ihres Glaubens willen in den Tod gegangen. Und auch heute vergeht kein Tag, an dem nicht Christen in so vielen Ländern dieser Welt um ihres Glaubens willen den Tod erleiden müssen. Die, die uns vorangegangen sind, machen uns Mut: Bleibt nur ja dran an Christus, allen Anfeindungen und Schikanen zum Trotz, die ihr erfahren müsst! Es lohnt sich, dass ihr um Christi willen so viel aufgegeben habt; es lohnt sich, dass ihr um Christi willen so viel Unrecht in diesem Land erleidet! Es geht dem Ziel entgegen, an dem Christus einmal endgültig Recht schaffen wird, ja, an dem Gott einmal alle Tränen von unseren Augen abwischen wird. Und weil wir das wissen, dürfen wir in aller Traurigkeit doch auch jetzt schon fröhliche Gottesdienste hier in unserer Dreieinigkeitskirche feiern. Denn Christus, der auferstandene Herr, er ist hier, um uns schon jetzt zu trösten und zu stärken. Und da wo Christus ist, da ist hier und jetzt schon der Himmel! Amen.

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