Philipper 1, 3-11 | 22. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
„Wie soll es mit der Gemeinde bloß weitergehen?“ – Schwestern und Brüder, ich gestehe, manchmal gehen mir solche Gedanken auch durch den Kopf. Und selbst wenn mir diese Gedanken nicht durch den Kopf gehen, werde ich auf dieses Thema immer wieder angesprochen: Das ist doch klar, dass die Leute jetzt hier alle nur noch sitzen, weil ihr Asylverfahren noch nicht beendet ist. Warte mal ab, wenn die Asylverfahren alle vorbei sind. Dann braucht ihr euren großen Gemeindesaal gar nicht mehr!
„Wie soll es mit der Gemeinde bloß weitergehen?“ – Solche Gedanken gingen wohl auch dem Apostel Paulus durch den Kopf. So gerne dachte er an seine Zeit in Philippi zurück. Die Gemeinde war gleichsam seine Lieblingsgemeinde gewesen; zu den Leuten dort hatte er einen besonders guten Draht gehabt – und die Gemeinde ließ ihn auch jetzt nicht hängen, sandte ihm immer wieder das eine oder andere Fresspaket. Und das konnte er auch dringend brauchen. Denn in der Zwischenzeit hatte sich auch bei ihm so einiges geändert. Er saß im Gefängnis und wusste nicht, ob er noch einmal freikommen würde oder ob er vielleicht schon in den kommenden Tagen hingerichtet würde. Keine schöne Perspektive. Und in dieser Lage schreibt er den Christen in Philippi nun einen Brief. Doch dieser Brief klingt nun ganz anders, als wir es von einem Menschen erwarten würden, der sich in solch einer Lage wie der Apostel Paulus befindet. Paulus klagt nicht über seine eigene Situation, er bringt auch nicht seine Sorgen in Bezug auf die Zukunft der Gemeinde in Philippi zum Ausdruck. Ganz anders blickt er auf die Zukunft seiner lieben Gemeinde in Philippi. Er blickt auf sie
- mit Dank
- mit Zuversicht
- mit Fürbitte
I.
„Ich danke meinem Gott“ – so beginnt der Apostel sein Schreiben an die Christen in Philippi hier. Wenn Paulus an die Gemeinde in Philippi denkt, dann ist zunächst einmal und vor allem Dank angesagt, Dank für die Gemeinschaft am Evangelium, die er mit dieser Gemeinde und in ihr erlebt hat. Paulus hat erfahren, was Gott in einer äußerlich kleinen und unscheinbaren Gemeinde alles zu bewirken vermag, wie er dazu in der Lage ist, die Herzen von Menschen zu verändern, wie er selber Gemeinde baut, wo wir selber gar nichts bewirken können. Dank ist das beste Gegenmittel gegen Sorge; Dank lenkt den Blick weg von Problemen, die einen zu erdrücken drohen, hin auf den, der uns beschenkt und uns schon so viel Gutes hat erfahren und erleben lassen.
„Wie soll es mit der Gemeinde bloß weitergehen?“ Nein, ich sitze nicht im Gefängnis, noch nicht jedenfalls – wir sollten das nicht als Möglichkeit ausschließen, dass Christen dies nicht auch in Deutschland in Zukunft wieder bevorstehen könnte. Aber da gibt es so vieles andere, was mich, was uns in unseren Gedanken gefangen zu nehmen droht: Die unerträglichen Entscheidungen, die im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über viele unserer Asylbewerber in diesen Wochen getroffen werden, die drohen, einen zu lähmen, einen nur noch mutlos werden zu lassen: Was soll der ganze Einsatz, wenn der deutsche Staat doch nur darauf aus ist, Christen hier wieder aus dem Land zu werfen? Ja, wie soll das hier bei uns bloß weitergehen? Soll ich die kommenden Jahre nur noch in den Fluren der Verwaltungsgerichte verbringen und auf das nächste Gerichtsverfahren warten?
„Ich danke meinem Gott“ – Das ist das erste und beste Gegenmittel gegen alle Verzagtheit, die einen gefangen zu nehmen droht. Das ist das erste, worauf wir blicken sollen: Auf das, was Gott in unserer Mitte alles getan hat und tut, wie er die Herzen von Menschen verändert hat, dass sie ihr Leben nun ganz vom Evangelium bestimmen lassen. „Ich danke meinem Gott“ – ja, das tue ich von Herzen. Ich danke Gott für einen jeden von euch, den ich heute Morgen hier sitzen sehe, ich danke Gott für eure Lebensgeschichten, an denen ihr mir Anteil gegeben habt, ich danke Gott für all die Wunder, die er in den vergangenen Jahren hier in unserer Gemeinde gewirkt hat. Und genauso sollt und dürft ihr es eben auch sprechen, wenn ihr euch so eure Gedanken darüber macht, wie es mit dieser Gemeinde wohl bloß weitergehen soll: Ja, ich danke meinem Gott für die anderen Gemeindeglieder, für all das, was er hier hat entstehen und wachsen lassen, ich danke meinem Gott für die Gemeinschaft, die ich hier erleben und erfahren darf. Solcher Dank verändert, lässt uns nicht länger auf die Defizite schauen, bewahrt uns davor, uns über die Gemeinde zu erheben und zu denken, wir seien etwas Besseres und für diese Gemeinde eigentlich gar nicht mehr geeignet. Nein, ich danke meinem Gott.
II.
Und wie soll es nun in der Gemeinde tatsächlich weitergehen? Paulus schreibt: Ich bin darin guter Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu.
Gleich an mehreres erinnert uns der Apostel in diesen Worten: Zunächst einmal erinnert er uns daran, wer denn eigentlich die Kirche baut und erhält: Christus hat das gute Werk angefangen, er vollendet es. Wir sind immer wieder so leicht geneigt, die Kirche und auch diese unsere Gemeinde zunächst und vor allem als unser Werk anzusehen, dessen Gelingen von unserem Einsatz, von unseren Anstrengungen abhängig ist. Doch das ist eben nicht richtig. Kein Pastor und kein Gemeindeglied hat diese Arbeit hier angefangen und wachsen lassen. Es war Christus selber, der dies getan hat, oft genug auch gegen unsere Widerstände. Und weil Christus hier die Arbeit angefangen hat, dürfen wir ihm auch zutrauen, dass er auch unsere Zukunft fest im Blick hat, ja, mehr noch, dass er diese Arbeit, die uns noch so offen erscheint, am Ende doch vollenden wird. „Zuversicht“ nennt Paulus das hier, das Vertrauen darauf, dass Christus tut, was wir nicht können, dass er uns unserem Ziel entgegenführt. Und dieses Ziel ist kein Geringeres als der Tag der sichtbaren Wiederkunft unseres Herrn. „Wie soll es mit der Gemeinde bloß weitergehen?“ Die Antwort ist klar und eindeutig: Sie geht Christus entgegen, besser gesagt: Christus kommt ihr entgegen, um sie in Empfang zu nehmen. Was für eine wunderbare Perspektive für unsere Arbeit! Das lässt uns in der Tat mit Zuversicht nach vorne blicken – auch wenn noch so viel dagegen zu sprechen scheint!
III.
Und dann macht der Apostel hier noch ein Drittes: Er betet für die Gemeinde in Philippi, betet vor allem darum, dass ihre Liebe reicher werde an Erkenntnis und aller Erfahrung, dass die Christen in Philippi dazu in der Lage sind, prüfen zu können, was das Beste ist.
Was für ein gutes Gebet ist das auch für unsere Gemeinde! Ja, darum wollen wir zunächst und vor allem beten, dass die Liebe in unserer Gemeinde immer noch reicher werde. Das brauchen wir ganz besonders, dass wir als Gemeinde nicht bloß zahlenmäßig wachsen, sondern dass wir eben auch geistlich wachsen, dass wir wachsen in der Erkenntnis, dass wir immer besser verstehen, was Gott uns in seinem Wort sagt, dass wir immer klarer erkennen können, was Gott für uns in unserem Leben will und was wir tun sollen. Und all dies ist gegründet in der Liebe, betont der Apostel. Ja, die brauchen wir über allem anderen, dass wir niemals auf die Idee kommen, es ginge in der christlichen Gemeinde nur um uns selber, um die Befriedigung unserer eigenen Bedürfnisse. Dringend nötig haben wir die Fürbitte füreinander, dass ein jeder dem anderen in Liebe begegnet, liebevoll mit ihm und über ihn redet, ihn annimmt, auch wenn er anders ist. Ja, um dieses Wachstum lasst uns beten, Tag für Tag. Lasst uns beten dafür, dass wir miteinander erkennen, was das Beste hier in der Gemeinde ist, das Beste für die, die schon dazu gehören und das Beste für die, die noch zu uns kommen sollen! Ja, so blicken wir am besten in die Zukunft unserer Gemeinde, dass wir Christus darum bitten, das bei uns zu tun, was nötig ist, was in seinem Sinne ist, kurzum eben: Was das Beste ist. Er wird es hören, er wird es tun, er wird uns führen – bis zu seinem großen Tag. Amen.