Philipper 3, 3-14 | 9. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Immer wieder erhalte ich per E-Mail ganz wunderbare Gewinnbenachrichtigungen. Mal habe ich in einem mir völlig unbekannten Lottospiel mehrere Millionen Euro gewonnen, mal meldet sich bei mir eine schwerreiche Witwe aus einem afrikanischen Land, um ausgerechnet mir das gesamte Vermögen ihres verblichenen Mannes zu vermachen. Ach, mit all den Gewinnen, die mir per E-Mail schon angekündigt worden sind, hätten wir uns hier schon längst eine Riesen-Kathedrale bauen können – Air Condition eingeschlossen.

Doch natürlich reagiere ich auf all diese wundervollen Gewinnbenachrichtigungen erst gar nicht, befördere sie im Gegenteil gleich in den elektronischen Papierkorb. Ich weiß: Diese Gewinnbenachrichtigungen haben alle einen gewaltigen Haken; hinter ihnen verbirgt sich kein Wohltäter, sondern jemand, der mich am Ende doch nur ausnutzen will, wenn ich ihm erst einmal meine persönlichen Angaben, wie erbeten, zukommen lasse. Der scheinbar so große Gewinn – er würde sich am Ende nur als großer Schaden herausstellen, wenn ich auf diese Versprechen hereinfallen würde.

Von einem großen Gewinn ist auch in der Epistel dieses heutigen Sonntags die Rede. Ja, dieser Gewinn stellt wirklich alles, auch das verlockendste Millionenangebot der Generalsgattin aus Nigeria bei weitem in den Schatten, selbst wenn dieses ganz real wäre. Der Apostel Paulus spricht hier von dem größten Gewinn, den je ein Mensch hat machen können, von einem Gewinn, der von gar nichts mehr auf der Welt getoppt werden kann. Und das Beste ist: Dieser Gewinn ist nicht bloß ein hohles Versprechen, kein Trick, kein Gag, sondern unfassliche Realität. Das leuchtet allerdings nicht unmittelbar ein, denn der Gewinn, von dem Paulus hier spricht, lässt sich nicht mit Zahlen beschreiben und bemessen; er zeigt sich nicht im Anwachsen eines Bankkontos, in blendender Gesundheit und beständigem beruflichem Erfolg im Leben. Von außen betrachtet hat Paulus da einen ganz schlechten Deal gemacht: von einem gesellschaftlich anerkannten, beruflich erfolgreichen Rabbiner mit glänzenden Karrierechancen zu einem Wanderprediger, der sich sein Geld mühsam mit eigener Handarbeit verdienen musste und dazu auch noch dauernd damit rechnen musste, verhaftet und verprügelt zu werden.

Doch Paulus weiß, warum er hier von einem Riesen-Gewinn spricht: Er hat ja den mit eigenen Augen gesehen, der der große Gewinn seines Lebens ist, der, der seinem Leben eine völlig neue Richtung, eine völlig neue Perspektive gegeben hat: Mit eigenen Augen hatte er Christus, seinen Herrn, gesehen, hatte selber wahrnehmen können, dass dieser Christus nicht länger tot im Grab herumlag, sondern offenkundig stärker war als der Tod. Mit eigenen Augen hatte er sehen können, dass er in seinem bisherigen Leben völlig falsch gelegen hatte, als er dachte, es käme nur darauf an, Gottes Gebote alle einzuhalten, um am Ende vor Gott bestehen zu können. Nein, so erkannte er, als er Christus von einem Augenblick auf den anderen sah: Wichtig ist nur noch eins: Zu ihm, Christus, zu gehören, in seiner Gemeinschaft zu leben.

Normalerweise ist es im Leben ja so: Wenn einer gewinnt, verlieren die anderen. Genau so haben wir es ja auch gerade wieder bei der Fußball-Europameisterschaft erfahren. Wenn Paulus sich jetzt schon den größten Gewinn geschnappt hat – was bleibt dann eigentlich für uns noch übrig?

Doch genau das ist die gute Nachricht unserer Epistel: Ihr bekommt nicht bloß einen Trostpreis ab. Sondern ihr bekommt genau denselben Hauptgewinn, den Paulus bekommen hat und von dem er hier so schwärmt. Es ist einfach ein wunderbarer Anblick, den ich heute Morgen hier vor mir habe: Eine ganze Kirche voll mit Gewinnern, mit Menschen, die den größten Gewinn ihres Lebens gemacht haben!

Ja, ich weiß, für Außenstehende ist das nicht gleich nachvollziehbar: Ein Mensch, der in seiner Heimat seinen Beruf, sein Haus, seine Familie zurücklassen musste, der jetzt in einer Turnhalle schlafen muss – das ist der größte Gewinner überhaupt? Ja, ihr wisst es: Ihr seid es, Menschen, die so viel aufgegeben und am Ende doch viel, viel mehr gewonnen haben.

Ja, du bist immer ein Gewinner, wenn du Christus hast. Du bist immer ein Gewinner, seit Christus sich mit dir verbunden hat im Wasser der Taufe, seit er dir dort die ganze Schuld deines Lebens abgewaschen hat und du nun von ihm umgeben, mit ihm umkleidet, vor Gott hintreten darfst. Du bist ein Gewinner, seit Christus  dir in der Taufe ein Leben geschenkt hat, das nie mehr aufhört. Du bist ein Gewinner, seit Christus dir in der Taufe eine Lebensperspektive eröffnet hat, die dir niemand mehr nehmen kann, und wenn du in deinem Leben noch so viel Schweres durchmachen musst. Du bist ein Gewinner, weil du auch heute wieder den größten Schatz bekommst, den du auf Erden überhaupt erhalten kannst: den Leib und das Blut deines Herrn. Ja, du bist ein Gewinner, weil Christus in dir lebt und du in ihm.

Wenn dir das einmal aufgegangen ist, was das bedeutet, dass du Christus hast, dass du mit ihm verbunden bist, ihm, dem Herrn über den Tod, ihm, dem Sieger über den Teufel, ihm, deiner einzigen Rettung in Gottes letztem Gericht – ja, wenn dir das einmal aufgegangen ist, dann wird sich alles andere, was sonst in deinem Leben so wichtig erscheinen mag, noch einmal neu ordnen:

Da gibt es so manche unter euch, die mit ihrer Taufe den Kontakt zu ihrer eigenen Familie verloren haben, weil die nun von euch nichts mehr wissen will, weil ihr Christen seid. Doch wie oft habe ich es schon aus eurem Munde gehört: Ich habe meine Familie verloren, aber ich habe Christus gefunden – und das bedeutet mir viel mehr!

Da gibt es so manche unter euch, die früher einmal finanziell sehr gut gestellt waren, denen es früher wirklich finanziell viel besser ging als heute mit der Sozialhilfe. Aber ihr wisst: In Wirklichkeit seid ihr viel reicher geworden, seit ihr Christus gewonnen habt.

Da gibt es viele unter uns – ach, wen betrifft es eigentlich nicht? –, in denen diese Vorstellung ganz tief drinsteckt: Ich bin doch eigentlich ein ganz anständiger Mensch, mit mir müsste Gott doch eigentlich ganz zufrieden sein. Wenn ich mir so manche andere Leute ansehe, dann sollte Gott eigentlich heilfroh sein, dass er so gute Leute wie mich zu sich in den Himmel bekommt! O, das kann ganz schön schwer sein, diese Vorstellung, diese Selbsteinschätzung aufzugeben, zu erkennen: Ich habe es nicht verdient, in den Himmel zu kommen. Und wenn ich mich auf meine guten Werke, auf mein anständiges Leben vor Gott verlasse, dann mache ich den größten Fehler meines Lebens. Ja, das kann ganz schön schwer sein, diese Vorstellung aufzugeben, die es ja nicht nur im Islam gibt, sondern die auch so viele Menschen hier in Deutschland ganz selbstverständlich teilen: Wenn ich ein guter Mensch war, dann komme ich nachher auch in den Himmel. Aufgeben können und werden wir diese Vorstellung nur dann, wenn wir auf Christus schauen, wenn uns klar wird, was er für uns getan hat. Wenn Christus mir schon das ewige Leben geschenkt hat – wieso sollte ich noch versuchen, es mir irgendwie zu verdienen? Wenn Christus mir schon all meine Schuld vergeben hat – wieso sollte ich da noch versuchen, mit meinen guten Werken etwas auszugleichen?

Ja, das ist etwas, was wir unser ganzes Leben lang immer wieder einüben müssen: Ganz von uns selber wegzuschauen hin auf ihn, Christus, alles Vertrauen auf die eigenen Leistungen, alle Vergleiche mit anderen, die doch schlechter sind als wir, fahren zu lassen. Das geht tatsächlich nur so, dass wir uns immer und immer wieder hier von Christus beschenken lassen, dass wir es Sonntag für Sonntag einüben, mit ganz leeren Händen vor ihm zu stehen.

Doch vielleicht geht es uns in unserem Leben ja auch so, dass wir tatsächlich ganz klar sehen, dass es da nichts gibt, was wir Gott an großen Erfolgen präsentieren könnten. Vielleicht geht es uns ja tatsächlich so, dass da in unserem Leben so viel kaputt ist, dass wir so wenig auf die Reihe bekommen haben, dass wir wirklich auch nicht wüssten, worauf wir eigentlich stolz sein sollten. Doch auch und gerade dann macht Christus dich zu einem großen Gewinner: Bei ihm haben gerade auch die einen Platz an seinem Tisch, die in ihrem Leben einfach nur versagt haben.

Ja, euer Gewinn steht schon fest; den kann euch keiner mehr streitig machen. Aber noch sind wir tatsächlich unterwegs; noch sind wir nicht am Ziel. Unser ganzes Leben ist ein Lauf, der der großen Siegesfeier am Ende entgegenführt. Verlieren wir dieses Ziel nur ja nicht aus den Augen; lassen wir uns durch nichts und niemanden davon abhalten, uns darauf immer wieder neu auszurichten! Nein, du bist nicht schon am Ziel, wenn du den Brief mit deiner positiven Antwort im Asylverfahren in den Händen hältst! Du bist nicht schon am Ziel, wenn du eine wichtige Prüfung bestanden hast. Du bist erst dann am Ziel, wenn du schließlich auch mit eigenen Augen deinen Herrn Jesus Christus schauen wirst. Bis dahin bleibt es dabei: Lass dich bloß nicht von allem möglichen anderen ablenken, fange bloß nicht an, in eine andere Richtung zu laufen! Der Platz bei der Siegesfeier ist schon reserviert für dich; es ist alles schon vorbereitet! Gib das bloß niemals wieder auf!

Und wenn dir die Beine weich werden auf dem Weg zum Ziel, dann denke daran: Derselbe Christus, dem du entgegenläufst, hat dich schon längst ergriffen, hält dich schon längst in seinen Händen, trägt dich selber diesem letzten Ziel entgegen. Du begreifst noch nicht ganz, was das eigentlich heißt? Das ist auch gar nicht so wichtig! Hauptsache, Christus hat dich ergriffen! Wenn er dich hat und du ihn hast, dann hast du wirklich alles – den Hauptgewinn! Amen.

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