Philipper 3,7-14 | 9. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Das interessiert doch kein Schwein! Schwestern und Brüder: Mit solchen Reaktionen muss man heutzutage rechnen, wenn man über die Frage spricht, wodurch wir einmal bei Gott in seinem letzten Gericht gerettet werden. Für diese Frage interessiert sich scheinbar nicht nur kein Schwein, sondern heutzutage auch kaum noch ein Mensch, ja, Predigten über diese Frage sucht man heute in vielen Kirchen vergeblich. Andere Themen interessieren doch scheinbar viel mehr: Wie können wir diese Welt und das Klima auf ihr retten? Wie können wir in unserem Leben Erfolg haben? Wie kann ich hier in Deutschland einen Aufenthalt bekommen? Oder vielleicht auch nur: Wo steigt die nächste Party?

Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß: Immer wieder wird dies der Kirche zum Vorwurf gemacht, dass sie angeblich auf Fragen antwortet, die keiner mehr stellt. Doch der Auftrag der Kirche besteht eben nicht darin, die Erwartungshaltungen derer zu befriedigen, die noch zu ihr gehören oder die sich möglicherweise für sie interessieren könnten. Sondern sie hat zu verkündigen, was auch dann noch für jeden Menschen die allerwichtigste Frage seines Lebens bleibt, wenn sich dafür scheinbar oder tatsächlich niemand interessiert. Und diese Frage ist und bleibt die, wodurch wir einmal bei Gott in seinem letzten Gericht gerettet werden. Ich kann die Frage beiseite tun und für Quatsch halten. Aber deswegen lässt Gott sein letztes Gericht nicht ausfallen. Selbst wenn es uns gelänge, das Klima auf dieser Welt wieder menschenfreundlicher zu gestalten, ändert das nichts daran, dass ein jeder von uns einmal von Gott nach seinem Leben gefragt werden wird. Selbst wenn ich in meinem Leben noch und noch Erfolg habe und es mir richtig gut geht, ändert das nichts daran, dass ich mich am Ende meines Lebens vor Gott verantworten muss. Selbst wenn ich endlich meinen ersehnten Aufenthaltstitel hier in Deutschland bekommen habe, tue ich gut daran, nicht zu vergessen, dass ich mit diesem Aufenthaltstitel allein ganz gewiss nicht in den Himmel kommen werde. Und wenn sich mein Leben nur noch darauf beschränkt, möglichst viel Party machen zu können, werde ich einmal feststellen, dass ich damit mein Leben todsicher verfehlt habe.

Ja, stell dir vor: Mit dem Tod ist nicht alles aus. Du stehst da und musst dich für dein Leben verantworten. Ja, stell dir vor: Noch während die ganze Welt versucht, das Klima zu retten, kommt Christus wieder und stellt alle Menschen vor sich, fragt auch dich nach deinem Leben. Was würdest du antworten?

Die Standardantwort der Menschen heute dürfte wohl lauten: Ich bin immer ein anständiger Mensch gewesen, bin immer freundlich und hilfsbereit gewesen, habe mich darum bemüht, anderen Gutes zu tun. Und abgesehen davon wird der liebe Gott das am Ende ja wohl nicht allzu ernst nehmen mit seinem letzten Gericht. Ein witziger Spruch auf den Lippen, ein kumpelhaftes Schulterklopfen mit Petrus an der Himmelspforte – und schon sind wir durch. Alles andere wäre ja wohl finsteres Mittelalter!

Der Apostel Paulus war sich früher auch mal ganz sicher gewesen, dass er in den Himmel kommt. Schließlich hatte er anscheinend alle Voraussetzungen erfüllt, um vor Gott bestehen zu können: Er konnte auf seine Zugehörigkeit zum Volk Gottes verweisen, hatte sich darum bemüht, alle Gesetzesvorschriften des jüdischen Gesetzes einzuhalten, hatte sich gegenüber anderen mit Feuereifer dafür eingesetzt, dass sie auch so fromm und vorbildlich lebten wie er selber.

Doch dann erlebte er von einer Minute auf die andere, dass er sich mit seinem ganzen Leben, mit seiner ganzen Lebenseinstellung total getäuscht hatte, dass all das, was er bisher in seinem Leben getan hatte, ihn in Wirklichkeit nicht näher an den Himmel herangebracht hatte, sondern im Gegenteil ihm den Weg zum Himmel verbaut hatte, ihn daran gehindert hatte, vor Gott in seinem letzten Gericht bestehen zu können. Denn da erschien ihm mit einem Mal einer, nach dem er überhaupt nicht gefragt hatte, den er überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt hatte, den er höchstens als Störenfried irgendwo wahrgenommen hatte: Da erschien ihm mit einem Mal der auferstandene Herr Jesus Christus, als er gerade dabei war, nach Damaskus zu reisen, um dort die christliche Gemeinde zu verfolgen. Da merkte er mit einem Mal: Die wichtigste Frage meines Lebens ist gerade die, die ich selber niemals gestellt hatte. Die einzige Rettung meines Lebens besteht nicht darin, dass ich solch ein frommer und guter und anständiger Mensch bin. Sondern die einzige Rettung meines Lebens besteht darin, dass ich mit Christus verbunden werde, dass ich „in ihm gefunden werde“, wie Paulus es hier so eindrücklich formuliert. Nicht was ich an Gutem in meinem Leben getan habe, bringt mich in den Himmel, sondern einzig und allein, was Christus für mich getan hat, was er mir schenkt, wenn ich mit ihm verbunden werde. Ja, eine totale Neubestimmung seines Lebens muss der Apostel daraufhin vornehmen: All die Pluspunkte bei Gott, die er scheinbar in seinem Leben mit seinen guten Werken gesammelt hatte, die erweisen sich nun mit einem Mal als Minuspunkte, als Schaden. Ja, Paulus scheut noch nicht einmal davor zurück, sein bisheriges frommes Leben mit einem Kraftausdruck, mit dem uns wohlbekannten Sch-Wort zu beschreiben. Das Einzige, was all diese Minuspunkte noch aufzuwiegen vermag, ja, der Einzige, der all diese Minuspunkte aufzuwiegen vermag, ist Christus allein. Hauptsache, ich lebe in ihm und er in mir. Dann steht am Ende meines Lebens eben doch ein großes, ja das entscheidende Plus: das Plus, das die Form des Kreuzes meines Herrn Jesus Christus hat, der dort auch für mich gestorben ist.

Darum, Schwestern und Brüder, sprechen wir in der Kirche über diese eine Frage und die Antwort darauf, von denen angeblich oder tatsächlich kein Schwein etwas wissen will: Denn die Erfahrung des Paulus ist eben nicht bloß seine persönliche Erfahrung, nicht bloß seine persönliche Ansicht oder Antwort auf seine eigene Lebensfrage. Sondern was Paulus erfahren und erkannt hat, das ist und bleibt für jeden Menschen auf dieser Welt die entscheidende Antwort auf seine Lebensfrage, ganz gleich, ob er diese Lebensfrage in dieser Form überhaupt gestellt hat oder nicht.

Ich komme nicht durch meinen Einsatz für den Klimaschutz in den Himmel, erst recht nicht dadurch, dass ich für jeden Flug mit dem Flugzeug eine bestimmte Summe als Ablass zahle. Ich komme nicht dadurch in den Himmel, dass ich Gott einmal die Erfolge meines Lebens vorweisen kann. Ich komme nicht dadurch in den Himmel, dass ich Gott einmal meine deutsche Staatsbürgerschaft zeigen kann. Ich komme nicht dadurch in den Himmel, dass ich immer anständig war. Im Gegenteil: Wenn ich mich auf mich und meine guten Taten verlasse, dann bin ich auf dem besten Wege dazu, mein Leben zu verfehlen, und zwar ganz gründlich und entscheidend.

Ja, das ist eine schmerzliche Einsicht, zu der uns Christus führt, eine Einsicht, die Menschen immer wieder dazu nötigt, ihr ganzes Leben noch einmal neu zu bewerten, zu erkennen, was denn nun wirklich wichtig war in ihrem Leben und was sich am Ende eben gerade nicht als scheinbar so großes Plus, sondern schlichtweg als Hundekacke herausstellen wird: eben alles, was mich daran hindert, meine Rettung allein in Jesus Christus zu finden.

Schwestern und Brüder: Genau darum geht es schließlich auch, wenn ein Mensch einmal beerdigt wird, wenn auch wir einmal beerdigt werden, falls Christus bis dahin noch nicht wiedergekommen ist: Worüber soll bei deiner Beerdigung gesprochen werden: Dass du ein guter Mensch warst, dass du auch viel Gutes in der Kirche getan hast, dass du ein guter Familienvater oder eine gute Mutter warst, dass du in deinem Leben viele Reisen unternommen hast und viele Freude hattest, dass du immer ein lustiger Mensch warst? Weh dir, wenn das alles ist, was einmal am Ende deines Lebens über dich gesagt werden kann! Eine solche Zusammenfassung deines Lebens wäre nicht weniger als eine Bankrotterklärung! Ja, Gott geb’s, dass einmal an deinem Grab eine ganz andere Predigt gehalten wird: Dass davon gesprochen wird, dass du ein armer, elender Sünder warst, der eigentlich die Hölle verdient hätte, aber dass auch du in deinem Leben bis zum Schluss in Christus gefunden worden bist, mit ihm vereint, dass durch ihn die ganze Schuld deines Lebens vergeben worden ist und wir darum gewiss sein dürfen, dass auch du in der Gemeinschaft mit Christus zur Auferstehung der Toten gelangst! Ja, Gott geb’s, dass Christus das entscheidende Thema, die entscheidende Mitte deines Lebens ist und bleibt – und dass genau davon die Rede ist, wenn Menschen über dich und dein Leben sprechen!

Noch ist es nicht soweit. Noch sind wir alle miteinander unterwegs zu diesem entscheidenden Ziel unseres Lebens. Aber natürlich bestimmt dieses Ziel schon jetzt unser Leben ganz und gar. Wenn am Ende meines Lebens nur dies eine zählt, ob ich mit Christus verbunden bin, dann werde ich auch jetzt schon mein Leben ganz danach ausrichten, mit Christus verbunden zu bleiben. Dann wird es für mich nichts Wichtigeres geben, als immer wieder neu sein Wort zu hören, seine Vergebung zu empfangen, mit ihm, Christus, leibhaftig eins zu werden im Heiligen Mahl. Dann bleibt immer noch genügend Zeit für all die anderen Dinge meines Lebens, die natürlich auch dran sind, für die Familie, für die Arbeit, für die Begegnung mit anderen Menschen, ja, auch für den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt. Aber nichts davon soll uns den Blick verstellen auf Christus, auf die Begegnung mit ihm, die am Ende unseres Lebens steht.

Und wenn wir dann auf uns selber schauen und feststellen, dass uns Christus doch immer wieder so schnell aus dem Blick gerät, dass uns die Sorgen und Probleme unseres Lebens doch immer wieder so schnell den Blick auf Christus versperren? Ach, wie gut, wenn wir gerade so immer wieder lernen, was am Ende wirklich zählt: nicht dass wir Christus ergriffen haben, nicht dass wir uns für ihn entschieden haben, sondern dass wir hier und jetzt schon von Christus Jesus ergriffen sind – dass er uns packt und festhält in der Gemeinschaft mit ihm, dass er uns immer wieder an sich zieht. Ja, gerade darum müssen wir eben nicht die ganze Zeit uns mit dieser Frage herumschlagen, ob wir denn nun in den Himmel kommen werden, ob wir denn nun gerettet werden. Gerade weil uns Christus immer wieder ergreift mit seinem Leib und Blut im Heiligen Mahl, haben wir Kopf und Hände frei für andere Menschen, die uns und unsere Hilfe brauchen, können wir fröhlich und getrost viel Gutes tun – gerade weil wir wissen, dass uns das nicht in den Himmel bringt. Und gerade weil uns Christus immer wieder ergreift mit seinem Leib und Blut im Heiligen Mahl wissen wir auch, dass auch Leiden und Versagen in unserem Leben nicht sinnlos und vergeblich sind, sondern uns im Gegenteil immer fester mit Jesus Christus verbinden auf unserem Weg mit ihm zum Ziel. Ach, geb’s Gott, dass noch vielen, vielen Menschen gerade auch hier in unserem Land aufgeht, was in ihrem Leben wirklich wichtig ist – und wie gut wir es als Christen haben! Amen.  

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