Predigt im Abschlussgottesdienst der Kinderbibelwoche über David und Saul | 7. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Immer wieder werden biblische Texte mit einem Mal so hochaktuell, dass es einem fast den Atem verschlägt und man sich fragt, wie man damit eigentlich noch umgehen kann.

Da haben wir gerade in der Darbietung der biblischen Geschichte durch die Kinder den König Saul gesehen, haben erlebt, wie immer wieder ein böser Geist über König Saul kam und der mit einem Mal total ausrastete und Dinge tat, die ihm nachher wieder leid taten. Ja, da tun sich Abgründe auf, die man in einer Geschichte, die von Kindern dargestellt wird, natürlich höchstens andeuten kann. Ein eigentlich friedlicher Mensch, der mit einem Mal zu einem Speer greift und einen Menschen töten will. Ein Mensch, dem seine Berater eine Musiktherapie zur psychischen Stabilisierung verordnen. Ein Mensch, in dessen Verhalten man so schwer Krankheit, Schicksal und Schuld auseinanderhalten kann. Ein Mensch, der immer wieder nur im Nachhinein zumindest teilweise erkennen kann, was er da beinahe angerichtet hätte. Böser Geist – sagt die Bibel. Das hat nichts mit spektakulären Exorzismusfilmen im Fernsehen zu tun, wohl aber mit einer Tiefendimension unseres Menschseins, dass jeder Mensch von so etwas gepackt werden kann, ohne Ausnahme, was damals dem König Saul widerfuhr.

Und während wir hier fröhlich unsere Kinderbibelwoche hielten, konnte man in dieser Woche in den Medien von einem Mann hören, der am Hauptbahnhof in Frankfurt ein 8jähriges Kind vor einen fahrenden Zug gestoßen und getötet hat. Eine unfassliche Tat, die mir selber auch sehr nahegegangen ist. Ich habe bei dieser Kinderbibelwoche noch einmal doppelt so genau darauf geachtet, dass alle Kinder vor der Einfahrt eines Zuges sehr weit weg von der Bahnsteigkante standen. Ja, wie kann ein Mensch so etwas machen? Ein tiefgläubiger Christ war dieser Mann, so erfuhr man in den folgenden Tagen, lange Zeit seit seiner Einreise in die Schweiz im Jahr 2006 ein Musterbeispiel gelungener Integration. Doch da dieser Mann eine schwarze Hautfarbe hatte, löste seine Tat sofort auf breiter Linie Reflexe unter den besorgten Bürgern Deutschlands aus, über die man nur noch erschrecken konnte: Da erklärte ein Sprecher einer Bundestagsfraktion allen Ernstes diese Tat zur Folge der Willkommenskultur in Deutschland, andere forderten sofort den Rücktritt der Bundeskanzlerin, als ob diese Tat auch nur irgendetwas mit der Einreise von Flüchtlingen im Jahr 2015 zu tun hatte – und unser Bundesinnenminister entblödete sich nicht, eine Schleierfahndung an der Schweizer Grenze anzukündigen. Ja, es ist erschreckend, was für rassistische Reflexe eine schwarze Hautfarbe bei so vielen Menschen in Deutschland auslöst, wie da im Internet über die primitiven Schwarzen im Allgemeinen und Besonderen hergezogen wurde, wie man deutlich merken konnte, mit was für einem Triumphgefühl diese entsetzliche Tat von vielen aufgenommen und missbraucht wurde: Da sehen wir es mal wieder, was nichtarische Menschen alles so Schlimmes anstellen!

Hinweise auf die psychische Erkrankung des Täters wurden dabei zumeist nur spöttisch kommentiert. Ja, es ist richtig: Menschen, die Furchtbares in ihrem Leben durchgemacht haben, stehen in einer größeren Gefahr, psychisch auffällig zu werden. Doch betroffen von solchen Erkrankungen sind Deutsche ebenso wie Menschen mit anderer Hautfarbe – nicht anders als der König Saul damals auch schon. Das kannst du nicht ausschließen, dass du einmal so herumtoben wirst wie König Saul, und das kann ich nicht ausschließen, dass ich vielleicht auch irgendwann einmal anfange, Stimmen zu hören, die mir befehlen, einen anderen Menschen zu töten, weil Gott mich damit beauftragt hat. Um das allerdings auch klar zu sagen: Psychisch kranke Menschen sind im Durchschnitt nicht gefährlicher als Menschen, bei denen solch eine Diagnose nicht gestellt wurde. Diejenigen in unserem Land, die engagierte Christen in ihre muslimische Heimat abschieben wollen, gefährden mit Sicherheit das Leben von mehr Menschen als 99,9% aller psychisch kranken Menschen. Und umgekehrt können wir auch nicht jedes Fehlverhalten eines Menschen nun gleich als psychische Störung einordnen. Wenn in den Ablehnungsbescheiden des BAMF unsere Gemeindeglieder immer wieder als Feinde der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet werden, dann ist das keine kollektive Wahnvorstellung der betreffenden Entscheider, sondern einfach nur ganz primitiver Rassismus.

Aber, wie gesagt: Es gibt ihn auch heute noch, den bösen Geist, der über Menschen kommt, der auch über einen jeden von uns kommen kann, uns verändern kann, dass wir uns selber gar nicht mehr wiedererkennen. Die Bibel ist da schon hochmodern, lässt uns in Abgründe unseres Menschseins blicken, über die wir am liebsten hinwegschauen würden. Wir sind eben nicht so sehr die Herren unserer selbst, wie wir uns das selber wünschen. Und wir tun erst recht nicht gut daran, uns immer tiefer in uns selber zu versenken – denn da tief unten finden wir gerade nicht das Licht, sondern immer wieder nur Finsternis. Ja, wie gut, dass wir nicht unser eigen sind, wie gut, dass Gott unser Leben selbst dann noch in seiner Hand hält, wenn es uns selber ganz und gar zu entgleiten droht oder tatsächlich entgleitet! Und wie gut, dass es nicht unsere Aufgabe ist, Richter über andere zu spielen, über sie zu urteilen oder sie gar zu verurteilen! Wir würden uns selber täuschen, wenn wir glauben, wir könnten mit unseren Methoden und Mitteln tatsächlich den bösen Geist aus dieser Welt oder auch nur aus diesem Land verschwinden lassen. Immer wieder werden wir auch in Zukunft fassungslos davor stehen, was Menschen an Bösem zu vollbringen vermögen, wie gerade gestern Abend der offenbar weiße Terrorist, der in El Paso 20 Menschen erschossen hat. Unsere einzige Hoffnung ist und bleibt Gott allein, der die Geschichte unseres Lebens und die Geschichte dieser Welt trotz all des Bösen, was uns widerfährt und was wir vielleicht auch anderen antun mögen, dennoch noch zu einem guten Ziel zu führen vermag. Das hat er gezeigt, als er aus der Untat der Ermordung seines eigenen Sohnes Leben für die ganze Welt hat erstehen lassen.

Bergen wir uns darum immer wieder neu in die Arme unseres Herrn Jesus Christus, leben wir aus seiner Barmherzigkeit – und gehen wir dann auch mit denen, die vom bösen Geist gepackt wurden, so barmherzig um, wie es David damals mit Saul auch gemacht hat! Ja, danken wir Gott auf Knien dafür, wenn er uns die dunklen Täler erspart, durch die so viele Menschen in unserem Land gehen müssen – diejenigen, die vom bösen Geist gepackt werden ebenso wie die, die ihre Opfer werden! Ja, sehnen wir täglich neu den Tag herbei, an dem Gott selber einmal alles Böse vernichten wird! Ja, Vater, erlöse uns von dem Bösen! Amen.

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