Römer 12,1-8 | Fest der Taufe Christi | Pfr. Dr. Martens

In der letzten Zeit erhalten viele Glieder unserer Gemeinde, denen vor drei oder vier Jahren die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen wurde, Briefe vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Bundesamt erklärt ihnen, man wolle bei ihnen ein Widerrufsverfahren einleiten, das am Ende darauf hinauslaufen würde, dass ihnen ihre Aufenthaltsgenehmigung hier in Deutschland wieder entzogen wird. In den Briefen werden die Glieder unserer Gemeinde nun dazu aufgefordert, alle möglichen Fragen, in schönstem Behördendeutsch formuliert, zu beantworten. Und zu diesen Fragen gehört immer wieder auch die, welche „Glaubensriten“ unsere Gemeindeglieder im Alltag praktizieren.

Immer wieder reibe ich mir verwundert die Augen: An der Durchführung von „Glaubensriten“ will der deutsche Staat erkennen, ob jemand denn nun ein wirklicher Christ geblieben ist oder nicht? Das ist natürlich ein durch und durch muslimisches Denken, das mittlerweile ganz selbstverständlich von den Verantwortlichen unseres Staates übernommen worden ist. Ganz ähnlich hatte ja auch das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr letzten Jahres erklärt, die Richter müssten bei christlichen Konvertiten vor allem überprüfen, welche Glaubensgebote sie für sich selber als verbindlich ansehen. Dass solches Denken mit dem christlichen Glauben nichts, aber auch gar nichts zu tun hat, wird in einer Gesellschaft, die in Fragen des christlichen Glaubens eine bemerkenswerte Bildungsferne entwickelt hat, überhaupt nicht mehr wahrgenommen.

Nein, es geht im Alltag eines Christen gerade nicht darum, irgendwelche „Glaubensriten“ zu vollziehen, so macht es auch der Apostel Paulus in der Epistel dieses ersten Sonntags nach Epiphanias, dem Fest der Taufe Christi, deutlich. Von einem „vernünftigen Gottesdienst“ spricht der Apostel stattdessen und ruft die Christen dazu auf, diesen „vernünftigen Gottesdienst“ in ihrem Alltag zu vollziehen.

Nun kann ich mir schon vorstellen, wie vermutlich so manche Predigt, die heute von deutschen Kanzeln herab gehalten wird, an dieser Stelle aussehen wird: Da wird sich so mancher Prediger und so manche Predigerin nicht entblöden, gegen liturgische Gottesdienste in der Kirche herzuziehen und stattdessen die Austeilung von warmen Suppen für Obdachlose in der Kirche als den viel christlicheren Gottesdienst anzupreisen. Doch wer so argumentiert, hat nichts, aber auch gar nichts von dem verstanden, worum es dem Apostel Paulus hier in unserer Epistel eigentlich geht:

Das, was wir am Sonntagmorgen und jetzt in dieser Coronazeit darüber hinaus zu so vielen anderen Zeiten in der ganzen Woche feiern, wird im Neuen Testament an keiner einzigen Stelle als „Gottesdienst“ bezeichnet. Dabei ist das Wort „Gottesdienst“, wenn man es richtig versteht, eigentlich eine sehr schöne Beschreibung für das, was bei uns in der Kirche immer wieder abläuft. Doch das Wort wird leider immer wieder missverstanden – und lässt sich beispielsweise auf Farsi auch gar nicht richtig übersetzen.

Wenn ich im Taufunterricht das Thema „Gottesdienst“ behandle, dann beginne ich immer damit, dass ich den Taufbewerbern deutlich mache, dass es für das, was ich jetzt besprechen werde, gar kein persisches Wort gibt. Manche sagen zum Gottesdienst „marasem“ – das heißt aber eigentlich nur so viel wie „Veranstaltung“, und wenn sie dieses Wort unglücklicherweise auch noch in ihren Anhörungen beim Bundesamt gebrauchen, dann kann man schon fast darauf wetten, dass die Dolmetscher dieses Wort dann auch tatsächlich nur mit „Veranstaltung“ wiedergeben – und am Ende auch der BAMF-Entscheider gar nicht auf die Idee kommt, dass der Betreffende gerade nicht bloß vom gemeinsamen Mittagessen nach dem Gottesdienst gesprochen hat. Andere sagen zum Gottesdienst „doa“, was eigentlich „Gebet“ heißt und eigentlich die muslimischen Gebetsgottesdienste in der Moschee bezeichnet. Nein, um solch ein „doa“ geht es natürlich erst recht nicht bei uns in der Kirche. Und wieder andere gebrauchen das Wort „ebadat“, was eigentlich ein arabisches Wort ist und so viel wie „Dienst“ heißt. Doch alle drei Worte bringen eben nicht zum Ausdruck, was das Wort „Gottesdienst“ eigentlich bedeutet, nämlich: Gottes Dienst an uns. Gott dient uns, nicht wir dienen Gott. Das passiert, wenn wir hier zusammenkommen, dass wir uns von Gott bedienen und beschenken lassen. Und da merken wir schon, dass das auf einer ganz anderen Ebene liegt als die Suppenküche oder sonstige Einsätze, die wir als Christen tätigen mögen.

Ja, der Apostel Paulus spricht hier in unserer Epistel von unserem Gottesdienst in der Kirche, und zwar gleich am Anfang: Er nennt ihn „Barmherzigkeit Gottes“. Der Gottesdienst, in dem Gott uns dient und mit seiner Barmherzigkeit beschenkt, er ist also die Grundlage für alles Weitere, was der Apostel im Weiteren über das alltägliche Leben von uns Christen schreibt: Weil wir von Gott beschenkt sind, weil Gott alles getan hat, um unser Verhältnis zu ihm wieder in Ordnung zu bringen, darum, ja darum allein versetzt er uns dazu in die Lage, nun auch unsererseits Gott dienen zu können. Und in diesem Dienst spiegelt sich nun genau das wider, was wir hier im Gottesdienst in der Kirche miteinander erleben.

Der Gottesdienst, in dem Gott uns dient, ist nämlich ein leiblicher Gottesdienst, ein Gottesdienst, den wir mit unseren Leibern feiern. Mit unseren Leibern finden wir uns in unserer Kirchenbank ein, mit unseren Leibern treten wir an den Altar, um mit eben diesen Leibern leibhaftig den Leib und das Blut Christi zu empfangen. Darum sind Online-Gottesdienste, die wir uns am Computer anschauen, gerade keine moderne Weiterentwicklung des Gottesdienstes, sondern höchstens eine allerletzte Notlösung, wenn leibhaftige Gottesdienste über eine längere Zeit unmöglich sind. Doch ihnen fehlt eben etwas ganz Entscheidendes: Sie sind nicht leibhaftig, sondern nur virtuell, was darin am deutlichsten wird, dass in ihnen natürlich der Empfang des Sakraments fehlt. Paulus geht von einem leibhaftigen Gottesdienst aus, den wir miteinander feiern, und zieht daraus die Konsequenz, dass wir als Christen auch und gerade mit unseren Leibern Gott dienen, uns ihm gerade auch mit unseren Leibern ganz hingeben, mit denselben Leibern, in denen Christus mit seinem Leib leibhaftig Wohnung genommen hat. Wenn christlicher Gottesdienst nur als etwas „Geistiges“ verstanden wird, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn Christen auch ihren Glauben bloß als etwas „Geistiges“ ansehen, als ein schönes Gedankengebäude, das man mit sich herumtragen mag. Aber wenn ich im Sakrament erfahre, dass Christus sich mit seinem Leib und Blut mir ganz und gar hingibt, dann wirkt sich das auch aus in meinem Verhalten als Christ.

Ja, das mit der Hingabe der Leiber beginnt natürlich schon damit, dass wir diese Leiber am Sonntagmorgen aus dem Bett in die Kirche befördern. Doch Hingabe der Leiber heißt dann eben auch, dass wir uns auf den Weg machen zu anderen Menschen, die unsere Zuwendung und Hilfe nötig haben. Das heißt in diesen Corona-Zeiten auch, dass ich mich leiblich einschränke mit dem Verzicht auf das, was mein Leib eigentlich gerne machen würde: andere in den Arm nehmen, ohne Maske herumlaufen. Doch wir geben unsere Leiber für andere auch so hin, dass wir nicht auf das achten, was wir möchten, sondern auf das schauen, was anderen hilft, auch wenn das für uns selber mit leiblichen Einschränkungen verbunden ist.

Zu unserem Leben als Christen im Alltag gehört weiterhin, dass wir uns dieser Welt nicht gleichstellen, wie Paulus es hier formuliert. Ja, in dieser Gefahr stehen wir als Christen eben immer wieder, dass wir uns in unserem Denken immer nur einfach an dem orientieren, was alle anderen auch denken und machen. Hauptsache, nicht auffallen, Hauptsache, nicht gegen den Strom schwimmen! Doch der Apostel beschreibt es hier geradezu als ein Kennzeichen der Christen, dass sie nicht so denken und handeln, wie alle anderen es auch tun, sondern dass sie sich prägen lassen von dem, was sie durch Gottes Dienst an ihnen empfangen und erfahren haben.

Nein, das bedeutet gerade nicht, dass Christen aufhören, ihren Verstand zu benutzen und stattdessen nur noch anfangen, kreuz und quer zu denken. Dummheit ist nicht ein besonderes Markenzeichen von Christen; dieses Markenzeichen überlassen wir gerne anderen Bewegungen. Aber als Christen wissen und erfahren wir eben, dass diese Welt nicht unser wirkliches Zuhause ist, dass wir von daher keinen Grund dazu haben, uns an diese Welt zu klammern. Wir wissen, dass wir dem Ziel des ewigen Lebens in der Gemeinschaft mit Christus entgegengehen, und was auch immer wir in unserem Leben erfahren, sind eben nur Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel. Darum ist auch die Corona-Zeit für uns Christen keine verlorene Zeit, so schwer sie für uns auch sein mag. Sondern auch diese Zeit ist ein Schritt auf die Ewigkeit zu, eine Zeit, in der wir wieder neu gelernt haben, wie wenig wir unsere Zukunft doch in unserer eigenen Hand haben. Und weil wir wissen, dass wir dem ewigen Leben entgegengehen, sind wir eben nicht darauf aus, zuerst und vor allem an uns, an unseren eigenen Vorteil zu denken, auch und gerade in diesen schwierigen Zeiten. Sich dieser Welt nicht gleichzustellen, das heißt eben auch, nicht in den Chor derer einzustimmen, die fordern, wir sollten immer erst einmal zuerst an uns denken, sollten die Nöte anderer Menschen als deren Problem ansehen, mit denen sie allein klarkommen sollten, erst recht, wenn sie jenseits der deutschen Landesgrenzen wohnen. Nein, Hingabe der Leiber, Änderung des Denkens bedeutet, dass ich mich selber zurückstelle, auf das schaue, was der andere braucht, was ihm dienlich ist, ja, dass ich auch für ihn, wo es nötig ist, den Mund aufmache.

Nein, das schaffen wir nicht selber, das schaffen wir nur dadurch, dass Christus unseren Sinn verändert, wenn wir sein Wort hören, wenn er mit seinem Leib und Blut in uns Wohnung nimmt. Dann geht es in unserem Leben auch nicht darum, dass wir als Christen bestimmte Riten vollziehen oder Gesetze befolgen, sondern es geht darum, dass wir alles in unserem Leben im Lichte dessen betrachten, was wir von Christus empfangen haben: Weil er sich für uns hingegeben hat, haben wir alles, was wir brauchen. Dann brauchen wir auch keine Angst zu haben vor irgendwelchen bösen Mächten, die angeblich unser Leben bestimmen wollen. Dann dürfen wir vielmehr leben in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, auch und mitten in einem Lockdown. Wir verpassen in dieser Zeit doch nichts – wo wir doch ihn, unseren Herrn Jesus Christus, haben! Amen.

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