Römer 12,1-8 | Fest der Taufe Christi | Pfr. Dr. Martens
Kennt ihr die fünf Säulen des Islam? Es sind die Pflichten, die ein Muslim einzuhalten hat und die den Inhalt seines Glaubens ausmachen: Das Glaubensbekenntnis, das jeder Muslim zu sprechen hat, mit der Absage daran, dass Gott einen Sohn hat, die fünf täglichen Gebete, das Namas, die Almosensteuer, genannt Zakat, das Fasten während des Ramadan und die Pilgerfahrt nach Mekka. Wer all dies tut, ist ein guter Muslim. Ja, es ist ganz bezeichnend, dass das Wesen des Islam in dem besteht, was die Menschen, was die Gläubigen zu tun haben. Der Islam ist und bleibt eine Gesetzesreligion.
Im christlichen Glauben gibt es nicht fünf Säulen, sondern nur eine Säule. Und diese Säule beschreibt nicht, was wir als Christen zu tun haben. Sondern diese Säule ist er, Jesus Christus, allein, er, dessen Anspruch, Gottes Sohn, ja Gott selbst zu sein, im islamischen Glaubensbekenntnis gerade vehement zurückgewiesen wird. Jesus Christus ist die einzige Säule unseres Glaubens. Alles, was wir tun, beruht einzig und allein darauf, dass Jesus Christus schon alles für uns getan hat, als er am Kreuz für uns gestorben ist. Nicht wir müssen Vorschriften einhalten, um Christen zu sein, um in den Himmel zu kommen. Christus allein hat getan und tut, was für uns wichtig ist.
Das heißt aber nun gerade nicht, dass wir als Christen gar nichts tun. Natürlich tun wir etwas als Christen, gerade weil wir um diese eine Säule wissen, gerade weil wir wissen, dass wir nichts mehr tun müssen, um in den Himmel zu kommen. Genau darum geht es auch dem Apostel Paulus in der Epistel dieses Festtags. Elf Kapitel lang hat er in seinem Brief an die Römer beschrieben, was Christus alles für uns getan hat und tut. Und nun zieht er am Schluss seines Briefes die Konsequenzen, spricht davon, was es heißt, als Christ zu leben. Es heißt, so betont er zunächst und vor allem, zu leben „durch die Barmherzigkeit Gottes“. Da steckt die eine Säule Jesus Christus drin, auf der alles beruht. Aber dann entfaltet er das Leben eines Christen auf der Basis dieser Säule doch noch einmal näher. Dreierlei macht er hier deutlich: Ein Leben als Christ bedeutet
- Hingabe
- Nichtanpassung
- Dienst
I.
Von einem Opfer spricht der Apostel Paulus hier zunächst einmal. „Opfer“ – dieses Wort hat heute bei uns keinen guten Klang. Niemand will ein Opfer sein, niemand will selber etwas opfern. Um Paulus hier zu verstehen, muss man natürlich wissen, dass er zuvor die ganze Zeit von dem einen Opfer gesprochen hat, das Jesus Christus dargebracht hat, ja, das er selber ist: Er hat sein Leben in den Tod gegeben, damit wir für immer leben dürfen. Wir müssen in der Tat keine Opfer mehr darbringen, um Gott gnädig zu stimmen; wir müssen keine Opferfeste mehr halten. Paulus geht es hier um etwas anderes. Er macht deutlich: Ich kann nicht nur mal stundenweise Christ sein. Ich kann mein Christsein nicht bloß auf zwei oder drei Stunden in der Woche beschränken, auch nicht auf fünf Gebetseinheiten am Tag. Wenn ich weiß, dass ich ein freier Mensch bin, weil Christus sich für mich geopfert hat, dann hat das zur Folge, dass mein ganzes Leben Hingabe ist, eben weil ich nichts mehr für mich selber erreichen muss. Wer in seinem Leben nur danach fragt: Was bringt mir das, was habe ich dadurch für einen Vorteil? – der hat eben noch überhaupt nicht verstanden, was das Opfer Christi für sein Leben bedeutet. Ja, diese Hingabe nennt Paulus hier Gottesdienst, und diese Hingabe hat tatsächlich auch mit dem zu tun, was wir hier Gottesdienst nennen, was wir hier gerade feiern. Hingabe des Leibes als Opfer, die beginnt in der Tat damit, dass ich diesen Leib sonntags morgens aus dem Bett befördere und hierher in die Kirche bringe – nicht nur, weil das für mich selber wichtig ist, sondern weil andere mich brauchen, weil andere es nötig haben, dass ich auf meinen Vorteil verzichte und nicht danach frage, was für mich selber denn am leichtesten und bequemsten ist. Ja, das kann in der Tat auch so etwas wie Opfer sein, beim Besuch des Gottesdienstes nicht danach zu fragen: Wie ist es für mich am bequemsten, wo fühle ich mich am wohlsten? Sondern als Christ gebe ich meinen Leib vielleicht auch erst einmal dadurch hin, dass ich mich mit vielen anderen in der Kirche drängle, weil ich weiß, dass ich den anderen ein gutes Vorbild sein kann, weil ich weiß, dass ich schon dazu in der Lage bin, die Gemeinde mit meinem Gesang mitzutragen, weil ich weiß, dass Christus mich gerade an diesem Ort braucht, an den er mich hingestellt hat.
Und noch etwas macht Paulus hier deutlich: Auch wenn ich mich im Alltag für andere hingebe, wenn ich auf eigene Vorteile verzichte, um für andere da zu sein, dann ist das ein Gottesdienst. Martin Luther hat den bekannten Spruch geäußert, dass auch die Magd, die die Stube fegt, damit einen wahrhaftig christlichen Gottesdienst tut. Gewiss, dadurch bekommt sie nicht die Vergebung der Sünden – und doch ist es ein Gottesdienst, der Gott gefällt. Ja, es ist ein Gottesdienst, der Gott gefällt, wenn Christen sich am LaGeSo um neu ankommende Flüchtlinge kümmern, wenn Kirchenasylanten hier am Samstagabend den weißen Teppich scheuern, wenn Gemeindeglieder Essen für die Menschen hier in der Gemeinde besorgen und heranschleppen, wenn Menschen ihre freie Zeit opfern, um Gemeindeglieder zu besuchen oder Asylbewerbern Deutsch beizubringen, oder wenn Eltern sich um die Erziehung ihrer Kinder kümmern. Immer wieder geht es darum, dass ich nicht meinen eigenen Vorteil suche, sondern das, was dem anderen dient, wie Paulus es an anderer Stelle formuliert. Wie gut, dass wir solche Gottesdienste tun dürfen – gerade weil wir um den einen entscheidenden Dienst wissen, den Gott für uns getan hat.
II.
Ein zweites erstaunliches Kennzeichen des Lebens als Christ nennt der Apostel Paulus hier: Stellt euch nicht dieser Welt gleich! Christen sind in der Tat immer wieder auch daran zu erkennen, dass sie gegen den Strom schwimmen, dass sie sich nicht daran orientieren, was alle anderen auch tun. Nein, der Apostel Paulus ruft die Christen nicht dazu auf, Querköpfe zu sein, grundsätzlich alles abzulehnen, was um einen herum geschieht, oder sich aus dieser Welt einfach zurückzuziehen. Wir sollen als Christen ganz bewusst in dieser Welt leben, sollen uns in sie einbringen, ja, wie gesagt, sollen uns in dieser Welt hingeben für andere. Aber dabei sollen wir immer auch ganz klar darauf achten, was Gottes Wille ist, so formuliert es der Apostel hier. Das Bedürfnis, sich einfach anzupassen, überall dort mitzumarschieren, wo alle anderen auch laufen, ja nicht aufzufallen, ja nicht als Einzelgänger zu gelten, das steckt ja ganz tief in uns drin. Und da ist es schon täglich neu nötig, dass wir uns klar machen: Was sind die Maßstäbe meines Lebens? Sind es Mehrheitsmeinungen, sind es Stammtischparolen, ist es der angebliche Fortschritt – oder ist es allein der Wille meines Herrn Jesus Christus, der sich für mich in den Tod gegeben hat?
Das mit der Nichtanpassung ist ja heute im Vergleich zu früheren Zeiten nicht einfacher geworden, im Gegenteil. Wir leben in einer Zeit, in der zwar viel von Toleranz gesprochen wird, aber Toleranz immer wieder nur denen zugebilligt wird, die der eigenen Meinung entsprechen. Wenn ich als Christ bekenne, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat und mein Geschlecht nicht nur eine Rolle ist, die ich mir beliebig aussuchen kann, wenn ich als Christ bekenne, dass Jesus Christus der einzige Weg zu Gott ist und der Islam eben nicht zum Himmel führt, wenn ich als Christ bekenne, dass jedes menschliche Leben unendlich wertvoll ist, ob es das Leben eines ungeborenen Kindes oder das eines Flüchtlings ist, dann muss ich damit rechnen, dass ich aus den verschiedensten Richtungen Gegenwind erhalte. Aber wir sollen und dürfen als Christen eben unser Fähnlein nicht nach dem Wind hängen. Unsere Aufgabe ist und bleibt allein, zu prüfen, was Gottes Wille ist. Und Gottes Wille ist nicht mit der Mehrheit identisch und auch nicht mit meinem Bauchgefühl; ihn kann ich allein in seinem Wort, im Wort der Heiligen Schrift erkennen. Ja, das macht dann in der Tat auch einen Christen aus, dass er in der Heiligen Schrift forscht, dass er sie immer besser zu erkennen sucht.
III.
Und damit bin ich beim Dritten, was unser Leben als Christen ausmacht: Es ist der Dienst, den wir einander als Glieder am Leib Christi tun.
Ja, das ist etwas, was uns der Apostel Paulus nicht nur hier, sondern an so vielen Stellen in seinen Briefen einschärft: Ich kann niemals allein Christ sein. Christ zu sein, heißt immer: als Glied des Leibes Christi in der Gemeinschaft mit anderen Christen zu leben, ihnen mit den eigenen Gaben zu dienen und davon zu leben, dass die anderen mir mit ihren Gaben dienen. Christ zu sein heißt nicht: Einfach zu Hause zu sitzen und ganz fest an Jesus zu denken. Wenn du ohne Not sonntags zu Hause sitzen bleibst, dann entziehst du den anderen die Gabe, die Gott dir gegeben hat, um für die anderen in der Gemeinde da zu sein. Und du beraubst dich der Gaben der anderen, die dich hier im Leib Christi im Glauben stärken können.
Ja, das wird eine ganz wichtige Aufgabe für uns als Gemeinde in diesem Jahr 2016 sein, das immer wieder neu miteinander zu bedenken, wie wir miteinander das Leben als Glieder an dem einen Leib Christi gestalten können, wie wir Menschen dazu anleiten können, sich mit ihren Gaben einzubringen, wie wir Menschen ermutigen können, wieder neu zu entdecken, dass sie dem Leib Christi fehlen, wenn sie meinen, es sei ja Grund genug, nicht mehr hierher zur Kirche zu kommen, weil es so voll geworden ist.
Ja, natürlich war es damals in den Hausgemeinden in Rom vermutlich etwas kleiner und kuscheliger als bei uns. Aber dafür mussten die Christen, die sich dort trafen, auch jederzeit damit rechnen, dass ihre Gottesdienste verboten wurden. Und nur wenige Jahre, nachdem Paulus seinen Brief an die Christen dort schrieb, endete das Leben nicht weniger derer, die damals den Römerbrief lasen, als lebendige Fackel zur Illumination der kaiserlichen Gärten. Wir haben heute andere Herausforderungen, ganz klar. Aber wir haben zugleich auch viel größere Möglichkeiten als die Christen damals. Nutzen wir die Möglichkeiten nicht nur für uns selber! Wir sind hier kein geistlicher McDonalds, bei dem sich jeder schnell mal mit dem bedient, was er gerade haben möchte, und dann wieder verschwindet. Wir sind und bleiben Leib Christi, leben von der Speise des Leibes und Blutes des Herrn im Heiligen Mahl. Lassen wir uns darum von dem, der uns bis in den Tod gedient hat, zum Dienst rufen, dazu, für andere in der Gemeinde und darüber hinaus da zu sein! Wir haben es als Christen doch so gut! Wir haben sie doch, die eine Säule Jesus Christus, auf der unser ganzes Leben ruht. Diese Säule, sie wird uns halten und tragen – bis in den Himmel! Amen.