Römer 13,1-7 | Mittwoch nach dem 23. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Es würde mich schon interessieren, was wohl damals die Christen in Rom so gedacht haben, als sie die Worte unserer heutigen Predigtlesung das erste Mal gehört hatten. Da hatten sie nach dem Tod des Kaisers Claudius die Erlaubnis erhalten, wieder nach Rom zurückzukehren, nachdem der Kaiser sie aus Rom verbannt hatte. Jetzt unter dem neuen Kaiser Nero sah manches anders aus. Der Staat funktionierte in seinem Verwaltungsapparat ganz gut; die Geheimdienste funktionierten hervorragend – nur so ganz allmählich merkte man deutlicher, dass der neue Kaiser Nero wohl doch ein ziemlich durchgeknallter Typ war, der machte, was er wollte, und zugleich doch sehr darauf bedacht war, von seinen Untertanen geliebt zu werden. Leben als Christen in einer Diktatur, in der die Anzeichen immer deutlicher wurden, dass sich diese Diktatur schon bald gegen die Christen selber wenden könnte – ja, wie sollte man sich da als Christ verhalten?

Vielleicht haben sich die Gedanken der Christen damals in Rom gar nicht so sehr unterschieden von den Gedanken, die uns eben durch den Kopf geschossen sind, als wir die Verse unserer heutigen Predigtlesung eben vernommen haben. Gewiss, wir leben heutzutage nicht in einem Kaiserreich, sondern in einer parlamentarischen Demokratie. Doch wenn man genauer hinschaut, ähnelt sich dann doch so manches: Scheinbar läuft das Meiste in unserem Staat heutzutage ja einigermaßen glatt, wenn man mal von dem Bau von Flughäfen und anderen Objekten absieht. Doch immer deutlicher merken eben auch wir, wie diejenigen, die uns regieren, immer mehr jeden Kontakt zu der Realität verloren haben, die wir tagtäglich hier in unserer Mitte erfahren, wie sie sich leiten und treiben lassen von Umfragewerten und dabei oft genug jeglichen moralischen Kompass über Bord geworfen haben. Ja, auch wir merken, wie die Lage für die Glieder unserer Gemeinde immer bedrohlicher wird, wie der Staat sich immer mehr anmaßt, sich an Gottes eigene Stelle zu setzen und scheinbar in Gottes Auftrag Herr über Leben und Tod unserer Glaubensgeschwister zu spielen. Und wir – wir merken, wie hilflos wir diesen Entwicklungen und diesem Gebaren derer, die die Macht haben, gegenüberstehen, wie das, was wir einmal als Rechtsstaat wahrgenommen hatten, längst zu einem Zerrbild seiner selbst geworden ist.

Und da hörten die Christen in Rom damals, da hören auch wir diese Worte des Apostels Paulus, die uns beim ersten Hören doch wohl gewaltig gegen den Strich gegangen sein dürften: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott ...“ Wie denn nun? Sollen wir es etwa als Gottes Stimme und Gottes Willen hinnehmen, wenn unser Staat erklärt, es sei konvertierten Christen zuzumuten, wieder zum Islam zurückzukehren? Sollen wir uns dem einfach fügen, wenn unsere christlichen Glaubensgeschwister in den Tod geschickt werden, weil der Staat ja sowieso immer Recht hat? Sollen wir den Mund halten, wenn unser Staat dazu schweigt, was den Christen in Pakistan angetan wird, und stattdessen die Abschiebung von pakistanischen Christen zu forcieren versucht? Ja, widersprechen wir mit dem, was wir in unserer Gemeinde machen, etwa dem, was Paulus hier in Römer 13 schreibt? Sollten wir nicht einfach als brave Untertanen tun, was uns die Obrigkeit vorschreibt? Ja, hatten die vielleicht doch recht, die damals einfach weggeschaut haben und alles Handeln dem Staat überlassen haben, als vor 80 Jahren auch hier in unserer Stadt die Synagogen brannten?

Schwestern und Brüder: Es lohnt sich, schon etwas genauer hinzuschauen, was der Apostel hier eigentlich schreibt.

Das geht schon mit dem ersten Satz los: „Jedermann sei untertan“ übersetzt Martin Luther, und so hat es auch die neue Luther-Übersetzung übernommen. Doch wörtlich steht da: Jedermann ordne sich unter ... Paulus entfaltet hier keine Staatstheorie mit Obrigkeit und Untertanen, sondern er gibt bedrängten, bedrohten Christen Weisungen, wie sie sich in einem diktatorischen Staat verhalten sollten: Ja, sie sollen sich unterordnen. Aber das tun sie eben von sich aus, in der Freiheit eines Christenmenschen, als Menschen, die wissen, dass ihr Bürgerrecht nicht in Rom ist, sondern im Himmel, als Menschen, die wissen, dass sie dem kommenden Jesus Christus entgegengehen. Da fügen sie sich freiwillig in ein Ordnungsgefüge ein, ordnen sich damit auch selber unter, eben weil sie wissen, dass ihr Zuhause ganz woanders ist.

Von Obrigkeit redet Luther in seiner Übersetzung hier. Nirgendwo spricht Paulus hier aber vom Staat; er formuliert stattdessen sehr technisch, spricht von übergeordneten Ordnungsstrukturen, in denen wir als Christen leben. Mehr als prosaisch für einen Staat, in dem der römische Kaiser immer deutlicher zu erkennen gab, dass er sich eigentlich selber für Gott hielt. Doch Paulus widerspricht dem sehr deutlich: Die Ordnungsstrukturen, in denen wir als Christen leben, sind nicht Gott, sondern sie sind von Gott eingesetzt – und eben damit sind sie stets Gott untergeordnet. Wo der Staat sich selber religiöse Autorität zumisst, da gerät er in Konflikt mit dem, der allen staatlichen Strukturen ihre Legitimität gegeben hat, gerät er in Konflikt mit Gott selbst. Ja, alles, was die Ordnungsstrukturen in unserem Staat anordnen, soll und muss von daher erfolgen „in Verantwortung vor Gott“, wie es in unserem Grundgesetz heißt. Das überhöht den Staat nicht religiös, sondern weist ihn im Gegenteil ganz deutlich in seine Grenzen. Es war gerade die Erfahrung des Dritten Reiches gewesen, die die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes dazu veranlasst hatte, diese Selbstbeschränkung des Staates an die Spitze unseres Grundgesetzes zu setzen.

Und dann benennt Paulus hier auch deutlich die Hauptfunktion des Staates: Er soll dem Bösen wehren, notfalls auch mit Gewalt. Ja, dafür brauchen wir staatliche Strukturen; darum ist staatliche Ordnung in der Tat eine Gabe Gottes. Wir werden es eben hier auf Erden niemals schaffen, unsere Welt in ein Paradies zu verwandeln, in dem es das Böse nicht mehr gibt. Da braucht es Strukturen, die dem Bösen Grenzen aufzeigen und damit diejenigen schützen, die sich dem Bösen nicht mit gleichen Mitteln zur Wehr setzen können. Ja, bei allem Ärger über das, was wir in unserem Land heutzutage erleben: Seien wir dankbar für diese Ordnungen Gottes, in denen wir leben. Seien wir dankbar für unabhängige Gerichte, für die Arbeit der Polizei, für alle, die ihren Beitrag dazu leisten, dass der Willkür einzelner gewehrt wird, dass sich am Ende nur die Starken gegen die Schwachen durchsetzen! Ja, das geschieht in unserem Land trotz all der besorgniserregenden Entwicklungen, die wir zugleich wahrnehmen, das geschieht in unserem Land, dass Ordnung durchgesetzt wird – und das ist auch gut und richtig so. Und so habe ich mich der Obrigkeit nun auch gerade wieder untergeordnet und auch ohne Murren meine 15 Euro Verwarnungsgeld bezahlt, weil mich die Obrigkeit dabei erwischt hat, dass ich durch eine 30er-Zone mit 36 km/h gerast bin ...

Und noch eine weitere Funktion des Staates nennt Paulus hier: Ja, er zieht Steuern ein. Wir sind es ja gewöhnt, dauernd über Steuern zu schimpfen und sie als etwas Bösartiges anzusehen, als einen Raubüberfall des Staates auf den armen Bürger. Nein, die Bibel sieht es schon anders, fordert ausdrücklich dazu auf, Steuern zu zahlen – und wenn heute die Steuern ganz wesentlich auch dazu verwendet werden, um die Schwachen in unserer Gesellschaft zu unterstützen, dann dürfte dies wohl erst recht die Zustimmung des Apostels Paulus gefunden haben. Ja, seien wir dankbar dafür, dass wir in einem Gemeinwesen leben, in dem sich eben nicht einfach nur die Stärksten durchsetzen und die Schwachen Pech gehabt haben, sondern in dem auch Steuern ihren Beitrag dazu leisten, dass diejenigen nicht abgehängt werden, die sich selber nicht helfen können. Jammern wir nicht über die Steuern, sondern freuen wir uns darüber, dass es eine staatliche Ordnung gibt, die ein solidarisches Miteinander in der Gesellschaft ermöglicht!

Ja, die staatliche Ordnung ist eine Gabe Gottes, ganz gewiss. Und doch sollen wir wissen, dass sie stets ihre Grenzen dort findet, wo es darum geht, wem allein Furcht und Ehre zustehen: Keinem Menschen, keiner Bundeskanzlerin, keiner Partei, sondern Gott allein. Es soll uns immer mehr bedeuten, was Gott über unser Handeln denkt, als was ein Staat über unser Handeln denkt. Ja, wir zahlen Steuern und Abgaben an den Staat, auch wenn der davon Mitarbeiter des Bundesamtes finanziert, die so unsägliche Entscheidungen gegen Christen treffen. Die Christen haben dem Nero damals auch Steuern gezahlt. Aber wenn der Staat mich dazu zwingen will, zuzuschauen, wenn er meine christlichen Geschwister in den Tod schickt, dann bedeuten mir die Worte meines Herrn Jesus Christus mehr als die Worte eines Vertreters der staatlichen Ordnung, dann weiß ich, dass ich eher auf die Stimme meines Herrn zu hören habe als auf die Stimme einer staatlichen Behörde, wenn Christus uns die vor Augen stellt, denen er einmal sagen wird: Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Nein, Furcht und Ehre gebühren Gott, nicht einem Menschen, nicht einem Staat. Ich bin und bleibe dankbar für die Ordnung des Gemeinwesens, in dem wir leben. Doch Paulus leitet uns in den Worten unserer Predigtlesung wahrlich nicht dazu an, nun für irgendeinen konkreten Staat Nationalgefühle zu entwickeln oder gar ein Gefühl des Stolzes.

Beten wir darum immer wieder für die, die in unserem Staat Verantwortung übernehmen, beten wir für den Erhalt der staatlichen Ordnung in unserem Land; beten wir darum, dass gerade auch Vertreter staatlicher Behörden wieder neu Respekt vor Entscheidungen der Gerichte unseres Landes zeigen und sich nicht einfach darüber hinwegsetzen! Ja, beten wir vor allem um das baldige Kommen des Herrn, der allem Unrecht, das wir auch in unserem Staat erfahren, einmal ein Ende bereiten wird! Und lassen wir uns durch Gottes Wort immer wieder das Gewissen dafür schärfen, wem in unserem Land was zusteht. Unser Geld bekommt der Staat, den Respekt und die Unterordnung unter das, was er anordnet, auch. Doch unser Herz bekommt er nie – auch und gerade dann nicht, wenn er sich christlich tarnt. Denn unser Herz, das gehört ihm allein, ihm, unserem Herrn Jesus Christus, der sich am Kreuz auch menschlicher Unrechtsherrschaft untergeordnet hat und doch zugleich einmal alle Unrechtsherrscher dieser Welt, ja, auch alle Entscheider des Bundesamtes einmal zur Rechenschaft ziehen wird. Ja, mit diesem Wissen lässt es sich auch in unserem Staat hier in Deutschland leben! Amen.

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