Römer 15,7 | Neujahr (Tag der Beschneidung und Namengebung Jesu) | Pfr. Dr. Martens
Was ist der Unterschied zwischen einem Club und einer Kirche? In einem Club treffen sich Menschen, die zueinander passen, die den gleichen Stallgeruch haben und dieselben Interessen. In einen Club wird man von denen aufgenommen, die schon vorher drin waren – und wer nicht zu den anderen passt, der sollte eben den Club wieder verlassen und sich einen anderen Kreis von Gleichgesinnten suchen.
In einer Kirche kommen Menschen zusammen, die nicht zueinander passen, die so unterschiedlich sind, dass man sie in keinem Club beieinander halten könnte. Ja, eben darum kommen so unterschiedliche Menschen in der Kirche zusammen, weil in der Kirche eben nicht diejenigen, die schon da sind, sich diejenigen aussuchen, die neu dazukommen, weil der Maßstab dafür, dass jemand in die Kirche passt, gerade nicht der ist, dass er sich menschlich gut mit den anderen dort versteht. Vielmehr ist es Christus selber, der Menschen in seine Kirche ruft und aufnimmt – und irgendwie mag es Christus lieber bunt als eintönig, lieber vielfältig, ja, auch spannend in jeder Hinsicht.
Genau diese Erfahrung hat die Kirche Jesu Christi in den letzten 2000 Jahren immer wieder gemacht. So war es schon zur Zeit des Neuen Testaments in den Hausgemeinden in Rom: Da fanden sich auch ganz unterschiedliche Menschen ein, Menschen, die eigentlich auch überhaupt nicht zueinander passten: Da gab es auf der einen Seite Menschen, die in ihrem Gewissen noch sehr geprägt waren von den Geboten und Gesetzen des Alten Testaments, die diese Regeln nicht einfach über Bord werfen wollten, sondern auch jetzt, wo sie Christen geworden waren, daran lieber festhielten. Und da gab es auf der anderen Seite in den Gemeinden dort Menschen, die solch eine Bindung an Gebote und Gesetze des Alten Testaments nie erfahren hatten und die im Gegenteil die christliche Freiheit zu schätzen wussten, dass es eben keine Vorschriften für Christen gibt, was sie essen und trinken dürfen und was nicht, dass uns erst einmal alles erlaubt ist, was nicht der Liebe zum Nächsten widerspricht. Und da knisterte es in den römischen Hausgemeinden: Die einen warfen den anderen vor, dass sie es sich mit dem Glauben zu leicht machten und nicht ernst genug nahmen, was doch alles an Gesetzen in der Bibel steht. Und die anderen warfen den einen vor, dass sie viel zu gesetzlich seien, immer noch im Alten befangen seien und von der christlichen Freiheit keine Ahnung hätten. Und das war eben nicht bloß eine Diskussion am Grünen Tisch; das ging ganz praktisch zur Sache beim gemeinsamen Mittagessen nach dem Gottesdienst, wenn es darum ging, was für Essen da auf den Tisch gestellt wurde. Die einen aßen nicht, was die anderen kochten, weil sie nicht wussten, was da alles drin war – und die anderen liebten es, demonstrativ vor den anderen zu essen, was die einen für unvereinbar mit Gottes Geboten hielten. Ja, da ging es nicht nur um unterschiedliche Menschen, die nicht so gut zueinander zu passen schienen – es ging auch schon um ganz handfeste Konflikte, die sich daraus entwickelten.
Zu unserer Gemeinde hier in Steglitz gehören auch Menschen, die ganz offensichtlich nicht zueinander passen, die so unterschiedlich sind, dass sie niemals in ein und demselben Club Platz hätten: Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen, mit unterschiedlichen Sprachen, mit ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten, Menschen, die auch altersmäßig völlig unterschiedlich sind. Wie soll das denn bloß auf die Dauer gut gehen, wie sollen die denn alle in ein und derselben Gemeinde leben?
Wir haben nun in der Tat zwei verschiedene Möglichkeiten: Möglichkeit eins lautet: Wir sorgen dafür, dass sich in der Gemeinde nur noch Menschen befinden, die zueinander passen. Das scheint für viele ja die nächstliegende Möglichkeit zu sein: Entweder werfen wir die Leute raus, die nicht so sind, wie wir immer waren – oder wir gehen selber, wenn uns die anderen nicht passen. Diese Variante ist ja auch uns hier nicht unbekannt: Wir haben sie zur Genüge geführt – die Diskussionen, ob es nicht doch besser wäre, wenn wir eine rein deutsche Gemeinde blieben, wenn wir diejenigen, die neu sind, irgendwo anders hin umleiten. Und ich kenne auch die Kommentare so mancher neuer Gemeindeglieder aus dem Iran: Hier sind mir zu viele Perser; ich mag eigentlich keine Perser, ich mag lieber Deutsche! Und wenn hier zu viele sind, dann gehe ich eben! Wenn die Kirche ein Club wäre, dann wäre diese Variante sicher naheliegend – und natürlich erscheint sie uns oftmals geradezu selbstverständlich zu sein.
Doch in der Jahreslosung für dieses neue Jahr 2015 nennt uns der Apostel Paulus eine andere, eine zweite Möglichkeit, eine Möglichkeit, die wir tatsächlich nur in der Kirche Jesu Christi haben: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob!“
„Nehmt einander an“ – in eurer Verschiedenheit, in eurer Fremdheit, mit euren so unterschiedlichen Lebenserfahrungen. Nein, Paulus begnügt sich hier nicht mit einem unverbindlichen „Seid nett zueinander“, er fordert uns nicht auf zu einem allgemeinen „Piep, Piep, Piep, wir haben einander lieb!“ Wenn er davon spricht, dass wir einander annehmen sollen, dann meint er nicht, dass wir einander nett finden sollen oder auch nur alles okay finden sollen, was die anderen in der Gemeinde so alles sagen und machen. Paulus nennt uns hier einen ganz anderen Richtpunkt: „Nehmt einander an – wie Christus euch angenommen hat.“ Wie hat Christus uns angenommen? Nein, nicht so, dass er gesagt hat: Ich finde alles gut, was ihr macht, ihr seid alle okay, und ich finde das so schön, mit euch zusammen zu sein! Jesus findet vieles von dem, was wir denken, sagen und tun, überhaupt nicht okay. Das tut ihm weh, ja, das stößt ihn ab, vor allem, wenn wir das sogar als Christen denken, sagen und tun. Doch Jesus hat sich damals eben gerade nicht von den Sündern abgewendet, hat sie nicht verurteilt und verdammt, sondern ist für ihre Sünde ans Kreuz gegangen und gestorben. Und er ist eben auch für deine und für meine Sünde am Kreuz gestorben, hat die Strafe auf sich genommen, die wir verdient haben. Ja, Jesus will mit uns Sündern zu tun haben, will mit uns Gemeinschaft haben, auch wenn ihm so vieles immer noch nicht an uns passt. Er klinkt sich nicht aus, sucht sich nicht eine kleine, fromme Gemeinde der Reinen und Sündlosen. Sondern er kommt zu uns, immer wieder, auch mitten in den Trubel unserer Gemeinde hinein, lässt sich uns in den Mund legen, aus dem so vieles Unschöne und Unreine immer wieder nach außen dringt, nimmt Wohnung in unserem Herzen, das eigentlich so wenig zu solch einer Wohnung geeignet ist. schließt uns gerade so zu einer Gemeinschaft zusammen, die nicht auf Sympathie oder gemeinsamer Mentalität beruht, sondern einzig und allein darauf, dass wir alle miteinander aus seiner Vergebung leben.
Und eben so und eben dadurch sollen und dürfen wir einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat. Christus erwartet nicht von uns, dass wir alles richtig finden, was die anderen in der Gemeinde machen. Er erwartet auch nicht von uns, dass wir alle Glieder unserer Gemeinde nett und sympathisch finden. Aber er erwartet von uns in der Tat, dass wir uns aus dieser Gemeinschaft nicht ausklinken, in die er uns gerufen hat. Er erwartet von uns, dass wir den anderen in der Gemeinde dienen, wie Christus uns gedient hat, dass wir nicht unseren eigenen Vorteil, unsere eigene Erbauung suchen, sondern darauf achten, dass andere hier in der Gemeinde sich angenommen wissen und sich nicht ausgeschlossen fühlen.
Nehmt einander an – erwartet nicht, dass alle in der Gemeinde so werden müssen wie ihr, damit ihr mit der Gemeinde und den anderen in der Gemeinde auch zufrieden seid! Blickt auch nicht bloß auf das, was andere tun oder wie andere euch erscheinen, sondern blickt auf das, was mit den anderen hier in der Gemeinde geschieht, wie ihnen ihre Schuld vergeben wird, wie Christus in ihnen Wohnung nimmt. Nehmt sie darum an als Schwestern und Brüder, sprecht sie in Liebe auf Fehler und Versäumnisse an – und nicht als Richter, die über ihnen stehen! Ja, vergebt vor allem immer wieder, wie Christus uns vergeben hat! So kann Zusammenleben gelingen in einer Gemeinde, in der die Menschen doch eigentlich gar nicht zusammenzupassen scheinen, so kann Gemeinschaft gelingen, viel besser als in jedem intimen Club, so können wir hier etwas davon erfahren, dass das Reich Gottes mit Christus schon mitten unter uns ist.
„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat“ – Was für ein wunderbares Wort, das über diesem Jahr 2015 steht, das für uns in der Gemeinde so viel Neues bringen soll! Was uns auch erwarten mag, wen uns Christus auch noch alles schicken mag: Lasst uns einander annehmen in unserer Unterschiedlichkeit, lasst uns in Liebe die Schwächen der anderen tragen und zugleich erfahren, wie schön es ist, von den anderen in der Gemeinde getragen zu werden! Christus ist doch nicht bloß ein Vorbild, er ist doch der gegenwärtige Herr, der Herzen von Menschen, ja, der auch eine ganze Gemeinde zu verändern vermag. Mögen wir genau dies im Jahr 2015 immer wieder hier in unserer Gemeinde miteinander erfahren! Amen.