Römer 5, 1-5 | Reminiszere | Pfr. Dr. Martens

Heute lernen wir wieder einmal ein neues persisches Wort, ein ganz wichtiges Wort. Es heißt „aramesh“. Und „aramesh“ bedeutet so viel wie Frieden. Wenn man einen iranischen oder afghanischen Christen fragt, warum der christliche Glaube für ihn so wichtig ist, kann man ziemlich sicher sein, dass er sehr bald von „aramesh“ spricht, von diesem Frieden, den er im Glauben an Jesus Christus gefunden hat. Wie tief diese Erfahrung des Friedens für Menschen reicht, die früher im Islam zu Hause waren, können wir hier in Deutschland wohl nur schwer erahnen, und es fällt umgekehrt auch den iranischen und afghanischen Christen mitunter nicht leicht, dies weiter zu beschreiben, was denn dieser Frieden, dieser „aramesh“ für sie eigentlich bedeutet. Und dabei müssen sie es beschreiben können, wenn sie bei der Anhörung im Bundesamt nach ihrem Glauben gefragt werden. Wer da nicht mehr zu sagen hat als dieses Wort „aramesh“, dem wird schnell vom Anhörer vorgehalten, er könne ja auch ins Yoga-Studio gehen, um dort Frieden zu bekommen.

Was ist also das Besondere an dem „aramesh“, von dem wir als Christen wissen dürfen? Zunächst einmal ist wichtig: Er ist nicht einfach bloß ein unbestimmtes Gefühl in der Bauchmitte, sondern er hat ein Gegenüber: Christlicher Frieden ist Frieden mit Gott. Und dieses Gegenüber ändert alles. Es geht im Frieden um unser Verhältnis zu Gott. Und genau das entfaltet der Apostel Paulus hier in diesen Versen unserer Predigtlesung. Ich will versuchen, anhand von drei alltäglichen Erfahrungen unserer Asylbewerber deutlich zu machen, was „aramesh“ tatsächlich für uns Christen bedeutet:

Erfahrung Nr.1: Wenn Flüchtlinge hier in Deutschland ankommen, dann erfahren sie bald: Irgendwann wirst du zu einem großen Interview vorgeladen – und von diesem Interview hängt dann ab, ob du hier in Deutschland eine Zukunft hast oder wieder abgeschoben wird. Kein Wunder, dass dieser Gedanke an das Interview viele unserer Flüchtlinge nicht loslässt, erst recht, wenn man nach drei Jahren immer noch nicht zu dieser Erstanhörung eingeladen worden ist. Habe ich nun eine Zukunft hier in Deutschland, habe ich damit überhaupt eine Zukunft in meinem Leben oder nicht? Und dann kommt irgendwann diese Anhörung, und dann muss man sich in dieser Anhörung auch gut präsentieren, muss gut reden können, muss zeigen können, dass man es verdient hat, hier in Deutschland zu bleiben.

Die Heilige Schrift stellt uns vor Augen, dass wir alle miteinander auch einem ganz großen Interview entgegengehen. In diesem Interview wird es nicht bloß darum gehen, ob wir in Deutschland bleiben dürfen. Es wird darum gehen, ob wir eine ewige Zukunft haben oder nicht. Kein Geringerer selbst als Gott selbst wird uns nach unserem Leben fragen, wird uns fragen, ob wir es verdient haben, dass wir für immer in seiner Gemeinschaft leben. Und da können wir uns dann noch so gut präsentieren, können noch so sehr auf das verweisen, was wir in unserem Leben getan oder vielleicht auch erlitten haben: Wir haben von uns aus keine Chance, aus diesem Interview mit einer positiven Antwort herauszugehen. Wir werden Gottes Ansprüchen, wir werden seinen Gesetzen, die er uns gegeben hat, einfach nicht gerecht. Doch im Unterschied zu so vielen unserer Asylbewerber, die dauernd an ihr Interview denken, ist uns das in unserem Alltag oft so wenig bewusst, dass wir dieser großen Anhörung entgegengehen, dass von dieser Anhörung unsere ganze Zukunft abhängt.

Doch erst wenn wir uns das klarmachen, dass unser ganzes Leben einzig und allein von Gottes entscheidendem Richterspruch abhängt, können wir begreifen, was eigentlich „aramesh“ heißt; erst wenn uns bewusst ist, dass wir von uns aus keine Chance haben, dass uns eine Zukunft in der Gemeinschaft mit Gott zugesprochen wird, können wir erahnen, was es bedeutet, dass wir allen Ernstes Frieden mit Gott haben. Den haben wir nicht deshalb, weil wir Gottes Ansprüchen genügen, sondern weil Gott selber uns gerechtgesprochen hat, wie es der Apostel Paulus hier in der Epistel formuliert. Gott sagt zu uns: Du hast dein Recht auf Leben verwirkt mit deiner Schuld, mit deinem Mangel an Vertrauen auf mich, mit deinem Mangel an Liebe gegenüber anderen Menschen. Doch ich, Gott, spreche dich frei, weil mein Sohn Jesus Christus auch für dich am Kreuz gestorben bist. Du bist ein freier Mensch; nichts trennt dich mehr von mir, deinem Gott, du darfst leben im Frieden.  Nie mehr musst du Angst haben vor dem letzten Interview, das vor dir liegt; es wird darin nicht mehr darum gehen, ob du gut genug bist, um eine Zukunft mit Gott zu haben. Es wird einzig und allein darum gehen, ob du an Christus geglaubt hast, ob du mit ihm verbunden gewesen bist, ob er in deinem Leben dein Herr und Retter war oder vielleicht doch nur eine interessante Bereicherung für einen bestimmten Lebensabschnitt. Und wenn du ihn, Christus, hast, wenn du durch die Taufe mit ihm verbunden bist, dann darfst du schon hier und jetzt Gottes Urteil über dein Leben hören, brauchst dich nie mehr zu fürchten: Gott spricht dich frei, schenkt dir eine ewige Zukunft. Du hast Frieden mit Gott – was für eine unglaublich schöne, großartige Nachricht!

Erfahrung Nr.2: Da stehen so viele unserer Gemeindeglieder und Taufbewerber oft tagelang, wochenlang, mitunter monatelang vor dem LaGeSo, wünschen sich nichts sehnlicher, als endlich einen Zugang zu diesem Gebäude zu bekommen und mit diesem Zugang endlich wieder Geld zum Essen, einen Berlin-Pass, um eine Monatskarte kaufen zu können, einen Krankenschein zu bekommen. Ja, zutiefst frustrierend ist es, immer weiter draußen zu stehen, immer weiter zu erleben, wie man nicht hereingelassen wird.

Es gibt einen Zugang, den haben wir noch viel nötiger als den Zugang zum LaGeSo, einen Zugang, von dem nicht weniger als unser Leben abhängt. Es ist der Zugang zu dem Raum der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, zu dem Raum, in dem uns nicht bloß etwas Geld gegeben wird, sondern nicht weniger als das ewige Leben. Verschlossen war der Raum für uns, wir hatten keine Möglichkeit, in diesen Raum zu kommen, in diesem Raum geschenkt zu bekommen, was wir für unsere ewige Zukunft so dringend brauchen.

Und dann stellt euch vor, ihr steht da vor dem LaGeSo, und mit einem Mal kommt da ein Mann, nimmt euch an der Hand und führt euch an der ganzen Schlange vorbei, direkt in das Haus, nein, nicht bloß zu einem Sachbearbeiter, der euch angiftet, ihr würdet von seinen Steuergeldern euch ein schönes Leben machen, sondern direkt zum Chef der Behörde selber. Ihr würdet wohl selber gar nicht wissen, was da mit euch geschieht.

Um nicht weniger geht es, wenn Gott sein befreiendes Urteil über uns fällt. Da sagt er: Von nun ab hast du immer freien Zugang zum Leben in der Gemeinschaft mit mir, von nun ab musst du nie mehr draußen warten, darfst immer wieder in den Raum hineingehen, in dem ich dir begegnen will, darfst dich immer wieder neu überschütten lassen mit meiner Vergebung, mit meiner Liebe. Freier Zugang – direkt zum Herzen Gottes, direkt in seine Gegenwart! Was für eine großartige Perspektive, die uns Gottes Wort hier eröffnet, die es jedem eröffnet, der an Jesus Christus glaubt! Das ist wirklicher „aramesh“!

Und dann ist da noch ein Drittes:  Der Apostel Paulus schreibt hier allen Ernstes: Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse. Wenn wir als Christen freie Menschen sind, freigesprochen von Christus, wenn wir den freien Zugang zu Gott haben, wenn wir Frieden mit Gott haben, dann heißt es nicht, dass in unserem Leben alles immer nur glatt läuft, dass wir keine Probleme und keine Schwierigkeiten mehr haben. Im Gegenteil, so zeigt es der Apostel Paulus hier ganz klar und nüchtern: Wer durch Christus mit Gott verbunden ist, der muss damit rechnen, dass er gewaltig angefeindet wird, dass er auch bedroht, angegriffen, angespuckt wird. Für viele unserer Gottesdienstteilnehmer ist das kein fernliegender Gedanke, sondern alltägliche Erfahrung in ihren Heimen. Ja, Bedrängnis erfahren wir im christlichen Glauben, erfahren noch einmal in ganz besonderer Weise Menschen, die den Weg vom Islam zum christlichen Glauben gefunden haben. Deutschland ist noch nicht der Himmel, oft genug ganz im Gegenteil. Ja, durch solche Bedrängnis wird unser Glaube geprüft, bewährt, schreibt der Apostel, wird er gestärkt, dass er gerade auch in solchen Widerständen weiter wächst. Wenn wir in solche Bedrängnisse geraten, ist das also gerade kein Zeichen, dass da etwas mit unserem Glauben nicht stimmt, ganz im Gegenteil: Solche Bedrängnisse um unseres Glaubens willen zeigen, dass unser Glaube echt ist, dass er an nichts und niemand anders hängt als an Christus allein. Kein Wachschutz, der dich vor dem LaGeSo schikaniert, kann dir den Eingang zum Reich Gottes verwehren, kein Mensch, der dich als Ungläubiger beschimpft, kann rückgängig machen, dass du bei Gott dein neues Zuhause gefunden hast.

Und so darfst du dich allen Ernstes noch deiner Nöte und Anfeindungen rühmen, darfst in all dieser Not immer wieder neu Loblieder anstimmen, deinen Herrn und Gott loben, der dich auch durch alle Schwierigkeiten und Anfeindungen hindurch ins ewige Leben führen will und wird. Ja, schon hier und heute darfst du im Gottesdienst singen, darfst Gott loben, auch wenn du noch gar nicht weißt, was dich vielleicht noch an Schwierigkeiten und Bedrängnissen erwartet. Doch du hast das Entscheidende: Du bist freigesprochen, du hast den freien Zugang zu Gott, du hast einen Herrn, der für dich, ja ausgerechnet für dich mit all deiner Schuld ans Kreuz gegangen ist. Was in deinem Leben auch kommen mag, eines steht fest: Du bleibst bewahrt im Frieden deines Herrn. Du hast ihn mitten in all deinen Sorgen:  den wahren Frieden Gottes – kurzum: aramesh! Amen.

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