Römer 5,1-5 | Reminiszere | Pfr. Dr. Martens

Nun hat uns Corona also miteinander voll erwischt. Nein, nicht das Corona-Virus. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns mit dem Corona-Virus hier in Berlin infizieren, ist zurzeit statistisch gesehen immer noch verschwindend klein, und die Wahrscheinlichkeit, dass wir daran sterben, ist noch einmal viel, viel geringer. Aber die Corona-Panik, sie ist bereits angekommen, auch in unserer Gemeinde. Menschen, die in ihren Anhörungen beim BAMF und in ihren Gerichtsverhandlungen im Brustton der Überzeugung erklärt hatten, sie seien bereit, für ihren christlichen Glauben auch in den Tod zu gehen, kommen jetzt schon nicht mehr zum Gottesdienst, weil sie vor einem verschwindend kleinen Risiko davonlaufen. Menschen beginnen, sich vor dem Empfang des Blutes Christi aus dem Kelch beim Heiligen Mahl zu fürchten, während sie keine Scheu haben, mit ihrem Finger auf dem Display ihres Handys herumzumalen, auf dem sich tausendmal mehr Keime als am Kelch des Abendmahls befinden. Böse Gerüchte werden gestreut, dass angeblich die Corona-Epidemie in unserer Gemeinde schon voll ausgebrochen sei, ja, ein Kommentar im Tagesspiegel dieser Woche bringt es auf den Punkt: „Die Angst vor dem Coronavirus bringt das Schlechteste im Menschen hervor“: Panik, Misstrauen, Hass. Haben wir alles in den vergangenen Tagen auch hier in unserer Gemeinde erlebt.

Nun weiß im Augenblick keiner, wie sich dieses Virus in der kommenden Zeit verhalten wird, ob wir in ein paar Wochen das Schlimmste überstanden haben oder ob diese Epidemie womöglich über Jahre hinweg andauern wird, vielleicht tatsächlich in der Zukunft auch hier in Deutschland gefährlicher werden wird, als dies zurzeit der Fall ist. Ja, es ist nicht ausgeschlossen, dass auch Menschen aus unserer Gemeinde von diesem Virus betroffen sein werden, dass vielleicht sogar der eine oder andere daran stirbt. Möglich ist zurzeit vieles.

Wie passend ist in dieser Situation die Epistel des heutigen zweiten Fastensonntags Reminiszere. Denn sie lenkt unseren Blick inmitten all der Panik und des Misstrauens auf das, was für uns wirklich wichtig ist und zählt, leitet uns eben damit dazu an, wie wir als Christen mit dem umgehen können, was zurzeit alle Welt und auch uns selber bewegt und beschäftigt:

Wir haben Frieden mit Gott, so stellt der Apostel Paulus hier zunächst einmal fest. Das klingt für uns erst einmal so selbstverständlich, dass wir gar nicht mehr wahrnehmen, was für eine wunderbare, großartige Nachricht das für uns ist.

Was ist das Wichtigste, was wir angesichts der Corona-Epidemie zu beachten haben? Hände waschen und desinfizieren, keine Hände schütteln, anderen nicht ins Gesicht husten, nicht nach Italien oder in den Iran reisen? Alles gut, sinnvoll und wichtig. Doch das Allerwichtigste, was wir gerade auch angesichts dieser Epidemie zu beachten haben, ist dies: Wie steht es um dein Verhältnis zu Gott? Du kannst dir fünfzigmal am Tag die Hände waschen und damit das Risiko, dich zu infizieren, minimieren. Aber ausschließen kannst du es nicht, dass du dich trotzdem infizierst. Die Chance ist klein, aber nicht gleich null. Aber etwas anderes steht hundertprozentig fest: Dass du einmal vor Gott stehen wirst und dich für dein Leben vor ihm wirst verantworten müssen. Woran du einmal sterben wirst, woran ich einmal sterben werde, das wissen wir alle nicht, ob es nun Corona oder etwas anderes sein wird. Aber dass Gott dich einmal nach deinem Leben fragen wird, das steht felsenfest. Und Gott wird dich nicht danach fragen, ob du dir auch immer brav die Hände gewaschen hast. Wie sehr du dich auch desinfizieren magst: Gegen deine Sünde, gegen die Schuld deines Lebens hilft kein Desinfektionsmittel dieser Welt. Da kannst du dich noch so oft waschen – du wirst es niemals schaffen, dass du so rein und sauber vor Gott stehst, dass er dich mit deinem Leben akzeptieren könnte. Nein, das schlimmste Horrorszenario, das uns bevorstehen könnte, ist nicht eine 14tägige Corona-Quarantäne, ist auch nicht, dass wir am Coronavirus sterben. Sondern das schlimmste Horrorszenario, das uns bevorstehen könnte, ist eben dies, dass wir am Ende unseres Lebens vor Gott nicht bestehen können, dass unser Leben in die ewige Trennung von Gott mündet. Ja, das sollte uns umtreiben, gerade auch in diesen Tagen und Wochen, in denen wir in der Gefahr stehen, dass Corona vor unseren Augen ganz groß erscheint und Gott daneben einigermaßen klein.

Wie steht es um dein Verhältnis zu Gott? Martin Luther hat es in seiner Erklärung zum ersten Gebot sehr eindrücklich formuliert: Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Wir sollen Gott auch über das Coronavirus fürchten, die Frage nach unserem Verhältnis zu ihm wichtiger nehmen als die Frage danach, woran wir einmal sterben werden.

Und wenn uns das klar ist, dann beginnen die Worte unserer heutigen Epistel noch einmal ganz neu zu leuchten: Wir haben Frieden mit Gott. Wir brauchen uns vor Gott und seinem Gericht nicht zu fürchten, weil wir durch Christus in der Gemeinschaft mit Gott leben, weil uns nichts mehr von Gott trennt, seit Christus für unsere Schuld am Kreuz gestorben ist, seit Gott uns in das richtige Verhältnis zu ihm gesetzt hat am Tag unserer Taufe, seit wir durch den Glauben mit Christus eins sind. Wir haben Frieden mit Gott – was für eine wunderbare Nachricht inmitten all der Horrornachrichten und Fakenews dieser Tage! Ob ich nächste Woche am Coronavirus sterbe oder noch vierzig Jahre Leben vor mir habe – das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass zwischen Gott und mir alles in Ordnung ist, nicht, weil ich so ein wunderbarer glaubensstarker Christ wäre, sondern weil Christus mein Verhältnis zu Gott in Ordnung gebracht hat.

Frieden – aramesh. Das ist ein Wort, das unsere iranischen und afghanischen Geschwister ganz besonders lieben. Aramesh – das ist es, was so viele dazu bewogen hat, Christen zu werden. Und gerade darum erinnere ich euch heute daran in diesen Tagen, in denen Menschen überall in Panik geraten: Ihr habt aramesh, ihr habt Frieden, jawohl, das steht fest. Ihr habt den Frieden, der höher ist und weiter reicht als alle menschlichen Beruhigungsversuche. Ihr habt einen Frieden, der euch in alle Ewigkeit nicht genommen werden kann.

Ja, das habt ihr so sehr nötig, dass ihr das immer wieder hört. Das habt ihr so sehr nötig, dass euch dieser Friede immer wieder geschenkt wird. Und geschenkt wird er uns dadurch, dass wir als Christen immer wieder einen wunderbaren Raum betreten dürfen: Wir haben „Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen“, so formuliert es der Apostel. In diesen Tagen hören wir, dass Menschen überall auf der Welt der Zugang verweigert wird: Flüchtlingen aus Afghanistan wird auf oftmals brutale Weise der Zugang nach Europa verwehrt. Großveranstaltungen, Messen und Konferenzen werden abgesagt, Menschen ziehen sich in ihre Wohnungen zurück. Doch christlicher Glaube heißt: Zugang, Eintritt, Hineintreten in die neue Welt, die uns durch Christus eröffnet ist. Und das ist nicht nur bildlich gemeint, sondern durchaus auch ganz wörtlich: Ich trete als Christ in diesen Raum der Gnade ein, wenn ich zum Gottesdienst komme, wenn ich erlebe, wie Christus selber mich in seine Gemeinschaft aufnimmt, mir alle Schuld vergibt, in mir Wohnung nimmt mit seinem Leib und Blut. Ja, das ist in der Tat das Allerwichtigste, dass wir diesen Zugang nicht nur haben, sondern von diesem Zugang auch Gebrauch machen, dass wir immer wieder von neuem miteinander nach dem Empfang des Heiligen Mahles singen können: „Herre, nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast.“ Ja, es ist richtig: „Fahren“ heißt hier „Sterben“. Wir singen ein Lied im Angesicht unseres Todes. Aber wir singen es fröhlich, weil wir im Frieden sind, im Frieden mit Gott, weil wir das Wichtigste auf der Welt in uns tragen: ihn, Christus, selber.

Das lässt uns „rühmen“, so formuliert es Paulus hier, lässt uns fröhlich singen. Und dann geht er noch einen Schritt weiter und sagt: „Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse“. Er sagt nicht: Wir singen trotz der Bedrängnisse. Sondern er sagt: Wir loben Gott gerade auch wegen der Bedrängnisse, die wir erfahren. Corona – für uns Christen kein Grund zur Panik, kein Grund, vor Angst zu erstarren. Sondern Corona – ein Anlass für uns Christen, Gott zu loben!

Denn gerade wenn die Menschen um uns herum alle durchzudrehen beginnen, erfahren wir wieder neu, was uns im Leben hält und trägt: eben Christus selber und seine Versprechen, die er uns gegeben hat. Nein, er hat uns nicht versprochen, dass wir in unserem Leben immer gesund sein werden, dass in unserem Leben alles glatt und einfach läuft. Im Gegenteil: Gerade jetzt in dieser Fastenzeit erinnert uns Christus daran, dass der Weg in seiner Nachfolge der Weg des Kreuzes ist, ein Weg, auf dem wir immer wieder erfahren, dass es in unserem Leben nicht so läuft, wie wir es uns wünschen und vorstellen, sondern wie Gott uns führt.

Geduld – das ist es, was aus dem, was wir jetzt zurzeit erfahren, erwachsen soll. Geduld, die weiß, dass Gott zu seinen Versprechen steht, und die darum ganz gelassen dem entgegenblickt, was nun in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten auf uns zukommen mag. Vielleicht kommen tatsächlich Bedrängnisse auf uns zu, von denen wir jetzt noch gar nichts ahnen. Doch was auch kommen wird: nichts wird uns den Frieden rauben können, den wir durch Christus haben. Und wenn uns Schweres bevorsteht, dürfen wir gewiss sein: Dieses Schwere soll dazu dienen, unseren Glauben zu bewähren, dass wir es wieder neu erfahren: Unser christlicher Glaube ist eben nicht bloß ein Schönwetterglaube, nicht nur ein Glaube für Tage, an denen wir uns gut fühlen. Unser christlicher Glaube besteht nicht darin, dass wir in unserem Leben immer gleich sofort bekommen, was wir von Gott erbitten. Unser Glaube bewährt sich gerade darin, dass wir Gott in unserem Leben mitunter gar nicht verstehen können, dass all unsere Erfahrung dem Glauben an Gott zu widersprechen scheint. Das ist das geistliche Fitnessstudio, in das uns Gott in unserem Leben immer wieder einmal schickt, damit sich unser Glaube bewährt. Und Glaube, der sich bewährt, der blickt immer eindeutiger nach vorne, auf das Ziel, versteht das Leben, das wir führen, von unserer Zukunft her. Hoffnung – so nennt das Paulus hier.

Nein, unser Blick als Christen ist eben nicht auf Corona gerichtet. Sondern er ist gerichtet auf das ewige Leben, dem wir entgegengehen. Darum sind wir Christen, weil wir dieses Ziel vor Augen haben. Und von diesem Ziel her beurteilen wir dann all das, was wir jetzt in unserem Leben erfahren, fragen uns: Wie kann uns das, was wir jetzt erleben, helfen, eben dieses Ziel zu erreichen? Mit dieser Hoffnung schwinden Angst, Panik, Misstrauen und Hass in unserem Leben. An ihre Stelle tritt die Liebe, nicht unsere mickrige, kümmerliche menschliche Liebe, sondern die Liebe Gottes, die er selber ausgegossen hat in unsere Herzen. An die Stelle von Angst, Panik, Misstrauen und Hass tritt der Heilige Geist, der ein Geist des Friedens und der Freude ist, ja auch mitten in allem Leid.

Denke daran, wenn dich in den kommenden Tagen wieder alle möglichen Nachrichten beunruhigen mögen. Denke daran erst recht, wenn du selber krank werden solltest: Du hast Frieden mit Gott, du hast eine Hoffnung, die dir niemand nehmen kann, ja, du hast ihn, deinen Herrn und Heiland, der auch jetzt wieder in dir Wohnung nimmt. C – das steht für uns Christen nicht für „Corona“. Es steht für uns für ihn allein, für Christus. Und das gibt uns wirklich Aramesh. Amen.

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