Römer 6, 3-11 | 6. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

In den vergangenen Monaten standen hier bei uns in der Gemeinde immer wieder Fernsehteams Schlange. Und immer wieder hatten sie dabei denselben Wunsch: Sie wollten unbedingt eine Taufe filmen, eine Taufe eines ehemaligen Muslim, der Christ wird. Ja, sie wollten mit der Kamera dabei sein, genau in diesem Augenblick der Taufe, und waren dann oft genug enttäuscht, wenn ich ihnen erzählte, dass sie nur von oben von der Empore aus filmen dürften, und auch nur diejenigen, mit denen diese Aufnahmen vorher abgesprochen waren. Ach, viel lieber hätten sie mit der Kamera direkt neben dem Taufstein gestanden, hätten am liebsten ganz in Großaufnahme zu erfassen versucht, was sich da in diesem Augenblick ereignet, wenn das Wasser über den Kopf des Täuflings rinnt! Doch selbst wenn sie die Taufe in Super-Vergrößerung und in Super-Zeitlupe aus nächster Nähe gefilmt hätten, hätten sie eben doch in Wirklichkeit überhaupt nicht erfassen können, was sich da in jeder Taufe ereignet, die mit Wasser im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes vollzogen wird.

Genau darum geht es dem Apostel Paulus in der Epistel des 6. Sonntags nach Trinitatis, des Taufsonntags dieser Trinitatiszeit. Das ist das erste und wichtigste, was er uns hier in diesen Versen deutlich macht: In der Taufe geht es nicht bloß um irgendein symbolisches Geschehen; da wird nicht bloß etwas gespielt oder abgebildet. Sondern in der Taufe werden Realitäten geschaffen, Realitäten, die das Leben von Menschen völlig verändern, Realitäten, die Bestand haben bis in die Ewigkeit. Nein, diese Realität kann man nicht dadurch wahrnehmen, dass man eine Großaufnahme des Gesichts des Täuflings macht. Mit unseren Augen werden wir immer nur Wasser und nasse Köpfe sehen, dazu einen mehr oder weniger feierlichen Rahmen. Doch was für eine unfassliche Veränderung sich in diesem Augenblick ereignet, das wird kein Mensch mit seiner Kamera festhalten können; das können auch wir selber immer wieder nur dadurch erkennen, dass wir auf Gottes Wort hören und uns dadurch die Augen und Herzen öffnen lassen.

Nein, die Taufe ist nicht bloß eine feierliche Zeremonie zur Einläutung eines neuen Lebensabschnitts. Unendlich mehr geschieht in ihr, so zeigt es uns der Apostel. Kein anderes Ereignis in unserem Leben hat auch nur annähernd die Bedeutung wie das, was im Augenblick unserer Taufe an uns und in uns geschieht. Dreierlei geschieht in unserer Taufe, so zeigt es uns St. Paulus hier: Wir werden              

  • neu
  • frei
  • lebendig.

 

I.

In diesen Tagen der Fußball-Europameisterschaft kann man viele Menschen sehen, die mit Trikots von irgendwelchen Nationalspielern herumlaufen. Man muss nur einmal auf den Bauchumfang vieler dieser Trikotträger schauen, um festzustellen: Nein, das ist in Wirklichkeit gar nicht Boateng oder Schweinsteiger, das ist und bleibt nur Herr Meier, der sich solch ein Fußballtrikot übergezogen hat.

In der Taufe geht es nicht bloß darum, dass wir solch ein Trikot übergezogen bekommen, auch wenn dem kleinen Immanuel heute bei seiner Taufe tatsächlich ein Westerhemd über seinen kleinen Kopf gezogen wurde und damit sehr anschaulich zum Ausdruck gebracht wurde, was es heißt, dass wir in der Taufe Christus angezogen haben. Christus ist nicht bloß ein Fake-Trikot, das die Fähigkeiten dessen, der es angezogen hat, in keiner Weise verändert. Sondern indem wir Christus in unserer Taufe angezogen haben, hat sich in unserem Leben schlichtweg alles verändert.

Solange wir hier auf Erden leben, werden wir uns immer wieder verändern – nicht unbedingt immer zum Besseren. Aber es bleibt doch dabei, dass wir in allen Veränderungen letztlich doch immer dieselben bleiben, dass hier und da ein wenig an uns herumgebastelt wird, dass aber keine Veränderung, die wir erfahren, uns tatsächlich ganz neu macht.

Wirklich neu können wir nur dadurch werden, dass wir sterben, dass unser altes Leben endet und etwas wirklich Neues anfängt. Und genau das geschieht in der Taufe, so zeigt es uns St. Paulus hier. Da werden wir in den Tod Christi getauft, werden mit ihm begraben in den Tod.

Mit den Augen einer Fernsehkamera betrachtet, ist der Mensch, dem da bei der Taufe Wasser über den Kopf gegossen wird, nach der Taufe immer noch derselbe wie vorher. Doch in Gottes Augen ist von dem alten Menschen nichts, aber auch gar nichts mehr übrig geblieben. Da kommt aus der Taufe ein ganz neuer Mensch heraus, ein Mensch, der nicht mehr gezeichnet ist von dem, was er zuvor getan oder auch erlitten hat, ein neuer Mensch, der nicht mehr gezeichnet ist von Sünde und Schuld, von der Furcht, früher oder später der Macht des Todes zu unterliegen.

Ganz deutlich macht Christus selber damit: Du bist nicht dazu in der Lage, dich selber zu retten, deinen Beitrag dazu zu leisten, damit du in den Himmel kommst. Deine Rettung geschieht genau dadurch, dass du selber gar nichts tust, gar nichts tun kannst. Sie geschieht dadurch, dass du selber stirbst, dass Gott dich in der Taufe zu einem Menschen macht, der den Tod schon hinter sich hat, der nicht bestimmt ist von seiner Vergangenheit, sondern allein von seiner Zukunft. Ja, ein neuer Mensch wirst du gerade dadurch, dass du unlöslich mit Christus verbunden wirst, dass er dich hineinzieht in seinen Tod und in seine Auferstehung.

Wisst ihr das denn nicht? – So fragte damals der Apostel Paulus die Christen in Rom. Und indem er so fragte, erinnerte er die Christen damals an etwas, was sie eigentlich in der Tat hätten wissen sollen und doch so leicht übersehen und vergessen: Ihr seid seit eurer Taufe nicht mehr die, die ihr einmal wart. Das ist kein Bild, kein Symbol, sondern Realität: Ist jemand durch die Taufe in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen; siehe, Neues ist geworden.


II.

Nun hat der Apostel Paulus einen ganz bestimmten Grund dafür, dass er an die Christen in Rom so ausführlich von der Taufe schreibt. Er kannte es, dieses Argument, das ich auch heute in Diskussionen mit Menschen, die auf dem Weg zum christlichen Glauben sind, immer wieder vernehme: Wenn ich allein aus Gnaden gerettet werde, wenn ich zu meinem Heil gar nichts beitragen kann und auch gar nicht will, dann kann ich doch leben, wie ich will, kann mich benehmen wie das letzte Schwein. Christus deckt doch alles mit seiner Vergebung zu. Was der Paulus hier verkündigt, das ist doch völlig unmoralisch!

Nun ist der Apostel Paulus in der Tat kein Sittenwächter. Ziel seiner Verkündigung ist es in der Tat nicht, seine Zuhörer zu moralisch anständigen Menschen zu erziehen. Doch er macht hier in unserer Epistel sehr wohl deutlich, dass die Taufe in der Tat einen Einfluss hat auf unser Leben, auf unser Verhalten als Christen.

Um das richtig verstehen zu können, muss man allerdings erst einmal erkennen, was Paulus eigentlich unter Sünde versteht. „Sünde“ heißt für ihn nicht: etwas tun, was haram ist. „Sünde“ bedeutet für Paulus auch nicht allgemein: etwas Schlechtes zu tun. Wer „Sünde“ so versteht, geht davon aus, dass man sich als Mensch für oder gegen die Sünde entscheiden kann. Doch Paulus spricht hier im Römerbrief von der Sünde ganz anders: Sie ist für ihn eine Macht, die uns von Gott trennt, die uns knechtet, versklavt, uns gar keine andere Wahl lässt, als zu tun, was sie will. Nein, Sünde ist kein moralisches Fehlverhalten, sondern eine Sklaventreiberin, die uns ins Verderben drängt, die uns letztlich den Tod, den ewigen Tod einbrockt. Und genau von dieser Sklaventreiberin werden wir nun in der Taufe befreit, so beschreibt es St. Paulus hier. Ja, befreit werden wir von dieser üblen Herrscherin dadurch, dass Gott uns sterben lässt in der Taufe. Und mit unserem Tod erlischt jeglicher Herrschaftsanspruch über uns. Als wir gestern in der Persischen Bibelstunde über unsere Predigtlesung sprachen, hörte ich eine schöne Geschichte: Im Iran versuchen immer wieder einmal überschuldete Menschen, dadurch ihre Schulden loszuwerden, dass sie öffentlich ihre Beerdigung zelebrieren. In Wirklichkeit sind sie noch quietschlebendig, aber für die Öffentlichkeit werden sie feierlich zu Grabe getragen, es gibt eine Trauerfeier mit allem drum und dran – und damit sind sie offiziell tot, sind offiziell ihre Schulden los. Wer tot ist, bei dem kann man eben keine Schulden mehr eintreiben. So etwas Ähnliches passiert auch in unserer Taufe – nur mit dem einen Unterschied, dass Christus hier keinen Betrug veranstaltet, sondern dass es ganz real zugeht. Wir sterben wirklich in der Taufe – und damit sind wir die Sklaventreiberin los, sind nun freie Menschen, die nicht mehr nach dem Kommando der Sünde tanzen müssen. Nun ist Christus unser Herr, nun prägt und bestimmt er unser Leben. Und eben darum werden wir als getaufte Christen eben nicht einfach drauflos sündigen, weil wir ja doch immer mit Gottes Gnade rechnen können. Nein, wir sind neue Menschen und wir sind freie Menschen, Menschen, die nicht mehr der Logik unterliegen, dass wir in unserem Leben etwas verpassen, wenn wir nicht sündigen, wenn wir nicht alle Freiheiten zu unserem eigenen Vorteil ausnutzen. Ja, frei sind wir als getaufte Christen – frei dazu, nach Gottes Willen leben zu können. Auch wenn es keine Fernsehkamera zeigen kann: Jede Taufe ist eine dramatische Befreiungsaktion, die aus Sklaven Menschen macht, die anders leben können als zuvor.


III.

Und natürlich werden wir in der Taufe schließlich auch lebendig. Ja, um nicht weniger als um Leben und Tod geht es in unserer Taufe, darum, dass wir durch die Taufe ein neues Leben bekommen, das auch der Tod nicht zerstören kann, dass wir in der Taufe Anteil am Leben des auferstandenen Christus erhalten. Ja, in der Taufe wird die Macht des Todes über unser Leben gebrochen. Der Tod herrscht nicht mehr uns, kann uns von daher nicht mehr in der Angst gefangen halten, wir würden in diesem Leben etwas verpassen, nicht genügend mitbekommen. Wer getauft ist, hat eine neue, ewige Lebensperspektive, die über den Tag der Beerdigung hinausreicht und eben darum auch hier und jetzt schon unser Leben bestimmt. Ja, das tut gut, seit der Taufe schon den Tod hinter sich zu haben, den man fürchten müsste. Das tut gut, mit dem Tod im Rücken dem ewigen Leben in der Gemeinschaft mit Christus entgegenblicken zu dürfen!

Wisst ihr nicht? – So fragt der Apostel. Ich hoffe, ihr wisst es alle miteinander, was euch in der Taufe geschenkt worden ist, wisst es hoffentlich nicht nur, sondern lebt auch das, was ihr seid. Ja, darum geht es dem Apostel hier, dass wir als Christen nicht zu Realitätsverweigerern werden, dass wir nicht so leben, als seien wir gar nicht getauft, als sei die Taufe nicht die entscheidende Wende unseres Lebens, die uns neu, frei und lebendig gemacht hat. Lassen wir uns darum von Gottes Wort, von den Worten des Apostels wieder neu die Augen dafür öffnen, wer wir sind und was mit uns geschehen ist – unendlich mehr als das, was eine Fernsehkamera zu erfassen vermag! Amen.

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