Römer 9,14-18 | Mittwoch nach Septuagesimae | Pfr. Dr. Martens

In diesen Tagen wird in unserem Land viel über den Wählerwillen diskutiert. Jeder fordert, dass der Wählerwille in den Parlamenten respektiert werden solle, worunter dann allerdings die meisten derer, die sich an dieser Diskussion beteiligen, ihren eigenen persönlichen Willen verstehen, den sie mit großer Selbstverständlichkeit mit dem Wählerwillen oder dem Volkswillen gleichsetzen. Dass der eigene Wille nicht den Willen der Mehrheit darstellen könnte, auf diese Idee kommen viele derer, die sich zurzeit lautstark erregen, überhaupt nicht. Ja, es ist richtig: Eine Demokratie lebt davon, dass alle Bürger eines Landes ihren Willen bei Wahlen zum Ausdruck bringen können. Doch schon in einer Demokratie merken wir, dass nicht jeder einfach erwarten kann, dass alles, was er selber will, anschließend auch umgesetzt wird.

Eine Demokratie funktioniert tatsächlich so, dass sich Mehrheiten in der Regel in der Form von Kompromissbildungen zusammenfinden und so der Wille verschiedener Menschen umgesetzt wird. Doch es gibt auch Bereiche, die notwendigerweise anders funktionieren müssen. Und das betrifft besonders unser Verhältnis zu Gott. Die Kirche ist ihrem Wesen nach grundsätzlich keine Demokratie. Gewiss, es gibt Bereiche, in denen demokratische Entscheidungen gut und sinnvoll sind. Es gibt auch in unserer Kirche Synoden, es gibt auch in unserer Kirche demokratische Wahlen, bis hin zur Wahl des Bischofs. Doch es gibt Bereiche, die für demokratische Entscheidungen unzugänglich sind. Wir können nicht per Mehrheitsbeschluss Gebote des Herrn außer Kraft setzen, nur weil sie uns persönlich nicht passen. Wir können nicht demokratisch darüber befinden, ob Christus auferstanden ist oder ob sein Leib und sein Blut im Brot und Wein des heiligen Mahles wahrhaftig gegenwärtig sind. Gottes Wort ist in der Tat Mehrheitsentscheidungen enthoben.

Doch wir erleben es zurzeit in unserem Land, dass sich immer mehr Menschen damit nicht abfinden wollen, dass es Bereiche in der Kirche gibt, die ihrer Willensentscheidung entnommen sind, die feststehen, auch wenn es ihrem Willen nicht passt. Rückständig scheint das zu sein, ja rückständig scheint Gott selber zu sein, dass er sein Wort und seine Weisungen an uns nicht schon längst einem überfälligen Update unterzogen hat. Da muss man dem lieben Gott dann doch ein wenig demokratisch auf die Sprünge helfen, damit er endlich im 21. Jahrhundert ankommt.

Ja, es ist erstaunlich, mit was für einem Selbstbewusstsein wir Menschen immer wieder Gott gegenübertreten und meinen, wir könnten unser Verhältnis zu ihm so bestimmen, wie wir dies gerne möchten. Doch so neu ist dieses Denken auch wieder nicht. Das hat es im Verlaufe der Geschichte der Kirche immer wieder gegeben, dass Menschen meinten, ihr Verhältnis zu Gott hinge an ihrer Entscheidung, ja, mehr noch, sie behaupteten und behaupten: um in den Himmel kommen zu können, müsste der Mensch eine Entscheidung fällen, müsse sich für Jesus entscheiden – und der Ausdruck dieser Entscheidung sei dann seine Taufe. Das klingt zunächst so einsichtig, ja, so praktisch, wenn man die Regelung des Verhältnisses zwischen Gott und uns unserem eigenen angeblich freien Willen überlässt.

Doch in der Predigtlesung des heutigen Abends macht der Apostel Paulus deutlich, dass solches Denken zutiefst unbiblisch ist: Für die Regelung des Verhältnisses zwischen uns Menschen und Gott ist einzig und allein Gott zuständig, nicht wir. Gott ist zuständig – nicht nur zu 99%, sondern zu 100%. Mit den Worten des Apostels: „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ Gott allein entscheidet über unsere Rettung, nicht wir.

Das kränkt unseren eigenen scheinbar so freien Willen natürlich gewaltig: Was, Gott soll über uns entscheiden? Das wollen wir doch, bitteschön, selber erledigen! Doch Paulus macht deutlich: Wenn wir ernst nehmen, dass Gott wirklich Gott ist, können wir es gar nicht anders sehen und bekennen, als dass alles, wirklich alles allein an Gottes Erbarmen hängt und nichts an unserem angeblich guten menschlichen Willen.

Und je länger wir darüber nachdenken, werden wir dahin kommen, zu erkennen, wie gut das für uns ist:

Denn unser eigener menschlicher Wille ist eben gerade nicht geprägt von einer Liebe und Sehnsucht nach Gott. Im Gegenteil: Unser eigener menschlicher Wille ist darauf aus, sich selber zum eigenen Gott zu machen, nur um sich selber zu kreisen, und so empfindet er Gott immer wieder als Einschränkung und Störung des eigenen Lebens. Weh uns, wenn von diesem Willen, von den Entscheidungen, die er trifft, unsere ewige Zukunft bei Gott, ja, wenn davon unser Heil abhinge! Und auch wenn Gott unseren Willen durch seinen Heiligen Geist erneuert hat, ihn nun auf Christus und sein Wort ausgerichtet hat, bleibt unser Wille doch immer noch im Einflussbereich der Sünde, ist auf ihn auch nach unserer Taufe kein Verlass. Und je tiefer wir in uns selber hineinhorchen, desto deutlicher kommen die zweifelhaften Motive ans Tageslicht, die all unsere Entscheidungen in unserem Leben beeinflussen und bestimmen. Ja, weh uns, wenn von unserem Willen, wenn von unserer Entscheidung unser Heil abhinge! Dann könnten wir ja auch niemals gewiss sein, ob wir uns denn nun auch wirklich so ganz und völlig und von Herzen und ehrlich entschieden hätten, oder ob wir uns vielleicht doch noch einmal intensiver bekehren müssen, weil die bisherige Entscheidung vielleicht doch nicht ausgereicht hat.

Ach, wie gut haben wir es, dass wir als Christen diese geistliche Nabelschau in unserem Leben nicht zu vollziehen brauchen! Ach, wie gut haben wir es, dass unser Heil allein an Gottes Willen hängt! Denn es ist ja nicht so, dass wir nun in der Luft hängen müssten, nicht genau wissen könnten, wie Gottes Entscheidung in Bezug auf unser Leben wohl ausfallen mag. Gott hat seine Entscheidung uns gegenüber klar formuliert in unserer Heiligen Taufe, hat uns klar und eindeutig versprochen, dass wir für immer in seiner Gemeinschaft mit ihm leben werden. Ach, wie armselig erscheint da unser menschliches Pochen auf unserer Entscheidung, wenn Gott sich selber doch so klar und eindeutig zu unseren Gunsten entschieden hat!

Ja, höre es immer und immer wieder: Es liegt nicht an deinem Wollen oder Laufen, ob du selig wirst. Es liegt nicht an deiner Entscheidung! Höre es immer wieder, wenn du in deinem Leben versagst und schuldig wirst, wenn dich Glaubenszweifel überkommen, wenn du so deutlich merkst, dass du es nie und nimmer verdient hast, in den Himmel zu kommen: Es liegt nicht an dir, an deinem Wollen, an deinen guten Werken. Es liegt wirklich an Gott allein, der seinen Sohn auch für dich hat am Kreuz sterben lassen und der es dir auch heute im Heiligen Mahl wieder zusagt, dass er sich ganz und gar, zu 100% für dich entschieden hat. Ist das gerecht, dass Gott so wenig auf unser Tun Rücksicht nimmt? Nach menschlichen Maßstäben vielleicht nicht. Doch, gottlob: Es ist nach Gottes Maßstäben gerecht – und genau das macht unsere Rettung aus. Weil Gott sich entschieden hat, dürfen wir unseres Heils gewiss sein, braucht uns nicht mehr die Angst vor der Hölle zu guten Taten anzutreiben. Nein, gerade weil wir frei von der Angst sind, ob wir denn nun in den Himmel kommen, können wir Gutes tun, können wir uns für die einsetzen, die in ihrem Alltag immer wieder erfahren, wie wenig gut der Wille des Menschen gegenüber denen ist, die nicht seinen eigenen Vorlieben und Wünschen entsprechen. Ja, hier auf Erden müssen wir oft genug erleiden, was passiert, wenn Menschen ihren eigenen Willen durchsetzen. Ja, wir müssen auch dies immer wieder erfahren, dass Menschen sich in ihrer Abwendung von Gottes Geboten so verrennen, dass sie sich von nichts und niemand mehr zur Umkehr rufen lassen. Solche Verstockung gibt es auch heute noch, so erleben wir es immer wieder gerade auch im Umgang mit Vertretern unseres Staates. Doch wie gut, dass unsere Zukunft nicht an ihrem Willen hängt, sondern allein an Gottes Willen! Halte dich darum nur an deine Taufe! Dann weißt du, was dir in Zukunft blüht: Das ewige Leben! Amen.  

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