Sacharja 2,14-17 | Heilige Christnacht | Pfr. Dr. Martens
„Ach du Schreck!“ Das dürfte wohl unsere erste Reaktion sein, wenn wir eines Tages die Nachricht erhalten würde: „Siehe, ich komme und will bei dir wohnen!“ Das fehlt uns gerade noch, dass da einer bei uns in unsere kleine, enge, unaufgeräumte Wohnung einzieht, uns unsere Privatsphäre raubt, uns in unserem ganzen Lebensrhythmus durcheinanderbringt! Wir brauchen doch einen Bereich, in dem wir wirklich für uns selber sein können, in dem andere nun wirklich nichts zu suchen haben. Die Ankündigung, dass da jemand bei uns wohnen will, dürfte bei uns jedenfalls erst einmal keinen lauten Jubel hervorrufen.
Doch wir sind ja eben doch sozial eingestellte Leute. Und so mögen wir die Ankündigung, dass sich da jemand bei uns einquartieren und bei uns wohnen möchte, doch nicht einfach gleich abwimmeln, sondern erst einmal nachfragen: Warum macht der das? Warum will der bei mir wohnen? Ist der in solch einer Notlage, dass ich ihn nicht draußen sitzen lassen kann, dass ich ihn wohl oder übel doch bei mir aufnehmen muss?
Doch dann kommt die ganz große Überraschung: Der sich da bei uns ankündigt, der da bei uns einziehen will, ist nicht ein Mensch in einer sozialen Notlage, nicht einer, dem ein kaltherziger Vermieter schnell mal gekündigt hat. Sondern es ist kein Geringerer als Gott selber, der hier seinen Einzug bei uns ankündigt. Und der kündigt gewiss nicht deshalb an, dass er bei uns wohnen will, weil er dort oben im Himmel von jemand rausgeschmissen worden wäre oder weil ihm dort die Decke auf den Kopf gefallen wäre. Ja, wir beginnen zu ahnen: Der, der da ankündigt, bei uns Wohnung zu nehmen, der macht das gerade nicht, weil er in Not wäre, sondern weil er weiß, dass wir es nötigt haben, dass er zu uns kommt. Gott macht sich auf von seiner heiligen Stätte und begibt sich damit in echte Schwierigkeiten – genau davon handelt ja auch die Weihnachtsgeschichte, wie wir sie heute schon in der Christvesper vernommen haben: Gott kommt in diese Welt – und erlebt gleich zu Beginn schon massive Wohnungsprobleme, weil ihn keiner bei sich aufnehmen will. Und so muss er schließlich mit einem Viehstall vorliebnehmen, weil in allen anderen Wohnungen für ihn kein Platz war.
Ja, all das nimmt der lebendige Gott auf sich, weil er weiß, wie sehr wir auf seinen Besuch, ja auf seinen Einzug bei uns, in der Wohnung unseres Lebens, in Wirklichkeit angewiesen sind. Er weiß: Ein Leben ohne ihn, ohne seine Gegenwart bei uns ist in Wirklichkeit ein völlig hohles Leben, ein Leben, in dem wir das Entscheidende verpassen. Gott kommt ja nicht zu uns, um zu kontrollieren, ob wir im Haus unseres Lebens immer auch genügend Staub gewischt haben, er kommt nicht zu uns, um uns dauernd zu nerven. Ja, man kann durchaus behaupten, dass er zu uns kommt, um bei uns immer wieder sauberzumachen, den ganzen Dreck aus unserem Leben zu entfernen, den wir selber niemals loswerden könnten, einen Dreck, in dem wir am Ende ersticken würden, wenn Gott nicht selber ihn beseitigen würde.
Gott kommt zu uns, um bei uns zu wohnen – ja, das ist eine wunderbare Nachricht, kein Grund zum Erschrecken. Aber Gott meint das tatsächlich so: Er will tatsächlich in das Haus unseres Lebens ganz einziehen, will hier bei uns nicht bloß eine Meldeadresse haben und sich dann einmal im Jahr vielleicht blicken lassen. Im Gegenteil: Er will sein Leben in der Tat ganz mit dir teilen, Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr.
Und wenn wir dann genauer hingucken, dann stellen wir fest, dass es ja eigentlich sogar umgekehrt ist: Gott kommt, um bei uns zu wohnen, gewiss. Aber er macht es eben nicht so, dass er sich einfach in unser kleines Lebenshaus drängelt. Sondern Gott gründet im Gegenteil eine ganz große WG, in der für Menschen aus allen Völkern und Ländern Platz ist. Und er lädt uns dazu ein, in diese WG einzuziehen. Nein, Gott ist nicht bloß der Vermieter dieser WG, sondern er ist tatsächlich Mitbewohner, teilt sein Leben mit uns in dieser WG. Was für eine großartige Aussicht, die er uns damit für unser Leben eröffnet: Er schenkt uns, die wir in unserem Leben so oft gar nicht wissen, wo wir eigentlich hingehören, ein ganz festes Zuhause, aus dem wir nicht mehr abgeschoben werden können, aus dem wir auch nicht mehr herausgekündigt werden können. Ja, es lohnt sich allemal für uns, in diese WG einzuziehen, in diese Kommune mit dem lebendigen Gott. Wir müssen dafür nicht an irgendwelche Vermittler mehrere tausend Euro zahlen, wir sind eingeladen, einfach mit den ganzen Klamotten unseres Lebens dort zu dieser Kommune zu kommen und dort gleich einzuziehen. In dieser WG ist es nicht beklemmend eng, im Gegenteil: Wir können dort aufatmen. In dieser WG nervt uns Gott nicht mit irgendwelchen Moralpredigten, sondern er setzt eine Feier nach der anderen an, möchte nur eins, dass wir bei diesen Feiern mit dabei sind, dass wir nicht immer wieder uns aus dieser WG ausklinken, sondern dort tatsächlich unser festes Zuhause haben.
„Ich will bei dir wohnen“ – was für ein wunderbares Wohnungsangebot unseres Gottes! Wohnen gemeinsam mit Gott! Ja, das soll in der Tat eine Lebensgemeinschaft sein. Gott möchte nicht nur, dass wir in dieser WG einmal im Jahr vorbeischauen und dem lieben Gott kurz mal Hallo sagen. Woche für Woche lädt er ein zu seinen legendären Hausfesten, ja, er möchte, dass diese Feste den Rhythmus unseres Lebens bestimmen.
Wenn Gott mit uns feiert, dann darf es ruhig sehr fröhlich zugehen, ja, vielleicht auch etwas lauter, als wir es sonst üblicherweise sind. Wir dürfen aus uns herausgehen, wenn wir anfangen zu begreifen, was das bedeutet, dass Gott sein Leben mit unserem Leben teilen will. Und doch ist und bleibt Gott eben doch unendlich mehr als ein guter Kumpel, mit dem man sich einfach mal zwanglos zusammensetzen kann. Auch wenn er so dicht auf Tuchfühlung zu uns kommt, bleibt er doch der Herr der Welt, über dessen Kommen wir gar nicht genug staunen können. Und darum gilt auch heute Nacht für uns zugleich, was der Prophet Sacharja hier ankündigt: „Alles Fleisch sei stille vor dem HERRN; denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte.“ Ja, darum werden wir jetzt auch gleich wieder still, wenn wir miteinander das Heilige Mahl feiern, wenn wir gemeinsam das Weihnachtswunder erleben, dass der Mensch gewordene Gott leibhaftig in unsere Mitte tritt. Da können wir nur noch staunen, wenn sich der Herr der Welt wieder neu aus seiner heiligen Stätte zu uns begibt. Aber dann darf bei uns zugleich wieder Jubel ausbrechen, dürfen wir auch heute Nacht fröhlich und vielleicht auch etwas lauter singen, singen von diesem wunderbaren Gott, der aus Liebe zu uns Mensch geworden ist, um sein Leben mit uns zu teilen. Ja, jubeln dürfen wir in ganz verschiedenen Sprachen, weil sich in unserer Mitte erfüllt, was Sacharja einst schon ankündigte, dass sich einmal viele verschiedene Völker zu dem Herrn wenden werden. Ja, hier in unserer Mitte macht er sein Wort wahr, lässt er uns erfahren, wonach sich die ersten Zuhörer Sacharjas noch so sehr gesehnt hatten. Menschen aus verschiedenen Ländern – sie alle passen wunderbar in Gottes große WG, in der immer noch mehr Platz ist. Ja, komm, zieh in diese WG richtig ein, schau nicht nur zu einer Stippvisite vorbei! Gott hat schon die nächsten Termine für seine Feiern mit uns angesetzt. Ja, dafür hat er als kleines Kind in der Krippe gelegen, dass unser Leben in eine einzige Feier mündet, die einmal kein Ende mehr haben wird! Amen.