Sacharja 9,9+10 | Erster Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens

Nun werden sie überall in unserem Land in Windeseile errichtet: Impfzentren und Impfstraßen, in denen in den kommenden Wochen und Monaten Menschen gegen das Corona-Virus geimpft werden sollen. So viele Menschen setzen auf diese Impfungen große Hoffnungen: Ach, wenn doch erst einmal möglichst schnell alle Menschen geimpft sind, dann ist diese furchtbare Zeit, in der wir im Augenblick leben, endlich vorbei, dann wird alles wieder gut, dann wird endlich alles wieder normal, so wie vorher.

Hoffnungen darauf, dass alles wieder gut wird, dass alles wieder in Ordnung kommt – die haben wir in diesem vergangenen Kirchenjahr immer wieder gehegt. Und immer wieder wurden diese Hoffnungen enttäuscht. Immer wieder hat sich zerschlagen, was wir erträumt und geplant hatten. Die schöne Welt, in der alles wieder gut wird, sie will sich einfach nicht einstellen. Und es steht zu befürchten, dass auch die Impfzentren und Impfstraßen daran nur begrenzt etwas ändern werden. Wir wissen im Augenblick noch nicht einmal, ob diejenigen, die geimpft werden, nicht doch trotz ihrer Immunität andere werden anstecken können, wir wissen nicht, wie lange der Schutz wirkt – ja, wir erleben jetzt schon, wie der Streit darüber ausbricht, wer denn nun zuerst und wer denn erst später geimpft werden soll. Nein, wir stehen nicht kurz vor der Rückkehr ins Paradies. Und selbst wenn es gelingen sollte, das Corona-Virus in seiner Wirksamkeit halbwegs einzudämmen, ändert das nichts daran, dass wir Menschen von Krankheiten vielfältiger Art bedroht sind, von Krankheiten, an denen die allermeisten von schließlich doch früher oder später werden sterben müssen. Es gibt keine Impfung gegen den Tod.

Und ebenso wenig gibt es eine Impfung gegen Menschenfeindlichkeit in den Köpfen der Menschen. Selbst wenn es uns gelingen sollte, Gesundheitsbedrohungen in unserem Land wieder zu minimieren, ändert das nichts daran, dass wir in einer Welt leben, in der es Menschen Freude bereitet, andere Menschen kaputt zu machen, ihnen zu zeigen, wieviel minderwertiger sie im Vergleich zu ihnen selbst sind. Ein gut Teil meiner Arbeit als Pastor besteht darin, Menschen im Krankenhaus zu besuchen oder mit Menschen zu sprechen, die der Zynismus und Rassismus von staatlichen Behörden psychisch kaputt gemacht hat, sie bis zu Suizidversuchen getrieben hat. Da kann man noch so viel impfen – gegen diese Bosheit kommt kein Impfstoff an. Man kann Politikern nicht christliches Verhalten einimpfen – auch nicht denen, die an anderer Stelle ihre angebliche Christlichkeit heraushängen lassen, wir haben keine Mittel, um sie von dem Zynismus zu befreien, mit dem sie, ohne mit der Wimper zu zucken, dazu bereit sind, Menschen in den Tod zu schicken. Ja, wir leben in einer kaputten Welt, in einer Welt, die sich nicht mehr in Ordnung bringen lässt, in einer Welt, in der Menschen oft genug einfach nur noch verzweifeln, auch ganz ohne Corona.

Enttäuschte Hoffnungen – die hatten auch die Menschen in Israel hinter sich, als sie damals die Worte des Propheten Sacharja vernahmen. Mit ganz großen Hoffnungen waren sie aus dem Exil in Babylon nach Jerusalem zurückgekehrt, hatten es sich ausgemalt, dass dort in der Stadt Gottes schon bald paradiesische Zustände herrschen würden. Doch stattdessen ging der Wiederaufbau über viele Jahre nur mühsam voran, war und blieb Israel kein freies Land, musste unter der Herrschaft der Perserkönige leben. Ja, wie sollte man an dieser Situation etwas ändern?

Und da hören diese Menschen in Jerusalem und Umgebung nun von dem Propheten Sacharja, worin allein ihre Hoffnung besteht: Sie besteht nicht darin, dass irgendein König, dass irgendein Mensch sonst es schaffen wird, diese Welt in ein Friedensreich zu verwandeln, in dem alle Probleme irgendwann einmal endgültig der Vergangenheit angehören werden. Sondern die einzige Hoffnung, die die Zuhörer des Sacharja haben durften, besteht darin, dass da eines Tages ein König zu ihnen kommen wird, der ganz anders sein wird als alle anderen Könige, die sonst auf dieser Erde geherrscht haben und bis jetzt noch herrschen. Ja, ein König wird kommen, der einmal tatsächlich in Ordnung bringen vermag, was wir Menschen nie und nimmer vermögen.

Wir wissen, wer dieser König ist, den Sacharja hier in den Worten unserer heutigen Predigtlesung ankündigt. Wir haben es im Heiligen Evangelium dieses Sonntags gehört, wie Jesus selber die Worte des Sacharja sehr gezielt und bewusst auf sich selber bezieht und darum auf einem Esel in Jerusalem einreitet: Ja, ich bin es, dieser König, den Sacharja damals vor so vielen hundert Jahren angekündigt hat, ich bin es, dieser König, der nicht herrschen wird wie sonst alle Herrscher und Regime dieser Welt: Ja, der Esel war durchaus ein Tier, auf dem auch Könige damals ritten, das ist richtig. Aber zugleich konnte man mit einem Esel wahrlich keinen Krieg führen. Ein Esel war immer auch ein Symbol des Friedens, und so übersetzt Matthäus richtig, wenn er den König, der da auf dem Esel einreitet, als „sanftmütig“ bezeichnet. Jesus macht deutlich: Das Reich, das ich hier in Jerusalem gründe, wird niemals auf Gewalt und Unterdrückung gegründet sein, niemals auf politische und militärische Mittel. Äußerlich betrachtet habe ich keine Chance gegen die Mächtigen dieser Erde, auch nicht gegen all das Leid und all die Not, die Menschen in ihrem Leben hier auf Erden erfahren. Und doch bin ich es allein, der den Menschen Frieden zu bringen vermag, Frieden in der Tat in einem ganz umfassenden Sinne.

Und was hat dieser König auf dem Esel nun mit uns, mit unserem Leben an diesem Beginn des Kirchenjahres 2020/2021 zu tun?

Sacharja will auch uns dies eine ganz deutlich machen: Es gibt für euch in eurem Leben wirklich nur eine Hoffnung, die wirklich trägt, die sich nicht als Enttäuschung herausstellen wird. Und diese eine Hoffnung ist der arme, sanftmütige König auf dem Esel, der damals in Jerusalem bei den Menschen Einzug gehalten hat und der auch bei uns Einzug hält, wenn wir das Mahl des Herrn feiern, wenn wir ihm unser „Hosianna“ zurufen, wenn wir damit deutlich machen, dass wir Hilfe und Rettung von ihm allein erwarten, von niemandem sonst. Ja, unsere einzige Hoffnung ist der König, der auf dem Esel von Brot und Wein bei uns einreitet mit seinem Leib und Blut und gerade so in unserem Herzen Wohnung nimmt.

Scheinbar ist das, was hier im Mahl des Herrn geschieht, so unwichtig, dass ein Außenstehender noch nicht einmal ansatzweise verstehen kann, was hier in Wirklichkeit geschieht, wenn Menschen hier am Altar niederknien und den Einzug dieses armen, niedrigen Königs in ihr Leben erfahren. Das ist für die Politiker unseres Landes so unwichtig, dass sie es im neuen Infektionsschutzgesetz, das der Bundestag gerade beschlossen hat, noch nicht einmal als eine Verletzung der Religionsfreiheit markiert haben, wenn der Staat beschließt, Menschen den Empfang des Heiligen Sakraments in der Kirche vorzuenthalten. Ja, arm, geradezu lächerlich unwichtig scheint dieser König zu sein, den wir nun gleich wieder in unserer Mitte mit unseren Gesängen begrüßen werden.

Doch Sacharja öffnet uns die Augen: Dieser König, auf dessen Einzug die allermeisten Menschen in unserem Land so gut meinen verzichten zu können, ist und bleibt in Wirklichkeit die einzige Hoffnung unseres Lebens, die einzige Hoffnung der ganzen Welt. Nur dieser König kann in der Tat Herzen von Menschen verändern, ja, schon hier und jetzt. Und nur dieser König, der jetzt so unscheinbar zu uns kommt, wird sich einmal als der Herr der ganzen Welt für alle Menschen sichtbar zu erkennen geben, wird tatsächlich einmal ein Friedensreich schaffen, in dem es endgültig keinen Behördenzynismus und Behördenrassismus, keine Kriege, ja auch keine Krankheiten und keinen Tod mehr geben wird.

Auf diesen König Jesus Christus wollen wir gerade jetzt in dieser so ungewöhnlichen und in vielem auch so bedrückenden Adventszeit ganz und gar unseren Blick, ja unsere Hoffnung lenken, wollen nur von ihm und von niemandem sonst Heil und Rettung erwarten.

Wenn wir auf diesen König blicken, dann werden wir natürlich immer noch hoffen, dass wir das nächste Kirchenjahr wieder mit der ganzen Gemeinde zusammen ohne Mundschutz hier in unserer Kirche begehen werden. Aber daran hängt für uns nicht alles. Wichtig ist, dass wir in diesem König auf dem Esel, dass wir in unserem Herrn Jesus Christus unseren einzigen Retter erkennen, dass wir auf ihn allein ganz vertrauen. Dann können wir trotz all der vielen Probleme, die wir im Augenblick haben, doch auch ganz gelassen dem entgegenblicken, was uns in dieser kommenden Zeit erwartet: Ganz gleich, was für Zahlen uns das Robert-Koch-Institut in der nächsten Zeit übermitteln wird, ganz gleich, was für Maßnahmen auch in der kommenden Zeit unser Leben immer weiter einschränken werden: „Siehe, dein König kommt zu dir“, lässt sich nicht aufhalten, nicht mit seinem Kommen und auch nicht mit seiner Hilfe, die er uns geben will. Wer erkannt hat, dass dieser König auf dem Esel auch sein König ist, der wird sich nicht mehr beeindrucken lassen von anderen Mächten dieser Welt, erst recht nicht von den großen Versprechungen, die sie uns machen. Was wir auch in unserem Leben erfahren, auch jetzt wieder in diesem neuen Kirchenjahr – es werden doch alles nur Schritte sind, Schritte hin zu dem großen Friedensreich, das Christus einmal am Tag seiner Wiederkunft errichten wird. Derselbe Herr, der Wort gehalten hat, als er den König auf dem Esel angekündigt hat, der wird auch Wort halten, wenn es um deine Zukunft, um die Zukunft deines Lebens geht. Diese Zukunft kann dir niemand nehmen, auch und gerade kein Virus. Halte dich darum zu ihm, der stärker ist als alle Krankheiten, zu ihm, der auch den Tod besiegt hat!

Und wenn du es erkannt hast, dass es dein Herr und Retter ist, der da auf dem Esel sitzt, dann wird dich das auch ähnlich von den Sitzen reißen wie damals die Menschen in Jerusalem auch. Dann wirst auch du singen, wenn auch vielleicht mit Maske, selbst wenn der ganz laute Jubel im Augenblick noch warten muss. Und der ganz laute Jubel wird schließlich auch nicht ausbrechen, wenn hier in Deutschland eine gewisse Impfquote erreicht ist. Der ganz laute Jubel wird schließlich ausbrechen, wenn wir ihn, unseren König, einmal mit eigenen Augen sehen werden. Dann werden wir ihn nicht mehr an dem Esel erkennen, sondern an den Nägelmalen in seinen Händen und Füßen – ihn, den gekreuzigten König, der für uns in den Tod gegangen ist, damit wir einmal selbst noch im Angesicht des Todes singen können, damit wir auch in Corona-Zeiten „jauchzen“ können, wie es so schön in Martin Luthers Übersetzung heißt. Nein, deine Lage ist nicht hoffnungslos. Denn siehe, dein König kommt zu dir, noch heute, hier und jetzt! Hosianna! Amen.

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