St. Jakobus 2,14-26 | 18. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

„Jeckel wollen wir schier aus der Bibel stoßen hier zu Wittenberg, denn er redet nichts von Christus, noch nicht einmal mit einer Silbe. Er scheint Paulus zu widersprechen und spricht weder vom Evangelium noch vom Gesetz in der rechten Weise. ... Ich werde einmal mit dem Jeckel den Ofen heizen.“ So äußerte sich einst Martin Luther über den Jeckel, wie er den Jakobusbrief zu nennen pflegte. „Ich werde einmal mit dem Jeckel den Ofen heizen“ – das brachte sehr klar und deutlich zum Ausdruck, was für ein Verhältnis Martin Luther zum Jakobusbrief besaß. Er wusste, dass der Jakobusbrief schon in den ersten Jahrhunderten der Kirche umstritten war, dass er in weiten Teilen der Kirche nicht als apostolischer Brief anerkannt war. Wie sollte er da päpstlicher als der Papst sein und als verbindlich erklären wollen, was schon in der alten Kirche umstritten war? Vor allem aber distanzierte sich Martin Luther so deutlich vom Jakobusbrief, weil dieser in Frage stellte, was er gerade wieder neu als Herzstück des Evangeliums erkannt hatte: Dass unsere Rettung nicht von unseren guten Taten abhängt, sondern allein von dem, was Christus für uns getan hat, dass wir uns vor Gottes Gericht nicht fürchten müssen, weil unser Heil allein darin beschlossen ist, dass wir mit Christus verbunden sind.

Nein, hier geht es nicht bloß um irgendwelche Vorlieben für bestimmte theologische Gedanken. Es geht hier tatsächlich um nicht weniger als die entscheidende Frage unseres Lebens: Was rettet mich in Gottes letztem Gericht, wenn ich klar erkenne, dass ich in meinem Leben weit hinter dem zurückgeblieben bin, was Gott von mir erwarten konnte? Was rettet mich in Gottes letztem Gericht, wenn ich in meinem Leben ganz offenkundig versagt habe, schuldig geworden bin, nichts habe, womit ich das vor Gott wieder in Ordnung bringen könnte? Nein, diese Frage darf nicht offen bleiben, auch und gerade nicht deshalb, damit mir die Angst vor Gottes letztem Gericht ordentlich Feuer unter dem Hintern macht und mich dazu antreibt, mich in meinem Leben besonders anzustrengen! Nein, nur wenn diese Frage klar und eindeutig geklärt ist, so, wie es uns der Apostel Paulus deutlich gemacht hat, nur wenn ich nicht mehr von der Angst getrieben werde, dass es am Ende meines Lebens nicht reichen könnte, kann ich als Christ leben, kann ich als Christ mich anderen so vorbehaltlos zuwenden, wie Gott dies in Christus bei mir getan hat. Allein Christus und sein Werk am Kreuz retten mich in Gottes letztem Gericht; allein in der Verbindung mit Christus erhalte ich Anteil an dem, was er für mich getan hat – und all das kann durch mein Versagen nicht in Frage gestellt werden. Ja, das ist und bleibt die Botschaft, die das Neue Testament klar bezeugt, das ist und bleibt die Botschaft, die zu verkündigen mir aufgetragen ist. Nichts und niemand darf dieses klare Evangelium verdunkeln, auch und gerade kein Jäckel.

Und da wird uns nun also nach der neuen Leseordnung der Kirche ausgerechnet der Abschnitt des Jakobusbriefes als Predigttext aufgegeben, in dem Jakobus am allerdeutlichsten in Frage stellt, dass wir ohne Werke, allein durch den Glauben selig werden. Was machen wir also damit? Ab in den Ofen, den alten Jäckel? Oder gilt dies heutzutage auch schon als Sünde, weil wir uns damit unsere CO₂-Klimabilanz versauen würden? Holen wir den Jäckel also doch noch mal aus dem Ofen heraus und schauen, ob wir nicht doch auch etwas von ihm lernen können, auch und gerade, wenn er uns das Evangelium nicht in Frage zu stellen vermag. Und da werden wir dann in der Tat gleich in mehrfacher Hinsicht fündig:

Zunächst einmal leistet der Jakobusbrief uns hier in unserer Predigtlesung einen wichtigen Beitrag zum interreligiösen Dialog: Da lässt Jakobus hier doch glatt in Vers 19 das muslimische Glaubensbekenntnis erklingen: „Es ist nur einer Gott!“ Und Jakobus stimmt diesem Glaubensbekenntnis zu: Jawohl, dieses Glaubensbekenntnis ist richtig. Doch dann ordnet er dieses Bekenntnis in den richtigen Zusammenhang ein: „Die Teufel glauben’s auch und zittern.“ Zu bekennen, dass nur einer Gott ist – das schafft auch noch der Satan, das schaffen auch noch die Dämonen. Die wissen das auch – ohne dass dies irgendeine besondere Auswirkung auf ihren Lebenswandel hätte, geschweige denn auf ihre künftige Seligkeit. Anders formuliert: Das Glaubensbekenntnis des Islam rettet dich nicht, macht dich nicht selig, weil es am Entscheidenden vorbeigeht, weil es in ihm nicht um eine Beziehung zu dem geht, den es bekennt. Solcher Glaube ist ein bloßes Anerkennen, ein bloßes Für-Wahr-Halten, mehr nicht. Dass ich an Gott glaube, rettet mich nicht, macht mich nicht selig. Und das gilt eben nicht nur für den Islam, das gilt auch für die Relikte von Christlichkeit, die heutzutage noch in unserem Lande herumschwirren. In einem Land, in dem eine große Gottesvergessenheit längst Einzug gehalten hat, gilt es heutzutage schon als bemerkenswert, wenn von einem Menschen behauptet werden kann, er glaube noch an Gott. Da fragt man dann schon gar nicht so genau danach, was für ein Gott das eigentlich ist, weil man schon froh ist, dass ein Mensch es überhaupt noch wagt, das Wort „Gott“ noch in den Mund zu nehmen. Doch Jakobus macht uns hier sehr deutlich: Dadurch, dass ich an Gott glaube, komme ich nicht in den Himmel, werde ich nicht selig. Anzunehmen, dass Gott existiert, ist einigermaßen vernünftig, sagt aber noch in keiner Weise etwas darüber aus, in welchem Verhältnis ich denn zu diesem Gott stehe, dessen Existenz ich bejahe. Ja, es ist gut, dass uns Jakobus dies wieder neu so deutlich macht.

Ein zweites wichtiges Thema spricht Jakobus hier an: „Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und Mangel hat an täglicher Nahrung und jemand unter euch spricht zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was der Leib nötig hat – was hilft ihnen das?“

Dieses Beispiel ist ja nicht an den Haaren herbeigezogen. Ich höre sie ja sehr wohl, die Kritik, die immer wieder auch an der Arbeit unserer Gemeinde geübt wird: Dass ihr den Muslimen Christus predigt und sie tauft, das ist ja ganz wunderbar! Aber dass ihr diesen Menschen dann auch noch Kirchenasyl gewährt, dass ihr euch für ihr Bleiberecht hier in Deutschland einsetzt, dass ihr gar diejenigen kritisiert, die sie in ihr Heimatland abzuschieben drohen, das geht nun überhaupt nicht. Das ist nicht die Aufgabe der Kirche. Fromme Worte dürft ihr ihnen sagen, aber wenn ihr ihnen dann auch noch helft, dann ist das politisch, und Kirche hat doch nichts mit Politik zu tun!

Jakobus macht uns deutlich: So einfach kann man es sich nicht machen. Ich kann nicht dabei zuschauen, wie Menschen in den Tod geschickt werden, und sie dann mit einem feierlichen „Geht hin in Frieden!“ verabschieden! Ich kann nicht Kruzifixe als angebliches Symbol für unsere christliche Kultur aufhängen und dann denen, die ihre ganze Hoffnung auf dieses Kreuz setzen, die Ernsthaftigkeit ihres Glaubens absprechen und ihnen die Essensrationen kürzen. Jakobus erstellt hier eine klare Diagnose: Ein Glaube, der sich von der Not derer abwendet, die ihm vor Augen stehen, ist ein toter Glaube. Christus selber würde formulieren: Er ist wie ein Baum, der keine Früchte trägt.

Jakobus macht es in seinem Brief sehr deutlich: Wenn jemand behauptet, ein Christ zu sein, wenn jemand behauptet, zu glauben, und sich zugleich von der Not der Armen abwendet, dann stimmt etwas grundsätzlich nicht in seinem Glauben, dann sollten alle Alarmglocken klingeln. Christlicher Glaube ist eben nicht bloß ein Kulturgut, das man von Zeit zu Zeit mal nach Belieben pflegen kann. Wahrer Glaube kann gar nicht anders, als sich in Liebe den Schwächsten der Gesellschaft zuzuwenden, den Armen, den Geflüchteten, den Ausgebeuteten, den Behinderten, den Kranken und Sterbenden, ja auch den ungeborenen Kindern. Und an diesem Punkt ist der Jakobus auch gar nicht so weit weg von Paulus, der ebenfalls deutlich macht, dass der Glaube stets in der Liebe tätig ist. Auch wenn der Glaube allein selig macht, ist er doch niemals allein, wirkt aus sich heraus selber die Werke, die Jakobus hier in unserer Predigtlesung so eindringlich einfordert. Ja, lassen wir uns von Jakobus diese kritische Anfrage gefallen: Wie steht es mit deiner Beziehung zu Christus, wenn diese keine Konsequenzen hat im Umgang mit den geringsten Brüdern und Schwestern unseres Herrn? Ja, pass auf, dass deine Abwendung von der Not der Schwächsten nicht auch dein Verhältnis zu Christus selber vergiftet!

Ja, es ist gut, dass der Jakobus so unbequem ist, dass er es nicht zulässt, dass wir hier einfach nur unsere schönen Gottesdienste feiern und danach unsere Türen und Herzen vor den Menschen verschließen, die unsere Zuwendung brauchen. „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“ – so hat es Dietrich Bonhoeffer unter den Bedingungen des Dritten Reiches formuliert. Wie aktuell sind diese Worte in einer Zeit, in der Menschen in unserem Land wieder in den Tod deportiert werden!

Doch weh uns, wenn wir unser Vertrauen darauf setzen würden, dass wir doch so gute Menschen sind, dass wir tun, wovon sich so viele andere in unserem Land abwenden! Weh uns, wenn wir tatsächlich glauben würden, wir müssten unseren Glauben mit guten Werken ergänzen, um in den Himmel kommen zu können! Jakobus kann genau benennen, wo Dinge in unserem Leben, wo Dinge auch in der Kirche falsch laufen, kann mahnen und warnen. Aber  die Antwort, die er dann gibt, die hilft uns nicht weiter, wenn wir erkennen, wie sehr wir gerade auch im Umgang mit den geringsten Brüdern und Schwestern schuldig geworden sind, wenn wir erkennen, dass wir von uns aus keine Chance haben, in Gottes Gericht zu bestehen. Und so treibt uns Jakobus auch am heutigen Sonntag wieder ganz kräftig zu der Botschaft des Apostels Paulus, lässt sie wieder neu leuchten: Was mich rettet, ist allein meine Verbindung mit Christus, die er selber in seinem Wort und Sakrament stiftet. Was mich rettet, ist nicht mein Tun, sondern allein Christi Tun, sein Tod am Kreuz. Diese Zuversicht verändert mich, lässt mich viel mehr gute Werke tun, als es der Jakobus mit seiner Argumentation jemals bewerkstelligen könnte.

Nehmen wir also dem Jakobus den Wind aus den Segeln, zeigen wir auch in unserem Leben, was es heißt, dass Glaube eine lebendige Christusbeziehung ist, zeigen wir auch in unserem Leben, dass es unsinnig wäre, Glauben und gute Werke zu einer Alternative zu erklären! Ja, lassen wir uns von Jakobus immer wieder neu in die Arme unseres Herrn Jesus Christus treiben, in dem allein unsere Zukunft, unsere Rettung beschlossen liegt! Dann gebrauchen wir den Jakobus eben doch in einer viel sinnvolleren Weise, als mit dem Jäckel einfach nur den Ofen zu heizen. Amen.

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