St. Johannes 1,1-5.9-14 | Heiliges Christfest | Pfr. Dr. Martens

In einer Stunde soll das große Konzert beginnen. Die Sicherheitsvorkehrungen vor der Konzerthalle sind streng; nichts wird dem Zufall überlassen. Da geht der Sänger noch mal kurz draußen vor die Tür, um noch mal etwas Luft zu schnappen. Doch als er dann wieder in die Halle hereinmöchte, lässt man ihn einfach nicht herein. Die Sicherheitsleute erkennen ihn nicht, und er hat nichts, womit er sich ausweisen könnte. Als der Sänger behauptet, dass die Leute doch alle seinetwegen in die Halle gekommen seien, lachen die Leute von der Security nur: Da könnte ja jeder kommen und so etwas behaupten ... Und so warten die Konzertbesucher am Ende vergeblich in der Halle auf den Sänger, der draußen vor der Tür steht – und irgendwann gehen sie dann enttäuscht wieder nach Hause: Das große Konzert ist ausgefallen – und sie ahnten nicht, wie nahe der ihnen war, auf den sie doch eigentlich gewartet hatten.

Eine vollkommen absurde Geschichte ist das, so beknackt, dass sie in Wirklichkeit doch gar nicht geschehen kann? Mag sein. Doch in der Predigtlesung des heutigen Festtags wird uns eine ganz ähnliche Geschichte erzählt, ja, eine eigentlich noch absurdere Geschichte, die aber keinesfalls ausgedacht ist, sondern die Realität unseres Lebens, unserer Welt in ihrer letzten Tiefe beschreibt.

Nein, es geht in dieser Geschichte nicht bloß um ein Konzert, es geht um unendlich mehr: Es geht um nicht weniger als um unser Leben, ja um die Existenz der ganzen Welt. Diese Welt ist nicht einfach bloß das Produkt eines blinden Zufalls, und auch dein Leben und mein Leben ist nicht einfach bloß das Produkt eines blinden Zufalls. Sondern diese Welt ist erschaffen worden von jemand, der sich dabei etwas gedacht hat, der in diese Welt, der auch in dein Leben einen tiefen Sinn, eine letzte Bestimmung gelegt hat. Du bist nicht einfach dazu da, dass du hier auf Erden mehr oder weniger leckere Sachen isst und trinkst, dich fortpflanzt und auch daneben vielleicht noch den einen oder anderen Spaß hast. Sondern in dein Leben hat der Schöpfer selber eine letzte tiefe Logik hineingelegt, eine Zielbestimmung, auf die dein Leben ausgerichtet sein soll. Und diese Zielbestimmung besteht eben darin, dass du und der, der dich geschaffen hat, für immer zusammengehören sollen, dass dein Leben an ihm ausgerichtet sein soll, in ihm seine letzte Erfüllung finden soll. So hat sich das der Schöpfer gedacht – für dich, für mich, ja für jeden Menschen auf dieser Welt.

Doch nun wird es richtig absurd: Der, durch den die ganze Welt geschaffen worden ist, sucht die Gemeinschaft mit denen, die er geschaffen hat, will gemeinsam mit ihnen leben und damit genau das tun, wofür die Menschen doch geschaffen worden sind. Doch die, die er geschaffen hat, erkennen ihn nicht, lassen ihn nicht rein, wollen mit ihm nichts zu tun haben. Was für ein Irrsinn! Mit den Worten unserer heutigen Predigtlesung: Er, das Licht der Welt, er, der die letzte Bestimmung unseres Lebens ist, er war in der Welt – und die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf!

Gott kommt in die Welt – und wird nicht reingelassen. Absurder scheint es gar nicht zu gehen. Doch dass es immer noch absurder werden kann, das kann man ganz einfach dadurch erkennen, wenn man sich anschaut, wie jetzt in diesen Tagen die meisten Menschen in unserem Land Weihnachten feiern. Stellt euch vor, Leute kämen zu einem Konzert eines bekannten Künstlers, und der würde nicht erscheinen. Die Leute wären stinksauer und würden darauf bestehen, dass sie diesen Künstler nun auch sehen und erleben wollen. Kaum vorstellbar ist es, dass die Leute stattdessen in der Konzerthalle sagen würden: Ach, ist doch gar nicht so schlimm, wenn der Künstler nicht kommt; dann machen wir hier eben unsere eigene Party ohne ihn. Ja, eigentlich ist es ganz gut, dass der Künstler nicht erschienen ist, der würde uns bei unserer Party nur stören! Kaum vorstellbar solch eine Reaktion – und doch erleben wir genau das in diesen Tagen überall in unserem Land.

Da feiern wir Weihnachten. Das war ja eigentlich mal das Fest der Geburt Christi. Doch eben davon wollen die meisten Menschen in unserem Land in Wirklichkeit gar nichts mehr wissen. Die Staatsministerin für Integration im Bundeskanzleramt, Annette Widmann-Mauz, hat das in ihrem diesjährigen Weihnachtsgruß sehr treffend zum Ausdruck gebracht: „Egal woran Sie glauben ... wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr.“ Egal woran Sie glauben – man braucht doch Christus nicht für eine besinnliche Zeit und für einen guten Start ins neue Jahr. Ja, Weihnachten ist für die meisten Menschen und offenbar auch für so manche sich noch christlich nennenden Politiker in unserem Land nur noch so etwas wie eine Party in einer Konzerthalle, in der der Künstler nicht erschienen ist und bei der dieser Künstler am Ende eigentlich nur noch stören würde. Menschen feiern Weihnachten und wollen ernsthaft gar nicht wissen, was dieses Fest eigentlich bedeutet. Menschen überschütten sich mit Geschenken und wissen gar nicht mehr, dass alle Geschenke doch eigentlich an das eine Geschenk erinnern sollen, das Gott mit der Geburt seines Sohnes uns Menschen gemacht hat. Menschen stellen sich mittlerweile sogar oftmals schon in der Adventszeit einen Weihnachtsbaum auf und wissen überhaupt nicht mehr darum, dass dieser Baum an den Baum des Lebens erinnern soll, zu dem wir durch die Geburt Christi nun wieder Zugang haben, wenn wir im Heiligen Mahl den Leib und das Blut Christi essen und trinken.

Er kam in sein Eigentum – und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Zu Weihnachten wird noch einmal besonders eindrücklich erkennbar, was sich durch die Geschichte der Menschheit bis zum heutigen Tag hindurchzieht  und immer eindrücklicher wird: Wir Menschen wollen lieber ohne Gott, ohne Christus leben, brauchen ihn nicht, machen lieber unsere eigene Party ohne ihn und denken, dass das alles ist, was wir von unserem Leben erwarten können. Wie irrsinnig, wie armselig – und wie scheinbar doch völlig normal!

Doch wer Christus aus seinem Leben herauslässt, wer nicht mehr von seinem Leben erwartet als ein wenig Party und etwas nettes Familienleben, der verpasst sein Leben, der verfehlt den Sinn dessen, wofür er geschaffen ist, der verfehlt damit auch das Ziel des Lebens: das neue Leben, das wir nicht schon von Geburt in uns tragen, sondern zu dem wir in der Gemeinschaft mit Christus neu geboren werden.

Ja, genau das feiern wir nun zu Weihnachten: Gott lässt sich von allen Widerständen, die wir Menschen ihm unbegreiflicherweise entgegenbringen, nicht davon abhalten, doch noch in diese Welt, in sein Eigentum zu kommen. Er macht es nicht mit roher Gewalt, er macht die nicht platt, die ihn nicht erkennen und nichts mit ihm zu tun haben wollen, sondern er wählt einen ganz anderen Weg, einen Weg, den wirklich keiner ahnen konnte: Er kommt zu uns in der Gestalt eines kleinen Babys, wird selber Mensch mitten in dieser Welt, will gerade so und nicht anders die Widerstände überwinden, die wir Menschen seinem Kommen immer wieder entgegenbringen.

Ja, natürlich kann man gerade auch ein solches Baby beiseite tun, übersehen, schlimmer noch: verkitschen und zum Ausdruck eigener Wünsche und Vorstellungen umdeuten. Doch das Wunder geschieht, auch hier in unserer Mitte, immer und immer wieder: Dass Menschen in diesem kleinen Baby Gott selbst in seiner ganzen Herrlichkeit erkennen. Diese Herrlichkeit erschlägt einen nicht mit ihrem Glanz; sie kann nur von denen wahrgenommen werden, denen Gott selber die Augen dafür geöffnet hat. Doch die, die ihn erkennen, die kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus: Derselbe Gott, der das ganze Universum bis hin zur fernsten Galaxie geschaffen hat, derselbe Gott, der immer schon da war und selber keinen Anfang hat, derselbe Gott wird Fleisch – und das heißt eben nicht nur: Er wird anfassbar. Sondern es heißt: Er wird sterblich. Ja, mehr noch: er wird als Mensch geboren, um für uns zu sterben, damit unsere Rebellion gegen Gott nicht in der Finsternis des ewigen Todes endet, sondern uns durch ihn, den Fleisch gewordenen Gott, ewiges Leben geschenkt wird.

Das Wort ward Fleisch – hören wir nicht auf, diese unfassliche Geschichte immer wieder denen zu bezeugen und zuzurufen, die immer noch die Party ihres Lebens ohne Gott feiern! Das Wort ward Fleisch – und wohnte unter uns! Ja, du kannst ihn tatsächlich in deinem Leben finden, ihn, denselben Gott, der sämtliche Milchstraßen dieses Universums durch sein Wort ins Leben gerufen hat. Du kannst ihn tatsächlich finden – nicht in irgendwelchen Glücksmomenten in deinem Leben, nicht tief in deinem Inneren, nicht in deinen Gefühlen, sondern einzig und allein da, wo er auch in unserer Mitte wohnt, wo er in unserer Mitte „zeltet“, wie es wörtlich hier bei Johannes heißt.

Nein, es ist kein Zufall, dass das Tuch, das die Gefäße des Heiligen Mahles hier auf dem Altar verhüllt, die Form eines Zeltes hat. Sondern dieses Zelt erinnert an das Zelt der Begegnung, in dem die Israeliten im Alten Testament Gott begegnen konnten. Und es erinnert an dieses Wort aus Johannes 1, das wir eben bedacht haben: Das Wort ward Fleisch und zeltete unter uns. Ganz klein macht sich Gott auch jetzt wieder hier in unserer Mitte, um unsere Widerstände zu unterlaufen, um uns so nahezukommen, dass er in uns wohnt, dass wir ihn in uns aufnehmen und gerade so Gottes Kinder sind und bleiben.

Die Geschichte, die ich euch am Anfang der Predigt erzählt habe, die hatte kein Happy End. Traurig und enttäuscht gingen die Konzertbesucher nach Hause, weil der Künstler nicht kam. Doch die Geschichte, die euch heute Morgen verkündigen darf, die hat ein wunderbares Happy End: Der, mit dem keiner mehr gerechnet hat, er ist gekommen, damit wir in der Gemeinschaft mit ihm so leben und feiern können, wie es der Bestimmung unseres Lebens entspricht. Die Feier hat doch noch begonnen – und sie wird nie mehr enden. Dafür ist Gott Mensch geworden, damit dein Leben im Licht endet. Dafür ist Gott Mensch geworden, damit all das Dunkle, das du jetzt in deinem Leben erfährst, nicht das letzte Wort hat. Christus, das Licht, ist stärker als alle Finsternis, stärker auch als die Finsternis des Todes. Er führt dich durch alle Dunkelheiten in das Licht, gegen das keine Finsternis, gegen das auch kein Tod mehr ankommt. Ja, dafür ist er Mensch geworden, dafür kommt er auch heute zu dir mit seinem Leib und Blut. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen. Amen.

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