St. Johannes 1,14-18 | Vorabend zum 2. Sonntag nach Epiphanias | Pfr. Dr. Martens

„Ich glaube schon, dass es da oben jemanden gibt, der auf mich aufpasst. Ja, ich glaube an Gott, auch wenn man natürlich nicht so ganz genau wissen kann, wer er eigentlich ist.“ Schwestern und Brüder: Wenn irgendein etwas prominenterer Zeitgenosse hier in Deutschland eine solche oder ähnliche Aussage macht, dann löst das oftmals in frommeren Kreisen schon Jubel aus: Schaut her, da gibt es doch noch jemanden, der es wagt, sich zum Glauben an Gott bekennen!

Doch sagen wir es ganz offen und deutlich: Wenn jemand sagt, er glaube daran, dass es da oben jemanden gibt, der auf ihn aufpasst, dann hat das mit dem christlichen Glauben erst einmal herzlich wenig zu tun. Das ist ein Stück allgemeinmenschlicher Religiosität, in dem sich natürlich eine Ahnung dessen verbirgt, dass es einen Schöpfergott gibt, dass wir nicht einfach per Zufall entstanden sind. Doch im christlichen Glauben geht es um etwas ganz anderes, so macht es uns die Predigtlesung des heutigen Abends in sehr eindrücklicher Weise deutlich: Im christlichen Glauben geht es nicht um die Ahnung eines höheren Wesens, nicht um Vermutungen und eigene Vorstellungen, wie dieses höhere Wesen vielleicht sein und sich vielleicht verhalten könnte. Sondern im christlichen Glauben geht es darum, dass Gott sich selber so klar und eindeutig zu erkennen gegeben hat,

  • dass er sich sehen lässt
  • dass er sich erklären lässt
  • dass er sich festmachen lässt.


I.

Wenn Menschen von Gott reden, dann verbinden sie damit zumeist automatisch die Vorstellung von „da oben“. Gott ist „da oben“ – und das heißt: Er ist gerade nicht da, wo wir sind. Und das bedeutet wiederum: Wir können nicht so genau wissen, wer Gott eigentlich ist. Doch St. Johannes verkündigt uns hier genau das Gegenteil: Gott ist nicht einfach „da oben“, sondern: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Das Wort, das nicht weniger als Gott selber ist, wird Fleisch. Ja, da steht tatsächlich „wird“ – und das heißt: Da passiert etwas mit Gott, da verändert sich etwas an ihm. Fleisch wird er – das ist noch unendlich mehr, als wenn es hier nur heißen würde: Er wurde „Mensch“. Fleisch – das heißt: vergänglich, sterblich. Der unsterbliche Gott wird sterblich. Der Gott „da oben“ lässt sich unter uns finden, in unserer Mitte. Wenn ich nach Gott suche, muss ich nicht mehr nach oben schauen. Ich soll und darf vielmehr auf einen menschlichen Körper schauen, in dem Gott sich finden lässt, so sehr, dass er sich in der Tat sehen lässt, so betont es St. Johannes hier: „Wir sahen seine Herrlichkeit.“ Ja, das ist für unseren christlichen Glauben entscheidend wichtig, dass wir an einen sichtbaren Gott glauben, an einen Gott, über den wir nicht länger zu spekulieren brauchen, wer er wohl ist, sondern der sich uns in sichtbarer Form zu erkennen gegeben hat. Darum gibt es in unserem christlichen Glauben Bilder, weil Gott sich hat sehen lassen in seinem Sohn Jesus Christus. In ihm können und dürfen wir Gottes Herrlichkeit schauen, so sagt es St. Johannes hier. „Herrlichkeit“ – es gibt kaum ein Wort, das besser beschreiben könnte, wer Gott ist: Er ist nicht Dunkel, er ist Licht, er ist kein schwarzes Loch, sondern er strahlt aus, existiert nur in der Weise, dass er anderen an sich Anteil gibt. Ja, das wird am allerdeutlichsten in Jesus Christus selber erkennbar, der sich ganz hingibt, mit seinem ganzen Leben, mit seinem Leib und Blut, um uns gerade so an sich, an seinem Leib und Blut Anteil zu geben, damit auch wir immer wieder neu nach dem Empfang des Heiligen Mahles singen können: „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Gott – nicht da oben, sondern hier unten, Fleisch geworden, berührbar, anfassbar in den Gestalten von Brot und Wein. Keine Spekulation mehr, wer er sein könnte – nur Anbetung vor diesem Geheimnis: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“


II.

St. Johannes führt das mit dem Sehen noch ein weiteres Mal aus: Ja, natürlich: Niemand hat Gott je gesehen, auch das ist richtig. Wir leben hier noch nicht im Himmel, in der Vollendung. Doch das bedeutet nicht, dass wir über Gott nur spekulieren könnten, bis wir ihn einmal sehen werden.

Im Taufunterricht erkläre ich es den Teilnehmern immer so: Wenn ich erzählen müsste, wie das Leben in Kabul oder in Teheran ist, so könnte ich nur raten. Ich bin dort niemals gewesen. Aber es gibt viele unter euch, die können sehr genau erzählen, wie das Leben in Teheran und Kabul ist, denn sie haben dort selber gelebt. Und da wäre ich schön blöd, wenn ich sagen würde: Was ihr erzählt, ist Unsinn, ich weiß das selber viel besser als ihr, wie das Leben dort ist. Und so ist das auch mit Gott: Keiner von uns hat Gott je gesehen. Wir können alle nur darüber spekulieren, wer Gott ist. Aber es gibt einen, der selber von Gott kommt, ja, der selber Gott ist, so betont es Johannes hier: „der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist“. Und dieser eine, der kann uns erzählen, wer Gott wirklich ist, der kann uns Gott richtig erklären. Und da wären wir schön blöd, wenn wir sagen würden: Wir wissen aber besser Bescheid über Gott als dieser eine, als Jesus Christus, was er uns sagt, das leuchtet uns nicht ein. Nein, eben darum ist der eingeborene Sohn Gottes Mensch geworden, damit wir verlässlich wissen können, wer Gott wirklich ist, damit wir hören können, was er mit uns vorhat. Alles, ja, alles hängt an diesem einen, an Jesus Christus. Nur durch ihn können wir wissen, wer Gott ist, nur durch ihn können wir Gott erkennen – und zwar gerade so, dass er in Jesus Christus selber zu uns kommt. Er schickt uns nicht bloß Twitter-Meldungen aus dem Jenseits, sondern ist selber da, mitten unter uns, lässt uns gerade so erkennen, wer er ist: Die Liebe in Person.


III.

Und damit sind wir schon beim Dritten, was uns St. Johannes hier deutlich macht: Indem Gott sich sehen lässt, indem er sich erklären lässt, lässt er sich zugleich auch festmachen: Ich brauche nicht länger darüber zu spekulieren, wie Gott möglicherweise zu mir steht. Ich muss Gott auch nicht zu einem fernen alten Opa erklären, der es irgendwie ganz gut mit mir meint. Nein, durch Jesus Christus wissen wir, was wir von Gott erwarten können: „Gnade und Wahrheit“, so betont es St. Johannes hier in unserer kurzen Predigtlesung gleich zweimal. Gott ist Gnade – liebevoll wendet er sich uns zu, will nichts anderes, als uns für immer in seiner Gemeinschaft leben zu lassen. Gnade ist Gottes letztes und entscheidendes Wort an uns; davon nimmt er nichts mehr zurück, stellt nichts mehr in Frage. Denn zur Gnade gehört zugleich die Wahrheit – und Wahrheit meint in der Heiligen Schrift: Unbedingte Verlässlichkeit. Wenn Gott mir etwas sagt, dann steht er auch dazu, wenn er mir seine Liebe zusagt, dann relativiert er dies nicht irgendwann doch wieder. Genauso haben wir es heute Abend auch bei der Taufe von Sayda miterleben können: Da hat Gott Sayda heute Abend zu seinem Kind, zur Erbin des ewigen Lebens gemacht, hat ihr Gnade, Gnade und noch einmal Gnade zugesagt. Und darauf wird sich Sayda ihr ganzes Leben lang verlassen können, wird unter dem Schatten dieser Zusage Gottes getrost und fröhlich ihr Leben führen können, weil sie weiß, wer Gott ist: Der Gott, der sich sehen, der sich erklären, der sich festmachen lässt. Ja, Gott geb’s, dass sich genau so auch euer Leben immer wieder neu beschreiben lässt: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“ Wie wunderbar, dass wir an diesen Gott glauben dürfen! Amen.

Zurück