St. Johannes 12,20-24 | Laetare | Pfr. Dr. Martens

Mittlerweile ist es für viele Menschen in unserem Land, ja in fast allen Ländern dieser Erde, beinahe eine Selbstverständlichkeit, ein Facebook-Account zu haben. Diese Facebook-Accounts dienen in besonderer Weise der eigenen Selbstdarstellung: Man kann sich auf ihnen so präsentieren, wie man gerne gesehen werden möchte. Und das mit dem Sehen ist durchaus auch sehr direkt gemeint. Und so posten viele Facebook-Account-Inhaber immer wieder Fotos von sich selber, auf denen sie nach ihrer eigenen Einschätzung besonders schön und attraktiv erscheinen, und hoffen dann entsprechend auch darauf, für diese Selbstdarstellung möglichst viele Likes zu bekommen. Bis vor einigen Monaten präsentierten junge Männer gerne ihre sichtbaren Erfolge ihrer Besuche im Fitnessstudio mit entsprechend entblößtem Oberkörper. Seit die Fitnessstudios geschlossen sind, ist die Zahl solcher Bilder allerdings sprunghaft zurückgegangen. Dafür sehe ich nun häufiger Bilder von Menschen, die eher trübe eingefärbt sind und die Stimmung wiedergeben, in der sich so viele Menschen in unserem Land, ja wohl in den meisten Ländern dieser Erde, in den Zeiten der Corona-Pandemie befinden. Ja, auch mit solchen Bildern wollen Menschen gesehen werden, hoffen wohl nicht selten darauf, beim Posten solcher Bilder dann aufmunternde Botschaften zu erhalten.

Vor 2000 Jahren, zur Zeit Jesu, gab es natürlich noch kein Facebook. Aber den Wunsch danach, sich einen anderen anschauen zu können, den man bisher noch nicht gesehen und von dem man doch schon einiges gehört hatte, den gab es damals auch schon in den Zeiten, in denen Jesus lebte.

Da schildert uns der Evangelist St. Johannes, wie Jesus auf einem Esel in Jerusalem einreitet. Die Leute brechen Palmzweige von den Bäumen, begrüßen Jesus als ihren König, setzen so große Hoffnungen in ihn, dass er der ersehnte Befreier sein könnte, der sie endlich von der römischen Besatzungsmacht erlösen könnte. Doch Jesus handelt ganz anders, als viele in der Volksmenge es sich erhofft hatten: Er geht, so erfahren wir es auch aus den anderen Evangelien, zunächst in den Tempel, wie es sich für einen frommen Juden gehörte.

Und da berichtet uns der Evangelist St. Johannes nun, dass da Leute im Tempel auftauchen, die Jesus gerne sehen möchten. Ungewöhnliche Leute sind das. Sie kommen aus Griechenland, hatten einen langen Weg auf sich genommen, um zu erleben, wie das Passah-Fest in Jerusalem gefeiert wurde. Religiös interessierte Touristen, die mal ausprobieren wollten, ob es für sie vielleicht doch eine Alternative zu ihrer bisherigen Religion gab, ja, das sind in gewisser Weise schon Spiegelbilder von uns heutigen Menschen. Und dann hören sie dort in Jerusalem überall diesen Namen „Jesus“ – und da werden sie doch neugierig, wollen wissen, was es mit diesem Jesus eigentlich auf sich hat, wollen sich von ihm im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild machen. Sie hören, dass Jesus im Tempel ist und machen sich auf den Weg dorthin. Doch sehr bald stellen sie fest: Sie kommen an Jesus nicht heran. Sie müssen als Griechen im Vorhof der Heiden bleiben, dürfen den inneren Tempelbereich, in dem Jesus sich offenbar aufhält, nicht betreten. Wie können sie also nun an Jesus herankommen? Facebook hatte er nicht, noch nicht einmal ein Handy. Aber er hatte, das hatten sie gehört, 12 Jünger – und sie hatten auch vernommen, dass einige der Jünger griechische Namen trugen und vermutlich auch Griechisch sprachen. Der Philippus gehörte dazu, und ebenso der Andreas. Und den Philippus machen sie nun ausfindig und präsentieren ihm ihre Frage: „Herr, wir wollen Jesus sehen!“ Und dann berichtet St. Johannes, wie Philippus zum Andreas geht und die beiden dann Jesus die Bitte der Griechen vortragen. Jesus hört das also, dass sich da Menschen für ihn interessieren. Was für eine Chance für Jesus, sich jetzt im besten Licht zu präsentieren, Werbung in eigener Sache zu machen, dass diese möglichen Anhänger auch wirklich ein gutes Bild von ihm bekamen!

Doch Jesus reagiert ganz anders: Er macht sich nicht schön, begibt sich auch nicht gleich auf den Weg zu seinen potentiellen jubelnden Anhängern, sondern lässt den fragenden Griechen ein ganz anderes Bild von sich präsentieren: Nein, direkt werden sie nun nicht mehr an ihn herankommen, so, wie die ersten Jünger Jesu, die immer mit ihm unterwegs gewesen waren. Der Weg zu Jesus führt für sie, die Nichtjuden, ja, letztlich für alle Menschen auf der ganzen Welt allein über die Apostel, die ihnen durch ihr Wort den Zugang zu Jesus ermöglichen. Und das gilt für uns heute nicht weniger als für die Griechen damals, die erfahren mussten, dass es keinen Weg zu Jesus an den Worten der Apostel vorbei gibt.

Das ganze Neue Testament ist gleichsam der Facebook-Account unseres Herrn Jesus Christus. Da finden wir sein Bild so, wie er selber dargestellt sein möchte. Dichter als über die Apostel kommen wir an Jesus nicht heran, können uns nicht an den Aposteln vorbei einen unmittelbaren Eindruck von Jesus verschaffen.

Doch wie präsentiert sich denn nun Jesus vor diesen Griechen, die ihn gerne sehen möchten? Herrlich soll er erscheinen, davon spricht Jesus hier selber. Doch diese Verherrlichung geschieht nicht so, dass er sich in lässiger Pose oder gar mit muskulösem Oberkörper präsentiert, auch nicht so, dass er mit seinem Auftritt gleich massenhaft Likes einsammeln könnte. Denn diese Verherrlichung, die Jesus hier ankündigt, ist nichts anderes als seine Kreuzigung. Da und nirgendwo anders als dort am Kreuz will Jesus erkannt werden, da und nirgendwo anders soll erkannt werden, dass er wahrhaftig der Sohn Gottes ist.

Wenn sich uns auch nur irgendetwas von Jesus einprägen soll, dann eben dies, dass er für uns am Kreuz gestorben ist. Das ist das Bild von Jesus, das uns immer und überall und dann eben hoffentlich auch und gerade in den letzten Stunden unseres Lebens vor Augen stehen soll. Er, Jesus, blutend und am Ende schreiend am Kreuz hängend – nein, das ist wahrlich kein schöner Anblick, eigentlich absolut unerträglich. Kein Wunder, dass es in letzter Zeit wiederholt vorgekommen ist, dass Facebook Kreuzigungsdarstellungen auf den Accounts seiner Mitglieder geblockt hat mit der Begründung, dass hier in unangemessener Weise Gewalt dargestellt werde. Und doch ist diese Selbstpräsentation unseres Herrn für uns ein unendlicher Trost: Jesus möchte sich nicht abgehoben von den Menschen präsentieren, er möchte zeigen, dass er, der lebendige Gott in ihm, Jesus, ganz auf der Seite der Schwachen, der Kranken, derer, die Angst haben, ja der Sterbenden ist. Er möchte zeigen, dass die Rettung unseres Lebens nicht darin besteht, möglichst viele Likes im Internet zu erhalten, sondern dass die Rettung unseres Lebens darin besteht, dass er, Jesus, dort am Kreuz die Sünden der ganzen Welt wegträgt.

Ja, um die ganze Welt geht es Jesus. Und darum spricht er von seiner Verherrlichung gerade in dem Augenblick, in dem Menschen aus ganz anderen Ländern zu ihm kommen und ihn sehen wollen. Jetzt, mit seiner Kreuzigung, beginnt eine Bewegung, die schließlich Menschen in der ganzen Welt erreicht, die dafür sorgt, dass an diesem Sonntag hier in unserer Kirche in Berlin Menschen aus dem Iran, aus Afghanistan, aus Pakistan, aus Deutschland und aus den USA sitzen und ihn, den gekreuzigten Christus, anbeten.

Ein eindrückliches Bild stellt uns Jesus hier vor Augen, um zu erläutern, was jetzt bei seiner bevorstehenden Kreuzigung eigentlich passiert: Mit einem Weizenkorn vergleicht er sich, das ausgesät wird, das in die Erde fällt und vergeht – und das nach seinem Tod im Acker der Welt doch neu aufgeht und reiche Frucht bringt. Ja, der Tod Jesu am Kreuz, er ist nicht sinnlos, sondern der Beginn von etwas ganz Neuem, das schließlich Heil für die ganze Welt bringt.

Das Weizenkorn, das gerade dadurch Frucht bringt, dass es selber erst einmal sterben muss – ja, das ist schon ein ganz starkes Bild, das Jesus hier gleichsam von sich selber postet. Eigentlich ist es ja ganz selbstverständlich, dass ein Bauer nicht die ganze Ernte eines Jahres nur für sich behält, sondern einen Teil als Saatgut für das nächste Jahr zurücklegt – in der Gewissheit, dass er durch die Aussaat nichts verliert, sondern viel mehr gewinnt. Und doch fällt es uns Menschen, auch uns Christen so schwer, dieses Gesetz des Weizenkorns nicht nur auf Jesus selber und seinen Weg ans Kreuz, sondern nun ganz konkret auch auf unser Leben anzuwenden.

Wir wollen in unserem Leben nicht ausgesät werden. Wir wollen in unserem Leben zumeist auch nichts preisgeben, hängen immer wieder so sehr an dem, was wir haben, hängen so sehr an dem, was wir sind. Das gilt für unser leibliches Leben, das gilt aber auch für Wünsche und Vorstellungen, die wir in unserem Leben haben, das kann auch für ganze Gemeinden und Kirchen gelten. Alles soll immer so bleiben, wie es war. Doch oft muss da auch bei uns erst etwas sterben – unsere eigenen Wünsche und Planungen, unsere eigenen Vorstellungen davon, wie es in der Kirche laufen soll, bis dann aus dem, was wir aufgegeben haben, am Ende doch reiche Frucht wächst. Wir erleben es gerade jetzt in dieser Corona-Zeit, dass da auch so viel von dem, was wir immer für selbstverständlich angesehen haben, gestorben ist. Doch wir dürfen darauf vertrauen, dass Christus auch in unserer Gemeinde nach dem Gesetz des Weizenkorns handeln wird, auch aus dem, was wir nun schmerzlich vermissen mögen, noch reiche Frucht erwachsen lassen kann. Und wenn denn unser Leben irgendwann einmal mit oder ohne Corona an sein Ende kommen wird, dann wird es auch an unserem Grab gesprochen werden: „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich, es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft.“ Jede Beerdigung ist eine Aussaat in der Gewissheit, dass Gott selber aus diesem Tod neues Leben schaffen wird.

Und wenn uns die Bilder des Todes dann doch immer wieder Angst und Schrecken einzujagen vermögen, dann lasst uns immer wieder neu auf das Selbstbild unseres Herrn Jesus Christus schauen, auf ihn, den Gekreuzigten. Er postet dieses Bild doch nicht zu seinem eigenen Vorteil – er will dich damit trösten und aufrichten, wenn du mit deinen Möglichkeiten an dein Ende gekommen zu sein scheinst. Und wenn dir alle anderen Bilder in deinem Leben vergehen – dann lass dies das eine Bild sein, das bleibt: „Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod, und lass mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot. Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl“ Amen.

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