St. Johannes 12,20-26 | Laetare | Pfr. Dr. Martens

Wenn mir Menschen aus dem Iran oder Afghanistan davon erzählen, wie sie zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben, dann fällt in diesen Erzählungen sehr oft ein Stichwort: „Der Jesus-Film“. Ja, die Verfilmung des Lebens Jesu auf der Basis des Lukasevangeliums vermag offenbar die Herzen der Zuschauer in ganz besonderer Weise anzusprechen und sie zum Glauben an Jesus Christus zu führen. Wenn Menschen etwas vom Leben Jesu sehen, ist das offenbar noch eindrücklicher, als wenn sie nur davon hören.

„Herr, wir wollten Jesus gerne sehen!“ – Genau mit dieser Bitte wandten sich auch damals schon Menschen, die keine geborenen Juden waren, sondern aus dem griechischen Kulturkreis stammten und dort zum Judentum übergetreten waren, an den Apostel Philippus mit seinem griechischen Namen. Doch weiter als bis zu Philippus und zu Andreas kommen sie nicht. Sie werden nicht selber zu Jesus vorgelassen, sondern müssen sich mit der Vermittlung durch die Apostel scheinbar begnügen.

Und daran hat sich die letzten mehr als 1900 Jahre nichts geändert: Auch wir haben vielleicht den Wunsch, Jesus einmal ganz direkt sehen zu können, direkt seine Augen zu sehen, seine Stimme zu hören. Doch auch wir kommen nicht dichter an Jesus heran als durch die Apostel. Wir haben keine Filmaufnahme von Jesus, wir haben keinen Live-Mitschnitt einer seiner Reden. Wir haben nur das Wort der Apostel von Jesus. Aber dieses Wort ist eben nicht „nur“ das Wort der Apostel. Es ist das Wort Jesu selber, das wir im Wort der Apostel hören dürfen, so machen es uns die Evangelisten, die das Leben Jesu beschreiben, deutlich. Auch mit einem Film kommen wir nicht noch dichter an Jesus heran. Wenn er gut ist, dann gibt er das Zeugnis der Apostel genau wieder; aber es bleibt ein Film, keine Livereportage. Wenn wir an Jesus herankommen wollen, dann nur so, dass wir das Wort der Apostel hören und ernstnehmen. Auf dieses Wort dürfen wir uns verlassen, ja, darin begegnet er uns selber, unser Herr, wirkt dadurch immer wieder den Glauben an ihn.

Und was erkennen wir nun in diesem Wort der Apostel? Es weist uns immer wieder hin auf das, was Jesus für uns am Kreuz getan und erlitten hat. Wenn wir Jesus sehen wollen, dann sollen wir immer wieder auf seine Darstellung als Gekreuzigter, als Kruzifixus schauen, so zeigt er es uns selber hier im Heiligen Evangelium. Auf die Bitte: „Herr, wir wollten Jesus gerne sehen“ antwortet Jesus mit dem Wort vom Weizenkorn, das in die Erde fällt, erstirbt und gerade darin reiche Frucht bringt. Wir erkennen Jesus eben nicht recht, wenn wir ihn nur als Propheten wahrnehmen; wir erkennen ihn nicht recht, wenn wir ihn nur als Wundertäter bestaunen; wir erkennen ihn nicht recht, wenn wir aus ihm einen Sozialrevolutionär machen. Jesus ist unendlich mehr: Er ist Weizenkorn, stirbt, wird in die Erde gelegt – und bleibt doch nicht tot, ersteht vom Tode und sammelt durch seinen Tod Menschen aus allen Völkern. Genau das macht der Jesus-Film, durch den so viele Menschen schon zu Jesus geführt worden sind, sehr eindrücklich: Er stellt eindrücklich vor Augen, wie Jesus am Kreuz für uns stirbt, prägt gerade das Bildnis des Gekreuzigten seinen Zuschauern ganz besonders ein.

Wenn auch du Jesus sehen willst, schaue also auf das Kreuz, schaue auf das, was er dort für dich getan hat, wie er sein Leben für dich in den Tod gegeben hat, damit du leben darfst, ewig leben darfst! Schaue darauf, wie Gott selber sich damit ganz anders zu erkennen gibt, als wir es erwarten würden: nicht als der große, starke Gott, der alles vernichtet, was sich ihm in den Weg stellt, sondern als kleiner, heruntergekommener Gott, der sich aus Liebe zu dir in den Tod gibt, um gerade so auch dein Herz zu gewinnen! So ist Gott – ganz anders, als wir Menschen uns ihn vorstellen: ein Weizenkorn, in die Erde gelegt, damit daraus reiche Frucht erwächst. Und ein wenig von dieser Frucht des Weizenkorns konnten wir auch heute Morgen hier im Gottesdienst wahrnehmen, als 13 Menschen hier in unserer Mitte das Sakrament der Heiligen Taufe empfingen, als sie beschenkt wurden mit dem, was das Weizenkorn Jesus mit seiner Hingabe auch für sie bewirkt hatte: Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit. Ja, das Sterben des Weizenkorns bringt auch heute noch reiche Frucht.

Wenn du also anderen von Jesus erzählst, wenn du versuchst, ihnen Jesus vor Augen zu stellen, dann komme immer wieder auf das Kreuz zu sprechen, auf das Geheimnis des Weizenkorns, dass aus der Lebenshingabe reiche Frucht, neues Leben erwächst!

Doch Jesus geht hier schließlich noch einen Schritt weiter: Er sagt nicht bloß: Schaut auf mich, das Weizenkorn, lasst euer Herz davon anrühren, was ich für euch getan habe! Sondern er lädt uns dazu ein, dieses Geheimnis des Weizenkorns auch zum Geheimnis unseres eigenen Lebens werden zu lassen. Wessen Herz von der Lebenshingabe des Herrn angerührt ist, der wird nicht länger um sich selber kreisen, der wird auch sein Leben nach dem Weizenkorn-Prinzip führen: Wer meint, er müsse in seinem Leben immer nur darauf achten, dass er nicht zu kurz kommt, wer meint, er müsse unbedingt so viel wie möglich für sich selber in diesem Leben mitnehmen, wer so sehr an seinem eigenen Leben hängt, dass er nur noch um den Erhalt und die Verbesserung des eigenen Lebens kreist, der wird am Ende feststellen, dass er sein Leben verfehlt, vertan hat. Wer jedoch das Leben in der Gemeinschaft mit Christus höher achtet als alle vermeintlichen Vorteile, der wird sein Leben erhalten, wird teilhaben am ewigen Leben, auch wenn er scheinbar hier auf Erden so viel verpasst hat. Was für eine Verheißung für unsere neugetauften Schwestern und Brüder, die mit ihrer heutigen Taufe gleichsam ihr eigenes Todesurteil unterschrieben haben, sich den Rückweg in ihr früheres Leben endgültig verbaut haben! Sie sind keine Verlierer, sie sind Gewinner, weil sie in der Gemeinschaft mit Christus viel mehr gewinnen, als sie je in ihrem Leben aufgeben mussten und müssen!

Lassen auch wir uns alle miteinander von diesem Gesetz des Weizenkorns prägen! Entdecken wir, dass unser Leben reicher wird, wenn wir nicht zuerst und vor allem danach fragen, was uns nützt, sondern wir unser Leben hingeben im Dienst an anderen und gerade darin im Dienst an Christus, dem Herrn, selber! Machen wir diese Erfahrung als Gemeinde, dass wir nicht zuerst und vor allem darauf achten, ob wir das bekommen, was wir wollen, ob unsere eigenen religiösen Bedürfnisse hier befriedigt werden, sondern dass wir Gemeinde sind für andere, dass wir uns hingeben im Dienst an denen, die Christus uns an den Weg gestellt oder gelegt hat! Solche Hingabe macht uns nicht ärmer, sondern reicher, so erleben wir es immer wieder miteinander hier voller Freude. Ja, solche Hingabe hat eine ganz große Verheißung: „Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein!“ Gerade da, wo wir uns hingeben für andere, leben wir in der Nachfolge unseres Herrn, dürfen wir gewiss sein, dass Christus an unserer Seite ist, dass wir da sind, wo Christus eben auch ist. Er begegnet uns auch gleich wieder mit seinem Leib, für uns dahingegeben, mit seinem Blut, für uns vergossen, im Heiligen Mahl, begegnet uns dort gleich wieder in der Gestalt des Weizenkorns und schenkt uns so die Kraft, auch unser Leben für andere zu geben. Denn auch darin begegnen wir wieder von neuem Ihm, unserem Herrn. Denn „was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“, so sagt es unser Herr selber. Du willst Jesus gerne sehen? Dann schau auf die, die hungrig und durstig sind, schau auf die Fremden, die ohne Kleidung und Obdach, die Kranken und Gefangenen. Schau auf sie und diene ihnen! Christus selbst tritt in ihnen in dein Leben hinein, er, der durch das Wort der Apostel noch heute zu dir spricht und der sein Leben in den Tod gegeben hat – ja, auch für dich! Amen. 

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