St. Johannes 1,35-42 | 5. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
„Was sucht ihr?“ – So fragt uns die Google-Suchmaschine im Internet, kaum, dass wir sie angeklickt haben. Welche Information auch immer wir haben wollen – wir müssen sie nur bei Google eingeben, und in einem Bruchteil von Sekunden liefert uns Google seitenweise Ergebnisse für das Stichwort oder die Stichworte, die wir eingegeben haben. Es scheint so gut wie nichts zu geben, worauf Google bei unserer Suchanfrage nicht die entsprechenden Ergebnisse liefert. Eher haben wir schon das Problem, dass die Zahl der Antworten, die wir von Google erhalten, zu groß ist, dass wir noch viel mehr Suchergebnisse erhalten, als wir eigentlich wollten.
„Was sucht ihr?“ – Das sind die ersten Worte Jesu, die uns der Evangelist St. Johannes in seinem Evangelium überliefert. „Was sucht ihr?“ – Mit diesen Worten wendet sich Jesus zu zwei Jüngern um, die von Johannes dem Täufer auf ihn, Jesus, aufmerksam gemacht worden waren, aufmerksam gemacht mit einem Suchbegriff, mit dem die beiden zunächst wohl nicht sehr viel anfangen konnten und der sie doch irgendwie neugierig gemacht hatte: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ Dieser kurze Suchbegriff reicht den beiden, um hinter Jesus herzugehen, um nachzuforschen, was es mit diesem Wort wohl auf sich hat. Nein, auch wenn es damals schon Google gegeben hätte – mit einer Eingabe des Begriffs wären die beiden in ihrer Suche nicht weitergekommen. Es geht ihnen nicht bloß um eine Information, um eine Begriffserklärung. Sie ahnen: Um zu verstehen, was es heißt, dass Jesus das Lamm Gottes ist, müssen sie ganz anders ran, anders ran an ihn. Doch von sich aus können sie das gar nicht, kommen sie gar nicht an ihn heran. Da muss schon Jesus selber sich umdrehen, sie ansprechen, die eine Frage stellen, die unendlich weiterreicht als die Google-Suchanfrage: „Was sucht ihr?“ Und die beiden Jünger Johannes des Täufers fragen entsprechend auch nicht nach dem Begriff, nicht nach dem Wort. Sie wollen mehr: Rabbi, Meister, wo ist deine Herberge? Wörtlich übersetzt: Wo wohnst du, wo bleibst du? Um Jesus zu verstehen, reicht es nicht, einen Begriff zu verstehen, reicht es nicht, sich kluge religiöse Gedanken über ihn zu machen, reicht es nicht, seine eigenen religiösen Vorstellungen mit den Vorstellungen Jesu zu vergleichen. So kommt man nicht an Jesus heran. An Jesus kommen die beiden Jünger nur heran, weil Jesus sie selber in seine Nähe einlädt, dorthin, wo er wohnt, wo er bleibt, wo nun auch sie bleiben dürfen: Kommt und seht! Und dieser Einladung folgen die beiden: Sie kommen und sehen und bleiben – den ganzen Tag über. Was da in dieser Zeit passiert ist, was sie gesehen, was sie gehört haben, davon berichtet St. Johannes hier kein Wort. Nur ganz vorsichtig deutet er hier an, dass es um vier Uhr nachmittags war, als den beiden das aufgegangen ist, was sie bald darauf gleich weitererzählen: Nein, Andreas und der andere Jünger können das Suchergebnis, das sie auf ganz eigene Weise ermittelt hatten, nicht für sich behalten: Andreas reicht es gleich an seinen Bruder Simon weiter: Wir haben den Messias gefunden, den so lange erwarteten von Gott gesandten Retter. Und sie begnügen sich eben nicht damit, das Ergebnis weiterzureichen. Sondern sie bringen den Simon selber hin zu Jesus, in seine Nähe – und Jesus macht deutlich, dass er weit mehr ist als alles, was Menschen von sich aus über ihn denken mögen: Er kennt den Simon, schon bevor er auch nur ein Wort mit ihm gesprochen hat, macht ihm deutlich, dass er genau weiß, wer er ist, ja, macht ihm deutlich, was er auch weiter mit ihm vorhat: Zum Kephas soll er werden, zum Fels, auf den er seine Kirche bauen will.
Schwestern und Brüder: Es gibt wohl kaum eine Geschichte im Neuen Testament, die so treffend den Weg vieler unserer Schwestern und Brüder zum christlichen Glauben beschreibt wie diese Geschichte, die wir eben gehört haben. Da gibt es so viele unter ihnen, die schon im Iran etwas gehört haben von Jesus, dem Lamm Gottes, davon, dass da einer für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist, damit wir nicht in der Hölle landen, damit wir keine Angst vor Gott haben müssen. Und das reichte dann schon aus, dass sie das Land verlassen haben – freiwillig oder unfreiwillig, oftmals nicht anders als die beiden Jünger damals auch, dass sie noch gar nicht richtig sagen konnten, was sie denn eigentlich auf die Frage antworten sollten: Was sucht ihr? Oder da denke ich an so viele unserer afghanischen Geschwister, die einfach nur weggelaufen sind aus ihrer Heimat oder aus dem Iran, wo sie aufgewachsen waren, die eigentlich überhaupt keine Ahnung hatten, wohin sie eigentlich liefen, was sie eigentlich suchten, die erst im Nachhinein erkennen konnten, wie Jesus sie schon da im Iran, in Afghanistan gesucht hat, sie schon da gesehen hat, als sie selber es noch gar nicht wahrnehmen konnten – nicht anders, als es bei den beiden Jüngern damals auch der Fall war.
Und dann kamen sie hierher nach Deutschland, und wieder waren da Menschen, die sie auf Jesus aufmerksam gemacht haben, dass sie die Einladung vernommen haben: Kommt und seht! Und dann sind sie hierhergekommen und haben gesehen, haben erfahren, was es bedeutet, bei Jesus sein zu dürfen – und sind geblieben. Ach, vielleicht konnten und können sie es gar nicht recht in Worte fassen, was sie da erfahren und gesehen und erkannt haben – und doch hat das so ihr Leben verändert, dass sie geblieben sind, ja, mehr noch, dass sie angefangen haben, nun auch andere zu diesem Jesus einzuladen, ihnen auch von dem zu erzählen, was sie gefunden haben, sie auch hierher zu bringen. Ja, genau das hat sich hier in unserer Gemeinde abgespielt und spielt sich ab bis zum heutigen Tag, dass Menschen, die von Jesus gefunden worden sind, nun wieder andere zu Jesus führen, damit auch sie voller Freude bekennen können: Wir haben den Messias gefunden!
All das spielt sich natürlich völlig anders ab, als es sich heutzutage so viele Menschen, die vom christlichen Glauben kaum eine Ahnung haben, als es sich eben leider auch so viele Mitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorstellen: Andreas und der andere Jünger haben sich nicht erst vorher lange mit dem Buddhismus oder dem Hinduismus beschäftigt, bevor sie sich entschieden haben, Jesus nachzufolgen. Sie haben auch nicht lange überlegt, was sie machen sollten. Sie sind losmarschiert, ohne dass sie ausführlich darüber nachgedacht haben, was sie da tun. Und als sie dann zu Jesus kamen, konnten sie es nachher eigentlich gar nicht richtig beschreiben, was sie genau gehört und gedacht haben. Sie konnten einfach nur davon berichten, dass sie Jesus gefunden haben und ihr Leben dadurch völlig verändert worden ist. Ich weiß schon, wie dies von unseren Behörden gewertet werden würde: „Die Betreffenden konnten nicht glaubhaft machen, dass sie sich ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt haben. Sie behaupten, sie hätten sich auf den Weg hinter Jesus her gemacht, ohne ihn überhaupt genau zu kennen. Das ist völlig unglaubwürdig. Und sie konnten nicht detailliert beschreiben, was sie denn dort bei Jesus erlebt haben. Auch dies zeigt eindeutig, dass sie keine tiefe Beziehung zu Jesus entwickelt haben. Und dann haben sie nur in allgemeinen Formeln von Jesus gesprochen, haben ihn einfach nur als ‚Messias‘ bezeichnet. Auch das spricht dagegen, dass sie sich ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt haben. Wahrscheinlich hatten sie sich von ihrer Hinwendung zu Jesus einen persönlichen Vorteil erhofft und haben darum ihre Tätigkeit als Fischer aufgegeben.“
Doch in Wirklichkeit war alles eben ganz anders: Auch wenn es sich ein Außenstehender nicht vorstellen kann: Es ist Jesus selber, der Menschen auf den verschiedensten Wegen zu sich führt, der Menschen schon sieht, als sie ihn selber noch gar nicht gesehen haben, der Menschen zu sich zieht durch die Botschaft von ihm, dem Lamm Gottes, weil diese Botschaft eine Kraft hat, die Herzen von Menschen zu bewegen und zu verändern. Ja, immer wieder lese ich das in Anhörungsprotokollen, dass Glieder unserer Gemeinde genau das beschreiben – und immer wieder erlebe ich, dass sie nicht verstanden werden. Doch es bleibt die Wahrheit, die Johannes hier beschreibt, es bleibt die Wahrheit des Andreas, und es bleibt eure Wahrheit. Nicht ihr habt euch den Glauben an Jesus ausgesucht; Jesus selbst hat euch zu sich geführt, er hat euch gerufen, er hat euch den Glauben geschenkt, er hat dafür gesorgt, dass ihr nicht mehr von ihm loskommt, dass ihr auch gar nicht anders könnt, als über ihn mit anderen zu sprechen.
Um Christ zu sein, muss ich nicht wer weiß wie gut reden können. Gewiss, es ist gut, wenn wir uns mit den Inhalten des christlichen Glaubens immer mehr befassen, wenn wir im Laufe der Zeit auch immer sprachfähiger werden. Aber letztlich geht es doch immer wieder nur um eins: Dass wir der Einladung unseres Herrn folgen: Kommt und seht! Ja, letztlich geht es nur um dies eine: Dass wir dann auch bei Jesus bleiben, wie die Jünger damals bei Jesus geblieben sind. Dieses Bleiben, das sagt mehr als tausend Worte. Ja, dieses Bleiben ist das Einzige, was am Ende wirklich wichtig ist: Bleibt in mir, und ich in euch, sagt Christus. Und er sagt uns auch ganz konkret, wie wir denn nun bei ihm und in ihm bleiben: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ Ja, darum geht es in der Tat, dass wir dorthin kommen, wohin Jesus uns einlädt, da, wo er den Tisch für uns deckt, da, wo er sich mit uns verbindet, da, wo wir ihn mit den Worten Johannes des Täufers immer wieder anbeten: „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser.“ Wer da bei Jesus angekommen ist, der braucht nicht mehr zu suchen, der hat mehr gefunden, als Google ihm jemals liefern könnte, der hat nicht weniger gefunden als sein Heil, seine Rettung, sein Leben. Geb’s Gott, dass noch viele Menschen, dass gerade auch viele Muslime noch diese Erfahrung machen, die Andreas damals gemacht hat und die so viele von euch auch gemacht haben. Ja, geb’s Gott, dass wir alle miteinander nicht aufhören, der Einladung unseres Herrn zu folgen: Kommt – und seht! Amen.