St. Johannes 14, 23-27 | Heiliges Pfingsfest | Pfr. Dr. Martens

Sonntag ist immer Todesanzeigentag im TAGESSPIEGEL und sicher auch in anderen Tages-zeitungen. Da erscheinen dann die ganzen Todesanzeigen der Woche, und wenn man sie sich durchliest, stößt man dabei immer wieder auf dieselben Gedanken und Formulierungen: Der Verstorbene wird für immer in uns, in unseren Herzen weiterleben. Er ist von uns gegangen, ist nun nicht mehr bei uns. Wir werden ihn immer in guter Erinnerung behalten, und er ruhe nun in Frieden. Von Zeit zu Zeit stößt man auch mal auf eine etwas ungewöhnlichere Anzei-ge, wenn nämlich der Verstorbene selber diese schon zu seinen Lebzeiten verfasst hat und sie nun als letzten Gruß an seine Hinterbliebenen nutzt – mitunter auch als letzte Gelegenheit zu einer Abrechnung mit ihnen.

Wenn man sich das Heilige Evangelium dieses Tages anhört, dann mag man beim ersten Hin-hören auch den Eindruck gewinnen, als ob da jemand seine eigene Todesanzeige vorbereitet und zusammenstellt: Der da spricht, sagt ganz offen, dass er nun nicht mehr lange bei seinen Jüngern sein wird; er spricht davon, dass er künftig in ihnen wohnen wird, dass sie sich an ihn erinnern werden, ja, dass der Friede das letzte ist, was er ihnen hinterlässt.

Sind wir also heute zu einer leicht verspäteten Trauerfeier für Jesus zusammengekommen, versuchen wir heute Morgen hier, Abschied zu nehmen von jemandem, den wir doch nie mit eigenen Augen zu sehen bekommen haben? Erweisen wir hier und heute zu Pfingsten einem großen Lehrer, einem großen Propheten die letzte Ehre?

Schwestern und Brüder, wenn wir die Worte unserer heutigen Predigtlesung so verstehen würden, dann hätten wir dabei eines übersehen – und zwar das Allerwichtigste überhaupt: Einen entscheidenden Unterschied gibt es zwischen all den Menschen, deren Todesanzeige wir auch heute wieder im TAGESSPIEGEL werden lesen können, und ihm, Jesus: Er, Jesus, hatte sein Grab schon wieder verlassen, bevor die Todesanzeige für ihn überhaupt gedruckt werden konnte; er lebt, ist nicht bloß in der Vergangenheit gegenwärtig, sondern hier und jetzt in unserer Mitte. Und damit bekommt alles, wirklich alles, was er, Jesus, hier in diesen Worten des Heiligen Evangeliums sagt, einen völlig anderen Sinn. Wir können nur von Ostern her überhaupt begreifen, warum wir heute Pfingsten feiern.

Ja, da redet Jesus hier von der Erinnerung an ihn. Aber er spricht eben gerade nicht davon, dass sich die Jünger später einmal an ihn erinnern werden, geschweige denn, dass er, Jesus, dann irgendwann einmal in ihrer Erinnerung weiterleben wird. Sondern die Jünger Jesu wer-den erinnert an das, was Jesus gesagt hat, sie brauchen sich nicht selber zu erinnern und kön-nen das auch gar nicht. Vielmehr wird der Heilige Geist, den Gott der Vater im Namen Jesu senden wird, die Jünger an alles erinnern, was Jesus gesagt hat, wird sie damit lehren, wird ihnen die Augen auftun und sie viel besser verstehen lassen, was Jesus gesagt und getan hat, als sie, die Jünger, dies vor Ostern selber verstanden hatten.

Genau das geschieht in jedem Gottesdienst, den wir feiern. Da erleben und erfahren wir im-mer wieder neu, dass die Worte Jesu, die er damals vor 2000 Jahren gesagt hat, eben nicht bloß altehrwürdige Sprüche aus einer längst vergangenen Zeit sind, sondern dass sie ganz direkt mit uns, mit unserem Leben zu tun haben. Ja, mehr noch: Wir erfahren, was für eine Kraft diese Worte haben, das Leben von Menschen, ja, auch unser Leben zu verändern. Denn in diesen Worten und durch diese Worte wirkt immer wieder neu der Heilige Geist, lässt uns erfahren, dass er nicht bloß eine Idee, ein Gedanke ist, sondern der lebendige Herr, durch den der auferstandene Christus in uns den Glauben an ihn wirkt.

Der Heilige Geist ist und bleibt also ganz an das gebunden, was Christus gesagt hat, und be-zieht es immer wieder neu auf unser Leben, entfaltet gerade so seine Kraft. Darum, Schwes-tern und Brüder, ist es solch ein Unsinn, wenn von Muslimen immer wieder behauptet wird, mit dem Tröster, den Jesus hier in den Abschiedsreden verspricht, habe er in Wirklichkeit Mohammad angekündigt. Nein, Mohammad hat eben gerade nicht an das erinnert, was Jesus gesagt hat, sondern hat im Gegenteil genau die allerwichtigsten Dinge, die Jesus gesagt hat, weggelassen: Seine klaren Aussagen, dass er, Jesus, Gottes Sohn ist, mit dem Vater eins ist, seine klaren Aussagen, dass er für unsere Sünde am Kreuz sterben wird. Mohammad verkün-digt einen toten Jesus, der nicht auferstanden ist, der nicht lebt und immer bei uns ist. Und darum kann er eben auch nichts mit dem Heiligen Geist anfangen, den Jesus hier verspricht.

Doch wir erfahren es hier in unserer Mitte immer wieder, was solches Lehren und Erinnern des Heiligen Geistes zu bewirken vermag. Es kommt ja durchaus auch immer mal vor, dass Menschen hier in unsere Gemeinde kommen und auch am Taufunterricht teilnehmen, weil sie hoffen, damit vielleicht mal bessere Chancen in ihrem Asylverfahren zu haben. Ich lade auch diese Menschen herzlich ein, zu uns zu kommen. Denn ich weiß: Hier in unserer Mitte ist Christus durch seinen Heiligen Geist am Werk, ist dazu in der Lage, mit seinem Lehren, mit seinem Erinnern die Herzen von Menschen so zu verändern, dass ihnen aufgeht: Der christli-che Glaube ist ja nicht bloß ein Mittel zum Zweck, sondern hier begegne ich tatsächlich dem lebendigen Christus, hier habe ich es mit einer Realität zu tun, von der ich vorher keine Ah-nung hatte, hier wird mein Herz, hier wird mein ganzes Leben neu. Was Mohammad mit all seinen Gesetzesvorschriften nicht schafft, das schafft der Geist Gottes: Herzen zu erneuern, Menschen erfahren zu lassen, dass Jesus lebt. Nein, wir feiern heute keinen Gedenkgottes-dienst für den toten Jesus, wir erfahren, wie der lebendige Jesus durch seinen Heiligen Geist an uns und in uns wirkt.

Ja, mehr noch: Wenn wir so auf sein Wort hören, dann werden wir durch den Heiligen Geist aufgenommen in die Liebesgemeinschaft Gottes selber, ja, dann nimmt Gott selbst, dann nimmt Jesus Christus selber in uns Wohnung. Schwestern und Brüder, das ist etwas völlig, völlig anderes, als wenn in Todesanzeigen Angehörige beteuern: In unseren Herzen wird er weiterleben. Der Mensch, der da weiterlebt, ist und bleibt in Wirklichkeit tot, und mit zuneh-mender Zeit wird auch sein Weiterleben in der Erinnerung, in den Herzen der Menschen, die ihm nahestanden, allmählich immer weniger. Doch wenn Jesus hier davon redet, dass er, dass Gott selbst in denen lebt, die sich an sein Wort halten, die durch dieses Wort in Gottes Lie-besgemeinschaft aufgenommen sind, dann ist das nicht bloß eine schöne blumige Rede, son-dern Realität: Derselbe Jesus, der auf dem Hügel Golgatha für dich in den Tod gegangen ist, der lebt in dir, derselbe Jesus, der das Grab am Ostermorgen siegreich verlassen hat, der lebt in dir, jawohl, der lebt, erfüllt dich mit seiner Gegenwart, mit seiner Kraft, wann immer du hierher kommst, ja, wann immer du seinen Leib und sein Blut empfängst hier im Heiligen Mahl.

Wenn Jesus hier ankündigt, dass er nicht mehr bei seinen Jüngern sein wird, dann ist das, was danach kommt, eben gerade nicht ein Weniger, eine verdünnte Form seiner Gegenwart, son-dern es ist ein Mehr: Jesus lebt nicht mehr bloß bei uns, sondern in uns, ist viel näher bei uns, als er es damals bei seinen Jüngern zur Zeit seines Wirkens in Israel war. Genau das ist es, was wir heute an diesem Pfingstfest feiern: Jesus ist nicht weg, er kommt, er wohnt in uns, schenkt uns gerade so seinen Heiligen Geist, den Tröster.

Und das hat Konsequenzen: Seinen Frieden schenkt uns Christus, so kündigt er es hier selber an. Dieser Frieden hat nichts zu tun mit irgendwelcher Friedhofsruhe, mit der Abwesenheit von all dem, was einen Menschen jetzt noch quält und belastet. Wenn Jesus davon redet, dass er uns Frieden schenkt, dann weiß er sehr wohl, dass er damit nicht all unsere Probleme und Sorgen löst, die uns hier und jetzt zu schaffen machen: „Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.“ Jesus weiß, was uns die Welt gibt, was ihr alle miteinander je auf eure Weise tagtäglich in eurem Leben erfahrt. Aber mitten in dieser Unruhe dieser Welt, mitten in allen Anfeindun-gen, Sorgen und Nöten schenkt Christus uns hier und jetzt schon seinen Frieden, die unget-rübte Gemeinschaft mit Gott, die sich dann auch auswirkt in unseren Herzen.

Immer und immer wieder höre ich genau dies als Antwort, wenn unsere neuen Gemeindeglie-der gefragt werden, was sie hier im Gottesdienst erfahren: „Frieden“, aramesh. Da muss man noch nicht mehr sehr viel Deutsch kennen. Gerade letzte Woche sprach ich mit einem Men-schen, der gerade neu in Deutschland angekommen war und zum ersten Mal in seinem Leben in einem christlichen Gottesdienst war. Was erfuhr er dort: aramesh, eine ganz neue, andere Welt, die sich ihm bisher nicht erschlossen hatte. Eine Welt, in der wir nicht mehr zu erschre-cken brauchen, uns nicht mehr zu fürchten brauchen. Denn in dieser Welt sind wir nicht unter uns. In dieser Welt begegnet uns der lebendige Christus, der den Tod besiegt hat. Sein Friede ist keine Totenruhe, sondern schon Vorgeschmack der kommenden Welt, in der es den Tod einmal endgültig nicht mehr geben wird. Habt ihr schon einmal darauf geachtet, wie oft im Gottesdienst von diesem Frieden die Rede ist, den Christus uns hier schenkt, ja, wie oft euch dieser Friede zugesprochen und geschenkt wird? Dann passt mal im Weiteren in diesem Got-tesdienst gut auf. Dann wird euch auch wieder neu aufgehen, was wir hier und heute zu Pfingsten feiern! Amen.

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