St. Johannes 14,15-19.23b-27 | Heiliges Pfingstfest | Pfr. Dr. Martens

„Was feiern wir zu Pfingsten?“ – Diese Frage hörte ich zu meiner zunächst erfreuten Verwunderung im Radio. Ja, sollte es denn möglich sein, dass den Leuten per Radio doch noch beigebracht wird, was eigentlich der Sinn dieses verlängerten Ausflugswochenendes ist? Doch meine erfreute Verwunderung wurde schnell wieder beendet, denn als Antwort auf die Frage danach, was wir zu Pfingsten feiern, wurde dem interessierten Hörer verkündigt: 25% Rabatt feiern wir zu Pfingsten. Welcher Laden das war, der uns erklärte, dass Pfingsten ein Rabatt-Fest ist, weiß ich schon gar nicht mehr. Aber immerhin wurde so viel deutlich, dass uns zu Pfingsten etwas geschenkt wird. Und das ist ja sogar gar nicht mal so falsch.

Allerdings wird uns beim richtigen Pfingstfest nicht nur 25% geschenkt, sondern 100%, nicht nur ein Handy zu vergünstigtem Preis, sondern nicht weniger als das Leben, das allein diesen Namen verdient, das ewige, unvergängliche Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Das feiern wir heute, ja das erleben wir heute in diesem Gottesdienst. „Was feiern wir zu Pfingsten?“ Genau darauf gibt das Heilige Evangelium diesen Sonntag die Antwort – ach, was sage ich: Christus gibt uns hier nicht bloß eine Antwort, sondern so viele Antworten, die alle miteinander zusammengehören, dass ich eigentlich mindestens fünf Predigten halten müsste, um diese ganzen Geschenke für euch auszupacken, die Christus uns hier in seinen Worten präsentiert.

Worum geht es also zu Pfingsten? Nicht um Rabatte, nicht um das Erwachen der Natur, sondern um Leben, um ewiges Leben, das uns geschenkt wird. Diejenigen, die im Tauf- und Konfirmandenunterricht gut aufgepasst haben, werden nun natürlich mahnend den Finger heben und feststellen: Pfingsten ist doch zuerst und vor allem das Fest des Heiligen Geistes. Ist ja auch nicht ganz falsch. Doch weil man das mit dem Heiligen Geist so leicht missverstehen kann, wollen wir uns jetzt noch mal genauer anschauen, was Christus hier eigentlich sagt.

„Ich lebe, und ihr sollt auch leben“, sagt Christus hier. Das wichtigste Ereignis unseres christlichen Glaubens, das wichtigste Fest des Jahres für uns Christen ist nicht Pfingsten, sondern Ostern, die Auferstehung unseres Herrn. Das ist das Herzstück und Zentrum unseres christlichen Glaubens, dass wir durch Christus das Leben, das ewige Leben haben. Darum sind wir Christen, darum sitzen wir heute Morgen hier in der Kirche, weil wir von diesem Versprechen unseres Herrn leben: „Ihr sollt auch leben.“

Und wie bekommen wir nun dieses Leben, dieses ewige Leben? Es ist gerade nicht so, dass uns Christus dieses ewige Leben irgendwie aus der Ferne schickt, nachdem er sich am Tag seiner Himmelfahrt aus dieser Welt zurückgezogen hat. Es ist gerade nicht so, dass der Heilige Geist, dessen Kommen wir an diesem Tag feiern, ein Ersatz für den abwesenden Jesus Christus wäre, geschweige denn, dass sich Christus flugs in den Heiligen Geist verwandelt hätte und es jetzt in der Kirche nur noch um den Heiligen Geist und nicht um Christus ginge.

Im Gegenteil: Gleich zweimal betont Christus hier im Heiligen Evangelium: „Ich komme zu euch!“ Christus ist nicht bloß eine Figur aus der fernen Vergangenheit; er ist der lebendige Herr, der uns nicht als Waisen zurücklässt, sondern bei uns gegenwärtig ist, ja, mehr noch: Der in uns lebt. Wir bekommen das ewige Leben nicht dadurch, dass wir an Jesus denken und ihn gut finden. Wir bekommen das ewige Leben erst recht nicht dadurch, dass wir uns für Jesus entscheiden. Sondern wir bekommen das ewige Leben dadurch, dass Jesus in uns lebt, ja, in uns wohnt. Und wo Jesus ist, da ist Gott selber, da wo Jesus in uns Wohnung nimmt, nimmt auch Gott der Vater selber in uns Wohnung.

Schwestern und Brüder: Das sagt sich jetzt scheinbar so leicht daher. Aber können wir das überhaupt erahnen, was das eigentlich heißt? Wenn du hier im Gottesdienst das Wort Gottes hörst, dann nimmt der Schöpfer des Universums dadurch in dir Wohnung. Wenn du hier im Heiligen Mahl scheinbar nur ein Stück Brot empfängst und einen Schluck Wein trinkst, dann zieht in Wirklichkeit der Sieger über den Tod in dir ein, lebt Christus dadurch leibhaftig in dir, er, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden. Christus verbindet sich hier so eng mit dir, wie er mit Gott dem Vater verbunden ist, lebt in uns, wie er in dem Vater lebt. Unfassliches ereignet sich hier in unserer Mitte, Unfassliches wird uns hier geschenkt, nein, nicht bloß 25% auf irgendein Produkt, sondern 100% Teilhabe am lebendigen Gott selber.

Es gibt nicht wenige in unserer Gemeinde, die gerade verzweifelt auf der Suche nach einer Wohnung sind, die mittlerweile bereit sind, selbst für das letzte Loch noch eine Menge Geld zu zahlen, nur damit sie endlich eine eigene Wohnung haben, raus sind aus der Flüchtlingsunterkunft. Christus hat das eigentlich überhaupt nicht nötig, sich auf Wohnungssuche zu begeben. Aber er macht es trotzdem, wählt sich ausgerechnet uns, unser Herz zu seiner Wohnung, obwohl er weiß, wieviel Dreck er da vorfindet, in was für ein Loch er da einzieht. Und dafür, dass er bei uns einzieht, hat er allen Ernstes auch noch bezahlt, viel mehr, als wir je für unsere Wohnungen bezahlen müssten: sein Leben hat er dafür geopfert am Kreuz, nur damit er in dir, in deinem Herzen einziehen kann! Ja, einfach unfasslich, eigentlich gar nicht zu glauben!

Und eben darum spricht Christus hier nun vom Heiligen Geist, den sein Vater im Namen des Sohnes zu den Jüngern senden wird: Aufgabe des Heiligen Geistes ist es nicht, den Jüngern nun noch irgendwelche neuen Erkenntnisse zu vermitteln, die über das hinausgehen, was Jesus ihnen schon gesagt hatte. Aufgabe des Heiligen Geistes ist es nicht, bei den Christen irgendwelche schönen Gefühle der Begeisterung und des Wohlbefindens hervorzurufen. Und Aufgabe des Heiligen Geistes ist es erst recht nicht, Christus zu ersetzen. Sondern der Heilige Geist hat nur eine Aufgabe, so betont es Christus hier: „der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Den Heiligen Geist kann man also daran erkennen, dass er immer nur von Christus spricht und immer nur auf Christus hinweist, dass er uns immer wieder Christus groß macht und uns zum Glauben an Christus führt.

Man kann das gar nicht oft betonen, weil es gerade auch in unserer heutigen Zeit so viele Gruppen gibt, die behaupten, in ihrer Mitte würde der Heilige Geist in ganz besonderer Weise wirken, würde ihnen alle möglichen neuen Dinge offenbaren, würde ihnen alle möglichen großartigen Gefühle vermitteln, würde sie zu Dingen befähigen, die kein normaler Mensch kann. Schwestern und Brüder: Diese Leute mögen ja alle möglichen Erfahrungen machen – nur: mit dem Heiligen Geist hat das alles herzlich wenig zu tun. Der Heilige Geist hat nur eine Aufgabe: auf Christus hinzuweisen, auf das, was er getan hat und was er tut. Nur durch den Heiligen Geist können wir erkennen, wer Jesus Christus ist, nur durch den Heiligen Geist können wir uns zu diesem Jesus Christus bekennen. Nur durch den Heiligen Geist können wir wahrnehmen, was hier im Gottesdienst, was hier im Heiligen Mahl wirklich geschieht, dass es hier eben nicht bloß um ein geselliges Miteinander geht.

Gleich mehrfach betont Christus hier, dass diejenigen, die den Heiligen Geist nicht haben, diesen Zugang nicht haben, dass denen sämtliches Verständnis dafür abgeht, wer Christus ist, was er getan hat und tut. Wer den Heiligen Geist nicht hat, der wird nicht begreifen können, was hier in unserer Mitte geschieht, der fragt dann nur danach, wieviel Geld wir den Asylbewerbern hier in unserer Gemeinde abknöpfen, weil Geld für sie das einzig vorstellbare Motiv dafür ist, etwas in dieser Welt zu tun. Nur durch den Heiligen Geist werden unsere Augen geöffnet für die neue Wirklichkeit, die uns durch Christus geschenkt ist, ja, nur durch den Heiligen Geist bekommen wir Frieden, Ermutigung, Trost, wie es Christus hier formuliert.

Ja, auch da reden diejenigen, die den Heiligen Geist haben, und diejenigen, die von ihm keine Ahnung haben, immer wieder aneinander vorbei, so erleben wir es ja auch in den Anhörungen und Gerichtsverhandlungen. „Aramesh“ schenkt Christus, so sagen die Glieder unserer Gemeinde zu Recht. „Aramesh“ – das ist Frieden genau in diesem umfassenden Sinne, wie Christus das Wort hier in unserem Evangelium gebraucht: Ein Geschenk Gottes, das wir nicht wahlweise auch durch etwas Yoga oder Meditation bekommen können, sondern das wir nur durch Christus bekommen: dieses Leben in der Gemeinschaft mit Gott, dieses Leben in der Gewissheit, dass Christus selber in mir wohnt. Das ist „Aramesh“ – ein Geschenk Gottes, für das uns der Heilige Geist die Augen öffnet.

Man kann dasselbe auch noch einmal mit einem anderen Wort umschreiben, das Christus hier in unserem Evangelium auch wiederholt gebraucht: Es geht um Liebe. „Wer mich liebt“, so heißt es hier gleich zweimal: Christus stiftet eine so persönliche Beziehung zwischen sich und uns, dass dafür nur ein Wort angebracht ist: Das Wort „Liebe“. Christus umfängt uns so sehr mit seiner Liebe, dass daraus dann auch wieder unsere Liebe zu ihm erwächst. Und diese Liebe ist eben auch nicht bloß ein schönes Gefühl, sondern diese Liebe äußert sich ganz konkret darin, dass wir auf das Wort Christi hören, dass wir dieses Wort immer besser kennenlernen. Wie ein junger Mann, der sich in eine junge Frau verliebt, gleichsam an den Lippen seiner Freundin hängt, sie immer besser kennenlernen will, so äußert sich unsere Liebe zu Christus darin, dass wir immer mehr von Christus hören wollen. Und eben dadurch, dass wir auf Christus und sein Wort hören, bekommen wir dann auch den Heiligen Geist, wird es bei uns immer wieder Pfingsten, nicht nur an diesem Tag, sondern immer wieder, wenn Christus mit seinem Wort und mit seinem Leib und Blut in uns Einzug hält.

„Was feiern wir zu Pfingsten?“ Christus feiern wir natürlich, wen denn sonst? Wir feiern den, der unser Leben ist. Wir feiern den, der uns nicht als Waisen zurücklässt, sondern uns ein 100%-Geschenk macht: seinen Heiligen Geist, der uns hilft, bei ihm, Christus, zu bleiben, der uns gerade so hilft, den Weg durch Christus zum Vater im Himmel zu finden. „Was feiern wir zu Pfingsten?“ Wir feiern unsere Taufe, den Tag, als Christus bei uns in unserem Leben eingezogen ist, nein, nicht bloß als Untermieter, sondern so, dass er uns und unser Herz zu seinem Eigentum gemacht hat. Ja, wem der Heilige Geist die Augen dafür geöffnet hat, der braucht nicht mehr zu erschrecken und sich nicht mehr zu fürchten – nicht vor Krankheiten, nicht vor dem Unrecht, das ihm hier in diesem Land zugefügt wird, nicht vor der Schuld und dem Versagen seines Lebens, ja, noch nicht einmal mehr vor dem Tod.

Ach, Schwestern und Brüder: Das ist so viel, was wir zu Pfingsten feiern, das sind so viele Geschenke, die uns Christus macht, dass wir das gar nicht alles an nur einem Tag befeiern können. Und darum machen wir morgen auch gleich weiter. Amen.

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