St. Johannes 14,8-13 | Vorabend zum Tag Der Apostel St. Philippus und Jakobus | Pfr. Dr. Martens

In zwei Wochen beginnt für die Muslime nun wieder der Ramadan. Wenn wir an den Ramadan denken, denken wir zunächst daran, dass Muslime in dieser Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts essen und trinken dürfen und dafür abends dann festliche Mahlzeiten halten, von denen in den vergangenen Jahren in den Asylbewerberheimen unserer Stadt die christlichen Asylbewerber jeweils ausgeschlossen wurden. Ja, es ist für christliche Minderheiten eine besonders schwere Zeit, weil in diesen Wochen besonders deutlich wird, wer sich denn nun zum Islam bekennt und wer nicht – und wer es nicht macht, der muss dann eben immer wieder auch mit sehr aggressiven Reaktionen derer rechnen, die der Ansicht sind, dass sich alle in ihrer Umgebung den Gesetzen des Islam zu unterwerfen haben.

Weit weniger bekannt ist unter Nichtmuslimen, dass es während des Ramadan eine besondere Nacht gibt, die Nacht des Schicksals oder die Nacht der Macht, die Qadr-Nacht, die für die Frömmigkeit der Muslime eine ganz besondere Bedeutung hat. In dieser Nacht, so glauben sie, habe Allah den Koran herabgesandt, und darum glauben sie, dass in dieser Nacht bis heute Engel und der heilige Geist auf die Erde kämen. Ja, sie glauben, dass Gebete, die in dieser Nacht verrichtet werden, so viel zu bewirken vermögen wie sonst Gebete in 1000 Monaten, ja, dass in dieser Nacht die Chance besonders groß sei, dass Allah die Sünden vergibt, die man begangen hat. In dieser Nacht, so glauben Muslime, wird festgelegt, was im nächsten Jahr mit den Menschen passiert, wer sterben muss und wer nicht, wer am Ende in die Hölle geschickt wird und wer nicht. Und persönlich erhoffen sich viele Muslime von dieser Nacht, dass ihnen in dieser Nacht ein Licht erscheint, ein Licht, das ihnen Hoffnung und Zuversicht schenkt, dass Allah sich auch ihnen als gnädig erweisen wird.

Nun gibt es allerdings ein kleines und zugleich bezeichnendes Problem bei dieser so wichtigen Qadr-Nacht. Niemand weiß nämlich so ganz genau, wann diese Nacht ist, in der man mit der besonderen Nähe des Himmels rechnen kann. Allgemein wird davon ausgegangen, dass es sich um eine der letzten zehn Nächte des Ramadan handelt. Vermutet wird, dass es sich um eine ungerade Nacht handelt, und für sunnitische Muslime gilt die 27. Nacht des Ramadan als die vermutliche Qadr-Nacht, bei Schiiten wird die 21., 23. oder 25. Nacht für die wahrscheinlichste Nacht gehalten. Kurzum: Denen, die auf Nummer sicher gehen wollen, wird empfohlen, sich an allen letzten zehn Nächten in der Moschee zu versammeln und dort ganz bestimmte Gebete nach Möglichkeit mindestens einhundert Male hintereinander zu rezitieren. Das steigert die Chancen, bei Allah einen Treffer zu landen, doch ganz erheblich.

Auf diesem Hintergrund fangen die Worte des Heiligen Evangeliums des heutigen Aposteltages noch einmal ganz besonders an zu leuchten:

„Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.“ – So bringt Philippus hier einen Wunsch zum Ausdruck, der ein so tiefer menschlicher Wunsch ist, der Wunsch, endlich direkt an Gott herankommen zu können, ihn endlich direkt erkennen zu können. Wenn Muslime sich erhoffen, in dieser Nacht ein Zeichen der besonderen Nähe Allahs erfahren zu können, vielleicht ein besonderes Licht sehen zu können, sein Erbarmen irgendwie erfahren oder spüren zu können, dann entspricht dieses Sehnen in vielem auch dem Sehnen des Philippus, ja wohl auch unserem Sehnen: Wäre das schön, Gott einmal klar erkennen zu können, endlich verstehen zu können, was er denn mit uns vorhat und plant, wie es mit unserer Gemeinde, mit unserem Leben weitergehen soll, warum wir den ganzen Irrsinn mit den Ablehnungen durch das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte durchmachen müssen!

Doch auf diesen Wunsch des Philippus hören wir nun aus dem Munde Jesu eine völlig andere Antwort als diejenige, die Muslime in diesen kommenden Wochen zu hören bekommen: Jesus sagt nicht: Wenn ihr in der kommenden Zeit fastet und dann an einem ganz bestimmten Abend ganz viele fest formulierte Gebete in einer Moschee sprecht, kann es sein, dass euch Gott nahe kommt wie sonst nicht. Sondern Jesus stellt kurz und knapp fest: Wer mich sieht, der sieht den Vater. Jawohl, wir können in der Tat Gott sehen, wir können wissen, wie er aussieht. Ja, viel mehr noch: Wir können wissen, wie sich Gott zu uns verhält, was er mit uns vorhat. Es reicht, einzig und allein auf Jesus zu schauen, auf ihn, der diese Worte eben auch in einer ganz besonderen Nacht gesprochen hat, in der Nacht, da er verraten ward, in der Nacht, in der er verhaftet wurde und schließlich am nächsten Tag am Kreuz starb.

Nein, es ist für uns nicht länger ungewiss, ob uns Gott nahekommt oder nicht. Es ist erst recht nicht ungewiss, ob er uns unsere Sünden vergibt, ob wir vielleicht doch in die Hölle kommen oder nicht. Schau auf Jesus, dann weißt du, wer Gott wirklich ist: Dann weißt du, dass Gott die Liebe ist, die Liebe, die sich selber in den Tod gibt, um dich zu retten. Schau auf Jesus, dann siehst du nicht in ein Gesicht voller Rätsel, sondern blickst in die Augen dessen, der sein Leben für alle Menschen ohne Ausnahme geopfert hat. Schau auf Jesus, dann weißt du, was Gott mit dir vorhat: Dann weißt du, dass er dich selig machen will, dass er dich in den Himmel bringen will, so gewiss Jesus auch für dich am Kreuz gestorben ist. Schau auf Jesus, dann weißt du, wer das Licht der Welt ist, das auch in der tiefsten Dunkelheit deines Lebens scheint. Schau auf Jesus, wenn du so gar nicht verstehen kannst, was in deinem Leben passiert. Wenn du auf ihn blickst, dann weißt du, dass sich Gott eben doch eindeutig festgelegt hat, dass er sich für dich hat festnageln lassen am Kreuz, damit nie mehr ein Zweifel daran bestehen kann, dass Gott nichts anderes als dein Heil, deine Rettung will!

Nein, Gottes Nähe lässt sich nicht auf eine Nacht im Jahr festlegen. Durch Jesus Christus ist Gott dir immer nahe, denn Gott der Vater und Jesus Christus sind eins, Christus lebt im Vater und der Vater lebt in ihm – so betont es Christus hier selber. Es gibt keinen Gott außer Jesus Christus, keinen Gott, der nicht mit ihm, Jesus Christus, eins wäre.

Und dieser eine Gott, der ist stets am Werk, der beginnt gerade da erst so richtig zu wirken, als der Sohn zum Vater geht. Unfassliches ist seitdem geschehen: Unzählige Menschen auf der ganzen Welt haben seitdem durch Jesus Christus den Weg zum Vater gefunden, und das Werk, das Jesus Christus damals noch ganz klein angefangen hat, geht eben auch in unserer Mitte weiter: Ja, auch da gibt es so viele bei uns, die erkannt haben, dass ihr Sehnen nach Gott seine Erfüllung allein in ihm findet, der von sich sagt: Wer mich sieht, der sieht den Vater.

Und dieser Jesus Christus, der erfüllt Gebete, nicht bloß in einer Nacht, von der man nicht genau weiß, wann sie eigentlich ist, sondern stets und immer: „Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun.“ „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ – So hatte es Jesus zuvor gesagt. Er, Jesus, ist der Weg zu Gott, durch ihn sind wir nicht auf bestimmte Gebetszeiten festgelegt. Durch ihn sind wir auch nicht auf bestimmte Gebetsformulierungen festgelegt. Wohl aber verspricht uns Christus, uns immer mehr so zu prägen, dass unser Wille und sein Wille immer mehr eins werden. Was für eine wunderbare Verheißung!

Schwestern und Brüder: Es gibt nicht wenige Glaubenszeugnisse von ehemaligen Muslimen, die davon berichten, dass ihnen gerade in dieser Qadr-Nacht, in der sie auf das Licht von Gott warteten, Christus selber im Traum erschienen ist und ihnen den Weg zum Leben gewiesen hat. Ja, Christus allein ist die Antwort auf das Sehnen der Muslime, und so wollen wir uns auf die Verheißung unseres Herrn berufen und gerade in diesen kommenden Wochen des Ramadan, gerade auch in diesen Nächten, in denen Muslime auf das Licht vom Himmel warten, Christus anrufen und ihn bitten, dass er sich noch vielen Muslimen als die Erfüllung ihres Sehnens nach Gott und seiner Vergebung zu erkennen gibt – in seinem Wort und, wenn es ihm gefällt, auch noch auf andere Weise. Christus hat doch verheißen, dass wir in seinem Namen noch größere Werke tun als die, die er getan hat, dass er uns als Werkzeuge verwenden will, um noch viele Menschen in seine Nähe zu führen. Beten wir darum für die Muslime in aller Welt – und hören wir selber nicht auf, darüber zu staunen, wie gut wir es haben dürfen, dass wir Gott selber erkennen dürfen, so, wie er wirklich ist, dass wir erkennen dürfen, wozu wir bestimmt sind – eben durch Christus zum ewigen Leben. Ja, dieses Wort unseres Herrn hat wirklich Kraft: Wer mich sieht, der sieht den Vater! Amen.

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