St. Johannes 15,1-8 (Vorlage für die persische Übersetzung) | Vorabend zu Jubilate | Pfr. Dr. Martens

Wenn man einen christlichen Flüchtling aus dem Iran und Afghanistan fragt, warum er Christ geworden sei, dann hört man häufig als Antwort das Wort „Aramesh“. „Aramesh“ – das ist eine Erfahrung, die für frühere Muslime wohl besonders eindrücklich ist, wenn sie den christlichen Glauben und die christlichen Gottesdienste kennenlernen. Doch was ist mit „Aramesh“ eigentlich gemeint? Es geht nicht bloß um ein schönes Gefühl, das man im Gottesdienst hat, nicht bloß um ein wenig innere Ruhe. Sondern was „Aramesh“ eigentlich bedeutet, das macht uns Christus, unser Herr, im Heiligen Evangelium dieses Sonntags sehr deutlich:

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ – so sagt es Christus hier. Was für ein schönes Bild! Wir sehen vor uns einen Weinstock, und an diesem Weinstock hängen die Reben. Durchströmt werden sie von dem Lebenssaft des Weinstocks – und gerade so bringen die Reben dann auch reiche Frucht, die an ihnen hängt. Die Reben machen selber gar nichts – sie hängen einfach nur am Weinstock, sind mit ihm verbunden. Alles Leben, das sie haben, haben sie vom Weinstock. Wären sie nicht mit ihm verbunden, so wären sie schnell vertrocknet und tot.

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ – das ist mit Aramesh gemeint. Für uns als Christen ist nur eines entscheidend wichtig: Dass wir an Jesus Christus hängen, dass wir mit ihm verbunden sind. Wir müssen nicht selber etwas tun und leisten, damit wir ins Paradies kommen. Wir müssen nicht mehrmals am Tag beten, fasten, Almosen geben und nach Mekka reisen. Wir müssen überhaupt nichts. Hauptsache, wir hängen an Christus. Dann ist alles gut. Und mit Christus sind wir doch schon verbunden seit dem Tag unserer Taufe. Seitdem hängen wir an ihm, unserem Herrn. Seitdem sind wir Reben an ihm, dem Weinstock. Und jedes Mal, wenn wir den Leib und das Blut Christi empfangen, wird wieder Wirklichkeit, was Christus hier beschreibt: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ (Johannes 6,56) Wie befreiend, wie entspannend im besten Sinne ist das: Ich darf mich ganz hängen lassen an Christus! Ich muss nicht meine Rettung selber bewirken mit meinem Einsatz, mit meinen guten Werken. Wenn ich Christus habe, habe ich alles: mein Heil und mein Leben. Wenn ich mit Christus verbunden bin, dann wird sein Leben mein Leben, dann kann mich nichts von ihm trennen, noch nicht einmal der Tod. Ja, das gibt wirklich „Aramesh“: Ich bin mit Christus verbunden, ich lebe in ihm, habe in ihm jetzt schon ein Leben, das niemals mehr aufhört.

Doch nun sagt Christus hier: „Bleibt in mir und ich in euch!“ Das klingt doch eigentlich völlig überflüssig, zu einer Rebe zu sagen: Bleibe am Weinstock! Welche Rebe käme auf die Idee, sich einfach vom Weinstock zu lösen! Sie ist doch Teil des Weinstocks, hat an ihm und in ihm alles, was sie braucht! Würde sie sich vom Weinstock lösen, so würde sie ganz schnell vertrocknen, würde sie erst recht keine Frucht bringen können.

Doch wir wissen: Die scheinbar so überflüssige Ermahnung Christi ist in der Tat dringend nötig und leider immer wieder aktuell. Das muss uns Christen tatsächlich immer wieder gesagt werden: Bleibt an Christus, bleibt in ihm. Es ist eigentlich nicht zu fassen – aber es ist eben leider doch wahr: Das gibt es, dass Menschen, die durch die Taufe Reben am Weinstock Jesus Christus geworden sind, sich von diesem Weinstock Jesus Christus wieder lösen. Das gibt es allen Ernstes, dass Menschen, die den Leib und das Blut Christi empfangen haben und dadurch mit Christus so eng verbunden worden sind, sich anschließend wieder vom Weinstock Jesus Christus lösen. Unfasslich, der reine Wahnsinn – und doch wahr.

Das gibt es tatsächlich, dass Menschen durch die Taufe mit Christus eins werden – und dann einige Zeit später erklären: Jetzt habe ich für Jesus Christus keine Zeit mehr. Jetzt muss ich für meinen Sprachkurs lernen, jetzt ist der Weg für mich zu weit, jetzt muss ich Geld verdienen, jetzt muss ich mich um meine Familie kümmern. Und das erklären sie nicht bloß, sondern das setzen sie dann auch um: Sie hören allen Ernstes damit auf, noch den Leib und das Blut Christi zu empfangen. Sie behaupten, es würde reichen, wenn sie immer wieder einmal an Jesus Christus denken oder sich selber als Christ fühlen. Sie lösen sich vom Weinstock Jesus Christus – und merken selber gar nicht, wie sie damit ganz schnell im Glauben vertrocknen, wie der Saft des Lebens, den sie von Jesus Christus empfangen haben, sie nicht mehr durchströmt. Das ist wirklich nicht zu fassen – und doch erleben wir es leider auch in unserer Gemeinde immer wieder, dass Reben nicht am Weinstock Jesus Christus bleiben, sondern sich von ihm lösen. Und dabei denken sie vielleicht sogar noch, dass sie damit besonders frei sind, wenn sie nicht mehr von Jesus Christus, von seinem Wort, von seinem Leib und Blut abhängig sind.

Doch Christus beschreibt hier ganz nüchtern, was mit einer Rebe passiert, die nicht mit dem Weinstock verbunden ist: Sie bringt keine Frucht und wird am Ende entfernt und weggeworfen. Nein, „Aramesh“ ist keine harmlose Angelegenheit. Wer kein „Aramesh“ in der Verbindung mit Christus hat, der verfehlt sein Leben, der hat keinen Anteil am ewigen Leben in der Gemeinschaft mit Christus. Wer nicht in Jesus Christus bleibt, der verliert in seinem Leben alles, auch wenn er meint, er würde so viel verdienen und gewinnen, dass er Christus gar nicht mehr braucht. Hört darum, was Christus euch sagt: „Bleibt in mir und ich in euch!“ Ja, bleibt, bleibt, bleibt – es gibt nichts Wichtigeres im Leben, als bei Christus zu bleiben, als immer wieder seinen Leib und sein Blut zu empfangen, mit ihm verbunden zu sein. Denn ohne ihn, Christus, könnt ihr nichts, wirklich gar nichts tun!

Und wer als Rebe am Weinstock Christus bleibt, wer so mit Christus verbunden ist, der bringt viel Frucht – so beschreibt es Christus hier. Die Rebe muss es sich nicht verdienen, Rebe zu sein. Sie hat schon alles dadurch, dass sie am Weinstock hängt. Aber eben so bringt der Weinstock durch die Rebe reiche Frucht. Und eben so bringt Christus auch durch uns reiche Frucht. Wir müssen uns nicht den Himmel mit guten Werken verdienen. Wir können einfach „Aramesh“ in der Gemeinschaft mit Christus genießen. Aber daraus erwächst dann tatsächlich Frucht. Wer mit Christus verbunden ist, der wird eine neue Sicht auf sein Leben bekommen, dessen Wille wird mit dem Willen Christi immer mehr zusammengehören. Und der wird eben darum dann auch um das im Gebet bitten, was Christus uns versprochen hat und uns schenken will. Wer mit Christus verbunden ist, der wird eben nicht mehr darauf aus sein, im Leben möglichst viel Geld zu verdienen und möglichst viel zu haben. Wer mit Christus verbunden ist, der wird eben nur noch dies wünschen, dass auch viele andere davon erfahren, wie schön es ist, zu Christus zu gehören. Und wer so mit Christus verbunden ist, der wird seinen Mund nicht halten können, der wird auch anderen davon erzählen, was es bedeutet, Rebe am Weinstock Christus zu sein. Ja, die Rebe am Weinstock bringt Frucht – genau das erleben wir hier in unserer Gemeinde, dass die, die schon Reben am Weinstock Christus sind, immer wieder andere einladen. Und so sehen auch wir hier in der Gemeinde reiche Frucht. Diese Frucht ist von Christus gewirkt, nicht von uns. Christus selber hat euch hierhergeführt und dann mit sich verbunden. Bleibt nur an ihm dran, empfangt ihn nur immer wieder hier am Altar! Dann wird Christus auch durch euch noch viel bewirken. Ja, dann wird er auch euch gewiss das ewige Leben schenken. Ja, genau das bedeutet „Aramesh“. Amen.

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