St. Johannes 16,16-23a | Jubilate | Pfr. Dr. Martens

An den Sonntagen nach Ostern wird in unserer Gemeinde, in unserem Pfarrbezirk immer wieder geweint. 19 Jahre ist es nun schon her, dass ich an einem Sonntag Jubilate der Gemeinde bekanntgeben musste, dass ein junger Mann aus unserer Gemeinde von einer Gruppe von Kosovo-Albanern ermordet worden war, als er sich darum bemühte, einen Streit zu schlichten. 13 Jahre ist es genau auf den Tag heute her, dass ein junger Mann aus unserer Gemeinde seinem Leben ein Ende setzte, weil er einfach nicht mehr weiterleben konnte. Und nun weinen wir heute an diesem Sonntag Jubilate schon wieder, weinen mit den vier Kindern aus unserer Gemeinde, die vor einer Woche ihre Mutter verloren haben. Was für ein Kontrast, den wir da immer wieder erfahren: Da werden wir an diesem Sonntag im Introitus, der diesem Tag seinen Namen gegeben hat, zum Jubeln aufgefordert, erklingt an diesem Tag immer wieder das fröhliche Halleluja, verkündigt die Osterkerze im Altarraum den Sieg Christi über den Tod, erinnert uns an die vierzig Tage, in denen der auferstandene Christus immer wieder sichtbar seinen Jüngern erschienen ist – und in unserer Mitte herrscht zugleich so viel Traurigkeit und Verzweiflung, bei all denen, die einen geliebten Menschen schmerzlich vermissen, bei all denen, die es kaum ertragen können, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihnen die Ernsthaftigkeit ihrer Hinwendung zum christlichen Glauben abgesprochen hat, bei ihnen in Frage gestellt hat, was für sie doch das Allerwichtigste im Leben ist. Und da herrscht so viel Traurigkeit und Verzweiflung bei all denen, die all das Leid einfach nicht mehr ertragen können, das sie im Leben schon durchgemacht haben und das hier in Deutschland nun immer noch nicht an sein Ende kommt, sondern immer noch weiter verstärkt wird, Traurigkeit und Verzweiflung bei denen, die in ihren Heimen wegen ihrer Hinwendung zum christlichen Glauben angegriffen, verletzt, mit dem Tode bedroht werden und erfahren müssen, wie dieses Leid von denen, die etwas daran ändern könnten, einfach nicht ernst genommen wird. Ja, wie viel Leid, wie viel Verzweiflung habe ich allein in diesen vergangenen Wochen seit Ostern hier in unserer Gemeinde schon wieder erlebt! Wie soll man angesichts all des Leides, angesichts der scheinbaren Sinnlosigkeit dessen, was so viele von uns erfahren, angesichts des schreienden Unrechts, unter dem so viele in unserer Gemeinde zu leiden haben, wie soll man angesichts all dessen denn nun noch auf die Idee kommen zu jubeln und Halleluja zu singen? Wie soll das denn bloß noch irgendwie auch nur zusammenpassen?

Doch genau damit, Schwestern und Brüder, sind wir nun schon mitten drin in der Predigtlesung, der altkirchlichen Epistel dieses Sonntags Jubilate. Umständlich mag sie zunächst einmal klingen mit ihrer immer noch einmal wiederholten Frage, was es denn bedeutet, dass Jesus ankündigt, dass er in einer kleinen Weile nicht mehr zu sehen und dann doch wieder zu sehen sein wird. Doch was da zunächst so umständlich klingen mag, beschreibt doch in Wirklichkeit genau auch unser Ringen um Antworten auf diese eine Frage, wie denn unser Leid, unsere Erfahrung der Abwesenheit unseres Herrn zusammenpasst mit dem Osterjubel, mit der Botschaft von der Auferstehung unseres Herrn, ja mit unserem Glauben überhaupt.

Die Worte, die wir eben in der Predigtlesung gehört haben, wurden von Christus zu seinen Jüngern kurz vor seiner Verhaftung gesprochen, kurz nach dem letzten Mahl, das er mit ihnen gefeiert hatte. Jesus kündigt seinen Abschied an, seine Verhaftung, seinen Tod schon in den allernächsten Stunden, kündigt ihnen an, dass all das an sein Ende kommen wird, was sie bisher als so normal und selbstverständlich angesehen hatten: Die sichtbare irdische Gemeinschaft mit ihm. Ja, natürlich hatte er darüber schon zuvor mit ihnen gesprochen. Aber der Tod will uns Menschen ja einfach nicht in den Kopf. Das können wir einfach nicht begreifen, dass ein geliebter Mensch, der doch immer an unserer Seite war, mit einem Mal nicht mehr da sein soll, nicht mehr zu sehen sein soll, nicht mehr ansprechbar sein soll, nicht mehr in den Arm genommen werden kann. Das kann man uns noch so oft sagen – wir werden es erst einmal gar nicht richtig begreifen können, werden immer wieder neu denken, dass das doch eigentlich gar nicht wahr sein kann, dass das nur ein böser Traum ist, der schnell wieder vergeht. Die Jünger damals standen genauso auf dem Schlauch wie wir heute auch; es geht ihnen einfach nicht in den Kopf.

Und Jesus – der wird nun noch einmal deutlicher, nimmt kein Blatt vor den Mund, was den Jüngern in der kommenden Zeit bevorsteht: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ja, ihr werdet traurig sein. Nein, Jesus sagt nicht: Ihr seid doch Christen, da seid ihr doch immer fröhlich, da seid ihr immer gut drauf, da habt ihr doch immer ein Halleluja auf euren Lippen. Reißt euch zusammen und zeigt, dass ihr wahre Christen seid! Sagt Jesus nicht. Sondern er sagt seinen Jüngern ganz klar: Ihr werdet weinen, klagen, traurig sein, ja, traurig seid ihr auch jetzt schon, ganz klar.

Wie gut, dass Christus das hier so deutlich ausspricht: Wenn wir als Christen weinen und traurig sind, wenn wir klagen, wenn wir verzweifelt sind, dann läuft da nicht etwas falsch in unserem Leben. Wenn wir als Christen damit nicht klarkommen, dass wir so gar nichts von der Gegenwart unseres Herrn Jesus Christus spüren, dass er einfach nur weg zu sein scheint, dann ist das für Jesus nicht unvorstellbar, sondern selber von ihm genauso schon angekündigt. Ja, Christus hat das auch schon angekündigt, dass das Leid von Christen dadurch noch einmal verstärkt wird, dass diejenigen, die von Christus nichts wissen wollen, das Leid der Christen als Beweis dafür anführen, dass Christus schwach ist, dass er nicht helfen kann, dass es sich nicht lohnt, an ihn zu glauben. Ich denke an die Asylbewerber, denen es gelungen ist, dem Bundesamt etwas vorzuspielen, dass sie angeblich ernsthafte Christen seien, die daraufhin ihre positive Anerkennung bekommen haben und nun diejenigen aus unserer Gemeinde auslachen, die scheinbar so dumm sind, immer in die Kirche zu laufen und am Ende doch nur eine Ablehnung ihres Asylantrags zu bekommen. Ich denke an die Asylbewerber, die die Glieder unserer Gemeinde in den Heimen bedrohen und verletzen und sie anschließend noch auslachen, weil sie wissen, dass sie am Ende ja doch nicht bestraft werden für das, was sie getan haben. Ich denke an die Stimme, die so mancher von euch vielleicht auch in seinem eigenen Herzen vernimmt: Siehst du, es bringt doch nichts, an Christus festzuhalten! Hör endlich auf mit dem Quatsch! Der hilft dir ja doch nicht! Schau doch, wie viel besser es so vielen Menschen geht, die nicht an Christus glauben! Nein, die Welt interessiert es nicht, wenn Christen traurig sind und weinen. Wenn jüngst eine afghanische Christin in Bayern von einem radikalen Muslim ermordet wurde, dann ist das in unseren Medien kaum eine Notiz wert; wenn Christen in anderen Ländern um ihres Glaubens willen abgeschlachtet werden, dann möchte das einfach keiner wissen. Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen! O ja, wie wahr!

Doch was ist nun der Trost, den Christus seinen Jüngern hier spendet? Ja, er kann ihnen einen recht kurzfristigen Trost ankündigen – und was für einen! Schon am dritten Tage nach seiner Verhaftung und Kreuzigung werden sie ihn wiedersehen als den lebendigen Herrn, wird ihr Herz voller Freude sein, dass er, Jesus, nicht tot geblieben ist, nicht verschwunden geblieben ist, sondern lebt, werden sie sich vor Freude nicht mehr einkriegen darüber, dass sie ihn, ihren Herrn, wiedersehen dürfen. Was für ein wirklicher, was für ein wirksamer Trost, ganz gewiss! Der ist so stark, dass wir auch jetzt, nach 2000 Jahren, immer noch jedes Jahr Ostern feiern, dieses wichtigste Ereignis der Weltgeschichte.

Doch die Schmerzen, die Traurigkeit, das Klagen – all das verschwand nach Ostern ja nicht einfach bei den Jüngern. All das blieb, wurde nach Ostern oftmals noch schlimmer als zuvor. Und Jesus war bald nach Ostern für seine Jünger eben auch nicht mehr zu sehen, und so befanden sie sich in einer ganz vergleichbaren Lage wie am Abend vor seiner Verhaftung auch. Doch der, der am Ostermorgen dem Tod die Macht genommen hat, hat in seine Worte noch einmal eine viel größere Verheißung gesteckt: Er kündigt ihnen an, sie noch einmal ganz neu zu sehen, kündigt ihnen an, dass ein Tag kommen wird, an dem niemand mehr den Jüngern die Freude nehmen wird, dass ein Tag kommen wird, an dem die Jünger einmal Jesus nichts, gar nichts mehr fragen werden, weil alles klar, alles verständlich sein wird.

Wann wird dieser Tag endlich kommen? Wann wird dieser Tag endlich kommen, an dem es endgültig keinen Tod mehr geben wird, kein Leid, keinen Abschied? Wann wird dieser Tag endlich kommen, an dem alles Unrecht dieser Welt endlich sein Ende finden wird? Wann wird dieser Tag endlich kommen, an dem wir keine Angst mehr haben werden, keinen Schmerz, ja, keine Traurigkeit mehr? Eine kleine Weile noch, sagt Jesus und vergleicht diese Zeit dann mit der Zeit der Schmerzen, die eine Frau empfindet, wenn sie ein Kind zur Welt bringt. Das mag ihr auch wie eine Ewigkeit vorkommen – aber irgendwann ist das Kind da, und aller Schmerz wird vergessen sein. Ja, der Tag wird kommen, an dem du einmal all das vergessen haben wirst, was dir jetzt noch so schwer auf deiner Seele liegt, was dir jetzt noch die Luft zum Atmen zu nehmen droht. Ja, ich weiß, das Warten auf diesen Tag, an dem wir alle einmal Christus sehen werden, das zieht sich geradezu unerträglich lange hin. Wie können wir diese Zeit bloß aushalten?

Christus selber sorgt dafür, dass wir es tragen, dass wir es aushalten können. Er schenkt uns immer wieder neu eine kleine Weile, immer wieder neu sieben Tage, bis wir ihm wieder neu begegnen können, schon hier und jetzt. Immer wieder kommt er schon hier und jetzt zu uns, verborgen in den Gestalten von Brot und Wein und doch nicht weniger leibhaftig gegenwärtig als am Ostersonntag in Jerusalem, nicht weniger leibhaftig gegenwärtig, als er es einmal bei seiner sichtbaren Wiederkunft sein wird. Mitten in unsere Traurigkeit tritt er auch heute wieder, der auferstandene Herr, lässt uns mit unserem Munde erfahren, dass er nicht weg ist, dass er uns nicht im Stich lässt, dass er in uns lebt, bei uns bleibt, auch wenn wir nachher wieder zurückkehren in eine Wohnung, in der wir das Fehlen eines geliebten Menschen so deutlich spüren, wenn wir nachher wieder zurückkehren in das Heim, wo wir uns heute Nacht wieder die Gebetsrufe anhören müssen, vor denen wir doch eigentlich geflohen waren, wenn wir nachher wieder zurückkehren in unseren Alltag und nicht wissen, wie es überhaupt mit uns weitergehen soll. Sonntag für Sonntag lässt es Christus schon jetzt Ostern werden, will er einen Lichtschein der Freude, die uns am Ende erwartet, schon jetzt in unser Leben fallen lassen. Das lässt uns immer wieder neu durchhalten – von einer kleinen Weile zur nächsten. Das lässt uns nicht aufhören, uns dem Tag entgegenzusehnen, an dem wir Christus einmal nichts mehr fragen werden, weil alles klar sein wird, ja, weil wir dann in diesem klaren Lichtschein dann auch die Menschen einmal wiedersehen werden, die uns jetzt noch so sehr fehlen. Freude statt Fragen, Freude ohne Ende. Die liegt vor uns. Und darum können wir heute eben doch auch Jubilate feiern – ja, auch mit Tränen in den Augen. Amen.

Zurück