St. Johannes 17, 9-19 | Mittwoch nach Quasimodogeniti | Pfr. Dr. Martens

Sind Christen etwas Besonderes? Diese Frage ist im Augenblick in mancherlei Hinsicht sehr aktuell: Da wird beispielsweise im Augenblick in den Kirchen darüber diskutiert, ob es erlaubt ist, dass Christen verfolgten Christen in ihrer Heimat und auch hier in Deutschland in den Asylbewerberheimen in besonderer Weise beistehen und sich für sie einsetzen. Nein, das geht gar nicht! – So höre ich es immer wieder aus dem Bereich der Evangelischen Kirche. Wir dürfen Christen nicht besonders behandeln, auch und gerade nicht, wenn sie von Angehörigen anderer Religionen bedrängt werden. Wenn wir die Christen besonders behandeln würden, dann würden wir ja andere Menschen damit automatisch benachteiligen, und das wollen wir ja keinesfalls. Also dürfen wir uns nicht besonders für Christen einsetzen; das wäre sonst unchristlich!

Es ist hilfreich, wenn wir uns in dieser Diskussion die Predigtlesung des heutigen Abends genauer anschauen. Da werden wir Zeugen eines Gebets, das Christus, unser Herr, direkt vor seiner Verhaftung an seinen Vater richtet – und in diesem Gebet macht Christus zugleich sehr deutlich, wie die Situation der Christen nach seiner Auferstehung und nach seiner Himmelfahrt in Zukunft sein wird. Mehreres lässt sich darin erkennen:

Zum einen gibt Christus hier natürlich keinerlei Hinweis darauf, dass nur Christen richtige Menschen sind und darum diejenigen, die keine Christen sind, als Menschen zweiter Klasse behandelt oder gar getötet werden dürfen. Christen machen das Recht auf Leben, ja machen Menschenrechte insgesamt nicht von dem Glauben eines Menschen abhängig. Ein Atheist oder ein Muslim ist kein weniger wertvoller Mensch als ein Christ, ganz klar.

Und zum anderen macht Christus hier auch ganz deutlich, dass Christsein nie und nimmer ein Verdienst eines Menschen ist, dass ein Christ darum zu Christus gehört, weil er sich dafür entschieden hat, weil er ein besonders guter Mensch ist. Die Besonderheit von uns Christen besteht nicht darin, dass wir anderen Menschen moralisch überlegen wären oder es aus irgendeinem Grund verdient hätten, besser behandelt zu werden als andere. Wenn Christus hier von den Christen spricht, dann nennt er sie „die, die du, der Vater, mir gegeben hast“. Kein Christ kann sich also an seine Brust klopfen oder gar auf andere herunterschauen, weil er Christ ist.

Und doch entwirft Christus hier nicht das Bild einer Kirche, die letztlich ganz in der Gesellschaft aufgeht, die letztlich gar nicht mehr als besonders wahrgenommen wird, sondern nur noch einmal religiös verstärkt, was alle anderen zu einem Thema auch schon gesagt haben. Er entwirft nicht das Bild von Christen, die einfach nur einen beliebigen Weg zu Gott gefunden haben, während andere sich auch einen ganz anderen Weg zu Gott aussuchen können. Sondern Christus markiert hier schon einen sehr deutlichen Unterschied zwischen der Welt einerseits und den Christen andererseits.

Das geht schon damit los, dass Christus hier ausdrücklich erklärt, er bitte nur für die, die ihm der Vater gegeben hat, also für die Christen, und nicht für die Welt. Mit dieser Aussage würde er sich sicher heute einen kräftigen Rüffel von einigen protestantischen Kirchenführern wegen politischer Inkorrektheit einfangen. Natürlich geht es Christus hier auch nicht darum, dass wir nicht für unsere muslimischen Verwandten beten dürfen oder dass er nicht auch für sie und für ihre Sünde am Kreuz gestorben wäre. Aber Christus macht eben doch einen deutlichen Unterschied zwischen denen, die zu ihm gehören, und denen, die nicht zu ihm gehören. Es geht im christlichen Glauben nicht einfach darum, ob ich mir bestimmte fromme Gedanken über Gott mache, sondern es geht darum, ob ich durch die Taufe, durch das Heilige Abendmahl mit Christus verbunden bin oder nicht. Und denen, die mit Christus verbunden sind, gilt seine Fürbitte in ganz besonderer Weise. Ja, insofern sind wir Christen in der Tat etwas Besonderes, weil die Fürbitte Christi für uns eine besondere ist, jawohl, so macht er es hier selber deutlich.

In was für einem Verhältnis stehen wir also als Christen zu der Welt? Christus bringt es hier auf den Punkt: Christen sind nicht von der Welt, aber sie sind in der Welt. Dass Christen nicht von der Welt sind, heißt nicht, dass sie sich für Marsmännchen halten, und erst recht nicht, dass sie weltfremd wären. Sondern dass Christen nicht von der Welt sind, heißt, dass sie eine neue Geburt erfahren haben, einen neuen Ursprung ihres Lebens erfahren haben in ihrer Taufe. Was mein Leben als Christ bestimmt, ist nicht zuerst und vor allem, wo ich von meiner Mutter geboren worden bin, ob das in Berlin, in Shiraz oder in Herat war, was mein Leben als Christ bestimmt, ist auch nicht die Religion, die meine Eltern gehabt haben oder noch haben. Sondern was mein Leben als Christ bestimmt, ist einzig und allein, dass ich Kind Gottes bin, ja, dass ich Bürger der neuen Welt Gottes bin, an der mir Christus jetzt schon Anteil gibt.

Wir Christen sind nicht von der Welt – aber wir sind in der Welt. Christus zieht aus der Tatsache, dass wir als Christen einen anderen, neuen Ursprung haben, nicht die Konsequenz, dass wir Christen uns aus dieser Welt zurückziehen sollen, keinen Kontakt mehr mit Leuten haben sollen, die keine Christen sind. Sondern Christus lässt uns Christen hier mitten in der Welt, und er weiß genau, was das bedeutet: Wer Christ ist, wer nicht von dieser Welt ist, für wen das Wort Christi allein der Maßstab für sein Reden und Handeln ist, der muss damit rechnen, dass ihn die Welt hasst, dass ihm Anfeindungen und Angriffe widerfahren. Christus zeichnet hier kein rosarotes Bild von dem Leben der Christen in der Welt. Für ihn ist es nicht die Normalsituation, dass Christen gesellschaftlich anerkannt und geschätzt werden, dass man sie in Frieden leben lässt. Was so viele unserer Gemeindeglieder und Taufbewerber in den Asylbewerberheimen unseres Landes erleben, ist für Christus der Normalzustand eines Christen: Dass er gehasst wird wegen seines Glaubens, dass die Welt, und dazu zählen eben nicht zuletzt auch die Muslime, die den Anspruch Jesu ablehnen, ihn bedroht, angreift, ja, nicht selten auch zu töten versucht. Wundert euch also nicht, wenn euch so etwas widerfährt. Wundert euch nicht, wenn Christen in unserer Gesellschaft insgesamt zunehmend an den Rand gedrängt werden, verleumdet werden, mit keiner Toleranz mehr rechnen können. Natürlich ist das für uns, ist das für alle Betroffenen schmerzlich. Und doch sollen wir uns immer wieder neu an die Worte Christi erinnern: „Ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.“ Ja, Christen werden in dieser Welt gebraucht – wie sollte die Welt sonst die frohe Botschaft von Jesus Christus vernehmen können! Christen werden in dieser Welt von Christus gebraucht, weil sie auch und gerade in ihrem Leiden die Botschaft von ihrem gekreuzigten Herrn bezeugen. Es geht eben nicht bloß um uns selbst, um unser eigenes Wohlbefinden. Es geht in der Tat um die Welt, es geht in der Tat ganz konkret auch um muslimische Mitbewohner, dass sie durch die Christen von dem erfahren, der auch sie geliebt hat und auch für sie in den Tod gegangen ist. Christus bittet für die Christen, dass sie vor dem Bösen bewahrt werden – gemeint ist: Dass sie davor bewahrt werden, dass Gottes Widersacher sie durch die Anfeindungen, die sie erfahren, von Christus wegziehen kann. Darum geht es Christus, dass wir uns nicht aus dieser Welt verabschieden und doch zugleich darum wissen, dass wir nicht allein sind, wenn wir uns als Christen zu erkennen geben, dass Christus selber uns dann unterstützt und zu uns steht.

Bei Christus bleiben können und werden wir aber nur, wenn wir uns an sein Wort halten, wenn wir dieses Wort immer besser kennenlernen und uns von daher nicht einlullen lassen durch so vieles, was christlich klingen mag und in Wirklichkeit doch mit der Wahrheit des Wortes Gottes so wenig zu tun hat. Ja, gerade wenn wir an Gottes Wort festhalten, werden die Anfeindungen nicht ausbleiben, machen wir uns nichts vor. Und doch geht es letztlich doch nur um eins, so zeigt es uns Christus hier: Dass wir immer enger mit ihm verbunden, durch ihn geheiligt werden, wie es Christus hier formuliert.

Sind Christen also etwas Besonderes? Ja, sie sind nicht von der Welt, und die, die anders sind als sie, werden ihnen das auch immer wieder zu erkennen geben, dass sie anders sind als die anderen. Und da ist es schon richtig, dass Christen untereinander dann auch Liebe üben, einander beistehen, einander nicht im Stich lassen, wenn sie bedrängt und angefeindet werden, dass gerade auch Kirchen ihre Stimme für ihre verfolgten und bedrängten Glaubensgeschwister erheben, wo sie dies denn können. Auch das gehört mit dazu, dass Christen nicht von der Welt, sondern in der Welt sind. Und doch werden wir als Christen bewusst bei denen bleiben, die anders sind als wir, werden ihnen die Botschaft von Gottes Liebe nicht vorenthalten. Denn diese Botschaft ist wirklich besonders, ja einmalig, ja mehr noch: Diese Botschaft schenkt eine Freude, die keine andere Botschaft der Welt zu geben vermag. Darum sind wir als Christen etwas Besonderes, weil wir eine besondere, einmalige Botschaft haben – die Botschaft, dass Gott die Welt liebt, jawohl, die ganze Welt, kurzum: Das Evangelium, das eine Kraft Gottes ist, die selig macht, alle die daran glauben. Gott geb’s, dass diese gute Botschaft ihre Kraft immer weiter erweist, ja, auch in den Asylbewerberheimen unseres Landes! Amen.

Zurück