St. Johannes 17,20-26 | Fest der Himmelfahrt Christi | Pfr. Dr. Martens

Im vergangenen Jahr zu Ostern, als die Welt noch in Ordnung schien, war auf dem Titelblatt des SPIEGEL eine Darstellung der Himmelfahrt Christi zu sehen: Jesus barfuß, schon halb in einer Wolke hängend, auf dem Weg nach oben Richtung Ozonschicht. Darunter der Titel: „Wer glaubt denn so was?“

Glauben wir so etwas, wenn wir heute miteinander einen Gottesdienst zum Fest der Himmelfahrt Christi feiern? Glauben wir an einen Jesus, dessen Beine aus einer Wolke baumeln und der sich auf senkrechtem Wege von uns verabschiedet hat und nun in den Tiefen des Universums verschwunden ist?

Wie gut, dass wir in der Predigtlesung des heutigen Festtages eine wunderbare Erklärung erhalten, worum es bei der Himmelfahrt Christi wirklich geht: nicht um naive prähistorische Raumfahrtszenarien, sondern um ein Geschehen, was für uns, für unser Leben als Christen hier in Berlin im Jahr 2020 von entscheidender Bedeutung ist. Es geht darum, dass wir

  • den Himmel auf Erden
  • einen Fürsprecher bei Gott
  • eine großartige Zukunft

haben.


I.

Wenn man Konfirmanden fragt, wo der Himmel ist, dann zeigen sie mit ihrem Finger fast automatisch immer nach oben. Und es gibt viele Erwachsene, die auf diese Frage genauso reagieren: Himmel ist oben. Doch Christus selber macht uns hier im Johannesevangelium, dass der Himmel gerade nicht oben ist. „Oben“ heißt nämlich zugleich auch: „Ganz weit weg“. Und in diesen Himmel, der ganz weit weg, der in diesem Sinne „oben“ ist, ist Jesus eben gerade nicht aufgefahren. Vielmehr wurde er aufgenommen in Gottes Dimension, in der er nicht an Raum und Zeit gebunden ist, in der er uns näherkommen kann, als wir es auch nur zu erahnen vermögen. „Ich in ihnen“ – so formuliert es Christus hier. Christus ist durch seine Himmelfahrt nicht bloß nicht verschwunden, sondern er kommt uns so nahe, dass wir mit den Präpositionen unserer Sprache an unsere Grenzen stoßen. Er, der Herr und König der ganzen Welt, lebt in uns, lebt in einem jeden, der durch die Taufe mit ihm verbunden ist.

Genau das feiern wir am Fest der Himmelfahrt Christi: Wir feiern, dass der Himmel nicht oben, sondern in uns ist – nicht in diesem naiven Sinn, als ob jeder Mensch nur tief genug in sich hineinhören muss, um dann Gott selber in sich zu entdecken. Sondern der Himmel ist in uns, weil Christus ganz bestimmte Mittel nutzt, um in uns zu wohnen: Die Heilige Taufe, das Wort des Evangeliums, das Heilige Altarsakrament.

Wir feiern heute an diesem Tag, dass wir Christus nicht nur als ehrwürdige Person in der Vergangenheit finden können, sondern dass er durch seine Himmelfahrt kein Problem hat, hier und heute in einem jeden von uns Wohnung zu finden. Und wenn Christus in uns wohnt, passiert dabei etwas noch Unfasslicheres: Wir werden eben damit hineingezogen in die ewige Liebesgemeinschaft des Dreieinigen Gottes. Die Worte aus dem 17. Kapitel des Johannesevangeliums gehören zu den großartigsten Worten der ganzen Heiligen Schrift. Sie machen deutlich, dass Jesus eben darum bei seiner Himmelfahrt in Gottes Dimension eingegangen ist, damit wir Anteil bekommen an der Verbindung von Gott dem Vater und Gott dem Sohn: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein“, so formuliert es Christus hier. Ach, Schwestern und Brüder, da reicht ein ganzes Menschenleben nicht, um darüber nachzusinnen, was Christus hier sagt: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein“! Darum feiern wir heute am Tag der Himmelfahrt Christi ein so fröhliches Fest, weil wir Anteil bekommen an der Dimension, in die Christus aufgenommen wurde, weil wir Anteil bekommen an dem Leben des Dreieinigen Gottes. Ja, in diesem Sinne ist das Fest der Himmelfahrt Christi tatsächlich zugleich Vatertag, weil wir durch die Himmelfahrt Christi mit Gott dem Vater so eng verbunden werden, dass wir in ihm leben. Mit Bollerwagen hat das allerdings überhaupt nichts zu tun.


II.

Ein Zweites macht uns Christus hier deutlich: Weil er gen Himmel gefahren ist, haben wir bei Gott, unserem Vater einen Fürsprecher, der für uns eintritt.

Wir erleben es immer wieder an uns selber, haben es vielleicht besonders auch in diesen Wochen erlebt, in denen wir wegen der Schließung unserer Kirche keine Möglichkeit hatten, an Gottesdiensten teilzunehmen und das Heilige Sakrament zu empfangen: Mitunter wird unser Glaube ganz schön wackelig, wird unser Gebetsleben mau, spüren wir deutlich, wie wenig auf uns selber, auf unsere eigene geistliche Kraft Verlass ist. Hinge unser Heil von unserer Glaubensstärke ab, dann wären wir am Ende verloren.

Doch, gottlob, da ist er, der eine, der Herr der Welt, der eben darum gen Himmel gefahren ist, um vor Gott für uns einzutreten und für uns zu bitten, gerade wenn wir dazu nicht mehr in der Lage sind. Hier im 17. Kapitel des Johannesevangeliums bekommen wir schon einen Eindruck davon, wie diese Fürbitte des Sohnes beim Vater aussieht, wie Christus ausdrücklich für die betet, die durch die Verkündigung des apostolischen Wortes an ihn, Christus, glauben werden: Christus bittet für uns, dass wir in seiner Gemeinschaft erhalten bleiben, in der Gemeinschaft seiner Liebe. Wenn wir von unserem Glauben nichts mehr fühlen, dann dürfen wir das wissen: Christus bittet für mich und hält mich so bei sich und in sich fest. Ja, Christus betet noch mehr: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast.“ Christus wollte sich mit seiner Himmelfahrt gerade nicht von uns distanzieren, sondern er wollte uns zu sich ziehen, dorthin, wo er ist, in den Himmel, in die Dimension der ewigen Gegenwart Gottes.

Was für ein Trost für uns, wenn wir mitunter so gar nichts mehr von unserem Glauben spüren: Christus setzt seinen Willen beim Vater durch, erreicht eben dies, dass wir, die wir zu ihm gehören, dort sein werden, wo er ist. Was für eine Entlastung, was für eine Befreiung, was für eine Zukunftsperspektive!


III.

Und damit sind wir schon beim Dritten, was uns Christus hier in unserer Predigtlesung deutlich macht: Er ist gen Himmel gefahren, damit wir eine großartige, wunderbare Zukunft haben. Am Fest der Himmelfahrt Christi blicken wir als Christen gar nicht so sehr zurück, sondern wir blicken in besonderer Weise nach vorne. Denn derselbe Herr, der sich 40 Tage nach seiner Auferstehung von seinen Jüngern verabschiedet hat, wird einmal sichtbar wiederkommen, und dann wird sich endgültig erfüllen, worum Christus hier damals am Abend seiner Verhaftung gebeten hat: „dass sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast.“ Das ist die Zukunft, der wir entgegengehen.

Wir blicken in unserem Leben oft voller Sorgen und Angst in die Zukunft, fragen uns, wie es mit uns weitergehen soll, wenn der deutsche Staat immer schärfer gegen konvertierte Christen vorgeht, wie es mit uns weitergehen soll, wenn deutsche Behörden uns endgültig die Ernsthaftigkeit unseres Glaubens abgesprochen haben, wie es mit uns weitergehen soll, wenn die Corona-Pandemie uns noch lange weiter im Würgegriff festhalten sollte. Doch als Christen wissen wir zugleich: Darauf läuft unser Leben zu, dass wir einmal Christus in seiner ganzen Herrlichkeit sehen werden, dass wir einmal in seinem Lichtschein stehen werden und dann all das von uns abfallen wird, was uns jetzt noch so sehr belastet und bedrückt.

Das lässt uns durchhalten angesichts der Herrschaft des Unrechts in unserem Land; das lässt uns durchhalten in unserer Gemeinde, auch wenn es uns so sehr schmerzt, dass wir in unseren Aktivitäten zurzeit und wohl noch für längere Zeit so sehr eingeschränkt sind. Auch die Corona-Zeit ist für uns keine verlorene Zeit, und das Jahr 2020 ist für uns kein verlorenes Jahr, wenn uns diese Zeit in Wirklichkeit eben diesem Ziel immer näher entgegenführt, dass wir einmal Christus in seiner ganzen Herrlichkeit sehen werden und dass in seinem Lichtschein einmal all das einleuchten wird, was wir jetzt in unserem Leben und in dieser Welt noch so gar nicht begreifen können.

„Wer glaubt denn so was?“ Was Christus hier seinen Vater bittet, mag noch unglaubwürdiger erscheinen als die Vorstellung eines Jesus, dessen Beine aus der Wolke baumeln. Doch seit Christus am Ostermorgen von den Toten auferstanden ist, wissen wir, dass seine Worte keine leeren Worte sind, dass das, was hier im Gottesdienst geschieht, kein leeres Ritual ist, sondern dass wir hier einer Wirklichkeit begegnen, die all das übersteigt, was wir uns aus unserem Alltag vorstellen können. Der, der gen Himmel gefahren ist, der ist hier in unserer Mitte und zieht uns zu sich, ob wir es glauben können oder nicht. Christus will es so – und darum wird es geschehen, dass auch unser Leben nicht im Dunkeln endet, sondern in einem Lichtglanz, in dem uns einmal alles, wirklich alles einleuchten wird – ja, sogar Corona. Amen.

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