St. Johannes 17,9-19 | Mittwoch nach Quasimodogeniti | Pfr. Dr. Martens

Manchmal kann einem schon angst und bange werden, wenn man miterlebt, was Christen in unserer Gemeinde so alles durchmachen und erleiden müssen. Da sind am vergangenen Wochenende fünf unserer Brüder von einem radikalen Islamisten in ihrem Asylbewerberheim angegriffen und zum Teil schwer verletzt worden. Der Täter hat angekündigt, das nächste Mal die Christen alle töten zu wollen; doch die Verantwortlichen lassen ihn weiter frei im Heim herumlaufen. Es geht ja nur um das Leben von Christen. Da höre ich, wie auch in anderen Heimen Geschwister aus unserer Gemeinde weiter mit dem Tod bedroht werden, ohne dass dagegen etwas unternommen wird. Da erlebe ich fast täglich die Verzweiflung der Schwestern und Brüder in unserer Gemeinde, denen in den Ablehnungen ihrer Asylanträge unterstellt wird, sie hätten sich nur aus asyltaktischen Gründen dem christlichen Glauben zugewandt, und die einfach die Welt nicht mehr verstehen, wie man so etwas von ihnen behaupten kann, ja wie man sie in ein Land zurückschicken kann, in dem ihnen die Todesstrafe drohen würde. Da erleben wir in unserer Gesellschaft, wie Christen mit ihrem Glauben immer mehr auf Unverständnis, ja auf feindselige Ablehnung stoßen, wie die vielgepriesene Toleranz da nicht mehr gilt, wo jemand sich zu seinem christlichen Glauben bekennt. Und da hören wir aus so vielen Ländern dieser Erde Nachrichten, dass Christen um ihres Glaubens willen verfolgt und getötet werden – und merken, dass solche Meldungen hier in unserem Land kaum jemanden ernsthaft interessieren.

Was läuft da schief in unserer Welt, in unserem Land, ja vielleicht auch in der Kirche selber, so mögen wir fragen. Das kann und darf alles eigentlich doch gar nicht sein! Soll das denn immer so weitergehen, ja noch schlimmer werden?

Wie gut, dass uns die Predigtlesung des heutigen Abends die Augen öffnet, den Horizont erweitert, uns besser verstehen lässt, was in Wirklichkeit hier und jetzt in unserer Gemeinde, was in Wirklichkeit hier und jetzt in der Kirche Jesu Christi insgesamt geschieht.

Da hören und lesen wir, wie Jesus direkt vor seiner Verhaftung für seine Jünger, ja, für seine Kirche betet, wie er für sie vor seinem Vater im Himmel eintritt. Ja, wenn wir genauer hinhören, dann merken wir: Hier berichtet St. Johannes nicht einfach bloß von einem Ereignis in der Vergangenheit, sondern das Gebet, das Jesus hier vor seiner Verhaftung spricht, ist das gleiche Gebet, mit dem er auch jetzt noch vor seinem Vater im Himmel für uns eintritt.

Und das ist die erste Horizonterweiterung, die wir hier in unserer Predigtlesung erfahren: Wir sind mit all unseren Sorgen und Nöten und Problemen nicht allein, nicht auf uns selbst gestellt. Sondern alles, was hier in unserer Gemeinde geschieht, und alles, was den Gliedern unserer Gemeinde widerfährt, steht unter der Fürbitte unseres Herrn Jesus Christus, der vor seinem himmlischen Vater für uns eintritt. Wir sind Eigentum unseres Herrn Jesus Christus, Menschen, die Gott der Vater seinem Sohn Jesus Christus gegeben hat. Und für die weiß er sich verantwortlich, die will er beschützen, will er bewahren. Und so tritt er für uns vor seinem Vater ein. Er betet dafür, dass wir trotz allem, was wir als Christen erfahren müssen, im Glauben erhalten bleiben, in der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, die uns in unserer Taufe geschenkt worden ist.

Was für ein Trost und was für eine Ermutigung ist das für uns: Die Zukunft unserer Gemeinde, die Zukunft auch unseres Lebens liegt nicht in unserer eigenen Hand, sondern in der Hand dessen, der schon längst zuvor für uns gebetet hat, der alles mit seiner Fürbitte begleitet, was hier in unserer Gemeinde geschieht, gerade auch das, was uns sorgt und ängstet.

Dass Jesus Christus für uns vor seinem Vater eintritt, bedeutet nicht, dass er uns von allen unseren Problemen befreit, dass er uns als Christen in irgendeiner Komfortzone ungestört leben lässt. Ganz offen spricht Christus in seiner Fürbitte von dem Hass, der uns Christen immer wieder entgegenschlägt von der „Welt“, wie er sie hier nennt, also von all denen, die nicht zu ihm, Jesus Christus, gehören und auch nicht zu ihm gehören wollen. Seien wir also nicht überrascht, wenn das, was Jesus Christus schon längst im Neuen Testament beschrieben hat, nun auch in unserem Leben geschieht, wenn die Brüder und Schwestern unserer Gemeinde eben diesen Hass auf so vielfältige Weise zu spüren bekommen – diese Ablehnung durch Menschen, die ihn, Jesus Christus, nicht kennen und nicht kennen wollen! Ja, diese Ablehnung gründet sich darin, dass diejenigen, die nicht zu Christus gehören, deutlich merken, dass wir als Christen anderswo herkommen, anders sind, einen anderen Ursprung, eine andere Wurzel in unserem Leben haben. Fremdkörper sind wir in einer Welt, die sich selbst genug ist, die eben darum ihn, Jesus Christus, nur als Ärgernis, als Eindringling in ihre eigene beschränkte Selbstwahrnehmung begreifen kann. Fremdkörper sind wir in einer Welt, die entsprechend aggressiv immer wieder diesen Fremdkörper auszustoßen versucht.

Doch nun ist es ganz spannend, was Jesus aus dieser Situationsbeschreibung folgert. Er sagt: „Ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.“ Christlicher Glaube bedeutet gerade nicht, dass wir uns aus dieser bösen Welt zurückziehen, dass wir die Mauern hochziehen und uns vor der Welt abschotten, dass wir nur noch für uns bleiben und die Welt sich selber überlassen. Jesus bittet nicht darum, dass wir aus der Welt genommen werden, aus der uns so viel Feindschaft und Unverständnis entgegenschlägt. Sondern er bittet darum, dass wir in dieser Welt vor dem Bösen bewahrt werden, dass uns die Anfeindungen, die wir erfahren, gerade nicht von Christus wegziehen, sondern uns erst recht in seiner Gemeinschaft erhalten. Ja, Christus mutet das seinen Jüngern, mutet das auch uns zu, in einer Welt zu leben, in der wir Minderheit sind und bleiben, in der uns das Bekenntnis zu ihm, Christus, auch so manchen Nachteil und so manche Schwierigkeit bereiten kann.

Ja, Christus geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.“ Christus schickt uns mitten in diese Welt hinein, stattet uns mit einer Mission aus, ja mit der Mission schlechthin: Zeugen zu sein für die Wahrheit seines Wortes, das uns doch keinen anderen als ihn, Jesus Christus, immer wieder ganz groß vor Augen stellt. Ja, Gesandte, Missionare sind wir alle miteinander an unserem Ort. Gesandte, Missionare sind wir in den Asylbewerberheimen, sind wir in unseren Deutschkursen, sind wir in der Schule, sind wir in unserer Nachbarschaft, sind wir auch in unserer Familie: Menschen, die wissen, dass sie ihren christlichen Glauben nicht aus eigenem Antrieb vertreten, sondern die darum wissen, dass Christus selber diesen Glauben in ihnen hervorgerufen hat und sie nun aussendet zu denen, die nichts von ihm wissen. Beides wird uns dabei immer wieder begegnen: Offene Feindschaft und Ablehnung – und doch auch der Glaube, der durch nichts Anderes gewirkt wird als durch das Wort der Wahrheit, durch das Wort des Evangeliums allein.

Lassen wir uns durch Schreckensmeldungen und Anfeindungen nicht irritieren! Wir wissen, wo wir verwurzelt sind: in ihm, Christus, allein, in seinem Wort, in seiner Liebe, mit der er sich für uns in den Tod gegeben hat. Lassen wir uns nicht irritieren. Ostern liegt hinter uns. Der, der diese Worte gesprochen hat, hat sich mit ihnen nicht einfach nur verabschiedet. Sondern er lebt, hat sich damit als stärker erwiesen als alle Mächte des Todes. Christus, unser Herr, ist nicht weg. Er ist hier bei uns, in seinem Wort, in seinem heiligen Mahl. Er lebt und tritt immer für uns ein. Damit lässt es sich gut und getröstet leben – ja, mitten in dieser irrsinnigen Welt. Amen.

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