St. Johannes 20,19-29 (Vorlage für die persische Übersetzung) | Vorabend zu Quasimodogeniti | Pfr. Dr. Martens
„Ich bin wirklich von ganzem Herzen Christ. Jesus ist immer in meinem Herzen. Ich denke immer an ihn. Aber leider habe ich keine Zeit, zum Gottesdienst zu kommen. Ich habe so viel anderes zu tun, dass ich leider nur an Jesus denken kann. Aber das ist ja auch genug!“
Schwestern und Brüder: Solche Äußerungen höre ich in unserer Gemeinde fast jede Woche. Sie klingen schön und sind gewiss auch ganz ehrlich gemeint. Aber sie sind dennoch nichts anderes als Selbstbetrug, so macht es uns das Evangelium dieses Sonntags nach Ostern deutlich. Es berichtet von einem Apostel, der auch das Zusammentreffen der Jünger Jesu am Sonntag verpasst hatte – und erst später merkte, wie viel er da eigentlich versäumt hatte, als er nicht mit den anderen Jüngern zusammen war. Ja, von Thomas wollen wir heute Abend lernen, von Thomas, der einmal den Fehler gemacht hat, sonntags nicht bei der Zusammenkunft der Jünger dabei zu sein – und der daraus für sein ganzes Leben gelernt hat.
Sonntags versammeln wir Christen uns zum Gottesdienst – wobei der Sonntag nach biblischer Zählung schon mit dem Samstagabend beginnt. Wir versammeln uns sonntags, weil das der Tag der Auferstehung Jesu ist. An diesem Tag feiern wir, dass Jesus lebt und in unserer Mitte ist. Denn genau das erfuhren damals die Jünger Jesu auch am ersten Ostersonntag.
Voller Angst waren sie an diesem ersten Ostersonntag. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass Jesus tatsächlich stärker sein könnte als der Tod. Sie hatten alles verschlossen, was man am Haus verschließen konnte, damit ja keiner hereinkommen und sie möglicherweise verhaften konnte. Doch dann steht Jesus mit einem Mal in ihrer Mitte – völlig unerwartet für sie. Er begrüßt sie mit dem Friedensgruß, den wir auch aus unseren Gottesdiensten kennen – und gibt sich dann zu erkennen, indem er den Jüngern seine Wundmale zeigt. Da begreifen die Jünger, dass es Jesus wirklich ist – und werden so froh wie noch nie in ihrem Leben: Jesus lebt wirklich; er ist wirklich in unserer Mitte, so, dass wir ihn selber berühren können.
Nur der Thomas ist nicht da. Jedenfalls kommt er zu spät zum Gottesdienst, sodass alles schon vorbei ist, als er kommt. Vielleicht hat er noch das anschließende gemeinsame Essen mit den Jüngern mitgemacht – aber die Begegnung mit Jesus hat er jedenfalls eindeutig verpasst. Und das hat Folgen: Wer Jesus nicht begegnet, dort, wo sich seine Jünger versammeln, dessen Glaube wird schwach, so schwach, dass er es nicht glauben kann, dass Jesus wirklich lebt und zu seinen Jüngern kommt. Das galt für den Thomas damals – und das gilt auch heute noch für uns Christen: Wer meint, er könne ohne die Begegnung mit dem auferstandenen Christus auch einfach so an Jesus glauben, von dessen Glaube wird am Ende nicht mehr viel übrig sein. Ich kann keine Fernbeziehung zu Jesus Christus unterhalten oder mir einfach meinen eigenen Jesus nach meinen Wünschen und Vorstellungen zusammenbasteln.
Warum ist es also so wichtig, dass wir dort sind, wo sich die Christen auch heute noch am Sonntag versammeln? Zunächst einmal ist es darum wichtig, weil wir dort die Vergebung der Sünden bekommen. Das ist das Allererste, was Jesus macht, als er zu seinen Jüngern kommt: Er gibt ihnen die Vollmacht, hier auf Erden die Sünden zu vergeben, sodass sie auch bei Gott im Himmel vergeben sind. So wichtig ist die Sündenvergebung für Jesus, dass er dafür sorgt, dass in Zukunft die Menschen immer wieder erfahren können: Meine Schuld ist mir wirklich vergeben. Alles, was mich belastet, ist wirklich weg. Gott wird nie mehr daran denken!
Ihr, die ihr den Islam noch am eigenen Leibe erlebt habt, könnt das besonders gut verstehen, wie großartig und wie wunderbar das ist, dass es da einen Ort gibt, wo uns die Sünden vergeben werden – und zwar so, dass wir ganz gewiss sein dürfen: Jetzt hat Gott mir vergeben! Unvorstellbar ist für euch der Gedanke, dass ein Imam in der Moschee durch die Reihen geht und den Menschen die Sünden vergibt. Nein, das gibt es nur bei Christus, das gibt es nur in der Kirche.
Da sollte man eigentlich meinen, dass die Leute am Sonntagmorgen oder auch heute Abend hier vor der Kirche Schlange stehen, um von diesem wunderbaren Geschenk Gebrauch machen zu können. Kann es etwas Schöneres geben, als ganz direkt zu erfahren, wie Gott einem die Schuld und das Versagen vergibt?
Doch leider spielen auch in unserer Gemeinde so viele Gemeindeglieder immer wieder den Thomas: Sie kommen zu spät, verpassen dieses großartige Geschenk, das Christus eingesetzt hat. Ja, so manch einer meint, dass er dieses Geschenk ja eigentlich gar nicht so nötig habe, weil er so viele Sünden ja nun auch wieder nicht begangen habe. Was für ein Irrtum! Mach es nicht wie der Thomas, komme nicht zu spät, glaube nicht, dass Jesus für dich nicht am Kreuz hätte sterben brauchen, weil du doch eigentlich ein ganz anständiger Mensch bist! Jesus weiß, warum er seinen Jüngern als erstes das Geschenk der Sündenvergebung anvertraut hat. Dafür lohnt es sich in der Tat, eine halbe Stunde oder sogar noch mehr früher aufzustehen!
Der Thomas hat dann schnell kapiert, dass es ein Fehler war, zu spät zu kommen, wenn die Jünger sich versammeln. Und so ist er eine Woche später mit dabei, als Jesus wieder zu seinen Jüngern kommt. Jesus weiß, wie schwach und wacklig der Glaube des Thomas ist, und darum spricht er ihn ganz direkt an: Komm, fass mich an, berühre mich, sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Jesus stärkt den Glauben des Thomas, indem er ihm erlaubt, ihn zu berühren. Und in der Tat: Der Glaube des Thomas wird eben dadurch gestärkt, dass er bekennt: Du, Jesus, bist mein Herr und mein Gott.
Genau darum geht es auch heute noch in jedem Gottesdienst, den wir feiern: Der auferstandene Christus kommt selber in unsere Mitte und erlaubt uns, ihn zu berühren, ihm leibhaftig zu begegnen, wenn wir seinen Leib und sein Blut im Heiligen Mahl empfangen. Christus weiß, wie sehr wir diese Begegnung brauchen, damit unser Glaube gestärkt wird, damit auch wir immer wieder fröhlich bekennen können: Du, Jesus, bist mein Herr und mein Gott!
Denke also an Thomas, wenn dir wieder einmal der Gedanke kommt, du könntest doch auch einfach so für dich allein an Jesus glauben und an ihn denken! Dein Glaube hat diese leibhaftige Begegnung mit Christus im Heiligen Mahl immer wieder nötig, nicht nur einmal im Leben, sondern tatsächlich jede Woche neu.
Nein, die Teilnahme am christlichen Gottesdienst ist nicht so etwas ähnliches wie der Besuch der Moschee im Iran oder in Afghanistan. Es geht nicht darum, dass du hier etwas für Gott oder gar für den Pastor oder für das BAMF tust. Sondern hier ist der Ort, wo dir die Sünden vergeben werden, wo du mit Christus leibhaft verbunden wirst und wo gerade so dein Glaube gestärkt wird auf dem Weg zum ewigen Leben. Und wenn du wirklich ernsthaft Christ sein willst, dann wirst du den Empfang der Vergebung der Sünden, dann wirst du den Empfang des Leibes und Blutes Christi niemals verpassen wollen. Wenn du Jesus wirklich liebst, dann wirst du auch dorthin kommen, wohin er dich einlädt. Du weißt es doch und glaubst es: Er ist dein Herr und dein Gott! Amen.