St. Johannes 21,1-14 | Quasimodogeniti | Pfr. Dr. Martens

Da komme ich am Samstagabend spät von der Kirche nach Hause. Die Gespräche haben wieder einmal länger gedauert. Kurz zuvor habe ich erfahren, dass die Klage eines unserer Gemeindeglieder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgewiesen worden ist. Ich hatte so für dieses Gemeindeglied gekämpft; doch eigentlich hätte ich mir keine Hoffnungen machen dürfen, denn bei diesem Richter stehen die Urteile, wie bei vielen anderen auch, immer schon vor der Gerichtsverhandlung fest – und doch hatte ich es wieder einmal versucht. Wie immer: Umsonst. Dann schaue ich ins Internet, lese von den Planungen unserer Regierung für die kommende Zeit: Lockdown möglicherweise bis spät in den Sommer hinein. Keine Aussicht auf einen Neubeginn des Gemeindelebens. Eine Jugendliche aus der Gemeinde schickt mir eine Nachricht: Wann fängt der Jugendkreis denn endlich wieder an? Ich muss ihr antworten: Wohl kaum noch vor dem Ende der Sommerferien. Auch die beiden Konfirmandenfreizeiten in den Sommerferien werde ich wohl abblasen müssen, die Kinderbibelwoche auch. Alle Planungen, alle Hoffnungen umsonst. Nach Ostern ist mir eigentlich überhaupt nicht mehr zumute.

Erfahrungen sind das, die ja nicht nur ich als Pastor mache, sondern die so viele von euch gerade jetzt in diesen Wochen und Monaten machen: Dieses Gefühl, dass alles umsonst, alles vergeblich ist, dass man diesen Pandemie-Alltag eigentlich kaum noch aushält, geschweige denn all die Probleme, die sich in diesen Wochen und Monaten in unserem Leben immer mehr anhäufen.

Und dann lese ich mir die Predigtlesung für diesen Sonntag nach Ostern durch und stelle fest: Den Jüngern damals ging es ja auch schon genauso wie uns heute. Eigentlich hätten die sich doch vor Freude gar nicht mehr einkriegen müssen. Schließlich hatten sie gerade zuvor den auferstandenen Herrn Jesus Christus selber gesehen, hatten ihn wie der Thomas anpacken, berühren dürfen, hatten sich mit allen Sinnen davon überzeugen können, dass es tatsächlich stimmt, dass er, Jesus, tatsächlich auferstanden ist und lebt. Doch Jesus stellt ja mit seiner Auferstehung nicht einfach die alten Verhältnisse von vor Ostern wieder her. Es geht nicht alles einfach wieder wie vorher weiter. Sondern irgendwann war er dann wieder nicht zu sehen, und die Jünger konnten nicht einfach weiter hinter ihm hergehen, wie sie es vor seiner Auferstehung gewohnt gewesen waren. Ja, was sollten sie denn nun machen? Einfach nur die ganze Woche herumsitzen und warten, ob Jesus noch einmal zu ihnen kommt? Das hielten sie nicht aus – und außerdem hatte Jesus ihnen doch angekündigt, dass sie wieder zurück nach Galiläa gehen sollten, an den See Genezareth, dorthin, wo damals die ganze Geschichte mit ihm begonnen hatte. Und so gehen die Jünger wieder dorthin zurück, wo damals alles angefangen hatte. Sie sitzen am See Genezareth – doch was sollen sie nun eigentlich machen? Petrus ist offenkundig weiter der Bestimmer, und so sagt er: „Ich gehe fischen.“ Klar, das hatten er und einige der anderen Jünger gelernt; kein Wunder, dass die anderen dann auch ihm folgen: „Wir kommen mit dir.“ Besser irgendwas arbeiten, als Löcher in die Luft zu starren und nicht zu wissen, ob denn nun irgendetwas Besonderes passiert.

Die Jünger wissen noch von früher, wie man fischt, nicht tagsüber, sondern nachts, nicht mitten auf dem See, sondern möglichst nahe am Ufer, wo man die Fische dann mit Fackeln in der Dunkelheit anlocken konnte. Doch die ganzen alten Fischertricks helfen nichts: Sie fangen nichts. Alles umsonst gewesen. Sie haben noch nicht mal was zu essen. Nachösterlicher Blues am See Genezareth.

Sie kehren am frühen Morgen vom See Genezareth ans Ufer zurück. Und da steht ein Mann. Wir als Hörer des Evangeliums werden sofort darüber informiert, dass es Jesus ist, der da steht – doch die Jünger stehen erst mal auf dem Schlauch, erkennen ihn überhaupt nicht. Der Mann spricht sie sehr direkt auf das an, was sie nun gerade bewegt: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Und sie müssen antworten: „Nein!“ Und dann gibt dieser unbekannte, unerkannte Mann eine klare Anweisung: Die Jünger sollen gegen alle Erfahrung nun tagsüber noch einmal auf den See fahren und dann ihre Netze nochmal zur rechten Seite des Schiffs auswerfen. Die Jünger folgen der Stimme dieses unbekannten oder zumindest unerkannten Menschen – und siehe da, gleich darauf können sie die Netze schon gar nicht mehr ziehen, weil sie so voller Fische sind. Gegen alle Erwartungen und Erfahrungen machen sie einen Riesenfang. Johannes, dem Jünger, den Jesus lieb hatte, geht da als erstes ein Licht auf: Das hatten wir doch schon mal, dass uns da einer aufgefordert hat, die Netze auszuwerfen – und dann wurden sie auch so voll. Ja, das hatten wir doch schon mal – ganz am Anfang, damals, als Jesus uns in seinen Dienst gerufen hatte: Mensch, es ist der Herr, so sagt es Johannes zu Petrus noch im Schiff, und der zieht sich erst mal was über, weil er nicht so ganz nackt vor den Herrn treten will, und schwimmt Jesus dann vom Boot aus entgegen.

Ja, so geht es auch uns in unserem Leben, geht es uns auch hier in der Gemeinde immer wieder: Da sitzen wir herum und denken, dass in unserem Leben doch alles vergeblich ist, sitzen herum und vergessen völlig, dass Ostern gewesen ist, rechnen gar nicht mehr damit, dass Jesus lebt, dass der auferstandene Herr in unserer Mitte ist. Aber dann folgen wir doch den Worten, die er zu uns gesagt hat, geben nicht auf, machen weiter in unserem Leben, auch wenn es alles vergeblich zu sein scheint, und erleben dann auch wieder, wie in unserem Leben, wie auch im Leben unserer Gemeinde Wunder geschehen, dass wir nur staunend und dankbar erkennen können: Es ist der Herr, ja, er, der Auferstandene ist auch hier bei uns, in unserer Mitte. Mitten in aller Erfahrung der Vergeblichkeit vollbringt Jesus auch hier und jetzt bei uns Wunder, führt Menschen in unsere Gemeinschaft, über die wir immer wieder nur staunen können, lässt uns auch in diesen Corona-Pandemie-Zeiten immer wieder Fänge machen, mit denen wir überhaupt nicht rechnen konnten. Es ist nicht unsere Arbeit, es ist der Herr, der hier in unserer Mitte auch in Corona-Zeiten seine Kirche baut und erhält. Und wie er hier in unserer Kirche am Werk ist, so ist er auch im Leben von einem jeden von uns am Werk, leitet uns immer wieder dazu an, weiterzumachen, auch wenn alles nur noch unsinnig erscheint.

Und dann steigen die Jünger schließlich nach ihrem großen Fang aus dem Boot aus, und da sehen sie, wie derselbe Herr, der eben noch gefragt hatte: „Habt ihr denn nichts zu essen?“, selber ein Mahl zubereitet hat, selber mit einem Mal Gastgeber der Jünger wird, sie bewirtet. „Kommt und haltet das Mahl!“ – So sagt es Jesus zu den Jüngern, und dann nimmt er das Brot – und gibt’s ihnen. Die Jünger wissen: Es ist der Herr, es ist der Auferstandene, der uns hier bewirtet. Aber sie wagen nicht, ihn, Jesus zu fragen, nehmen schweigend das Mahl des Herrn zu sich.

Und nichts anderes machen auch wir hier in unserer Gemeinde, machen es auch jetzt wieder an diesem Sonntag: Wir lassen uns von Jesus selber einladen: „Kommt und haltet das Mahl!“ Und dann kommen wir, ja, schweigend in diesen Wochen, und erleben mit, wie Jesus auch uns das Mahl reicht, uns noch unendlich mehr als bloß Brot und Wein reicht, sondern sich selber, seinen Leib und sein Blut, mitten in dieser Zeit, in der alles verschlossen und vergeblich zu sein scheint. Wir brauchen nicht viele Worte darüber zu verlieren. Wir wissen, was hier geschieht: Christus selber ist da, er ist der Gastgeber, und er ist zugleich die Gabe, die Gabe, die uns hilft, durchzuhalten in diesen schwierigen Zeiten, die Gabe, die uns immer wieder erfahren lässt: Jesus ist auferstanden, er lebt, wir stecken hier nicht allein in diesem Lockdown, er kommt, öffnet uns neue Horizonte, die wir selber gar nicht wahrnehmen konnten.

Was Johannes hier erzählt, ist eigentlich gar keine spektakuläre Geschichte. Gewiss, die Jünger fangen an diesem Tag eine Riesenmenge Fische. Doch das ist gar nicht das Entscheidende. Es geht hier nicht um ihren Erfolg beim Fischfang. Es geht darum, dass der Herr da ist, dass er sie auch in ihrem Alltag mit all seinen Enttäuschungen nicht im Stich lässt, sondern ihnen zu erkennen gibt, wie sie auch künftig immer wieder erfahren können, dass er gegenwärtig ist und lebt: „Kommt und haltet das Mahl!“

„Kommt und haltet das Mahl!“ – Genau das soll für uns das Leitwort sein für die harten Wochen, die nun vor uns liegen, das Leitwort für die ganzen Enttäuschungen und Frustrationen, die uns auch jetzt in dieser kommenden Zeit gewiss nicht erspart bleiben werden. „Kommt und haltet das Mahl!“ – Wenn wir uns hier um den Altar versammeln, dann öffnet uns Jesus immer wieder neu die Augen dafür, dass er lebt, dass dieser Lockdown nicht alles ist, dann öffnet sich unser Lockdown schon hier und jetzt nach oben, zum Himmel hin, wenn mit dem auferstandenen Herrn der Himmel auf die Erde kommt.

Nein, ich sage euch heute nicht, dass alles gut werden wird. Dieses Versprechen haben wir nicht von unserem Herrn. Aber ich sage euch: Jesus lebt; er ist auferstanden und lässt euch nicht allein. Er zeigt uns, wie wir durch diesen Lockdown kommen werden: „Kommt und haltet das Mahl!“ – immer und immer und immer wieder. Das bewahrt uns davor, zu vergessen, dass Ostern ist, dass Jesus auferstanden ist, stärker als der Tod, stärker auch als Corona. Das schenkt uns die Kraft, dem Ziel unseres Lebens immer weiter entgegenzugehen, dorthin, wo es dann keine Missverständnisse und keine Vergeblichkeit mehr geben wird, dorthin, wo wir nicht mehr stumm bleiben werden, sondern ihn für immer loben und preisen werden, ihn, der uns durch alle Täler unseres Lebens und auch durch diesen Lockdown einmal hindurchgetragen haben wird, ihn, den Herrn, dem unsere Not, dem unser Hunger nach Leben schon hier und jetzt nicht verborgen ist und der uns darum mitten in aller Dunkelheit hier schon ein Stück des Himmels schenkt: „Kommt und haltet das Mahl!“ Amen.

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