St. Johannes 3,14-21 | Mittwoch nach Invokavit | Pfr. Dr. Martens
Da hatte unser Gemeindeglied in seiner Anhörung so schön davon gesprochen, wie wichtig es für ihn ist, dass er im Unterschied zum Islam allein durch den Glauben an Jesus Christus gerettet wird und nicht durch die Einhaltung von irgendwelchen Gesetzesbestimmungen. Doch diese Ausführungen passten so gar nicht zu dem, was die Anhörerin beim Bundesamt unter christlichem Glauben verstand. Und so erklärte sie unserem Gemeindeglied sehr selbstbewusst, dass doch im christlichen Glauben genauso wie im Islam „das Versprechen auf das Himmelreich an gewisse Auflagen gebunden“ sei, wie sie es so schön wörtlich formulierte. Ja, genau so sieht der christliche Glaube in seiner vom Staat vorgegebenen Fassung aus, genau so stellen sich so viele Menschen in unserem Land tatsächlich den christlichen Glauben vor: Wir müssen uns an bestimmte Gesetze und Regeln halten, und dann ist der liebe Gott zufrieden und lässt uns in den Himmel. Oder, wenn man es dann noch ein bisschen fernöstlich anhauchen möchte: Jeder bekommt, was er verdient. Das Gesetz des Karma ist unerbittlich – es wirkt sich aus, entweder schon in diesem Leben oder eben danach.
Ja, es ist erschütternd, was diese Anhörerin da von sich gab: erschütternd zum einen, weil sie damit zeigte, dass sie vom christlichen Glauben offenbar nicht die geringste Ahnung hatte und doch an diesem Zerrbild von christlichem Glauben nun die Aussagen unseres Gemeindegliedes messen zu können meinte. Und erschütternd zum anderen, weil ihr solche Vorstellungen von christlichem Glauben wohl auch selber die Sicht auf den wahren Inhalt des christlichen Glaubens verdeckte – so sehr, dass sie gar nicht dazu in der Lage war, die frohe Botschaft wahrzunehmen, die ihr unser Gemeindeglied gerade verkündigt hatte.
Ja, diese Vorstellung steckt so tief in uns Menschen drin: Die Vorstellung, dass wir Menschen erst einmal etwas tun müssen, damit der liebe Gott mit uns zufrieden ist und uns in den Himmel lässt. Doch genau das funktioniert eben nicht. Denn es setzt voraus, dass Gott und der Mensch gleichsam Vertragspartner sind und der Mensch natürlich die Möglichkeit hat, die ihm gestellten Auflagen zu erfüllen. Doch das ist eben eine gewaltige Täuschung. Wir sind nicht dazu in der Lage, uns durch die Erfüllung von irgendwelchen Vorschriften den Weg in den Himmel zu bahnen. Wir befinden uns vielmehr in derselben Lage wie die Israeliten damals auf ihrem Weg durch die Wüste: Kräftig gemosert hatten sie gegenüber Gott und Mose, weil ihnen nicht gut genug war, was Gott ihnen gegeben, was Mose für sie getan hatte. Und daraufhin hatte Gott ihnen giftige Schlangen gesandt, die ihnen tödliche Bisse zufügten. Nein, das konnten sie nicht mehr dadurch wiedergutmachen, dass sie sich anständig benahmen oder irgendwelche Gesetze einhielten. Sie waren verloren, dem Tod ausgeliefert. Und genau so stellt Christus, unser Herr, in der Predigtlesung des heutigen Sonntags unsere Lage dar: Verloren sind wir, in der Finsternis, dem Strafgericht Gottes ausgeliefert. Nichts, aber auch gar nichts können wir dazu beitragen, aus dieser Situation wieder herauszukommen.
Retten kann uns nur eins, nein: nur einer: Gott selbst. Retten kann uns nur eins: seine unfassliche Liebe, die ohne Ausnahme allen Menschen, ja, der ganzen Welt gilt. Wir kennen sie wohl alle ganz genau: die wunderbare Zusammenfassung der christlichen Botschaft aus Johannes 3,16, die wir eben in unserer Predigtlesung vernommen haben: Also hat Gott die Welt geliebt – jawohl, die Welt, nicht bloß einige besonders anständige und nette Exemplare der Menschheit. Gott liebt die Welt. Auch wenn es uns schwerfällt, das durchzubuchstabieren, was das heißt, wollen wir es aussprechen: Gott liebt auch die ahnungslose Anhörerin im Bundesamt, er liebt auch die Verwaltungsrichter, die so unfassliche Urteile über den Glauben von Gliedern unserer Gemeinde getroffen haben und treffen. Gott liebt auch die Taliban, er liebt auch Herrn Ruhani und Herrn Khamenei. Nun ja, ein Glückwunschtelegramm hätte er an diese Verbrecher wohl nicht geschickt; das, was diese Herren dort in ihrem Land anstellen, das schreit in der Tat zum Himmel, ist schlichtweg böse und nichts anderes. Doch die Liebe Gottes umfasst tatsächlich alle Menschen, weil eben kein Mensch sich diese Liebe zuvor mit seinem Wohlverhalten verdient hat.
Und diese Liebe Gottes ist eben nun nicht bloß ein schönes Gefühl, eine schöne Stimmung, sondern wenn Gott liebt, dann tut er etwas, nein, nicht bloß etwas, sondern dann gibt er sich selber ganz hin und behält nichts zurück. Seinen einzigen Sohn hat er „gegeben“, so heißt es in Johannes 3,16, das heißt: Er hat seinen Sohn in den Tod gegeben, hat ihn sterben lassen, hat darin seine ganze Liebe der Welt zugewendet. Und all dies nur aus einem einzigen Grund: Damit wir nicht verloren werden, damit der Tod, damit die Trennung von Gott nicht das Letzte ist, was unser Leben bestimmt und ausmacht.
Damals hat Gott dem Mose befohlen, eine eiserne Schlange an einer hohen Stange aufzurichten. Jeder, der von einer Schlange gebissen wurde und auf diese eiserne Schlange sah, blieb am Leben. Der Blick auf die Schlange – er reichte zur Rettung. Und nun wird Jesus für uns ans Kreuz gehängt, stirbt dort für uns – und ein jeder, der auf ihn blickt, der ihm vertraut, der in ihm seinen Retter erkennt, wird tatsächlich gerettet werden, wird tatsächlich das ewige Leben haben, so verspricht es Christus uns selber hier.
Ja, genau das heißt Glauben. Glauben ist nicht eine Entscheidung, die wir Menschen für Jesus treffen. Glauben ist nicht eine Art von Gefühl. Sondern Glauben entsteht dadurch, dass uns Gottes Liebesbewegung erreicht, dass sie uns packt und nicht mehr loslässt, wie uns eben nur die Liebe zu packen und nicht mehr loszulassen vermag. Und Glauben heißt dann nichts anderes, als immer nur auf Christus zu schauen, auf ihn, den Gekreuzigten, darauf zu vertrauen, dass er alles für uns getan hat, damit wir nicht verloren gehen, sondern gerettet werden.
Radikal ist Gottes Liebe zu uns, zu der ganzen Welt: Er sendet seinen Sohn nicht dazu, um uns zu verurteilen, um uns zu bestrafen, sondern einzig und allein dazu, die ganze Welt zu retten. Nein, kein Mensch schafft es ansonsten, diese Welt zu retten. Das schafft noch nicht einmal Greta Thunberg, das schaffen auch keine weltweiten Schülerdemonstrationen. So richtig es ist, über die Zukunft unseres Planeten nachzudenken: Retten können wir gar nichts. Retten – das ist und bleibt allein der Auftrag von Christus. Dazu ist er in die Welt gekommen, dazu ist er hoch oben am Kreuz gestorben.
Radikal ist Gottes Liebe zu uns: Wer an Jesus Christus, Gottes Sohn, glaubt, der wird nicht gerichtet, so betont es Christus selber hier. Kein letztes Gericht mehr für den, der auf Christus blickt und ihm vertraut. Wer an Christus glaubt, der hat hier und jetzt schon das ewige Leben. Was für eine großartige Zukunftsperspektive, die uns Christus damit eröffnet: Wir dürfen leben ohne Angst vor Gottes letztem Gericht, ohne Angst davor, am Ende doch noch verurteilt zu werden für das, was wir getan, gesagt, gedacht haben. Wer an Christus glaubt, der wird nicht gerichtet. Präge dir dies immer wieder ein, wenn der Teufel dir die Sünden deines Lebens ganz groß vor Augen stellt, wenn er dir deutlich zu machen versucht, wie wenig du es verdient hast, in den Himmel zu kommen. Präge dir nicht nur den Vers 16 ein, den so viele von uns auswendig können, sondern auch den Vers 18: Wer an den Sohn Gottes glaubt, der wird nicht gerichtet. Was für ein Trost!
Radikal ist Gottes Liebe zu uns. Ja, radikal ist sie gerade auch darin, dass sie das Risiko eingeht, abgewiesen zu werden. Unfasslich ist es, dass Menschen sich dieser Liebe Gottes widersetzen können, dieser Liebe, die doch nichts anderes als ihr Leben, als ihre Rettung will. Doch wer sich auf diese Liebe einlässt, wird natürlich erkennen, woraus er gerettet werden musste, wird erkennen, was in seinem Leben alles nicht in Ordnung war. Und genau dagegen wehren sich Menschen immer wieder, wollen nicht, dass der Eindruck entsteht, als hätten sie Rettung nötig, als könnten sie sich nicht selber retten. Was für ein Wahnsinn! Doch Gott nimmt es in seiner Liebe in Kauf, dass Menschen den Blick auf Christus, ihren Retter, verweigern, dass Menschen glauben, ohne Christus, ohne Gottes Liebe besser leben zu können. Wir können das Geheimnis nicht entschlüsseln, warum Gott uns vor dieser Verblendung bewahrt hat, warum er uns davor bewahrt hat, uns vor dem Licht seiner Liebe in die Finsternis zurückzuziehen. Wir können darüber immer wieder nur staunen, dass es so ist, dass Gottes Liebe uns ans Licht gezogen hat. Und Menschen, die in diesem Licht leben, die handeln anders – nicht aus Zwang, nicht weil sie eine Auflage erfüllen müssten, sondern weil sie auf Christus blicken, weil sie mit ihm verbunden sind, ja, weil sie „in Gott“ sind, wie Jesus selber es hier formuliert. Nein, daran hängt nicht meine Rettung. Aber Liebe verändert, so wissen wir es auch sonst aus unserem Leben, Liebe lässt Menschen ganz anders handeln, weil Liebe eine viel größere Kraft hat als alle Anweisungen und Gesetzesvorschriften zusammen.
Wir gehen nun in dieser Fastenzeit den Weg unseres Herrn Jesus Christus mit, der ihn schließlich ans Kreuz geführt hat. Üben wir es in dieser Zeit immer wieder neu ein, von uns selber wegzuschauen auf ihn, unseren Herrn, üben wir es immer wieder ein, uns freizumachen von dem Gedanken, unser Heil, unsere Rettung hinge doch auch irgendwie an uns und an dem, was wir tun. Üben wir dies besonders immer wieder dadurch ein, dass wir hier am Altar den Leib und das Blut Christi empfangen, ohne dass wir dabei etwas tun oder mitwirken! Alles ist und bleibt ganz und gar Geschenk, Geschenk der Liebe unseres Herrn! Und wenn du Christus hast, wenn er in dir lebt, dann hast du wirklich alles, dann hast du das ewige Leben, dann liegt Gottes Gericht tatsächlich schon hinter dir! Das, liebes BAMF, ist die wirkliche Botschaft des christlichen Glaubens, so radikal, so tröstlich, so kraftvoll! Ja, wer von dieser Botschaft gepackt wird, der kann gar nicht mehr weggucken von Christus, und der hat gerade so das ewige Leben.
Reminiszere – auf Deutsch: Gedenke! – so heißt dieser zweite Fastensonntag. Wir bitten Gott, seiner Barmherzigkeit zu gedenken, uns gerade nicht zu geben, was wir verdient haben. Und um Christi willen erhört Gott diese Bitte. Reminiszere – auf Deutsch: Gedenke! – das gilt aber auch für uns: Denke daran, vergiss es nicht, was Christus dir auch heute wieder eingeprägt hat: Kein Karma, sondern allein Gottes Liebe. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Amen.