St. Johannes 4,5-14 | Dritter Sonntag nach Epiphanias | Pfr. Dr. Martens
Die Journalistin blickte mich mit großen Augen an: „Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie hier in dieser Gemeinde Mission treiben!?“ – so fragte sich mich. Ich weiß nicht, was diese Dame genau unter Mission verstand, vermutlich etwas moralisch zutiefst Unanständiges, auf jeden Fall irgendetwas Schlimmeres als Steuerhinterziehung oder Hausfriedensbruch. Doch zu ihrem Entsetzen bestätigte ich es ihr allen Ernstes: Ja, Mission ist für unsere Gemeinde ein entscheidend wichtiges Anliegen – nein, nicht das Zerrbild von Mission, das offenbar in so manchen Köpfen heutzutage herumschwebt, sondern Mission so, wie die Heilige Schrift sie selber versteht. Um Mission geht es in den Lesungen dieses Dritten Sonntags nach Epiphanias in besonderer Weise, ja, um Mission geht es auch in der Predigtlesung dieses heutigen Sonntags. An Jesus selber können wir in dieser Predigtlesung erkennen, worum es bei Mission in Wirklichkeit geht:
- um Zuwendung zu Menschen aus anderen Völkern
- um behutsame Hinführung zu Christus
- um das wahre Leben
I.
Schwestern und Brüder: Wenn wir die Erzählung aus dem 4. Kapitel des Johannesevangeliums mit unseren heutigen mitteleuropäischen Ohren hören, dann können wir erst einmal noch nicht ansatzweise begreifen, wie ungewöhnlich die Begegnung und das Gespräch sind, die St. Johannes hier schildert. Ungewöhnlich ist schon dies, dass Jesus hier durch Samarien zieht. Das machte ein frommer Jude nicht – durch das Gebiet der Erzfeinde der Juden zu ziehen und damit zu riskieren, dass man mit einem Samariter in Kontakt kam und sich dadurch verunreinigte. Doch Jesus teilt diese Furcht offenbar nicht. Es ist gegen 12 Uhr mittags, als er auf seinem Weg nach Galiläa nach Sychar kam, eine kleine Stadt, die damals dadurch bekannt war, dass sich in ihr ein Brunnen befand, an dem schon der Erzvater Jakob seinen Tieren zu trinken gegeben hatte. Und an diesen Brunnen setzt sich Jesus nun, weil er müde war von der Reise, wie es hier ausdrücklich heißt. Und da kommt nun in der heißen Mittagssonne eine samaritanische Frau an diesen Brunnen, um Wasser zu schöpfen. Eigentlich hätte Jesus da schleunigst verschwinden müssen. Doch er macht das Gegenteil: Er spricht diese Frau auch noch direkt an. Das war ein Tabubruch in mehrfacher Hinsicht: Zum einen war es damals ganz und gar ungewöhnlich, dass ein Mann einfach so eine Frau ansprach – und dann auch noch eine Samariterin! Ja, mehr noch: Jesus erbittet von der Samariterin auch noch Wasser – das war ein klarer Verstoß gegen die damals herrschenden kultischen Bestimmungen. Doch Jesus kümmert sich um all das nicht: Für ihn zählt nur eins, nein eine: Diese Frau, die aus gutem Grund in der heißesten Mittagssonne zum Brunnen ging, wenn sie sicher sein konnte, dass ihr dort niemand anders begegnete. Ja, Jesus überschreitet hier ganz bewusst Grenzen, macht deutlich, dass seine gute Botschaft allen Menschen gilt, nicht nur seinem eigenen Volk, nicht nur den Männern, sondern Männern und Frau in gleicher Weise, ja, Menschen aus allen Völkern.
Genau darum geht es bei Mission auch heute noch: Mission ist das Gegenteil von Selbstgenügsamkeit, dass Menschen meinen, es sei ja genug, dass sie selber an Christus glauben, ja, dass Menschen meinen, es sei doch eigentlich viel gemütlicher, wenn man in der Kirche nur mit Seinesgleichen zusammen ist. Jesus überschreitet hier in unserer Geschichte ganz bewusst Grenzen, in einer für damalige Verhältnisse geradezu schockierenden Weise. Mission bedeutet, dass wir hier in Deutschland wieder neu wahrnehmen, dass deutsches Christentum nicht der Nabel der Welt ist, dass es erst recht keine Leitkultur ist, die alle Menschen, die nicht aus Deutschland kommen, von vornherein ausgrenzt. Ganz im Gegenteil: So wie Menschen es damals als schockierend empfanden, dass der Jude Jesus eine samaritanische Frau ansprach, so empfinden es ja heute noch Menschen als schockierend, dass sich in einer deutschen Kirche Menschen aus islamischen Ländern versammeln, die nach den Urteilen vieler doch alle nur Verbrecher sein können. Ja, wie gut, dass wir auch hier in unserer Gemeinde Grenzen überschritten haben, erfahren haben, dass das Volk Gottes weitaus vielfältiger ist, als wir es uns früher vielleicht vorgestellt haben! Und wie tröstlich ist es, dass St. Johannes hier vermerkt, dass Jesus diese Missionsarbeit macht, obwohl er doch eigentlich so müde ist. Ein müder Jesus, der es dennoch nicht lassen kann, Menschen anzusprechen – der ist eine Ermutigung auch für uns, dass auch Müdigkeit uns nicht daran zu hindern braucht, Menschen anzusprechen, die doch eigentlich gar nicht zu uns zu passen scheinen. Ja, darum geht es bei Mission!
II.
Da sitzt also Jesus an diesem Brunnen, und die samaritische Frau kommt zu ihm. Und was macht Jesus? Er sagt nicht zu ihr: „Hey, ich bin der Sohn Gottes, glaube an mich!“ Das wäre inhaltlich zwar sicher nicht falsch gewesen, wenn er das gesagt hätte. Doch vermutlich hätte er mit solch einer Äußerung die Frau nicht für den Glauben an ihn, den Sohn Gottes, gewinnen können, hätte er ihr mit solch einer Äußerung wohl eher vor den Kopf gestoßen. Ganz behutsam spricht er sie an, macht sie neugierig, bringt sie zum Nachdenken, führt sie schließlich dahin, dass sie dazu bereit wird, sich auf das für sie zunächst Unvorstellbare einzulassen: Dass der, der da mit ihr zusammen am Brunnen sitzt, eben nicht nur ein jüdischer Wanderprediger ist, sondern ihr und allen Menschen ewiges Leben zu schenken vermag.
Ach, wie aktuell ist das, was St. Johannes hier über das Vorgehen von Jesus schildert, auch für uns! Es macht gar keinen so großen Unterschied, ob wir nun mit Muslimen oder mit religionsvergessenen Deutschen sprechen – wir kommen in aller Regel nicht dadurch an sie heran, dass wir nun gleich mit der Tür bei ihnen ins Haus fallen mit dem, was wir ihnen nahebringen wollen. Da bedarf es oftmals längerer Anmarschwege, längerer Gespräche, um diesen Menschen zu helfen, sich überhaupt auf diese unfassliche und doch zugleich so wunderbare Botschaft des christlichen Glaubens einzulassen. Ja, es ist gut, wenn wir selber in diesen Gesprächen uns in unser Gegenüber hineinzuversetzen versuchen, wenn wir überlegen, wie das wohl von ihm wahrgenommen wird, was wir ihm gerade sagen. Es bringt in aller Regel wenig, einem überzeugten Muslim einfach zu sagen: Jesus ist Gott, ist doch klar! Und es bringt in aller Regel wenig, einem religionsentwöhnten Deutschen zu raten, er solle sich waschen lassen im Blut des Lammes. Ja, wir können von Jesus lernen, Wege mit denen zu gehen, die wir zu Christus zu führen versuchen, Geduld zu haben, Schritt für Schritt in Gesprächen weiterzugehen. Ja, Mission sieht in Wirklichkeit eben ganz anders aus als die Klischees, die so vielen heutzutage bei diesem Stichwort durch den Kopf geistern.
III.
Doch heutzutage ist eine andere Gefahr vielleicht noch größer als die, dass wir in unseren missionarischen Bemühungen Menschen überfordern, die erst noch einen Weg zurücklegen müssen. Heutzutage ist die Gefahr viel größer, dass wir uns in den christlichen Kirchen nur noch mit geistlichem Vorgeplänkel befassen und Menschen das Entscheidende gar nicht mehr nahebringen. Die Gefahr ist viel größer, dass wir bei Menschen den irrigen Eindruck hinterlassen, Kirche sei einfach nur ein Ort, wo sich Gleichgesinnte zum Genuss von kulturellen Angeboten oder zur Planung gemeinsamer politischer Aktionen versammeln. Ja, die Gefahr ist viel größer, dass wir die Botschaft des Evangeliums nur noch zu einem angenehmen religiösen Gesäusel verdünnen, das so nett und zugleich so harmlos ist, dass es am Ende von niemandem mehr wahrgenommen, geschweige denn ernstgenommen wird.
Jesus geht hier anders vor: Ja, er fällt bei der Frau nicht gleich mit der Tür ins Haus. Aber dann spricht er das entscheidende Thema doch schließlich sehr deutlich an: „Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser. Ja, wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ Das sind die entscheidenden Themen, auf die alle Gespräche über den Glauben schließlich hinzuzielen haben: Gottes Gabe, ganz konkret die Gabe der Taufe, die Erkenntnis Jesu als des Gebers des ewigen Lebens – und das ewige Leben selber als die Zusammenfassung all dessen, was Jesus bringt.
Ich erinnere mich noch daran, dass wir vor etlichen Jahren einmal in Zehlendorf eine ökumenische Jugendevangelisation veranstalten wollten. Wir waren von unserer lutherischen Gemeinde aus sehr dafür – doch die Jugendevangelisation scheiterte schließlich daran, dass von evangelischer Seite darauf bestanden wurde, dass in der Werbung für diese Evangelisation nicht der Name Jesu genannt werden dürfe, weil das die Leute abschrecke. Und Evangelisation sah für diese Leute so aus, dass Jugendlichen die Tischtennisgruppe im Gemeindehaus vorgestellt wurde. Doch wo der Name Jesu verschwiegen wird, wenn eben nicht mehr davon geredet wird, wer der ist, der Menschen Wasser des ewigen Lebens zu trinken gibt, da verfehlen wir als Christen und Kirche unseren eigentlichen Auftrag, da täuschen wir diejenigen, die es doch so dringend nötig hätten, von der Gabe Gottes, vom ewigen Leben zu erfahren.
Ja, das ist wichtig, dass wir das zunächst einmal für uns selber wissen, worum es in unserem christlichen Glauben eigentlich geht: Um Christus und um das, was er uns schenkt: Ewiges Leben in der Gemeinschaft mit ihm, ewiges Leben, geschenkt in der Taufe, ewiges Leben, mitgeteilt dort, wo wir dieses ewige Leben essen und trinken in der Teilhabe an Christus im Heiligen Mahl. Das ist so großartig, so wunderbar, dass wir schließlich einfach nicht davon schweigen können, dass es aus uns gleichsam heraussprudelt wie bei einer Quelle, die ihr Wasser einfach nicht für sich behalten kann. Ja, so sieht Mission aus: Dass Menschen, in denen Christus zur Quelle des Lebens geworden ist, anderen Menschen an diesem Wasser Anteil geben, indem sie von ihm, Christus, erzählen, und auf ihn verweisen.
Treiben Sie hier in der Gemeinde Mission? Ja, Gott geb’s, dass das für Außenstehende so klar erkennbar ist, dass sie danach eigentlich gar nicht mehr zu fragen brauchen. Ja, Gott geb’s, dass wir auch weiter hier in unserer Gemeinde Grenzen überschreiten, auf Menschen zugehen, von denen wir früher nie gedacht hätten, dass auch ihnen das Evangelium gilt. Gott geb’s, dass wir Menschen mit Geduld mitnehmen auf dem Weg zu Christus. Und Gott geb’s, dass wir dann auch immer wieder klar und unmissverständlich Christus als die Quelle des Lebens bezeugen, als den, durch den allein wir Anteil am ewigen Leben bekommen. Nein, da müssen nicht wir etwas veranstalten – Christus sprudelt in uns als Quelle des ewigen Lebens. Und da können wir gar nicht anders als überzufließen, geht es gar nicht anders, als dass auch andere dann von dem hören, was unser Leben trägt und bestimmt. Ja, wie gut, dass gerade so Christus allein der Inhalt und der Maßstab der Mission bleibt, die auch in unserer Gemeinde geschieht! Es geht doch dabei um dein Leben und um mein Leben – und um das Leben so vieler anderer Menschen aus dem Iran und Afghanistan, ja sogar aus Deutschland! Amen.