St. Johannes 5,39-47 (Vorlage Für Die Persische Übersetzung) | Vorabend zum 1. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Wenn Menschen aus dem Iran oder Afghanistan neu in unsere Gemeinde kommen und um eine Bibel bitten, dann geben wir ihnen zunächst einmal eine Ausgabe des Neuen Testaments in Dari oder Farsi. Ja, das hat natürlich auch ganz praktische Gründe: Vollausgaben der Bibel mit Altem und Neuem Testament kosten erheblich mehr als nur die Ausgaben des Neuen Testaments. Aber dass wir den Menschen zunächst einmal das Neue Testament zu lesen geben, hat auch einen sachlichen Grund: Nur wenn die Menschen die Botschaft von Christus kennen, wenn ihnen diese Botschaft ganz klar ist, können sie auch das Alte Testament in der rechten Weise verstehen.
Genau darum geht es auch im Heiligen Evangelium des heutigen Abends: Da diskutiert Jesus hier mit Menschen, die wie er zum jüdischen Volk gehörten – die aber ihn, Jesus, und seinen Anspruch, Gottes Sohn zu sein, ablehnten. Und da behauptet Jesus hier nun allen Ernstes: Das ganze Alte Testament handelt schon von mir, man kann die Schriften des Mose und der Propheten nur richtig verstehen, wenn man begreift, dass sie alle von mir sprechen. Jesus – der zentrale Inhalt des Alten Testaments? Das musste ein frommer Jude damals und auch heute natürlich mit Empörung ablehnen. Was für eine Anmaßung, dass da ein Mensch, der nachweislich erst lange Zeit nach Mose und den Propheten in Bethlehem geboren wurde, in Wirklichkeit schon der Inhalt unserer Heiligen Schriften sein soll! Doch ebenso wenig können wir als Christen etwas von diesem Anspruch unseres Herrn zurücknehmen. Uns ist es ohnehin nicht erlaubt, Worte, die Jesus selber gesprochen hat, in Frage zu stellen und zu sagen, sie würden uns irgendwie nicht passen. Aber hier geht es außerdem auch nicht bloß um eine Kleinigkeit, sondern um das Zentrum unseres Glaubens überhaupt: Wenn Jesus nicht der Sohn Gottes ist, wenn er nicht schon war, als diese Welt geschaffen wurde, wenn er in Wirklichkeit nur ein großer Lehrer oder Prophet war, dann könnten wir unsere Kirche auch schließen, dann könnten wir uns auch mit dem muslimischen Bekenntnis zufriedengeben, dass es nur einen Gott gibt und dass der überaus groß ist. Doch als Christen bekennen wir, dass Jesus wirklich und wahrhaftig Gott ist – und wenn er selber der lebendige Gott ist, können wir gar nicht anders als zu sagen, dass natürlich auch das ganze Alte Testament schon von ihm, von diesem lebendigen Gott handelt.
Ihr wisst das alle miteinander, dass Jesus nicht bloß ein Prophet, sondern selber Gottes Sohn, ja selber Gott ist. Und eben darum ist es gut, wenn ihr auch das Alte Testament lest. Ja, Jesus drückt euch heute Abend hier im Evangelium das Alte Testament gleichsam in die Hand. Aber er gibt euch zugleich eine Anleitung mit, wie ihr damit umgehen sollt:
Zunächst einmal ist eines ganz klar: Der Gott, der im Alten Testament zu uns spricht, der sich dort zu erkennen gibt, ist ganz klar auch unser Gott, an den wir als Christen glauben. Es gibt nicht einen Gott des Alten Testaments und einen anderen Gott des Neuen Testaments. Das ist ein großer Unterschied zum Islam. Wir können sehr wohl in Frage stellen, dass der Gott, der uns im Koran gezeigt wird, derselbe Gott ist, an den wir als Christen glauben. Nur weil Muslime an einen Gott glauben und wir Christen auch, heißt das nicht, dass dieser Gott nun auch derselbe ist. Ein Gott, der von sich klar und deutlich behauptet, dass er keinen Sohn hat, kann nicht unser Gott sein. Doch Jesus selber macht uns deutlich, dass der Gott, von dem das Alte Testament spricht, sein Vater ist. Und darum sind wir mit dem jüdischen Volk unendlich enger verbunden als mit dem Islam. Was im Koran steht, braucht für unser Leben keine Bedeutung zu haben. Aber was Juden in ihrer Bibel, dem Alten Testament, lesen, das ist auch für uns als Christen entscheidend wichtig. Ja, denken wir daran: Der Gott, der uns im Alten Testament begegnet, ist der Vater Jesu Christi.
Doch zugleich müssen wir auch ein Zweites hinzufügen: Alles, was im Alten Testament steht, bekommt erst dadurch seine Bedeutung, dass wir es als Teil einer Geschichte verstehen, die auf Jesus Christus selber hinführt. Ich kann als Christ nicht einfach nur einen Satz aus dem Alten Testament nehmen und sagen: Das steht in der Bibel, also gilt das nun auch für mich. Es gibt leider auch viele christliche Gruppierungen, die die Bibel so missbrauchen, als ob sie so etwas wie ein christlicher Koran wäre, und die einfach Bibelstellen aus dem Alten Testament nehmen und sagen: Das müssen wir als Christen auch so machen. Nein, müssen wir nicht. Wir müssen keine Tiere schlachten und opfern, wie es im Alten Testament steht, denn Christus allein ist das eine Opfer, das alle anderen Opfer überflüssig macht. Wir müssen nicht darauf verzichten, Schweinefleisch zu essen, weil das unrein wäre, denn Jesus selber hat uns deutlich gemacht, dass nicht das uns unrein macht, was in unseren Mund hineingeht, sondern was an bösen Worten aus ihm herauskommt. Wir müssen nicht mit Gewalt die Kirche und unseren Glauben verteidigen, denn Jesus hat uns ganz klar gesagt, dass wir als Christen seine Botschaft nur mit Liebe verbreiten können und sollen, anders nicht. Wir müssen nicht den Samstag als Feiertag halten, weil Christus mit seiner Auferstehung dem Sonntag eine ganz neue Bedeutung gegeben hat. Ja, bei allem, was wir im Alten Testament lesen, sollen wir immer die Frage stellen: Was hat das mit Christus zu tun? Wie hilft mir das, was ich gelesen habe, besser zu verstehen, was Christus für mich getan hat? Und wenn wir so das Alte Testament lesen, dann beginnt es tatsächlich noch einmal ganz anders zu leuchten, dann begreifen wir immer besser, was Jesus hier sagt: „Ihr sucht in den Schriften, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie sind’s, die von mir zeugen.“
Ja, gut ist es, wenn ihr das Alte Testament lest. Aber es ist wichtig, dass ihr euch zugleich euer ganzes Leben lang immer wieder dabei helfen lasst, besser zu verstehen, wie sich all das, was ihr da lest, auf Christus bezieht. Dann werdet ihr erkennen, was für ein Reichtum sich schon im Alten Testament selber findet – und ihr werdet noch besser begreifen, wie wunderbar Christus all das erfüllt, was im Alten Testament schon geschrieben steht.
Ja, wenn ihr es lernt, Christus auch im Alten Testament zu finden, dann werdet ihr auch nicht auf den anderen Propheten hereinfallen, der einmal in seinem eigenen Namen predigen wird, werdet ihr gewiss nicht auf Mohammad hereinfallen, der das Alte Testament eben völlig falsch verstanden hat, weil er es nicht als Buch von Christus verstanden hat.
Es gibt hier in Deutschland eine schöne Tradition, die sogenannten „Losungen“. Für jeden Tag des Jahres gibt es einen Vers aus dem Alten Testament und einen Vers aus dem Neuen Testament, der uns durch den Tag begleiten soll. Diese Losungen gibt es auch auf Farsi. Und wenn man dann den Vers aus dem Alten Testament liest und den Vers aus dem Neuen Testament, dann stellt man immer wieder fest, wie gut die beiden zusammenpassen, wie man den Vers aus dem Neuen Testament viel besser versteht, wenn man den Vers aus dem Alten Testament hinzunimmt.
Lasst euch also von Christus dazu ermutigen, in der Heiligen Schrift, im Alten Testament ihn selber zu suchen und zu finden. Denn eines ist klar: Wenn wir Christus finden, dann finden wir das Leben, das ewige Leben, das Gott uns durch ihn geschenkt hat. Ich wünsche euch in diesem Sinne viel Freude beim Lesen des Alten Testaments! Amen.