St. Johannes 6, 37-40 | Mittwoch nach 3. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Das ist eine Erfahrung, die so viele unserer Gemeindeglieder schon gemacht haben: Sie stehen draußen vor einer Behörde und warten darauf, dass sie endlich hereingelassen werden. Mit Sorge und Bangen warten sie da draußen oftmals, denn sie wissen nicht, was man mit ihnen machen wird, wenn sie denn endlich hineingelassen werden: Werden sie gleich wieder herausgeworfen werden? Wird man sie mit ihren Sorgen und Problemen hören, oder werden sie gleich wieder abgewiesen werden? Vielleicht haben sie ein Begleitschreiben in der Hand, von dem sie hoffen, dass es ihnen helfen wird, wenn sie ihre Bitte bei der Behörde vorbringen. Aber das muss nicht immer so sein. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass beispielsweise im LaGeSo, dem großen Sozialamt von Berlin, Begleitschreiben vom Pastor kontraproduktiv sind. „Wenn Sie ein Schreiben vom Pastor mitbringen, helfen wir Ihnen erst recht nicht!“ – So hat es schon mancher hier aus unserer Gemeinde gehört. Und doch kann es eine Hilfe sein, wenn ein Deutscher, ein Einheimischer mitgeht, weil sich dann so mancher Sachbearbeiter doch nicht ganz so zu reagieren traut, als wenn er mit einem Asylbewerber allein wäre.

So ähnlich wie mancher Asylbewerber vor dem Besuch einer Behörde fühlen sich immer wieder auch Menschen, wenn sie sich an Gott wenden mit ihren Anliegen und Gebeten. Da gibt es viele unter uns, die genauso schon erzogen worden sind, dass ihnen von Kindheit auf klar gemacht wurde: Vor Gott musst du dich fürchten, und du kannst eigentlich nie genau wissen, was er will und was er mit dir macht. Ja, wahrscheinlich wird er dich am Ende sowieso in die Hölle stecken. Und bis dahin kannst du natürlich Gebete an ihn richten. Aber ob die ankommen, und wie Gott darauf reagiert – das kann keiner wissen! Ja, das ist eine schreckliche Erfahrung, solch ein Verhältnis zu Gott zu haben, niemals ihm einfach vertrauen zu können, niemals wissen zu können, was er mit einem am Ende wirklich macht. Das ist eine schreckliche Erfahrung, letztlich eben überhaupt kein persönliches Verhältnis zu Gott haben zu können, ihm letztlich gegenübertreten zu müssen wie ein Asylbewerber beim LaGeSo.

Doch solche Erfahrungen mit Gott haben nicht nur viele unserer Gemeindeglieder unter dem Islam gemacht. Das ist eine Erfahrung, die auch so manchem Einheimischen aus seinem eigenen Leben nicht ganz unbekannt ist: Da habe ich so lange zu Gott geschrien, habe so lange Gott angefleht, mir in meiner Not, mit in meinen persönlichen Sorgen zu helfen – aber nichts ist passiert! Was ist das denn für ein Gott, zu dem ich da rufe? Bin ich für den vielleicht nur ein völlig unbedeutender Krümel – und gibt es diesen Gott am Ende überhaupt?

Schwestern und Brüder: Genau um diese Fragen, die ich gerade angesprochen habe, geht es in der Predigtlesung des heutigen Abends. Es geht um die eine entscheidende Frage, wer Gott denn eigentlich ist, wie er zu uns steht, was wir von ihm erwarten können und erbitten dürfen. Und was Christus dazu zu sagen hat, ist so wunderbar, so großartig, so tröstlich, dass wir gut daran tun, uns diese Verse immer wieder neu in unser Gedächtnis, ja in unser Herz zu schließen.

Zunächst einmal macht Christus uns hier deutlich: Wir sind von vornherein in einer ganz anderen Situation, wenn wir uns an Gott wenden, als ein Asylbewerber, der zitternd vor einer verschlossenen Behördentür steht. Im Bilde gesprochen: Wir stehen nicht mehr draußen vor der Tür und erwarten voller Angst, was uns wohl hinter dieser Tür erwarten wird. Sondern Gott ist selber persönlich aus dieser Tür herausgekommen, ist persönlich auf uns zugekommen, um uns die Angst und Unsicherheit zu nehmen, wer er denn ist und wie er zu uns steht. Gott hat sich nicht in seiner eigenen Welt eingeschlossen, sondern ist in diese unsere Welt gekommen, um uns zu zeigen, wie wichtig wir für ihn sind, um uns zu zeigen, was er will, was er, wohlgemerkt, für uns will. Alle Angst und Ungewissheit ist weg, seit Jesus Christus zu uns gekommen ist und wir in seinem Angesicht das Angesicht des Vaters erkennen dürfen.

Ja, Christus geht hier so weit, dass er unsere eigene Wahrnehmung unseres Verhältnisses zu Gott noch einmal ganz umdreht: Wir denken, wir gehen zu Gott, bewegen uns auf ihn zu, entscheiden uns vielleicht gar für ihn. Doch Christus zeigt uns: Es ist genau umgekehrt: Wenn wir uns auf den Weg zu Christus machen, dann nur, weil Gott uns schon längst zuvor auf diesen Weg gesetzt hat, uns schon längst ihm, Christus, gegeben hat. Und das hat eine wunderbare Konsequenz: Wer zu mir kommt, sagt Christus, den werde ich nicht hinausstoßen.

Was für ein wunderbarer Satz – den sollten wir uns ganz tief in unser Herz einprägen: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. Du musst niemals Angst haben, dass Christus dich von sich wegstößt, dass er die Tür vor dir verschließt, wenn du zu ihm kommst, dass er dich anblafft, dich im Regen stehen lässt. Wenn du zu Christus kommst, wenn du dich an ihn wendest, dann steht seine Tür für dich weit offen, nein, nicht nur für eine kurze Begegnung, sondern für ein gemeinsames Leben mit ihm, das für immer dauert, bis in die Ewigkeit.

Und noch etwas Wunderbares betont Christus hier: Es gibt zwischen ihm und Gott dem Vater keinerlei Differenzen. Wenn Christus Menschen die Tür öffnet, wenn er sie nicht abweist, dann ist das kein Alleingang, den er unternimmt und der von Gott dem Vater auch wieder gestoppt werden könnte. Nein, alles, was Christus sagt und tut, tut er im Auftrag und mit der Vollmacht von Gott dem Vater selber. Gott will, dass niemand von denen verloren geht, die zu ihm, Christus, kommen. Und es ist eben der Wille Gottes des Vaters, dass Menschen allein durch Christus gerettet werden, allein dadurch, dass sie sich ganz auf ihn ausrichten, ihm allein vertrauen.

Wenn man sonst in Ämtern unterwegs ist, kann es ja einem passieren, dass man von einer Tür zur nächsten geschickt wird und man am Ende gar nicht weiß, wo man eigentlich hineinmuss, wo man eigentlich bekommt, was man braucht. Bei Gott ist das ganz anders. Der markiert ganz klar und eindeutig die Tür, zu der wir uns begeben sollen, die Tür, die uns den Zutritt zu ihm ermöglicht. Er, Christus, ist die Tür, die einzige Tür, die zu Gott dem Vater führt. Bei allen anderen Türen wirst du früher oder später merken, dass sie nicht weiterführen, wirst du hoffentlich rechtzeitig merken, dass du da wieder rausmusst. Doch die Tür Jesus Christus hat Gott der Vater selber für dich geöffnet, damit du an ihn herankommst, nein, nicht allein hier und jetzt, wenn du zu ihm betest. Ja, darum geht es in der Tat auch, dass wir als Christen beten dürfen im Namen Jesu Christi, durch Jesus Christus, unseren Herrn. Und dann dürfen wir ganz gewiss sein: Gott hört dieses Gebet, weist es nicht ab, auch wenn er nicht immer gleich so antwortet, wie wir uns das wünschen und vorstellen. Wenn du durch Jesus Christus, unseren Herrn, betest, dann ist dein Gebet nicht vergeblich, dann landet es bei Gott nicht irgendwo auf der Ablage oder im Reißwolf, dann geht es erst recht nicht in einem großen Stapel verloren. Dann antwortet Gott auf dieses Gebet so, dass er damit auf jeden Fall sein eigentliches Ziel für dich und dein Leben verwirklicht: Dass du das ewige Leben bekommst, dass du zu diesem ewigen Leben auferweckt wirst am Jüngsten Tag.

Wir selber verlieren dieses Ziel immer wieder so leicht aus unseren Augen. Für uns scheint so vieles in unserem Leben erst einmal viel dringlicher und wichtiger zu sein, als dieses ewige Leben zu erlangen. Ja, dieses ewige Leben erscheint uns von daher vielleicht gar nicht so besonders zu sein, weil wir es schon als viel zu selbstverständlich ansehen mögen, dass wir dort einmal ankommen.

Nein, es ist nicht selbstverständlich, so können es uns gerade unsere Geschwister, die unter dem Islam gelebt haben, bezeugen. Es ist wunderbar, es ist großartig, dass wir als Christen mit solch einer Gewissheit davon reden können und dürfen, dass wir einmal zum ewigen Leben auferweckt werden, dass wir keine Angst vor der Hölle, keine Angst vor dem letzten Gericht Gottes haben müssen. Staunen wir darüber – und nehmen wir dieses Ziel unseres Lebens wieder so fest in den Blick, wie es Christus selber uns hier vor Augen stellt. Alles, worüber du dich aufregen magst, alles, was dich bedrückt, alles, was dich erfreut – betrachte es im Lichte dessen, dass Christus dich nicht verlieren will, sondern dich am Jüngsten Tag auferwecken wird. Du wirst merken: Du wirst dein Leben dadurch noch einmal in einem ganz anderen Licht wahrnehmen.

Nein, du wirst am Ende deines Lebens nicht in einer irre langen Schlange mit Wartenummer anstehen müssen. Christus selber wird persönlich zu dir kommen, dich auferwecken, dich an seiner Hand ins ewige Leben führen. Komm nur zu ihm – er wird dich niemals hinausstoßen! Amen.

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